Großbritannien 2019 · 117 min. · FSK: ab 0 Regie: Danny Boyle Drehbuch: Richard Curtis Kamera: Christopher Ross Darsteller: Himesh Patel, Lily James, Kate McKinnon, Ed Sheeran, Ana de Armas u.a. |
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Vertraute und nicht allzu verstörende Moral |
»Ursprünglich eignen Sinn
Laß dir nicht rauben!
Woran die Menge glaubt,
Ist leicht zu glauben.« –
J. W. Goethe, Gedichte. Ausgabe letzter Hand. 1827, Zahme Xenien 6
Schon in Danny Boyles Fortsetzung seines »Klassikers« Trainspotting, T2 Trainspotting (2017), fiel eine gewisse passive Nostalgie seiner Helden auf. Alternde Männer, die sich seit ihrer Jugend ihrer Hoffnungslosigkeit bewusst sind, und dabei gelernt haben, dass es nicht unbedingt große Träume braucht, an denen man zerbricht, um den Weg ins eigene Grab zu meistern.
Auch in Boyles neuem Film Yesterday ist der junge Held ein Mensch, der seine Hoffnung schon fast verloren hat und eigentlich gut damit leben kann, nicht viel anders als Boyles Helden aus Trainspotting. Denn Jack Malik (Himesh Patel) hat so ziemlich alles versucht, um es als Singer-Song-Writer mit seiner Gitarre zu etwas zu bringen und eigentlich will seine Freundin und Managerin Ellie (Lily James) auch noch weitermachen. Doch Jack hat keine Lust mehr, hat keine Lust mehr auf seine nörgelnden Eltern und auf Konzerte ohne interessiertes Publikum und will nur noch seinen Brotjob machen und Ruhe haben. Doch dann läßt Boyle das seit Amy Schumers I Feel Pretty (2018) bis Adam Shankmans What Men Want (2019) fast schon wieder inflationär benutzte »Deus-ex-Machina«-Prinzip aus dem Sack: Der Strom fällt aus, Jack stürzt in der Dunkelheit mit seinem Fahrrad in einen Bus und als er im Krankenhaus wieder aufwacht, ist natürlich – nichts anders. Oder doch: denn als alter Beatles-Fan muss er feststellen, dass der Stromausfall eine Art von Riss im Raum-Zeit-Kontinuum war und eine Parallelwelt abgespalten hat, in der es die Beatles nie gegeben hat. Und noch ein paar andere Dinge, aber das ist für Jack nicht von Belang. Als er seinen Freunden »Yesterday« vorspielt und seine Freunde erstaunt über den guten, neuen Song sind, weiß Jack, was er zu tun hat. Alle Beatles-Songs, die ihm noch einfallen, aufzuschreiben und einzuspielen.
Vor allem in diesem Teil überzeugt Boyles Yesterday, denn die Frage, ob den Beatles auch heute noch ihr Durchbruch gelingen würde, bleibt einige Zeit unbeantwortet, da Boyle einen diametral anderen Weg als Dexter Fletcher in seinen Filmbiografien Bohemian Rhapsody und Rocketman geht, in der nicht nur die Abgründe der porträtierten Musiker erfasst werden, sondern die Hauptdarsteller trotz selbst eingesungenem Material faszinierend nah am Original bleiben. Boyles Jack, der von dem »EASTENDER« Himesh Patel verkörpert wird, ist jedoch alles andere als ein »Beatle«. Mit indischen Wurzeln, einer völlig anderen Stimme als John, Paul, George und Ringo und nicht mehr als einer Gitarre, transformiert er die Beatles Songs zu etwas eigenem. Leider entscheidet sich Boyle nur für kurze Zeit, den Film in dieser faszinierenden Schwebe zu halten, in der alles mitschwingt, was politisch und musik-theoretisch interessant ist: latenter Rassismus, Körperlichkeit, Charisma, Zufall, das zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein und das Komponisten-Interpreten-Dilemma.
Zwar wird wenigstens das Problem von Jacks Aussehen auf groteske, aber dennoch bissig-realistische Weise ins nächste Kapitel übernommen, doch Boyle setzt nun keine überraschenden Akzente mehr und alles läuft, wie es sich jeder Zuschauer wünscht: dass Wahrheit und Liebe eindeutig und Glück und Ruhm halt uneindeutig sind.
Es macht dennoch Spaß, Yesterday zuzusehen. Zu sehen, wie der echte Ed Sheeran in den Plot integriert wird und selbstironisch die Musikindustrie und sein eigenes Songwriting persifliert und sich in einem herrlichen Wettkampf um das beste Songwriting lächerlich macht. Und natürlich mal wieder ein paar Beatles-Songs nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen. Und eine vertraute, nicht allzu verstörende Moral serviert zu bekommen: vergiss die großen Träume, leb dein Leben.