Deutschland 2021 · 90 min. · FSK: ab 12 Regie: Max Fey Drehbuch: Max Frey, Michael Gutmann Kamera: Vasco Viana Darsteller: Liv Lisa Fries, Jona Eisenblätter, Thure Lindhardt, Lena Urzendowsky, Corinna Harfouch u.a. |
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Gemeinsam einsam... | ||
(Foto: Wild Bunch) |
»Manche autistische Kinder haben Verhaltensweisen, mit denen schwierig umzugehen ist. Es ist vielleicht nicht immer unmittelbar ersichtlich, warum ein Kind sich in einer bestimmten Weise verhält, und es kann schwierig sein, die Situation zu kontrollieren, ohne zu verstehen, was dahinter steckt und welche Strategien man verwenden sollte. Es kann zum Beispiel sein, dass ein autistisches Kind mit eingeschränkter sprachlicher Kommunikation nicht in der Lage ist, Gefühle von Angst, Unwohlsein oder Frustration anders auszudrücken als in einem Ausbruch von unerwünschtem Verhalten. Vielleicht haben sie auch gelernt, dass sie durch einen solchen Ausbruch meistens das Gewünschte bekommen. Die Lehrkraft muss deshalb analysieren, was vor dem Ausbruch vor sich ging, dass das Kind aufgebracht haben könnte, und ihnen einen anderen Weg zeigen, um zu kommunizieren, was sie wollen.« – Autismus-Kultur
Zwischen uns ist ein wunderbar mehrdeutiger Titel. Die vielseitig einsetzbare Präposition »zwischen« lässt sich für positiv verbindende Bedeutungen nutzen wie »zwischen uns herrscht Friede« oder negativ trennende wie »zwischen uns ist eine Wand«. Im Debütfilm von Max Fey lässt sich das Wort vor allem auf die sehr enge Mutter-Sohn-Beziehung von Eva (Liv Lisa Fries) und ihrem 13-jährigen Sohn Felix (Jona Eisenblätter, bekannt aus Max und die Wilde 7) beziehen. Felix leidet unter dem Asperger-Syndrom und die alleinerziehende Mutter hat ihr Leben komplett auf ihn und seine Bedürfnisse abgestimmt. Ständig wird sie aus ihrer beruflichen Tätigkeit gerissen, weil sie in die Schule muss, um ihren Sohn abzuholen, der mal wieder Ärger mit den Klassenkameraden hatte und durch Aggressionen aufgefallen ist. Ihr verzweifelter Versuch, Felix in einer Regelschule aufwachsen zu lassen, statt in einer Förderschule, hat schon zu einigen unfreiwilligen Schulwechseln geführt, jetzt versucht sie es mit der engagierten Schulbegleiterin Elena (Lena Urzendowsky, Kokon). Und auch privat zeichnet sich neue Unterstützung ab. Felix freundet sich mit dem Nachbarn Pelle (Thure Lindhardt, bekannt aus 3096 Tage) an, der sich gut auf den Jungen einstellen kann und der auch an Eva als Frau Interesse zeigt.
Zwischen uns ist das traurige und bedrückende Porträt einer Frau, die sich von ihrem Lebens- und Herzensprojekt, ihren an Asperger leidenden Sohn in ein normales gesellschaftliches Leben zu integrieren, verabschieden und auch Felix loslassen muss. Max Fey und Michael Gutmann, die sich vermutlich über die HFF München kennengelernt haben, haben dazu ein gut recherchiertes Drehbuch geschrieben, das sowohl die Schulprobleme als auch das Krankheitsbild Asperger realistisch wiedergibt. Kurzgefasst: Eva wird im Stich gelassen. In der Schule gibt es für die alleinerziehende Mutter ebenso wenig Verständnis wie auf ihrer Arbeitsstelle. Es zählt allein die Funktionstüchtigkeit im jeweiligen System. Damit ist der Film auch eine kritische Analyse unserer Gesellschaft, die große Reden schwingt und tolle Schulkonzepte verspricht, wenn es um Inklusion und Diversität geht, aber die Betroffenen im Alltagsvollzug oft allein lässt. Rühmliche Ausnahmen bilden mit ihrer idealistischen Einsatzfreude die Schulbegleiterin Elena und die, leider zu spät, eingeschaltete empathische Schulpsychologin (Corinna Harfouch).
Liv Lisa Fries spielt ihre Rolle überzeugend, bekommt darin aber wenig Raum für Vielfalt und Nuancen, denn sie wird fast ausschließlich verzweifelt oder einsam gezeigt. Ein Privatleben jenseits des Sohnes existiert praktisch nicht. Das liegt auch daran, dass das Drehbuch ihr keine Person an die Seite stellt, mit der sie ihr schweres Schicksal teilen oder mit der sie auf andere Gedanken kommen kann. Kein Freund, keine Schwester, keine Mutter – da ist niemand. Nur in einer kurzen Szene am Fußballplatz erfahren wir, dass ihr Ex-Partner das schwierige Leben mit Felix nicht ausgehalten und sie verlassen hat. Und auch die potenzielle neue Beziehung zum Nachbarn Pelle muss sich an erster Stelle daran messen lassen, ob dieser Mann bereit und in der Lage ist, die anspruchsvolle Vaterrolle für Felix zu übernehmen.
Jona Eisenblätter als Felix macht seine Sache gut, kann aber nicht verhindern, dass sein Spiel zumeist angelernt wirkt. Es ist eine dieser typischen Rollen mit großem Potenzial für Schauspielerruhm. Dustin Hoffman hat für seine Autisten-Performance in Rain Man (1988) genauso einen Oscar bekommen wie Geoffrey Rush in Shine – Der Weg ins Licht (1996) als Pianist David Helfgott, der an einer schizoaffektiven Störung leidet. Auch für Helena Zengel als 9-jährige Bernadette in Systemsprenger (2019) bedeutete ihre Rolle einen internationalen Durchbruch.
Das Interesse an psychischen Krankheiten ist im deutschen Kino nicht erst seit dem erfolgreichen Vincent will Meer (2010) um den tourettekranken Vincent (Florian David Fitz) vorhanden und es ist wirklich spannend und lobenswert, diesen Themen Raum zu geben. So erfahren wir auch in Max Feys Film etwas über das spezielle Verhalten von Asperger-Kranken wie etwa die starke Ausprägung von Spezialinteressen (im Film die Leidenschaft für Tiere, insbesondere Fische) und die extrem problematische und anstrengende Betreuungssituation. Leider fehlt es dem Film aber insgesamt etwas an Lebendigkeit und Überzeugungskraft. So gibt es zum Beispiel keine Szenen aus dem Klassenzimmer, die Felix' Probleme veranschaulichen könnten, und auch die Szenen zwischen Mutter und Sohn bleiben meist seltsam blass. So steigern sich beim Anschauen des Filmes zwar die Gefühle der Bedrückung und Trostlosigkeit der Situation, aber es fehlen – bis auf eine beschwingte Szene des gemeinsamen Tanzens – Kontrapunkte, kraftvolle Bilder, Überraschungen oder interessante Dialoge, die der Geschichte eine Balance, eine Spannung verleihen könnten, die das Interesse beim Zuschauer bis zum Ende wachhalten. Die harten Schnitte zwischen den Szenen wirken teilweise wie das Umblättern der Seiten einer Fallakte beim Jugendamt. Realistisch, aber eine eher trockene Außensicht, eher dokumentarisch, fehlende Emotionen. Auch die Stadt München als Ort der Erzählung wird als trostlose Umgebung gezeigt, in dunklen, grobkörnigen Bildern und bei schlechtem Wetter sehen wir die einsame Protagonistin beim Joggen im Englischen Garten.
Zwischen uns fokussiert sich sehr verengend, teilweise etwas monoton auf die Perspektive der von der Gesellschaft alleingelassenen, immer verzweifelter agierenden Mutter. Liv Lisa Fries spielt den schmerzhaften Prozess des Aufgebens, die Probleme alleinverantwortlich lösen zu wollen und des langsamen Eingestehens ihrer Überforderung sehr berührend. Ein leiser Hilfeschrei, der im privaten Unglück ungehört verhallt. Die gesellschaftliche Relevanz des Themas muss sich der Zuschauer mehr oder weniger selbst erschließen. Aber auch von Felix und seiner Innenwelt hätte man gern mehr erfahren. Zum Autismusthema gibt es inzwischen sehr gelungene anschauliche Beispiele, wie man die Gefühle und Gedanken der Betroffenen zum Sprechen bringt: Etwa in der komödiantisch aufgezogenen Serie ATYPICAL in Form der Ich-Erzählerstimme oder in der beeindruckenden Doku »Warum ich Euch nicht in die Augen schauen kann«, die Texte des autistischen Jugendlichen Naoki Higashida aus dem Off einfügt. Mehr Informationen aus der Innenwelt von Felix und mehr Raum für eigenständige Perspektiven anderer Figuren wie Elena oder Pelle hätten Zwischen uns vielleicht gut getan.