GB/F/RO/USA 2013 · 109 min. · FSK: ab 12 Regie: Terry Gilliam Drehbuch: Pat Rushin Kamera: Nicola Pecorini Darsteller: Christoph Waltz, David Thewlis, Mélanie Thierry, Lucas Hedges, Matt Damon u.a. |
||
Alles ist erlaubt, sei es auch noch so offensichtlich und platt |
»Wie, wenn dir eines Tages oder Nachts, ein Dämon in deine einsamste Einsamkeit nachschliche und dir sagte: ›Dieses Leben, wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und noch unzählige Male leben müssen; und es wird nichts Neues daran sein, sondern jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und Seufzer und alles unsäglich Kleine und Grosse deines Lebens muss dir wiederkommen, und Alles in der selben Reihe und Folge – und ebenso diese Spinne und dieses Mondlicht zwischen den Bäumen, und ebenso dieser Augenblick und ich selber. Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht – und du mit ihr, Stäubchen vom Staube!‹ – Würdest du dich nicht niederwerfen und mit den Zähnen knirschen und den Dämon verfluchen, der so redete?«
(Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft (KSA 3), 4, 341, S. 571)
Man könnte es als ambitioniertes filmisches Triptychon betrachten. Vor fast 30 Jahren Brazil, vor knapp 20 Jahren 12 Monkeys und nun The Zero Theorem. Die von Regisseur und Alt-Monty Python Terry Gilliam dabei bevorzugten Verbindungselemente sind sowohl inhaltlicher als auch ästhetischer Natur. In jedem dieser Filme befinden wir uns in einem bizarren Antiquitätenladen, in dessen matten Schaufenster ein grell dystopisches Zukunftsmodell ausgestellt ist: Technik ist zwar vorhanden, doch scheint sie einige Male zu oft durch die Zeit gereist zu sein. In jedem Film wird die Geschichte durch einen singulären, eigensinnigen, verquasten Helden dominiert, der auf eine verzweifelte, immer wieder ins Groteske kippende Suche geschickt wird. Dominierte dabei in Brazil noch die durch Tom Stoppards Drehbuchbeitrag verstärkte humorvolle Seite des absurden Theaters, stellte Gilliam in 12 Monkeys die handlungsgetriebene Verzweiflung angesichts verschlungenster Gedankenspiele in den Vordergrund, um nun in The Zero Theorem zu einem philosophischen Abschluss zu kommen: wo in all dem liegt der Sinn?
Denn genau dieser Frage ist Gilliams Held Qohen Leth auf der Spur. Leth ist Programmierer und von einer ominösen, allmächtigen, virtuellen Krakeninstanz namens »Management« beauftragt eine mathematische Formel, das »Zero Theorem« zu lösen, das Hinweise auf den Sinn des Lebens geben soll. Dem Ernst des Sujets angemessen verzichtet Gilliam sowohl auf den Humor von Brazil als auch auf die damals von Bruce Willis kongenial verkörperten »Action«-Anteile von 12 Monkeys. Stattdessen schauen wir einem existentiell Zweifelnden zu, der sich in einem verbohrten Kammerspiel um Kopf und Kragen programmiert. Ein kahl geschorener Christopher Waltz leistet hier ebenso aufopferungsvoll seine Arbeit ab, wie vor ihm schon Bruce Willis und Jonathan Pryce. Doch hat man Willis und Pryce in 12 Monkeys und Brazil bis zum Ende gebannt bei ihren Berg- und Talfahrten zugesehen, stellen sich in The Zero Theorem schon sehr bald Ermüdungserscheinungen ein. Zu offensichtlich und platt werden hier die Kerngefahren unserer gegenwärtigen virtuellen Realität angegangen: unsere Abhängigkeit von mathematischen (Google-) Algorithmen ebenso wie unsere analoge Vereinsamung und perforierte Privatsphäre. Da hilft es auch nichts, dass Waltz eine schräg aufgetakelte Mélanie Thierry zur Seite steht, dass ihm Tilda Swinton als Online-Therapeutin mehr Zweifel als Sicherheit gibt und Matt Damon in Form von »Management« immer wieder Druck ausübt. Stattdessen fragt man sich zunehmend, was Qohen sich fragt: wo in all dem liegt der Sinn?
Das Gilliam sich der eindeutigen Beantwortung dieser Frage entzieht, dürfte sich von selbst verstehen; dass er nicht über die zyklische Absurdität seiner Handlungsmuster hinauskommt, überrascht und verärgert am Ende dann aber doch. Denn absurdes Theater ohne beißenden Humor und ohne echte Verzweiflung ist dann doch weder Triptychon noch Trilogie, sonder nur immer wieder das gleiche Leben, der gleiche Film, bis in alle Ewigkeit.
Ein Mathematikgenie sucht im London der Zukunft nach der Weltformel und dem Sinn des Lebens. Dabei hilft ihm eine gutaussehende maschinelle Gefährtin. Ob sie ihn ablenkt, oder ihre Gegenwart eher der Weg zur höheren Erkenntnis ist, das ist gerade die Frage.
Der hochbegabte Mathematiker Qohen arbeitet im Auftrag eines allmächtigen globalen Konzerns an dem titelgebenden »Zero Theorem«. Christoph Waltz spielt diesen intellektuellen Eierkopf hintersinnig, ein Menschenfeind, der verzweifelt an der Sinnlosigkeit des Daseins, ein Mönch des Unsinns – denn auch er ahnt, dass wahrscheinlich alles nur ein gigantischer Humbug ist, besagt das Theorem doch – wenn es erst einmal gelöst ist – nichts anderes, als »dass alles zusammen nichts ergibt«: »Null muss einhundert Prozent entsprechen«
Dieser Nihilismus fügt sich gut in die Vorlieben des Regisseurs Terry Gilliam. Gilliam liebt Dystopien, also pessimistische Zukunftsentwürfe, die er so lange in allen ihren chaotisch-sinnlos-grotesken Seiten ausmalt, bis sie einen Riesenspaß ergeben.
Der große Reiz von The Zero Theorem liegt denn auch in dem, was wir im Hintergrund des Films sehen, in seinen Kulissen, in hunderten kleiner Einfälle. Die Geschichte selbst – nun ja... Ein Kammerspiel über metaphysische Fragen, so abwechslungsreich wie »Warten auf Godot«, und so verständlich wie ein Vortrag über die Relativitätstheorie.
Aber wer von uns könnte jetzt noch die Geschichte von Brazil erzählen, oder die Handlung von Twelve Monkeys kohärent entwirren? Kommt es darauf wirklich an? Natürlich nicht. Das unbändige Vergnügen an diesem Film liegt darin, wie er ungesehene Bilder in unseren Kopf zaubert, wie er unsere Phantasie entfesselt.
Wer mit dem Kino von Terry Gilliam vertraut ist, den kann das nicht wirklich überraschen. Denn Gilliam ist schon immer ein Regisseur gewesen, der eher an die Fülle glaubt, als an das Nichts, eher an den Lärm, als an die Stille, eher an den produktiven Wahnsinn, als an Gott. Gilliam ist ein Erbe der kulturellen Aufbruchsära nach ‘68, ein Kind von Flower-Power und Coca-Cola. Gilliam ist zwar Amerikaner, aber seine Zeit bei der ach so britischen und überaus genialen Albernheitstruppe der »Monty Pythons« – nach England floh er seinerzeit vor dem Einsatz in Vietnam – diese Zeit hat Gilliam bis heute geprägt. In seinen Filmen – Brazil, Twelve Monkeys, Das Kabinett des Dr. Parnassus – ist einfach alles erlaubt, vor allem das Freche, Schrille, Burleske und darum hat es Gilliam in Deutschland immer besonders schwer, wo man zwar England zu lieben vorgibt, und britischen Humor, aber doch bitte nur mit Schirm, Charme und Melone.
Dass die Zukunft nicht sauberer, glatter und cleaner wird, sondern unordentlich, schmutzig und stinkend wie die sowjetische Raumstation MIR kurz vor ihrem kontrollierten Absturz, das mag für viele eine Schreckensvision sein – für Gilliam ist es die ultimative Utopie.
Gilliam ist der Messie des Gegenwartskinos, seine Filme und ihre Kulissen sind wie ein Flohmarkttisch vollgestellt mit allerlei Krimskrams, das womöglich nie zu irgendetwas gut war, aber toll
aussieht.
Die Zukunft, die er entwirft, ist somit ein bonbonfarbener Alptraum, fern erinnernd an das bürokratische System in Brazil, wie an das große Vorbild der Maschinenstadt aus Fritz Langs Metropolis.
In seinem neuen Film ist Terry Gilliam also ganz der Alte: Ein Hochbegabter des Kinos, für den das Medium vor allem ein großer Candystore ist, eine Grabbelkiste voller zauberhafter Möglichkeiten, wie für ein Kind ein Spielzeugladen, der den Regisseur dazu einlädt, in die Vollen zu greifen, sich dabei aber auch zu verzetteln und zu verlieren.
Gilliam ist diese Gefahr, soweit darf man sicher sein, voll bewusst. Er geht sehenden Auges darauf ein, getreu der alten Sponti-Weisheit
– wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um.
Es dominiert der schwarze Humor. Schwarzer Humor hat bei Gilliam allerdings eine klare Moral. Und die liegt nahe bei seinem Lieblingsstoff, seinem bislang unverwirklichtem Lebensprojekt: Cervantes »Don Quixote«.
Es ist gut nach Antworten zu suchen, mögen die Fragen auch noch so sinnlos sein – so etwa könnte das lauten, was Gilliam seinem Publikum jenseits allen Lärms und aller bunter Bilder in seinem neuen Film, einer Fantasy für Erwachsene, mitteilen will. Der Kino-Sponti ist alles andere, als am Nullpunkt.