Deutschland/F/Niger 2021 · 82 min. · FSK: - Regie: Aicha Macky Drehbuch: Aicha Macky Kamera: Julien Bossé Schnitt: Karen Benainous |
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Es gibt immer auch einen anderen Weg (z.B. ein Motorrad zu fahren)... | ||
(Foto: 36. DOK.fest@home) |
»Hitler is a famous US criminal.« – Hitler-Gang-Mitglied in Zinder
Bei aller kultureller Diversität scheint es ein paar Muster zu geben, die zumindest bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in sogenannten gescheiterten Staaten weltweit sehr ähnlich sind. Eine davon ist die Popularität von Jugend-Gangs mit identifikatorischem Impetus wie sie etwa der eindringliche mexikanische Spielfilm I’m No Longer Here beschreibt. Nicht viel anders als in Monterrey sieht es in Zinder im Niger aus, der Heimatstadt der Dokumentarfilmerin Aicha Macky, die sich für ihr Langfilmdebüt aus der Hauptstadt Niamey in ihre Geburtsstadt begeben hat, um einen Film über die dortige Gang- und Jugendkultur zu machen.
Schnörkellos beschreibt Macky eine Stadt, in der die institutionellen Strukturen eigentlich nur durch das Gefängnis und Razzien des Militärs an der nahen Grenze sichtbar sind. Die Arbeitslosigkeit ist durch eine erratische Wirtschaftspolitik und die nach Zugeständnissen an die EU ausbleibenden Flüchtlinge hoch und Arbeit allein im informellen Sektor zu finden, der sich wiederum hauptsächlich über Benzinschmuggel über das Nachbarland Nigeria definiert.
Mackay folgt den Mitgliedern einer Jugend-Gang, die sich den Namen »Hitler« gegeben hat, weil sie glaubt, dass Hitler ein erfolgreicher und berühmter Krimineller ist. Denn nichts anderes wünschen sich auch die Mitglieder der Gang – obwohl sie aus einem der ärmsten Viertel der Stadt kommen, es doch irgendwie zu Ruhm und Erfolg zu bringen. Über den Mikrokosmos des Gang-Alltags gelingt es Mackay die Optionen aufzuzeigen, die es gibt, die zwar im seltensten Fall zu Ruhm und Erfolg führen, aber dafür dann doch auch weg von der Einbahnstraße der Kriminalität, in der alle aufgewachsen sind und mit dementsprechenden Erinnerungen an Gruppenvergewaltigungen und extremste Verletzungen am eigenen Körper zu (über-) leben versuchen. Die einen mit Schmuggelerfolgen, die anderen mit legalen Jobs über das Resozialisierungsprogramm einer NGO oder mit Überlebensstrategien im Gefängnis.
Mackay und ihr Kameramann Julien Bossé finden für die Erzählung der porträtierten Lebenslinien eindrückliche Bilder, die dem Film wie eine Perlenschnur eine fast schon poetische Grundstruktur geben, seien es die Augen der Gefangenen über der blauen Gefängnistür oder die mit einer ruhigen, stillen Kamerafahrt fotografierten Narbenlandschaften, die gerade im Kontrast zu den reflektierten Berichten der Protagonisten andeuten, dass es immer auch einen anderen Weg, eine andere Realität gibt als jene von radikalisierten Jugendlichen, von nicht geahndeten Frauenmorden, Rivalitätsschlachten zwischen Gangs und jungen Frauen, die statt Bier Sex verkaufen.
Von dieser Hoffnung und ihrer Realisierung erzählt Mackays Film, er ist aber auch ein so überzeugendes wie realistisches Porträt einer Gesellschaft, die sich aus den globalen Anforderungen und Reglementierungen kreativ immer wieder neu erfindet.