Deutschland 2005 · 99 min. · FSK: ab 0 Regie: Jens Schanze Drehbuch: Jens Schanze Kamera: Börres Weiffenbach Schnitt: Jens Schanze |
»Sag nicht immer Nazi«, tadelt die Mutter ihren Sohn, »er war Nationalsozialist, das klingt doch viel besser.« Sie ist weder dumm, noch böse, noch ist sie sich der dämonischen Komponente ihrer Äußerung überhaupt bewusst, sondern sie ist einfach eine ganz normale Verdrängerin. Es ist die Qualität von Regisseur Jörg Schanze, dass er solche Momente provoziert, und sie nicht aus dem Film herausschneidet, sondern sie zulässt, und den Zuschauer immer wieder vor Situationen stellt, in der Normalität und Abgrund in einer Weise auseinanderklaffen, dass man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Für den Filmemacher selbst ist Winterkinder Wagnis und Zumutung zugleich. Er portraitiert, wie er sich mit den eigenen Eltern und seinen Geschwistern auf eine überaus unbequeme Spurensuche begibt.
Die Aktenlage ist klar: Der Vater der Mutter war ein fanatischer SA-Mann der ersten Stunde, überzeugter Antisemit und in Niederschlesien an der Ermordung von Juden beteiligt, noch Anfang 1945 vom »Endsieg« überzeugt. 1954 starb er, ohne je für seine Taten gebüßt, oder seine Rolle auch nur offenbart zu haben. All das ist belegbar. Erschreckend naiv und verklärend ist die Haltung der Tochter demgegenüber noch in der Erinnerung. Und erschreckend denkfaul geben sich noch die vier älteren Schwestern des 1971 geborenen Regisseurs.
Winterkinder ist einerseits die Darstellung solcher Verdrängungsmechanismen und des sehr mühsamen, sehr zögerlichen Eingeständnis der Wahrheit, andererseits die Rekonstruktion des Lebens des Großvaters aus Briefen und Archivmaterial, das Hetzreden und Liebeserklärungen an den »Führer« enthält. Während er zwischen diesen beiden Polen etwas unentschieden schwankt, erhält der Film seine Qualität durch die Darstellung der Suche, des Fragens. Ein wenig bequem macht es sich der Regisseur vielleicht in dieser milden Position, die gegenüber der eigenen Familie völlig aufs Urteilen verzichtet, das Verurteilen sogar ausdrücklich ablehnt, und damit den eigenen Stadtpunkt merkwürdig offen lässt – mag er doch indirekt klar werden.
Es ist eine Frage, die über Winterkinder hinausreicht, wie diese neue Offenheit zu beurteilen ist. Die Selbstthematisierung der dokumentarischen Methode, in der die Regisseure selbst vor der Kamera auftauchen, lenkt vom eigentlichen Thema erst einmal ab, ist vor allem Mode (und Narzißmus der Macher). Zugleich entpuppt sie sich als eine geschickte Methode, um bestimmte Einsichten herauszukitzeln. Aber der Film tut doch genau das nicht, was der Filmemacher von seiner Mutter verlangt. Er spricht nicht aus. Zum Vergleich: In einem anderen Film, der ähnlich von der schmerzvollen, letztendlich auch unbefriedigenden Auseinandersetzung einer Familie handelt, Zwei oder drei Dinge, die ich von ihm weiss, begegnet man auch einigen Angehörigen der »Enkelgeneration«. Klar und deutlich benennen sie die Verdrängung der Familie, sprechen aus und urteilen klar – bei aller Liebe. Genau das hätte man sich auch von Schanzes Film gewünscht.
Die Aktenlage, wie gesagt, war vorab klar. Ist es, über Schanzes Familie hinaus, wirklich für irgendwen relevant, dass auch die Mutter sich endlich die Fakten eingesteht, und ihren Vater eines Tages »Nazi« nennt?