Winterschläfer

Deutschland 1997 · 122 min. · FSK: ab 12
Regie: Tom Tykwer
Drehbuch: ,
Kamera: Frank Griebe
Darsteller: Ulrich Matthes, Heino Ferch, Floriane Daniel, Marie-Lou Sellem u.a.

Es gibt witzige Momente. Es gibt auch schöne Bilder. Und die Musik. Also, die Musik, die »glättet den Atem der Montage« (Tom Tykwer).

Laura (Marie-Lou Sellem), Kran­ken­schwester, lebt mit Rebecca (Floriane Daniel) in einem Haus. Rebecca ist mit Marco (Heino Ferch), dem Skilehrer, zusammen. René (Ulrich Matthes) arbeitet in dem kleinen Kino des Dorfes und hat seit einem Unfall Probleme mit seinem Kurz­zeit­ge­dächtnis. Laura und René verlieben sich inein­ander. Zwei Paare: Laura mit René und Rebecca mit Marco. Alle um die dreißig. Und dann ist da noch der Bauer Theo (Josef Bier­bichler). An dem Tag, als er sein krankes Pferd zum Doktor bringen will, fährt seine kleine Tochter heimlich im Pfer­de­an­häger mit. Es kommt zu einem Unfall, der alle Betei­ligten mitein­ander verstrickt und infol­ge­dessen seine Tochter ins Koma fällt und sterben wird.
René hat das Auto gefahren, das Marco gehört und welches den Unfall mit Theo verur­sacht hat. Doch René kann sich an nichts mehr erinnern (Kurz­zeit­ge­dächtnis funk­tio­niert nicht).
Aber Theo, der Bauer und Vater, ihm hatte sich die Narbe an René's Hinter­kopf ins Gedächtnis geprägt. Und ausgehend von dieser Erin­ne­rung versucht er den Menschen zu finden, der Schuld am Koma seiner Tochter hat. Wie in Third Dimension von Spielberg wird Theo versuchen zu rekon­stru­ieren, welche Form diese Narbe hatte. Dabei kommt auch der Kartof­fel­brei wieder zum Zug.

Winter­schläfer ist eine Produk­tion der Berliner Produk­ti­ons­firma X Filme.
Dani Levy (Stille Nacht, Die Mediocren, I was on Mars etc), Wolfgang Becker (Das Leben ist eine Baustelle, Kinder­spiele etc), Stefan Arndt und Tom Tykwer gründeten sie vor drei Jahren unter großer Beachtung der Presse. Während in Deutsch­land heute schon wieder über den Boom der deutschen Komödien geschimpft wird, hatte sich dieses Quartett unbeirrt dem Auto­ren­film gewidmet. Und eines kann man Winter­schläfer sicher nicht nachsagen. Daß es ein Film ohne Qualitäten ist.

Der Film hat viele Qualitäten. Aber wie ein paar unge­zo­gene Kinder wider­streben sie einer drama­tur­gi­schen Einheit von Seele und Materie.
Es geht um Liebe, Sex, Lebens­lust,Lebens­frust und Tod. Zwei Menschen werden im Verlauf des Films sterben. Marco, der Skilehrer ist einer von den beiden. Er hatte kurz zuvor am Totenbett von Theos kleiner Tochter vom Tod gespro­chen. Wichtig war seiner Meinung nicht in welchem Alter man stirbt, sondern wieviel gute Jahre man verbracht hatte. Drei Jahre erschienen ihm eine runde Zahl. Eine Annahme die gleich darauf zu der Frage verlei­tete, wer denn schon von sich sagen könnte, er oder sie hätten drei wirklich gute Jahre in ihrem Leben gehabt. Eine inter­es­sante Frage.

Überhaupt hat Winter­schläfer immer wieder gute Ansätze, doch es scheint fast als hätte Tykwer seiner Geschichte nicht vertraut. Anstatt Simpli­zität kommt es zu mehr Kompli­ka­tion in der Erzählung als ihr gut tut. Die Kame­rafüh­rung drängt sich in den Vorder­grund, anstelle unter­s­tüt­zend zu agieren.Manche Bilder wirken aufge­blasen in ihrer Herr­schaft­lich­keit.

Der Regisseur Tom Tykwer (Die tödliche Maria) hat in seinem zweiten Spielfim alle Elemente um gutes Kino zu machen. Gute Schau­spieler, eine wunder­bare Kulisse, schöne Bilder und ein inter­es­santes Ausgangs­motiv. Er unter­scheidet die Menschen in die geliebten Kinder und die unge­liebten Kinder.
Laut Pres­se­heft ist Winter­schläfer Thriller, Melodram und Liebes­film. Das ist wahr, nur schade, daß es dem Thriller an Spannung mangelt, dem Melodram an den großen Gefühlen und letzt­end­lich bleibt nur der Liebes­film. Doch der stapft in der beein­dru­ckenden Schnee­land­schaft träge daher. Nichts ist leicht, am wenigsten die Liebe.

Es war schreck­lich anzuseh'n,
als man ihm das Hemd zog aus,
da dachte jeder bei sich selber:
Jäger, bleib mit'm Selbst­mord z'haus.

(Aus dem »Jenner­wein-Lied«)

Unheil­voll piept und pumpelt elek­tri­sche Musik, die Kamera fliegt über verschneite Bergeshöhen, das Drama vom Skileh­rer­schicksal auf fins­te­rerer Piste nimmt seinen fürch­ter­li­chen Lauf. Dabei hatte alles so privat ange­fangen, zur Weih­nachts­zeit nämlich, wenn viele junge Erwach­sene kurz­zeitig heim­kehren zum Pflich­termin bei der buckligen Verwandt­schaft, und mindes­tens ebenso viele über das bisher zurück­lie­gende Jahr resü­mieren und hoffen, daß bald mal was vorwärts geht. Vier Circa-Dreißig­jäh­rige, allesamt Bewohner eines bayri­schen Berg­dorfes, werden da unter die Lupe genommen. Rebecca und Marco sind ein frisch­ver­liebtes Pärchen, er ist reichlich unehrlich und stark an Geld und schnöden, vergäng­li­chen Werten inter­es­siert, sie steht haupt­säch­lich auf Sex und lebt ansonsten unbe­schwert in den Tag hinein. Rebeccas Mitbe­woh­nerin und Freundin ist die frus­trierte Kran­ken­schwester Laura. Sie lernt den örtlichen Film­vor­führer Rene kennen, einen etwas kaputten Typen. Seit einem Unfall mangelt es ihm an einem gut funk­tio­nie­renden Kurz­zeit­ge­dächtnis. Drum hat er auch völlig vergessen, daß er am Weih­nachts­morgen im Rausch den Wagen von Marco gestohlen hat, in einen Unfall verwi­ckelt war und dann geflohen ist. Die Tochter des Bauern Theo war dabei um’s Leben gekommen. Dieser Theo sucht nun den flüch­tigen Zeugen und... naja, auf alle Fälle ist die Sache äußerst schlimm und kompli­ziert. Während die vier Dreißiger also noch ihren Selbst­fin­dungs­pro­zeßen nachgehen, treibt es den »rachsüch­tigen Bauer«(Ganghofer) um, wobei er schließ­lich Marco für den Flüch­tigen hält. Das »Schicksal« (Riefen­stahl) führt die beiden »pfeilgrad« (Eder) zusammen, und zwar »auf'm Berckh droben« (Trenker). Der sündige Marco, der sich mitt­ler­weile ander­weitig Schuld zugezogen hat, kommt stracks von oben links in’s Bild und der wütende Bauer mit seinem treuen Hund an der Seite stapft grimmend von rechts unten daher. »Jössas jössas.« (Valentin)

Es gibt Momente bei Winter­schläfer, in denen man gerne mitdenkt mit diesen vier modernen, aber ziellosen Provinz­be­woh­nern. Vor allem Heiko Ferch als eifer­süch­tiger Gockel hat Anteil an den wenigen glaub­wür­digen Passagen, und auch die Figur des Film­vor­füh­rers enthält ein paar prima Ideen. Der Rest aber wird von der Regie zuge­stüm­pert mit der schlimmsten Mischung von neudeut­schem Plas­tik­pa­thos und plum­pester Antäu­schung tech­ni­scher Virtuo­sität seit Schlafes Bruder. Sehens­wert ist Winter­schläfer ausschließ­lich wegen dem Ausnah­me­schau­spieler Sepp Bier­bichler, dessen immense Wirkung auf Kino­lein­wand noch viel zu selten genutzt wird. Der Bier­bichler nämlich braucht überhaupt keinen Text, keine wohl­kon­stru­ierte Drehbuch-Arbeit, der braucht bloß auftreten, und alle aufge­scheuchte High-Tech-Angeberei und tief­sinns­schwere Empfind­sam­keits-Poesie gerät in Verges­sen­heit.