Deutschland 2009 · 104 min. · FSK: ab 12 Regie: Andreas Dresen Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase Kamera: Andreas Höfer Darsteller: Corinna Harfouch, Henry Hübchen, Sylvester Groth, Valerie Tscheplanowa u.a. |
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Film im Film: Henry Hübchen und Corinna Harfouch |
Der Anfang September in den Kinos anlaufende und bereits jetzt auf dem Filmfest München zu sehende neue Film von Andreas Dresen handelt vom Schauspielerwettstreit zwischen Filmdarsteller Otto Kullberg (gespielt von Henry Hübchen) und Theaterspieler Arno Runge (Markus Hering). Hinter diesem oberflächlichen Spiel der Eitelkeiten verbirgt sich aber gleichzeitig die tiefere Suche nach der eigenen Identität, nach Respekt und nach Liebe, nicht zuletzt, weil sich, wie so oft im Leben, Privates und Berufliches nicht astrein trennen lassen wollen.
Zwischenmenschlicher Wettstreit (mit unterschiedlichen Ausgangspositionen), Identitätssuche und Liebe: All das ist nicht neu. Aber die Art, wie diese Themen in Whisky mit Wodka dargestellt werden, verdient Beachtung, wenngleich der Film in mancherlei Hinsicht an diverse lieblose TV-Produktionen erinnert: unspektakuläre Ausstattung, 0815-Schauplätze, keine großen Stars im Ensemble. Eine weitere ewige Frage also, die unzweifelhaft nicht nur den Film-im-Film-Regisseur Martin Telleck (Sylvester Groth) quält, sondern ebenso Filmregisseur Dresen unter den Nägeln brannte: Die nach dem Portemonnaie. Und sie wird sehr einnehmend und sympathisch im Film behandelt, nämlich in etwa so, wie sie die meisten von uns behandeln: sehnsüchtig und mit Kompromissen. So zeigt sich hier wie auch in den immer wieder aufgegriffenen Grundfragen des Lebens die außerordentliche Stärke des Films, die in der Prägnanz seiner Dialoge, in seiner Selbstironie und in seinen meist treffenden Charakterzeichnungen liegt.
Immer wieder reflektiert Martin Telleck, sein Budget sei begrenzt: die Bibel etwa könne nicht für ein paar Euro verfilmt werden. Auch hält er es für wenig sinnvoll, den Schauspieler Runge als ernsthafte Alternative zum Publikumsliebling Kullberg zu handeln. Nichtsdestotrotz wird jede Szene zweifach gefilmt: einmal mit Kullberg, einmal mit Runge. Runge soll lediglich den Anschein erwecken, Kullberg, dessen Hang zur Flasche das Filmprojekt gefährdet, sei ersetzbar. Runge soll die
wahre Nummer 1 zur Höchstleistung treiben.
Runge ahnt dergleichen, nimmt aber das Angebot an, mit einem pragmatischen Hintergedanken, wie er Kullberg verrät: »Ich geb' mir Mühe und nehm' die Kohle!« Darauf antwortet Kullberg: »Du gibst dir Mühe und nimmst die Kohle. [Bedeutungsvolle Pause.] Dann bist du natürlich eine Nutte!« Dies ist eines der besten Beispiele für seinen Humor und seinen Zynismus, doch gleichzeitig zeigt die Phrase auch seine Unsicherheit – die Antwort,
die er Runge gibt, ist vor allem eine Analyse seiner Selbst.
Es ist ihm wichtig, unangefochtener Erster zu sein: er will jede Szene vor Runge spielen, er will unter keinen Umständen »seine« Szene actionärmer gestaltet wissen als die von Runge, was man sonst als Anpassung an Kullbergs etwas weiter fortgeschrittenes Alter deuten könnte. Dass für ihn Dominanz essentiell ist, merkt man vor allem, wenn er zu Runge sogar noch im Vollrausch meint, eigentlich müsse man sich gar nicht zwischen ihnen beiden entscheiden. Man könnte der Filmfigur auch
zwei Gesichter geben: Eines stehe für die Wirklichkeit, das andere für den Traum. Ganz unverbindlich fügt er hinzu, Runge könne – »zum Beispiel« [!] – für den Traum stehen.
Kullberg ist ein runder Charakter, den man nur schwer festlegen kann, wobei eine gewisse Annäherung vielleicht durch die Namensassoziationen »cool« (beliebt und ruhig), »Kohle« und »kullern« möglich ist. Letzteres kann auf den selbstmitleidigen Anteil in seiner Figur hinweisen (das Kullern der
Tränen), aber auch auf seinen Sisyphos-Anstrich (stets an den Fuß des Berges zurückkullernder Stein), da er trotz einer langen, erfolgreichen Schauspielerkarriere immer wieder neue Erfolge und Bestätigungen benötigt – indes sei angemerkt, dass am Ende des Films dieser Sisyphosbestandteil die Überhand zu gewinnen scheint, kurz bevor Regisseur Dresen eine amüsante Kehrtwendung gelingt. Was genau dies sein mag, darf hier noch nicht verraten werden, da es sich um den besten
Gag des Films handelt.
Die mitunter etwas unplausibel erscheinenden Launen von Kullberg haben derweil ziemlich genau drei Gründe: Seine Infragestellung am Set, seine Ex Bettina Moll (Corinna Harfouch), die ebenfalls in Tango für drei, so der Titel des Film-im-Films, mitspielt, und drittens sein schwer alterskranker Vater (diesem Umstand wird aber nur eine recht kurze Sequenz im Film eingeräumt und das an sich traurige Thema wird für gelungene, komische Effekte genutzt). Moll ist inzwischen mit dem Regisseur Telleck liiert, was die Sache zusätzlich verkompliziert. Doch Moll empfindet immer noch etwas für Kullberg, und auch Runge gegenüber fühlt sie sich nicht abgeneigt.
Whisky mit Wodka fragt nicht nur nach (u.a. sexueller) Verfügbarkeit, sondern auch nach dem Verhältnis von Realität und Fiktion – besonders unübersichtlich wird es etwa beim Abspann, wo man oft nicht weiß, wer etwa der echte Kameramann und wer der Kameramann für den Film-im-Film ist –, sowie nach dem Einfluss von Filmen und Filmzitaten auf unsere Realität. Auf diesen Komplex verweist schon der Titel, kommt doch Whisky (»uisge beatha«) aus dem
Schottisch-Gälischen und bedeutet »Lebenswasser«, während Wodka ein slawisches Wort für »Wässerchen« ist. Düsteres Leben (Whisky) trifft auf klare, durchsichtige Kunst (Wodka). In diesem Zusammenhang könnte es sich lohnen, darauf zu achten, was die jeweiligen Figuren trinken. Dann muss man nur noch überlegen, ob es sie nach dem jeweiligen Getränk dürstet, oder ob sie schon sind, was sie trinken (parallel zu »man ist, was man isst«).
Eindeutige Antworten wird man nicht finden,
wobei auch die Sichtweise auf das älteste Gewerbe der Menschheit relativiert wird: während Kullberg sich über Runges Tätigkeit (der er schon viel länger aufgesessen ist) abfällig äußert, hält Telleck später eine Lobrede auf Runge, in der er dessen Engagement als »Akt selbstloser Kollegialität« würdigt.
Whisky mit Wodka auf dem Münchner Filmfest: Di., 30.06., Cinemaxx 2, 19:30 Uhr und Sa., 04.07., Rio 1, 19:00 Uhr.