Zwischen uns

Deutschland 2021 · 90 min. · FSK: ab 12
Regie: Max Fey
Drehbuch: ,
Kamera: Vasco Viana
Darsteller: Liv Lisa Fries, Jona Eisenblätter, Thure Lindhardt, Lena Urzendowsky, Corinna Harfouch u.a.
Filmszene »Zwischen uns«
Gemeinsam einsam...
(Foto: Wild Bunch)

Von der Gesellschaft im Stich gelassen

Max Feys Debütfilm deckt auf beklemmende Weise die Probleme der Integration von Kindern mit Asperger-Syndrom auf

»Manche autis­ti­sche Kinder haben Verhal­tens­weisen, mit denen schwierig umzugehen ist. Es ist viel­leicht nicht immer unmit­telbar ersicht­lich, warum ein Kind sich in einer bestimmten Weise verhält, und es kann schwierig sein, die Situation zu kontrol­lieren, ohne zu verstehen, was dahinter steckt und welche Stra­te­gien man verwenden sollte. Es kann zum Beispiel sein, dass ein autis­ti­sches Kind mit einge­schränkter sprach­li­cher Kommu­ni­ka­tion nicht in der Lage ist, Gefühle von Angst, Unwohl­sein oder Frus­tra­tion anders auszu­drü­cken als in einem Ausbruch von uner­wünschtem Verhalten. Viel­leicht haben sie auch gelernt, dass sie durch einen solchen Ausbruch meistens das Gewünschte bekommen. Die Lehrkraft muss deshalb analy­sieren, was vor dem Ausbruch vor sich ging, dass das Kind aufge­bracht haben könnte, und ihnen einen anderen Weg zeigen, um zu kommu­ni­zieren, was sie wollen.«Autismus-Kultur

Zwischen uns ist ein wunderbar mehr­deu­tiger Titel. Die viel­seitig einsetz­bare Präpo­si­tion »zwischen« lässt sich für positiv verbin­dende Bedeu­tungen nutzen wie »zwischen uns herrscht Friede« oder negativ trennende wie »zwischen uns ist eine Wand«. Im Debütfilm von Max Fey lässt sich das Wort vor allem auf die sehr enge Mutter-Sohn-Beziehung von Eva (Liv Lisa Fries) und ihrem 13-jährigen Sohn Felix (Jona Eisen­blätter, bekannt aus Max und die Wilde 7) beziehen. Felix leidet unter dem Asperger-Syndrom und die allein­er­zie­hende Mutter hat ihr Leben komplett auf ihn und seine Bedürf­nisse abge­stimmt. Ständig wird sie aus ihrer beruf­li­chen Tätigkeit gerissen, weil sie in die Schule muss, um ihren Sohn abzuholen, der mal wieder Ärger mit den Klas­sen­ka­me­raden hatte und durch Aggres­sionen aufge­fallen ist. Ihr verzwei­felter Versuch, Felix in einer Regel­schule aufwachsen zu lassen, statt in einer Förder­schule, hat schon zu einigen unfrei­wil­ligen Schul­wech­seln geführt, jetzt versucht sie es mit der enga­gierten Schul­be­glei­terin Elena (Lena Urzen­dowsky, Kokon). Und auch privat zeichnet sich neue Unter­stüt­zung ab. Felix freundet sich mit dem Nachbarn Pelle (Thure Lindhardt, bekannt aus 3096 Tage) an, der sich gut auf den Jungen einstellen kann und der auch an Eva als Frau Interesse zeigt.

Zwischen uns ist das traurige und bedrü­ckende Porträt einer Frau, die sich von ihrem Lebens- und Herzens­pro­jekt, ihren an Asperger leidenden Sohn in ein normales gesell­schaft­li­ches Leben zu inte­grieren, verab­schieden und auch Felix loslassen muss. Max Fey und Michael Gutmann, die sich vermut­lich über die HFF München kennen­ge­lernt haben, haben dazu ein gut recher­chiertes Drehbuch geschrieben, das sowohl die Schul­pro­bleme als auch das Krank­heits­bild Asperger realis­tisch wieder­gibt. Kurz­ge­fasst: Eva wird im Stich gelassen. In der Schule gibt es für die allein­er­zie­hende Mutter ebenso wenig Verständnis wie auf ihrer Arbeits­stelle. Es zählt allein die Funk­ti­ons­tüch­tig­keit im jewei­ligen System. Damit ist der Film auch eine kritische Analyse unserer Gesell­schaft, die große Reden schwingt und tolle Schul­kon­zepte verspricht, wenn es um Inklusion und Diver­sität geht, aber die Betrof­fenen im Alltags­vollzug oft allein lässt. Rühmliche Ausnahmen bilden mit ihrer idea­lis­ti­schen Einsatz­freude die Schul­be­glei­terin Elena und die, leider zu spät, einge­schal­tete empa­thi­sche Schul­psy­cho­login (Corinna Harfouch).

Liv Lisa Fries spielt ihre Rolle über­zeu­gend, bekommt darin aber wenig Raum für Vielfalt und Nuancen, denn sie wird fast ausschließ­lich verzwei­felt oder einsam gezeigt. Ein Privat­leben jenseits des Sohnes existiert praktisch nicht. Das liegt auch daran, dass das Drehbuch ihr keine Person an die Seite stellt, mit der sie ihr schweres Schicksal teilen oder mit der sie auf andere Gedanken kommen kann. Kein Freund, keine Schwester, keine Mutter – da ist niemand. Nur in einer kurzen Szene am Fußball­platz erfahren wir, dass ihr Ex-Partner das schwie­rige Leben mit Felix nicht ausge­halten und sie verlassen hat. Und auch die poten­zi­elle neue Beziehung zum Nachbarn Pelle muss sich an erster Stelle daran messen lassen, ob dieser Mann bereit und in der Lage ist, die anspruchs­volle Vater­rolle für Felix zu über­nehmen.

Jona Eisen­blätter als Felix macht seine Sache gut, kann aber nicht verhin­dern, dass sein Spiel zumeist angelernt wirkt. Es ist eine dieser typischen Rollen mit großem Potenzial für Schau­spiel­er­ruhm. Dustin Hoffman hat für seine Autisten-Perfor­mance in Rain Man (1988) genauso einen Oscar bekommen wie Geoffrey Rush in Shine – Der Weg ins Licht (1996) als Pianist David Helfgott, der an einer schi­zo­af­fek­tiven Störung leidet. Auch für Helena Zengel als 9-jährige Berna­dette in System­sprenger (2019) bedeutete ihre Rolle einen inter­na­tio­nalen Durch­bruch.

Das Interesse an psychi­schen Krank­heiten ist im deutschen Kino nicht erst seit dem erfolg­rei­chen Vincent will Meer (2010) um den touret­te­kranken Vincent (Florian David Fitz) vorhanden und es ist wirklich spannend und lobens­wert, diesen Themen Raum zu geben. So erfahren wir auch in Max Feys Film etwas über das spezielle Verhalten von Asperger-Kranken wie etwa die starke Ausprä­gung von Spezi­al­in­ter­essen (im Film die Leiden­schaft für Tiere, insbe­son­dere Fische) und die extrem proble­ma­ti­sche und anstren­gende Betreu­ungs­si­tua­tion. Leider fehlt es dem Film aber insgesamt etwas an Leben­dig­keit und Über­zeu­gungs­kraft. So gibt es zum Beispiel keine Szenen aus dem Klas­sen­zimmer, die Felix' Probleme veran­schau­li­chen könnten, und auch die Szenen zwischen Mutter und Sohn bleiben meist seltsam blass. So steigern sich beim Anschauen des Filmes zwar die Gefühle der Bedrü­ckung und Trost­lo­sig­keit der Situation, aber es fehlen – bis auf eine beschwingte Szene des gemein­samen Tanzens – Kontra­punkte, kraft­volle Bilder, Über­ra­schungen oder inter­es­sante Dialoge, die der Geschichte eine Balance, eine Spannung verleihen könnten, die das Interesse beim Zuschauer bis zum Ende wach­halten. Die harten Schnitte zwischen den Szenen wirken teilweise wie das Umblät­tern der Seiten einer Fallakte beim Jugendamt. Realis­tisch, aber eine eher trockene Außen­sicht, eher doku­men­ta­risch, fehlende Emotionen. Auch die Stadt München als Ort der Erzählung wird als trostlose Umgebung gezeigt, in dunklen, grob­kör­nigen Bildern und bei schlechtem Wetter sehen wir die einsame Prot­ago­nistin beim Joggen im Engli­schen Garten.

Zwischen uns fokus­siert sich sehr verengend, teilweise etwas monoton auf die Perspek­tive der von der Gesell­schaft allein­ge­las­senen, immer verzwei­felter agie­renden Mutter. Liv Lisa Fries spielt den schmerz­haften Prozess des Aufgebens, die Probleme allein­ver­ant­wort­lich lösen zu wollen und des langsamen Einge­ste­hens ihrer Über­for­de­rung sehr berührend. Ein leiser Hilfe­schrei, der im privaten Unglück ungehört verhallt. Die gesell­schaft­liche Relevanz des Themas muss sich der Zuschauer mehr oder weniger selbst erschließen. Aber auch von Felix und seiner Innenwelt hätte man gern mehr erfahren. Zum Autis­mus­thema gibt es inzwi­schen sehr gelungene anschau­liche Beispiele, wie man die Gefühle und Gedanken der Betrof­fenen zum Sprechen bringt: Etwa in der komö­di­an­tisch aufge­zo­genen Serie ATYPICAL in Form der Ich-Erzäh­ler­stimme oder in der beein­dru­ckenden Doku »Warum ich Euch nicht in die Augen schauen kann«, die Texte des autis­ti­schen Jugend­li­chen Naoki Higashida aus dem Off einfügt. Mehr Infor­ma­tionen aus der Innenwelt von Felix und mehr Raum für eigen­s­tän­dige Perspek­tiven anderer Figuren wie Elena oder Pelle hätten Zwischen uns viel­leicht gut getan.