Zerrissene Umarmungen

Los abrazos rotos

Spanien 2009 · 127 min. · FSK: ab 12
Regie: Pedro Almodóvar
Drehbuch:
Kamera: Rodrigo Prieto
Darsteller: Penélope Cruz, Lluís Homar, Blanca Portillo, José Luis Gómez, Rubén Ochandian u.a.
Wie schön wäre dieser Film eigentlich ohne seine Hauptdarstellerin?

Ich hab noch einen Koffer in Madrid

Schön anzu­se­hendes Nabel­schau-Kino

Film im Film, das alte, immer neue Thema, in dem das Kino von sich selbst erzählt, sich auch selbst reflek­tiert. Pedro Almodóvar hat diese Art von höherer Nabel­schau schon immer geliebt, bereits in Frauen am Rande des Nerven­zu­sam­men­bruchs, seinem bisher wohl erfolg­reichsten Film vor 20 Jahren ging es unter anderem um die Welt der Film­pro­duk­tionen.
Zwanzig Jahre später nun, in seinem neuesten Film Zerris­sene Umar­mungen, spielt Penélope Cruz Lena, eine Frau und Gele­gen­heits-Callgirl, die Schau­spie­lerin werden will – mehr aus Lange­weile, als aus künst­le­ri­scher Berufung. Ihr Mann ist ein reicher Alter, der sie ins Film­ge­schäft einkauft, und zugleich voller Eifer­sucht reagiert. Weil er reich ist, weiß er, dass man mit Geld keine Liebe kaufen und keine Geliebte halten kann, das ist die Weisheit Almo­dóvars. Die Eifer­sucht war berech­tigt: Lena hat sich in den Regisseur verliebt, und der Film mit dem Titel »Frauen und Koffer« wird abge­bro­chen.
Zwanzig Jahre später spielt auch der andere Teil der Geschichte: Der reiche Banker ist tot, der inzwi­schen alternde Regisseur ist blind geworden. Vom Sohn des Bankers bekommt er den Auftrag, den einst abge­bro­chenen Film zu vollenden, und damit zugleich den Vater zu bestrafen. Mit schlechten Kritiken soll auch sein Leben rück­wir­kend zerstört werden.

Es gibt sogar einen Film im Film im Film. Der stammt von keinem Gerin­geren, als von Roberto Rossel­lini, dem Vater des Neorea­lismus. Neorea­lismus ist Pedro Almodóvar aller­dings so fremd, wie einem Eisbären die Wüste. Er beschwört diesen Stil zwar gern in seinen Filmen – schon Cruz' Auftritt in Almo­dóvars letztem Werk Volver war eine einzige Hommage an Anna Magnani. Doch Almodóvar ist der König des Melodrams, jener Kunst aus Pathos und Künst­lich­keit, Emotion und Stili­sie­rung. Immer ist alles ein bisschen zu viel in seinen Filmen. Diesmal auch zuviel des Selbst­zi­tats. Denn ausgiebig beschwört er hier in Rück­blenden die knall­bunten Filme seiner Anfangs­jahre. Und man könnte zum Psycho­ana­ly­tiker werden, ange­sichts der offen­sicht­li­chen Paral­lelen zwischen dem Regisseur im Film und dem des Films, man könnte fragen, was es mit der ödipalen Lust an der Zers­tö­rung des früheren Werks durch den Sohn auf sich hat – Selbst­ironie oder Selbst­zer­stö­rung?

Almo­dóvars neuere Filme sind Toten­be­schwö­rungen, Geister-Messen der Vergäng­lich­keit. Darin ähneln sie stark den letzten Filmen seiner Gene­ra­tion, den über 50-jährigen, zum Teil schön 60-jährigen, der zweiten Gene­ra­tion des europäi­schen Nach­kriegs­au­to­ren­kinos: Kauris­mäki, Wenders, Tornatore. Sie sind seit jeher unpo­li­ti­scher und post­mo­derner, auch lang­wei­liger gewesen, als die älteren. Ihnen gehen, das ist über­deut­lich zu sehen, auch die Ideen weitaus schneller aus, als der ersten Gene­ra­tion, den Godards und Chabrols, den Anto­nionis und Bergmans. So ahmen diese Regis­seure seit einiger Zeit eine Kinder­hal­tung nach, eine Haltung dem Kino gegenüber, die Erfah­rungen ihrer eigenen Kindheit wieder­be­leben will. Alte Männer, die offenbar ihrer Jugend nach­trauern, und sich dabei als erstaun­lich infantil erweisen.
Pedro Almodóvar wird im September 60 Jahre alt, und ist immer noch der beste unter den Genannten. Viel­leicht ist sein Film aber auch ein Dokument der Einsicht, dass er sich selbst inzwi­schen mit sich etwas langweilt, dass im Hinblick auf seine Krea­ti­vität gerade »Flasche leer« angesagt ist.

Im Heimat­land Almo­dóvars hat man jeden­falls die Geduld mit ihm schon lange verloren. Die ihm gegenüber immer noch freund­liche El Pais beschäf­tigte sich im Frühjahr in zehn Absätzen mit Regisseur und Film, insgesamt eine ziemliche Vernich­tung des Almodóvar-Opus, und im Zusam­men­hang mit dem neuesten Werk war gar von »geistiger Onanie« die Rede, zu der der Meister sein Publikum zu unfrei­wil­ligen Zeugen mache. Der reagierte auf seinem Blog mit einem Eintrag, was wiederum das Redak­ti­ons­kom­mitee der Zeitung auf den Plan rief.

Zwei Fragen jeden­falls stellen sich: Würde man nicht lieber als Zerris­sene Umar­mungen den Film »Frauen und Koffer« sehen? Und: Wie schön wäre dieser Film ohne seine Haupt­dar­stel­lerin? Die Frage ist müßig, denn es ist nun mal ein Film mit Penelope Cruz. Sie ist aber auch inter­es­sant, denn sie macht erkennbar, wo Almo­dóvars Qualitäten liegen. Und seine Grenzen.

Ein letzter Kuss

Von der Klippe aus foto­gra­fiert Mateo Blanco (Lluís Homar) einen Strand auf Lanzarote. Die imposante Steil­küste und das Meer, dessen Wogen Gischt an den schwarzen Strand spülen, haben es ihm angetan. Magdalena (Penélope Cruz) schmiegt sich unter­dessen an seinen Rücken. Ihre Haare flattern im Wind. Als Mateo später das Foto betrachtet, entdeckt er – nur schwer mit dem bloßen Auge zu erkennen – ein Liebes­paar an der Bucht. Sofort macht er sich daran, eine Geschichte über deren Geheimnis zu schreiben. Später am Abend sehen sich Mateo und Lena Arm in Arm auf dem Sofa liegend Rossel­linis Viaggio in Italia im Fernsehen an. In einer Szene zeigt ein Touris­ten­führer George Sand und Ingrid Bergman zwei Skelette. Er erklärt ihnen, das Paar sei von der Lava des Versuvaus­bruchs über­rascht worden, als es mitein­ander schlief. Von der Szene seltsam berührt, kommen Lena die Tränen. Mateo schaltet sogleich den Fernseher aus und schießt mit Selbst­aus­löser ein Foto von ihnen.

Es gibt wenige glück­ser­füllte Momente in dem Melodram Zerris­sene Umarmung, und wenn bergen sie Gefahr in sich. Das Liebes­paar Mateo und Magdalena fürchten zwar keinen Vulkan­aus­bruch, dennoch spüren sie während ihres Urlaubs auf Lanzarote den Hauch des Todes. Die Bedrohung geht vom Bankier Ernesto (José Luis Gómez) aus, von dem Mann, den Lena für Mateo verlassen hat, und der sich rächen will. Mit allen Mitteln.

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Mit der Figur Ernesto greift Pedro Almodóvar ein in Spanien gras­sie­rendes Problem auf: die häusliche Gewalt. Der in die Jahre gekommene Bankier Ernesto Martell ist in Zerris­sene Umar­mungen eine mächtige, über­zeu­gende Figur. Er beherrscht das Geschehen – selbst noch aus dem Reich der Toten. Von Anfang an hat er sein Netz um Lena gesponnen, um sie auf ewig an sich zu binden. Erst durch eine großzügige Tat, dann sollen Reichtum und ein sorgloses Leben locken. Als diese Mittel nicht mehr wirken, erhöht er den Druck, um seine Geliebte zu kontrol­lieren und ihrer Herr zu werden. Wie in Cervantes Novelle Der eifer­süch­tige Extrema­durer fehlt es dem verzwei­felt »Liebenden« nicht an Erfin­dungreichtum. Während der Edelmann Carri­zales keinen Schneider zum Massab­nehmen an seine junge Frau Leonora heran­lässt und dafür eigens ein Mädchen von ähnlichem Wuchs und ähnlicher Gestalt engagiert, zitiert Ernesto eine Lippenab­le­serin zu sich. Sie soll die stummen Dialoge zwischen Lena und Mateo, die sie während der Dreh­ar­beiten zu Frauen und Koffer führen, sprechen. Prompt bekommt Ernesto die Untreue seiner Frau serviert. Auf dem Silber­ta­blett. Amodóvar würzt diese Szene mit Humor, lässt dem verzwei­felten, von Eifer­sucht gepei­nigten Mann aber auch seine Würde. Aus einer vorhe­rigen Beischlaf­szene jedoch wird klar, was für eine Folter das Zusam­men­leben mit diesem Mann für Lena sein muss; insbe­son­dere als später zur sexuellen Nötigung körper­liche Gewalt kommt.

Was Amodóvar hier ebenso leicht wie tief­gründig erzählt, ist in Spanien traurige Realität. Tagtäg­lich werden Frauen von ihrem Ehemann, Lebens­partner oder Ex-Freund abgepasst, bedroht und malträ­tiert; erschre­ckend oft werden einige dieser Frauen ermordet. Eine von ihnen etwa war auf dem Weg zur Fahr­schule, um sich ein Leben ohne ihren Mann aufzu­bauen, als dieser sie auf offener Straße mit mehreren Schüssen nieder­streckte. Bereits 2003 hatte sich Regis­seurin Iciar Bollain in dem Drama Te doy mis ojos eindrucks­voll diesem brisanten Thema ange­n­onnem. In einem Jahr, wo schon zur ersten Jahres­hälfte jeden vierten Tage eine Frau von ihrem Mann getötet wurde. Nach wie vor ist das Thema in Spanien hoch aktuell.

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Während in Cervantes Novelle der eifer­süch­tige Extrema­durer irgend­wann zu der Einsicht kommt, fehlt dieses beim Speku­lanten Martell völlig. Amodóvars Ernesto bleibt gefähr­lich wie einst der Versuvaus­bruch; dessen Lava­ströme rissen in der Nacht das Liebes­paar, ihre Familien und alles in ihrer Nähe mit sich und verbrannte allesamt mit seiner Glut. So wünschen sich Mateo und Magdalena auf Lanzarote im Moment ihres Todes innig umarmt zu sein. Ein Wunsch, der ihnen verwehrt wird und der letztlich mit einem letzten Kuss doch in Erfüllung geht.