Brasilien/Kolumbien/D 2017 · 79 min. · FSK: ab 12 Regie: Simon(è) Jaikiriuma Paetau, Thais Guisasola Drehbuch: Simon(è) Jaikiriuma Paetau, Thais Guisasola Kamera: Giovanna Pezzo |
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Nicht jede Kunst ist erotisch |
Eine junge, schöne Brasilianerin schwebt auf dem Wasser und denkt an ihre Vorfahren: Damals in der deutschen Schule in Kolumbien wurde ihre Mutter diskriminiert, weil sie keinem weißen Schönheitsideal genügte. Die Generationen von Frauen vor ihr wurden von Männern politisch und privat unterdrückt und missbraucht – unter der Diktatur, durch ihre Männer, im Rahmen der Kolonialherrschaft. Mit jedem Orgasmus, erzählt die junge Punkerin, wiegt sie das Unrecht der Vergangenheit ein wenig auf. The Whisper of the Jaguar schickt sie auf eine träumerische, sonnengetränkte Reise entlang des Amazonas – auf die Suche nach den Spuren ihres verunglückten Bruders, der gleichzeitig eine Schwester war.
Als sie auf dem Fluss schwebt, sind schon 70 der 80 Minuten des kompakten Films vergangen. 80 Minuten sind flott für eine philosophische Reise, aber Langeweile war dann vielleicht doch ein Risiko. Entsprechend sieht auch jede der 80 Minuten schön aus und viele der Minuten geben sich auch widerständig. Mit Punk und der Auflehnung gegen ästhetische Ideale hat die filmische Konserve gar nichts zu tun. Das weiße Schönheitsideal wird im Film praktischerweise durch ein queeres ersetzt, das sich für gesunde und schöne Körper ausgiebig interessiert. Die Regisseur*innen zelebrieren sich selbst und treten regelmäßig vor der Kamera auf. Ab und zu dürfen auch andere Figuren in Erscheinung treten: Die nette Bootsfahrerin zum Beispiel, die gleich einen Joint parat hat. Oder der Heiler, der praktischerweise Drogen parat hat. Und die netten Frauen von der Party, die zufälligerweise Drogen parat haben. Hedonismus wird als Form des Widerstands ernst genommen und so pustet sich die junge Dame mit ihren Gespielinnen nackt Zauberpulver durch die Nase, bevor alle vor einer Postkartenkulisse miteinander Sex haben. Widerstand leisten darf hier jeder Mensch, der zu bezaubern weiß und vor der Kamera gut aussieht.
Aber zumindest die Träume sind frei? Fehlanzeige. Kaum schließen sich die Augen, taucht zuverlässigerweise Simon(è) Jaikiriuma Paetau auf und performt. Auf der Straße, vor einem Baum. Bis alle Symbolbilder durch sind. Traumbilder so regelmäßig und zielsicher wie die nächste Steuererklärung. Ab und zu läuft übrigens tatsächlich Punkmusik, vor allem auf der Straße, wenn die junge Frau unterwegs ist. Daher auch die Beschreibung des Films: ein Punk-Roadmovie! Denn eins und eins ergibt in der Politik und in der Kunst bekanntlich zwei. Natürlich, keine Frage: Die Bands und ihre Sängerinnen schaffen eine enorm positive, optimistische Energie. Empowerment ist der Grundmodus des Films. Doch wie Optimismus und Widerstand erfahrbar werden sollen, erschließt sich nicht. Im Film gibt es kein Gespür für deren Kehrseite. So wird selbst der Tod des Bruders / der Schwester als Unfall verkauft, obwohl er von Konservativen mit Knarren während einer politischen Aktion vertrieben wird. Die Leichtigkeit des Films degradiert jede Tragödie zum Zeugnis für die Reife seiner Protagonistin. Die Diktatur taugt als pseudotragischer Subtext, der nun jeden Genuss legitimiert. Wirklich niemand setzt sich hier aufs Spiel.
Seis drum, die Drogen wirken zumindest. Sie sollen helfen, das Ego zu töten. Ein Mantra, das verdächtig ideologisch klingt. Gerade kürzlich predigte Charles Manson im neuen Film der »American Psycho«-Regisseurin Mary Harron denselben Spruch, um hinter dem Deckmantel der Utopie Liebe durch Manipulation und Missbrauch zu ersetzen. Die Konsequenzen seiner Heilsversprechen sind für seine Anhängerinnen bestialisch. »The Whisper of the Jaguar« wünscht sich aus der moralischen Überlegenheit eines verkürzten Postkolonialismus heraus eine neue Gegenkultur herbei und nimmt dafür in Kauf, deren Kehrseiten, Ursprünge und Eindimensionalität völlig auszublenden. Das Wappentier ist hier nicht der Jaguar, sondern der Delphin – Erzählungen zufolge das einzige Wesen des Tierreichs mit einem ordentlichen Sinn für Genuss.
Es bleibt letztlich nur die staubige Schwere der Freiheit: Die schöne Heldin wird von allen gemocht und kann sich leichtfüßig bewegen. Da muss sie den Widerstand ja in sich selber suchen. Denn das Make-up sitzt, das Licht stimmt, am Ende trällert »Peaches« aus dem Film hinaus. Wie ausbrechen aus diesem Sumpf der queeren Souveränität? So schön und begehrenswert sind diese Sex-Punks, dass es hier eigentlich um Glam geht – nur ohne die Fähigkeit zur Ironie. Hinter den glitzernden Verkleidungen des Films verschwindet noch jedes Gefühl. Nicht jede Kunst ist eben erotisch, Susan.