USA 2013 · 116 min. · FSK: ab 16 Regie: Marc Forster Drehbuch: Matthew Michael Carnahan, Drew Goddard, Damon Lindelof Kamera: Ben Seresin Darsteller: Brad Pitt, Mireille Enos, James Badge Dale, Daniella Kertesz, Matthew Fox u.a. |
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Nur kleine Inseln widerspenstiger Gedanken |
Der Vorspann zeigt Nachrichtenbilder, Tiersendungen, Filme von Insektenschwärmen. Was man auf ihnen sieht, sind Tiere als Masse und ihr hochaggressives Verhalten – ein erster, pseudowissenschaftlich grundierter Vorgriff auf das Thema dieses Unterhaltungsblockbusters. Trotzdem die Zeichen sich während der folgenden Anfangsminuten schnell mehren – man sieht eine Bilderbuchfamilie beim Frühstück, Nachrichten laufen und berichten außer von angeschwemmten Delphinen, von Tieren, die verrückt werden; nur ungenau hörbar von einem russischen Flugzeug, das ohne Landeerlaubnis in New York gelandet ist; die Tochter fragt, was Kriegsrecht sei; ungewöhnlich viel Polizeihubschauber sind zu sehen – kommt das Eigentliche überraschend: Plötzlich wimmelt es in Philadelphia von Zombies, und zwar solchen, die sich im Gegensatz zu den »lebenden Toten« der Filme George A. Romeros und seiner Epigonen nicht langsam schlurfend bewegen, sondern mit raubtiergleicher Schnelligkeit. Wie Kampfhunde fallen sie ihre menschliche Beute an, ein Biss verwandelt das Opfer binnen weniger Sekunden selbst in ein untotes Killerwesen.
Die Buchvorlage zu alldem stammt von Max Brooks, dem Sohn des Kinokomikers Mel Brooks, der von seinem Vater offenbar das Talent geerbt hat, altbekannte Dinge solange durch den Gehirnwolf zu drehen, bis sie völlig anders aussehen. Die Ausgangsidee von »World War Z« ist nicht besonders neu: Eine weltweite Epidemie verwandelt die Menschen rasant in Zombies – daher vermutlich das »Z« im Titel. Oder sollte es am Ende für »Zion« stehen? Dazu später. Als Buch war das alles jedenfalls ein ziemlicher Hit, weil Brooks das Zombie-Motiv mit der Struktur der »Oral History«-Methode verquirlt: Diverse »Augenzeugenberichte« fügen sich zu einem Mosaik des Weltuntergangs.
Im Kino geht sowas natürlich nicht. Hollywood braucht den großen Einzelnen mit klarer Aufgabe und überdurchschnittlichen Charakterqualitäten, also muss ein richtiger Heros her: In dem vom Deutschschweizer Marc Forster (Monster’s Ball, Finding Neverland, James Bond: Ein Quantum Trost) gedrehten Film spielt Brad Pitt einen UNO-Beamten auf der Suche nach »Patient Zero«, dem Ursprung der Epidemie.
Gerry Lane, der von Pitt verkörperten Hauptfigur, gelingt es noch im letzten Moment, seine Familie aus der Stadt zu bringen. Schon da steht er in Telefonkontakt mit dem Leiter des nationalen Krisenstabs. So bekommt er nicht nur für sich und die Familie einen der raren, vorerst sicheren Plätze auf einem US-Flugzeugträger vor der Küste; wir Zuschauer erhalten auf diese Weise auch Einblick in die katastrophale Lage der gesamten Erde, wo fast überall ein schrecklicher unbekannter Virus wütet, und Menschen in Bestien verwandelt. Zudem stellt sich schnell heraus, dass Gerry ein ehemaliger Mitarbeiter der UNO ist, ein extrem begabter Beobachter und überaus erfahren im Handeln in Krisensituationen. Schon wird er mit sanftem Druck auf eine nächste und wichtigste Mission geschickt – dieser Gerry ist also keineswegs jeder »everydays man« des klassischen Hollywood-Kinos, kein Normalmensch, der zufällig am richtigen Ort zur rechten Zeit ist, um erst dort zum Helden zu reifen. Eher ähnelt dieser Spezialist im Auftrag der Menschheit einer postmodern-puritanischen Variante von James Bond: Ungewaschener und weniger elegant gekleidet, zudem ein braver Familienvater, der sich selbst im Angesicht des Weltuntergangs weder durch andere Frauen, noch durch ein letztes Glas Alkohol oder eine Zigarette moralisch oder professionell irritieren lässt. Als irgendwann einmal in sicherer Entfernung eine Atombombe explodiert, scheint ihn daran vor allem zu stören, dass dies die Telefonverbindung mit der Gattin unterbricht.
Dieser Gerry also wird auf eine Reise ins Unbekannte geschickt. Gemeinsam mit anderen Spezialisten soll er als Zeichenleser der Katastrophe die Ursache der Epidemie und den »Patient Zero« finden, um die Seuche wirksam bekämpfen zu können. Unglücklicherweise kommen die Kollegen bereits auf der ersten Zwischenstation ums Leben, ihn selbst führt der Weg durch viele Gefahren und immer neue Konfrontationen mit Zombies über Korea und Israel bis nach Wales. Auch dort findet Gerry zwar Ruth Negga und Moritz Bleibtreu, aber keinen »Patient Zero«, hat allerdings per Zufall in einem WHO-Labor ein Gegenmittel entdeckt, das zwar nicht gegen den Zombie-Virus immun macht, aber als »Camouflage« wirkt, als Tarnung, die Menschen für die Monster unsichtbar macht. Am Ende hat Gerry kaum überraschend gemeinsam mir einer hübschen israelischen Soldatin (Daniella Kertesz) schließlich doch noch die Welt gerettet, und trifft seine Familie wieder, Nachrichtenbilder von Gegenschlägen gegen die Zombies schließen visuell den Kreis, und es soll wohl hoffnungsvoll wirken, wenn der Held aus dem Off zum Publikum spricht: »This is not the end, not even close. ... if you can fight, fight! Help each other. Be prepared for anything. Our war has just begun.«
Was diesen Actionblockbuster reizvoll macht, ist weder sein vorhersehbarer Plot noch sein Thema. Epidemien sind seit 50 Jahren und Filmen wie Don Siegels »Invasion of Body Snatchers« beliebtes Thema des Paranoia-Kinos. Gerade in den letzten Jahren kam es in Filmen wie »Rec« von Jaume Balagueró oder Steven Soderberghs »Contagion« zu originellen Neuinterpretationen des Sujets. In diesem Fall ist die narrative Struktur noch episodischer als bei »Contagion«, sodass sich der Film mitunter wie eine Ansammlung von Kurzfilmen anfühlt.
Die Besonderheit liegt im Visuellen. Forster ist gut darin, Massenpanik zu inszenieren, und er findet immer wieder beeindruckende, auch neue Bilder für den Zusammenbruch der Zivilisation. Quantität ist hier Qualität, denn wenn hier aufwändig und teuer inszenierte Massenszenen die Menschen als Schwarm zeigen, wenn der Markusplatz von Venedig mit Monstern bestückt ist, oder Fußballstadien mit Zombies gefüllt, dann ist der Film am besten und man sieht Bilder, die man so noch nicht gesehen hat. Da trifft sich Zeitgeist mit ästhetischem Einfallsreichtum. Vor allem die Jerusalem-Episode ist in dieser wie in jeder anderen Hinsicht hervorragend geglückt.
Bereits in Südkorea hatte Gerry von einem verrückt gewordenen CIA-Agenten den wichtigsten Hinweis des Thrillers bekommen: »Why Israel?« faselt der im Delirium. Gute Frage, auch wenn Brad Pitt deren tieferen Sinn nicht gleich versteht. Israel, so stellt sich heraus, ist im Augenblick der Filmgegenwart der einzige Staat der Welt, der den Krieg gegen die Zombies erfolgreich führt, und somit die Hoffnung der Menschheit verkörpert. »Why is Israel living? Israel sealed of their entire country.« Schon ist Brad Pitt wieder im Flieger, und nach der Landung in Tel Aviv geht’s per Hubschrauber gen Jerusalem. Nachdem man eine Stunde lang vor allem Nachtaufnahmen gesehen hatte, bei denen andauernd irgendein gefräßiges Etwas aus einer Ecke hervorzuckte und zubiss, ist allein schon der Anblick der sonnigen Orangenhaine und einer Jerusalemer Altstadt, die so normal aussieht wie immer, eine unglaubliche Wohltat. Gleich nach seiner Ankunft trifft Gerry dann auf einen hochrangigen Mossad-Agenten (gespielt vom Holländer Ludi Boeken) und fragt »How did Israel know?« Der antwortet »Mossad described it« und zitiert erstmal den Apokalyptiker Jeremias, erzählt dann viel über das Wesen historischer Erfahrung, verweist auf die Dreißiger Jahre (»In the 30’s jews refused to believe...«), das Olympia-Attentat von 1972, den Yom-Kippur-Krieg, auf 9/11 und auf die Mossad-Methode: »The 10th man has to start thinking, that the other 9 were wrong.« Dass das Wort Zombies in einem entschlüsselten Text kein Code-Wort ist, sondern vielleicht nichts anderes bedeutet, als eben »That 'Zombies' meant Zombies. I am the 10th man.« Israel, so stellte sich heraus, hat eine landesweite Quatrantäne verhängt und die umstrittene Schutzmauer gar nicht wegen der Palästinenser gebaut, sondern wegen der vorausgesehenen Zombie-Invasion – so wird der Film zu einer modernen Neuauflage der Zionstheologie und darin zum Lob vorauseilenden Sicherheitsdenkens und der Abschottungsmentalität mancher Teile der israelischen Gesellschaft. Auch spielt »World War Z« hier mit Motiven antisemitischer Paranoia im Gefolge von 9/11 (»Israel wusste, was passieren würde«) wie mit der Mythologie vom »auserwählten Volk« – allerdings aber heißt es auch, ein Aufstand der Orthodoxen sei niedergeschlagen worden und jedes gesunde menschliche Wesen, also auch Palästinenser, sei willkommen – »one less zombie to fight.« Man mag es politisch fragwürdig finden, wie der Film Israels politisch umstrittene Antiterror-Schutzmauer zunächst indirekt feiert – wie Mentalität der postmodernen Kontrollgesellschaft, die seit 9/11 im Westen en Vogue ist.
Doch liegt die eigentliche Pointe des Films liegt dann darin, dass dieses moderne Arche-Noah-Prinzip nicht funktioniert, und auch die Sicherheitsmentalität am Ende keinen Schutz bietet: Die 20minütigen Jerusalem-Szenen, in denen Zombies sich wie ein Termitenschwarm zu riesigen Haufen formen und so noch die höchste Mauer überwinden, und in denen Forster das Umschlagen von Ordnung in Chaos visualisiert sind einfach nur grandios. Da erreicht Marc Forster am ehesten jene Neudefinition des Zombie-Genres, die ihm offenbar vorschwebte.
In anderer Hinsicht funktioniert sie dagegen nicht. Nicht weniger als fünf Drehbuchautoren doktorten so lange an der nicht nur von Fans gefeierten Vorlage von Max Brooks herum, bis noch deren letzte Widerständigkeit glattgebügelt war. Ähnlich wie »Contagion« zeichnete diese Vorlage nämlich die Welt als ein Mosaik von gleichwertigen Figuren – stattdessen zieht sich der Film wieder auf traditionelles Storytelling – ein Held mit klarer Aufgabe – zurück. Vor
allem ist die Vorlage hochpolitisch in ihrer Kritik an Behördenwillkür und -versagen im Angesicht von Katastrophen, sowie an der Korruption großer Wirtschaftsunternehmen. Auch dies musste einer weitgehend unpolitischen Sicht der Dinge Platz machen. Um den chinesischen Absatzmarkt nicht zu gefährden musste der Ursprungsort der Seuche gegenüber der Vorlage geändert werden.
Und der biedere Patriotismus in dem Armee und Behörden nur Kräfte des Guten im Kampf mit einem
überlegen Bösen sind, wirkt heute schon mehr als ranzig. Auch sonst vermittelt der Film weltanschaulich die 08/15-Werteordnung Hollywoods: Alle müssen zwar zusammenhalten, Mitleid und Gemeinsinn zeigen, am Ende ist es aber wieder nur ein Einzelner, der mit Mut und bewusster Regelverletzung – nur eben intuitiv im richtigen Moment – das Schlimmste verhütet. Und die Apokalypse wird zum Stahlgewitter, in dem die Menschheit sich wieder aufs Wesentliche besinnen
kann.
Kombiniert wird dies mit auch nicht gerade einfallsreicher Globalisierungsskepsis: Einwanderer aus dem Osten bringen das Virus nach Amerika, und grundsätzlich sind offene Verkehrswege, Flugzeuge, die unkontrollierbar vielfältigen Verbindungen der Welt hier schuld an allem Elend – als ob es in der guten alten Zeit vor der Magna Charta keine Seuchen gegeben hätte.
Nur unter dieser Oberfläche finden sich kleine Inseln widerständiger Gedanken. Ein paar populärphilosophische Randkommentare – »movimiento es vida« –, die das heute oft allzu idyllische Bild der Natur erschüttern – »Mother nature is a serial killer. She wants to get caught, she leaves bread crumbs, she leaves clues. She’s a bitch.« – mögen auch inzwischen konventionell wirken. Historische Erfahrung – in diesem Fall des Judenstaats,
der am ehesten mit dem Schlimmsten rechnet – gehört dazu. Noch wichtiger ist das Lob des Zweifels, desjenigen, der als einziger die Überzeugung von 90 Prozent infrage stellt. Einmal wird – zu kurz – Gericaults »Das Floß der Medusa« durchs Bild getragen. Ein pessimistischer Verweis auf die Abgründe alles Menschlichen und auf die Situation der letzten Überlebenden.
Dass schließlich der Held dieses Films eigentlich kein Tatmensch ist, ist ungewöhnlich. Gerry
handelt nur, wenn er muss. Die entscheidenden Schritte voran gelingen ihm immer dann, wenn er beobachtet und genau hinsieht, durch Unterscheidungsvermögen. Wie ein Detektiv im klassischen Krimi sammelt er kleine Indizien, um am Ende den großen Serienkiller Natur zu überführen. Als Ermittlungsbeamter in der Welt der Zeichen ist er ein Aufklärer par excellence.