Japan/Frankreich 2009 · 89 min. Regie: Masahiro Kobayashi Drehbuch: Masahiro Kobayashi Kamera: Kiyoshi Itô Darsteller: Michiko Kichise, Daisuke Maki u.a. |
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Zwei Japaner in Lyon |
Ich möchte gar nicht ausschließen, dass sich in A White Night ein brauchbarer Film verbirgt. Aber um den entdecken zu können, hätte ich die Anti-Vuvuzuela-Ohrstöpsel mit ins Kino nehmen müssen. Weil meine Wahrnehmung vor allem damit beschäftigt war, sich gegen einen der unerträglichsten Soundtracks der Filmgeschichte zu wehren. Jetzt greift der japanische Film, wenn’s gefühlig, aber auch a bisserl melancholisch werden soll, ja gern mal zu leicht süßlichem Plingplong. Daran hab ich mich schon lang gewöhnt, kein Problem. Aber Regisseur Masahiro Kobayashi kleistert seinen Film von vorn bis hinten mit einer »Best of Fahrstuhlmusik«-Auswahl zu, die von einer CD stammen muss, die er auf dem Weg in den Schneideraum unter dem Autositz gefunden hat. Es war wohl »Vol. 17: The Saint-Saëns Edition«, denn besonders Guantanamo-Verhör-tauglich wird das Ganze durch eine ganze Parade der schlimmstsäuselndsten, beigesten Versionen des »Schwans« aus dem »Karneval der Tiere«, die überhaupt musikmöglich sind – von der Alleinunterhalter-mit-Casio-Keyboard-Variante bis zum Boutiquenbossanova. Seine größte Meisterschaft im Umgang mit dem akustischen Medium aber beweist Kobayashi, als eine Szene in einem Café ca. fünf Minuten lang geht, die begleitende Gitarrennichtigkeit (auch eine Kunst: Belanglosigkeit derart zu konzentrieren, dass sie aggressiver wird als jeder Thrash Metal) aber nach ca. anderthalb Minuten endet. Was man da macht? Na, ganz einfach: Zweimal die Repeat-Taste drücken! (Kein Witz, ich schwöre!)
Aber gut, Film ist ja zunächst ein visuelles Medium. Und da hält A White Night dann schon auch gut dagegen. Der Film handelt von einem jungen Japaner, der in Lyon auf einer Brücke eine junge Japanerin trifft, die dort vergeblich auf ihren Liebhaber wartet. Was daran anfangs tatsächlich interessant ist: Es ist auf HD-Video inmitten des realen Alltags-Lyons gedreht, und das gibt eine interessante Reibung zwischen den stilisierten, melodramatischen Filmgesten und -dialogen und der fast dokumentarischen Umgebung. (Nein, ich glaube nicht, dass dieser Effekt so intendiert ist, aber das ist ja völlig wurscht, solange er DA ist.)
Nun bin ich der Letzte, der sagen würde, kranken Menschen sollten nicht die selben Berufsmöglichkeiten offenstehen wie allen anderen. Und, okay, ich kann die künstlerische Entscheidung akzeptieren, das Ganze mit Handkamera zu drehen, obwohl die Einstellungen an sich meist möglichst lang und ruhig sind. Und ich kann absolut nachvollziehen, dass man, wenn es heißt »Heute drehen wir diese eine lange Dialogszene im Twoshot mit Teleobjektiv aus 20 Metern über die Straße hinweg, sollen wir da zur Ausnahme mal sicherheitshalber das Stativ mitnehmen?« sagt: »Ach nee, lass mal, wer soll das wieder schleppen, das geht doch dauernd im Weg um, und überhaupt, wenn das dann wegkommt, man weiß ja, wie schnell so Stative Beine kriegen, und was das dann wieder kostet, bei unserem kleinen Budget.« Aber: In diesem Fall sollte man an jenem Tag doch lieber nicht auch noch den Kameramann mit Parkinsons ans Gerät lassen.
Nein, der Film macht’s einem wirklich nicht leicht... Soweit es mir gelungen ist, Augen und Ohren dennoch wohlwollend offenzuhalten, war dann aber auch narrativ nicht wirklich etwas geboten, was mich all das Bemeckerte hätte milde vergessen lassen. Ein bisschen Viscontis Le notti bianche (offensichtlich), ein bisschen Linklaters Before Sunrise, schon solide, aber auch nicht sonderlich neu oder speziell. Hie und da doch ein wirklich schönes Bild (etwa ein regennasser Bürgersteig, der durch eine Leuchtreklame zunächst in Grün, dann urplötzlich in Rot entflammt scheint). Aber dann auch wieder unverzeihliche Anfälle von Kunstwillen wie die plötzlichen Schwarzweiß-Einbrüche gegen Ende. Wie gesagt: Ich möchte nicht ausschließen, dass sich in A White Night ein brauchbarer Film verbirgt. Schwer zu sagen, was mit einem komplett anderen Soundtrack möglich gewesen wäre. Aber dass sich hier ein großer Film verbirgt – das, ja, würde ich auszuschließen wagen.
Auf dem Filmfest München 2010 wird A White Night zu folgenden Terminen gezeigt: So. 27.6. 16:30 Cinemaxx4 und Mo. 28.6. 22:30 Rio 2