Deutschland 2005 · 107 min. · FSK: ab 12 Regie: Andreas Dresen Drehbuch: Laila Stieler Kamera: Michael Hammon Darsteller: Axel Prahl, Inka Friedrich, Anne Ratte-Polle, Christian Grashof u.a. |
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Willenbrock rennt |
Ein Mann am Rande des Nervenzusammenbruchs. Wie im Capra-Klassiker It’s a Wonderful Life steht er am Anfang des Films auf einer Brücke über einem Fluß, im Begriff sich hinunter zu stürzen. Willenbrock – so heißt der merkwürdige Held, der dem neuen Film von Andreas Dresen wie dem zugrunde liegenden Roman von Christoph Hein seinen Titel gibt.
»Alles hat seinen Preis« – das war schon immer Willenbrocks Motto gewesen. Und nun ist Zahltag. Im Rückblick erzählt der Film, wie es dazu kam, dass Willenbrock auf der Brücke steht. Es ist eine Geschichte mitten aus Deutschland, und lange schon ist kein Kinofilm derart realitätssatt gewesen, wie dieser. Die Wohnungen sehen nicht aus wie Theaterkulissen, sondern wie Wohnungen eben aussehen. Kleidung »charakterisiert« nicht, und die Leute sprechen wie all jene, mit denen man tagtäglich spricht. Es ist eine der großen Stärken von Andreas Dresens (Nachtgestalten, Halbe Treppe) neuem Film, dass er zeigt, wie Menschen heute leben. Dass er ein sehr genaues Bild des alltäglichen Wohlstands gar nicht einmal besonders unnormaler Leute liefert – zwischen Haus und Landhaus, Einkaufstouren im Wohnmarkt und einer Boutique in der Shopping-Mall für die gelangweilte Gattin, entfaltet sich ein Psychogramm ihrer Lebensweise, ihrer Sprache, ihres Verhaltens.
Axel Prahl spielt diesen Willenbock leinwandfüllend als optimistischen, in sich ruhenden Spießer. Ein Typ, der immer in Bewegung ist. Er kommt, geht, hetzt, tut fünf Dinge auf einmal: Er ist schrecklich direkt und ganz durchschaubar, aber eben so, dass man ihm bei alldem nicht wirklich böse sein kann. Ein Geschäftsmann, bis an die Grenze einer Parodie der Geschäftigkeit, einer der bauernschlau seine Kunden wahlweise um den Finger wickelt oder übern Tisch zieht, der clever zur Russenmafia Distanz hält, ohne sie zu verärgern, der zwar nicht wirklich weit denkt, aber immer einen Schritt weiter, als die meisten seiner Mitmenschen.
Auch privat hat er immer das Nächstliegende im Kopf: Seine Freundin, eine Professorin, mit der er sich gelegentlich zum Entspannungssex trifft (betont cool: Dagmar Manzel), junge Mädchen, die er mit etwas ranzigem Charme umgarnt (gleichgültig: Anne Ratte-Polle), und seine Frau zuhause (sanft, aber nie mitleiderregend und wunderbar fahrig: Inka Friedrich), die er liebt und verwöhnt, auch wenn er sie betrügt. Macht doch nix – Willenbrock meint es nicht so, will im Grunde keinem Menschen Böses, auch nicht denen, die er ausnimmt oder die er betrügt. Er ist der Prototyp des wohlmeinenden Durchschnittsmenschen und insofern ein Charakter ganz aus der Mitte unserer Gesellschaft – gerade in den vielen Kompromissen und Gemeinheiten, kleinen Lebenslügen und genauso kleinen Hoffnungen, der Alltäglichkeit mit gutem Gewissen, die Willenbrocks Leben ausmacht, und die er offen zur Schau trägt.
Wer etwas hat, der hat Angst, es zu verlieren. Das ist die eine große Einsicht, die Willenbrock noch bevorsteht. Als eines Nachts bei ihm eingebrochen wird, er und seine Frau gar in ein Handgemenge mit zwei Einbrechern verwickelt werden, verliert Willenbrock jene absolute Selbstsicherheit, die er lange hatte. Und nun brechen genau jene menschlichen Beziehungen zusammen, die Willenbrock in der nicht nur winterlich kalten Welt um ihn herum bisher Trost geboten hatten. Der Mann wird unheilbar erschüttert, verliert seine Unschuld, und wird sich doch nicht wirklich verändern – darin ist dieses persönliche Psychogramm zugleich das eines ganzen Landes.
Die Romanvorlage hat Dresen verändert. Zum einen hat er die Handlung aus der unmittelbaren Wendezeit mit ihren sehr speziellen Problemen in die Gegenwart und aus Berlin in die Provinz verlegt. Zum anderen spielt Willenbrocks Frau Susanne eine wichtigere Rolle. Aus der Krise des Rechtsstaats ist bei ihm eine allgemeine, aber auch etwas diffuse Krise der Gesellschaft geworden. Und was Willenbrock widerfährt, hat mit ostdeutschen Wendeverlierern, hat mit Massenarbeitslosigkeit und Sozialabbau überhaupt nichts mehr zu tun. Schließlich ist der Held selbst nicht mehr so klar als Ostdeutscher erkennbar. In Willenbrock, das ist keine Frage, dürfen wir alle uns wiedererkennen. Manchmal wird es etwas zu heiter – und wenn der Zuschauer schmunzeln darf, kann er sich den Zumutungen einer Geschichte am ehesten entziehen.
Die tragikomische Geschichte eines Gebrauchtwarenhändlers in der Krise, dreht den alten Spruch »Traue keinem Autohändler« um. Irgendwann kann Willenbrock der Welt nicht mehr trauen. Als Freiheitsgewinn kann man das umgekehrt natürlich auch beschreiben. Am Ende dieser einfühlsamen Parabel auf Glück, Lebenskunst und die Dinge, die für einen Menschen wirklich zählen, steht daher keine große Umkehr. Dresen verzichtet letztlich auf großes Moralisieren und schlägt sich auf die Seite seines Helden. Der wurschtelt einfach weiter. Wie wir alle.
Die allgemeine Diskussion über das deutsche Kino kennt genau zwei Zustände und ist somit im Grunde ein binäres System. Im Zustand Null herrscht ein endloses Jammern über mangelnde Qualität, fehlende Zuschauer und dürftige Kreativität; im Zustand Eins dagegen jubelt man über scheinbar beliebig steigerbare Besucherzahlen, ein hervorbrechendes Potential junger Talente und die Erfolge bei internationalen Festivals.
Wer die Berichterstattung zur letzten Berlinale ein wenig verfolgt hat, weiß, dass wir uns momentan mal wieder in Zustand Eins befinden.
Natürlich ist dieses himmelhochjauchzende zu Tode Betrübtsein vollkommen unsinnig, da z.B. der Einspielerfolg oft nur von drei oder vier Werken abhängt, die mit Glück in ein Jahr fallen (etwa in 2004 mit 7 Zwerge – Männer allein im Wald, Der Untergang und (T)Raumschiff Surprise – Periode I), in anderen Jahren jedoch ganz ausbleibt. Aus solchen Zahlen dann auf einen kommenden Boom oder eine Krise des deutschen Films zu schließen ist reine Wahrsagerei.
Ähnlich ist es bei der Diskussion über die Qualität des deutschen Kinos, die schon dann Morgenluft wittert, wenn es einmal ein deutschsprachiger Beitrag nach Cannes geschafft hat oder viele deutsche Filme auf der Berlinale im Wettbewerb laufen.
Doch auch solche Phänomene sind bis zu einem gewissen Grad zufällig und sagen wenig aus über den tatsächlichen Zustand der deutschen Filmkunst, die seit Jahren sehr gute Filme hervorbringt – zwar wenige, aber konstant. Einer der
wichtigsten Regisseure hochwertiger Filme ist Andreas Dresen, der mit Willenbrock nun einen weiteren, sehr sehenswerten Film vorlegt.
Bernd Willenbrock, die titelgebende Hauptfigur, hat es eigentlich geschafft. In Magdeburg betreibt er einen gut gehenden Gebrauchtwaagenhandel, seiner liebevollen Frau hat er eine Boutique gekauft, er fährt ein dickes Auto, wohnt in einer mustergültig properen Siedlung und regelmäßig trifft er sich mit einer Bekannten im Hotel auf einen Kaffee mit anschließendem Schäferstündchen.
Als Zuschauer neigt man zu Beginn schnell dazu, den fremdgehenden Autohändler, der einen
Nachtwächter nur einstellt, um sich an dessen attraktive Tochter ran zu machen, unsympathisch zu finden. Doch Andreas Dresen wäre nicht der, der er ist, wenn dieses allzu einfache Charakterbild nicht bald verschwimmen würde. Denn eigentlich ist Willenbrock kein schlechter Mensch.
Augenfällig wird dies, nachdem Willenbrock mit seiner Frau im abgelegenen Wochenendhaus von russischen Gangstern mit großer Brutalität überfallen und beraubt wird. Von da an läuft für ihn nichts mehr wie es sollte und all die kleinen Risse, die sein vermeintlich zufriedenes Leben durchzogen haben, brechen unter dem Druck dieses Schocks gewaltsam auf.
Eine der hervorstechendsten Qualitäten von Andreas Dresen ist sein Talent, Erwartungshaltungen leichtfüßig zu umgehen. So waren seine Filme Die Polizistin und Halbe Treppe erstaunlicherweise eben keine tristen, deprimierenden Sozialdramen und im Mittelpunkt der Doku Herr Wichmann von der CDU stand eben nicht die allgegenwärtige Politik, sondern in erster Linie das Private.
Bei Willenbrock stellt sich Dresen nun gleich in zweifacher Hinsicht gegen die allgemeine Erwartung: inhaltlich und die Form betreffend.
Denn Dresen, von dem man bisher einen (passend zum dargestellten Alltag) eher schlichten Filmstil mit wenig Tricks und viel Handkamera kannte, überrascht hier mit satten Bildern, viel Musik und technischen Finessen. Die würde man eher in einem Tom Tykwer-Film erwarten, sind bei Dresen aber in keiner Weise fehl am Platz, ganz im Gegenteil.
Visuelle Schönheit ist – sofern sie nicht zum Selbstzweck verkommt – im Kino immer zu begrüßen. Willenbrock
zeigt so auf formaler Ebene Stilsicherheit, während die bisherigen Filme Dresens mehr auf Stilexperiment setzten.
Auf der inhaltlichen Ebene widersetzt sich Dresen mehrfach den sonst üblichen erzählerischen Erwartungen und Konventionen.
So ist z.B. Bernd Willenbrock keineswegs das totale Charakterschwein, das man von ihm erwartet. Auch ist der Niedergang Willenbrocks nicht so absolut und Hiob-artig, wie man es aus vergleichbaren Filmen kennt. Ebenso wenig findet eine richtige Katharsis der Hauptfigur statt und schon gar nicht lässt sich eine moralische Lehre aus dem Film ziehen.
Willenbrock widersetzt sich erfolgreich all diesen üblichen Standards und erreicht dadurch eine ganz eigene Originalität.
Einer der wenigen Punkte jedoch, die man an diesem Film zumindest mit gewisser Ambivalenz betrachten muss, ist seine streckenweise Spannungsarmut bzw. seine fehlende(n) Konsequenz(en).
Willenbrock ist auch einen Geschichte auf Leben und Tod und dies durchaus im wahrsten Sinne des Wortes. Viele (vielleicht zu viele) höchstdramatische Dinge passieren. Doch nur schwerlich gelingt es dem Film, diese Anspannung und Angst dem Zuschauer zu
vermitteln.
Manchen Handlungssträngen geht es dabei wie Willenbrocks Gerichtsverfahren im Film: Sie werden ohne jede Konsequenz eingestellt bzw. abgeschoben.
Mag sein, dass all das dem realistischen Anspruch des Films, der nichts übertreiben will, geschuldet ist aber manchmal muss man die Realität einfach etwas zuspitzen, um sie für den Zuschauer begreifbar zu machen.
Doch dieser Kritikpunkt wird weitgehend aufgehoben durch den charmanten Humor des Films, durch die sympathischen Darsteller, die melancholisch schönen Bilder und seine menschenfreundliche Erzählweise.
Jenseits jeder unerfreulichen Diskussion über das deutsche Kino kann man somit feststellen, dass Willenbrock nur in zweiter Linie ein deutscher Film ist. In erster Linie ist er ein guter Film.