Cinema Moralia – Folge 8
»Ich hab das Zeug unter Kontrolle« |
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»Macht kaputt, was euch kaputt macht!« - Free Rainer |
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(Foto: Studiocanal) |
Es ist schon interessant: Vor vier Jahren war Hans Weingartner noch der Darling der deutschen Filmkritik. Da war er im Wettbewerb von Cannes, »als erster Deutscher« nach 11 Jahren. Ein patriotischer Akt, der mit Jubel und überaus wohlwollenden, vielleicht ein wenig zu wohlwollenden Kritiken belohnt wurde. Es mag daran liegen, dass diese Sportreporter- und Fan-Haltung dem einen oder anderen heute selber peinlich ist, dass nun die Weingartner-Betrachtung ins Gegenteil eskaliert. Denn für seinen neuen Film wird er jetzt geschlachtet. Die wichtigste Gemeinsamkeit: Wieder wird alles übertrieben, und wieder gibt sich die deutsche Kritik seltsam gnadenlos, unisono und ohne Sinn für Nuancen. Man muss Free Rainer ja nicht mögen. Aber man sollte doch zumindest, wenn man alles jetzt so schlecht findet, reflektieren, dass man das Gleiche vor kurzem noch ganz toll und befreiend, und »frisch« fand. Denn Free Rainer macht nicht wirklich viel anders als Die fetten Jahre sind vorbei, er ist nur schärfer, politischer, verzichtet auf den ganzen Schmuh, der im Vorgängerfilm von der Message abgelenkt hat. Offenbar aber liebten die deutschen Kritiker dort den heimlichen Vater-Sohn-Subtext, die Sehnsucht von Daniel Brühl, sich mit Papa Burghard Klaussner zu verstehen. Vergleichbares fehlt in Free Rainer. Der Film hat den Mut zur Feinderklärung, ohne sich am Ende versöhnen zu wollen und anzubiedern. Und er sagt dem Publikum, was es nicht hören will: Ihr seid Idioten und ihr seid selber schuld.
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Was sind das überhaupt für Maßstäbe? Noch dazu von Leuten, die so einen Schnodder wie Liebesleben erst vorige Woche in den Himmel lobten? Warum verlangt man von einem Film, der ganz offen ein Propagandafilm sein will, dass er differenziert? Oder hat das am Ende damit zu tun, dass sich einige Leute unter den Kritikern selbst an empfindlicher Stelle getroffen fühlen?
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»I watched your six o'clock news today – it’s straight tabloid. You had a minute and a half on that lady riding a bike naked in Central Park. On the other hand, you had less than a minute of hard national and international news. It was all sex, scandal, brutal crimes, sports, children with incurable diseases and lost puppies. So I don’t think I'll listen to any protestations of high standards of journalism. You're right down in the street soliciting audiences like the rest of us. All I’m saying is, if you're going to hustle, at least do it right.« (Aus dem Drehbuch zu Network, 1976)
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»Als er [Weingartner] die faschistoiden Grundzüge der Mediengesellschaft erläutert, scheut er auch vor einem Zitat aus Hitlers ›Mein Kampf‹ nicht zurück«, schreibt eine Zeitung im Empörungston. Mein Gott im Himmel! Ja und? Das Zitat liefern wir hier mal nach:
»Jede Propaganda hat volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen nach der Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die sie sich zu richten gedenkt. (…) Je bescheidener
dann ihr wissenschaftlicher Ballast ist, und je mehr sie ausschließlich auf das Fühlen der Masse Rücksicht nimmt, um so durchschlagender der Erfolg.«
Passt doch zum Gegenwartsfernsehen.
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Noch 'ne Beobachtung: Je »intellektueller« und »linker«, um so mehr wird auf Weingartner eingedroschen. Als ob man den Kindern ihr Spielzeug weggenommen hätte, als ob sie irgendeinen Alleinvertretungsanspruch auf Weltrevolution verteidigen müssen. Wenn wir es schon nicht geschafft haben, sollen’s die anderen bitte auch nicht versuchen: Die »Jungle World« muss man vielleicht nicht lesen. Aber die »taz« schon.
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Immer wieder wiederholt werden jetzt zwei inhaltliche Einwände: 1. Der Film benutzt selbst die Mittel, die er kritisiert. 2. Dass Fernsehen dumm ist und dumm macht, wissen wir doch schon lange.
Beides ist zwar in sehr allgemeiner Weise richtig. Aber warum ist beides ein Einwand gegen den Film? Als ob jeder Film etwas Neues bringen würde. Als ob tatsächlich alle Menschen sich der manipulativen Wirkung des Fernsehen bewusst wären, und nicht viele, die es sind, trotzdem dauernd vor
der Glotze hängen und dabei immer dümmer werden, sich in abgeklärte Ironie retten und über das »jugendliche Kleinbürgertum spotten«, das Weingartner anspricht. Es gibt aber nicht nur die, die sich viel drauf einbilden gar nicht mehr fernzusehen, sondern auch jene, die fröhlich zugeben, jeden Schrott zu gucken, und glauben, dass sie trotzdem intelligent bleiben.
Wenn Fernsehen, wie Weingartner behauptet, Heroin ist, macht es krank und süchtig, und dann genügt es nicht, um die
schlimme Wirkung der Droge zu wissen, um von ihr loszukommen. Wer da sagt, Weingartner renne nur offene Türen ein, der erinnert nur an einen Süchtigen, der sagt: »Ich hab das Zeug unter Kontrolle«. Da müsste man dann schon erklären, warum Trash-TV nichts Schlimmes ist.
Und der Einwand des künstlerischen Selbstwiderspruchs ist auch etwas dünn. Denn Weingartners Film propagiert nichts anderes, als »Macht kaputt, was euch kaputt macht!« Das ist nur ein Selbstwiderspruch, wenn das
kaputtmachen als solches verboten ist – aber die Zeiten des 70er-Jahre Kinderladens sind ja gottseidank vorbei. Man darf auch wieder mit Kriegsspielzeug spielen, und trotzdem den Wehrdienst verweigern.
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Wer in Frankfurt lebt, kann das alles im Deutschen Filmmuseum am 17. November selbst mit dem Regisseur diskutieren: In der Reihe »Was tut sich – im deutschen Film?«
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Themenwechsel: Etwas wirklich Ungewöhnliches zeigen ab nächster Woche die »Freunde der Deutschen Kinemathek« im Berliner Kino Arsenal: Dort läuft vom 22. – 26. November »SPLICE IN«, ein »Filmfestival zu Gender und Politik in Afghanistan, seinen Nachbarländern und Europa«, das von »mazefilm« kuratiert und von der Kulturstiftung des Bundes (und anderen) gefördert wird. Neben aktuellen Dokumentarfilmproduktionen und Spielfilmen sind dort erstmals auch historische
Filme aus dem »Filmarchiv Afghan Film« und kurze Aufklärungsspielfilme zu sehen, die als Auftragsproduktionen von Hilfsorganisationen entstanden. Das Festival wird von Diskussionen zum Thema begleitet.
Eröffnet wird am Donnerstag 22.11., um 19 Uhr mit Kabul Transit von David Edwards, Gregory Whitmore, Maliha Zulfacar. Der 2006 gedrehte Film dokumentiert Facetten des Alltags in Kabul. Weitere Filme: 3,2,1? von Alka Sadat, Se noqta (Three Dots) von Roya Sadat, Edame Rah (Path To Follow) von Nazifa Zakizada – über junge Mädchen, die Taekwondo trainieren –, Enemies Of Happiness von Eva Mulvad und Anja Al-Erhayem, Zanan Va Sinema (Women And Cinema) von Amina Jafari, Passing The Rainbow von Elfe Brandenburger und
Sandra Schäfer, RUSCHANY von Latif Ahmadi, If I Stand Up von Shakiba Adil, Halima Hussaini und Kristina Tikke Tuura. Alle Filme sind zwischen 2002 und 2007 entstanden und zeigen das Leben afghanischer Frauen zwischen traditionellen Familienstrukturen.
Kontrastiert wird dies mit zwei besonderen Filmen: Talabgar (THE Marriage Candidate) von Khaleq A'lil stammt aus dem Jahr 1969 und erzählt von einem Hochstapler
und Gauner, der um die Hand der Studentin Sima anhält, die aus der Kabuler Mittelschicht stammt. Doch Sima sieht ihr Glück weder in Reichtum noch in Heirat, sondern im Studium. Postcards From Tora Bora von Kelly Dolak und Wazmah Osman mischt Super-8-Aufnahmen aus dem Kabul der 70er Jahre, die Frauenleben im westlichen Stil dokumentieren, mit Bildern der Rückkehr nach fast 30 Jahren: Denn nach der Invasion der Sowjet-Armee 1979 war die Regisseurin mit Mutter und
ihren Schwestern in die USA geflohen.
Auch Filme aus Indien und Iran dienen dazu, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten: Nari Adalat (Women’s courts) von Deepa Dhanraj und Rupa Metha erzählt von Frauengerichten, einer informellen Rechtspraxis, die Mitte der 90er Jahre von einer Gruppe von Frauen in der indischen Provinz Gujarat eingeführt wurde und sich für Frauenrechte einsetzt. Le Mouvement De
Libération Des Femmes Iraniennes – Année Zéro (Die Befreiungsbewegung Der Iranischen Frauen – Im Jahre Null) stammt aus 1979, dem Jahr der Khomeini-Revolution. Der Film dokumentierte die Proteste am Internationalen Frauentag gegen das am Vorabend (7. März 1979) erlassene Dekret zum Kopftuchzwang für Frauen. 5.000 Frauen demonstrierten damals an der Teheraner Universität. Such A Strange Time It Is, My Dear von
Mira Habibi porträtiert sechs aus dem Iran emigrierte Frauen, die seit fast dreißig Jahren in Berlin wohnen, und über ihr Verhältnis zu Politik, Revolution, Sexualität und Flucht berichten.
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Neulich beim Festival von Venedig, von einem, der es wissen muss: »Hollywood-Movies are getting more and more stupid. Sorry to be negative, but that’s what I think.« Soweit Brad Pitt.
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»There is no America. There is no democracy. There is only IBM, and ITT, and AT & T, and DuPont, Dow, Union Carbide, and Exxon. Those are the nations of the world today! … This company is now in the hands of CCA, the Communication Corporation of America. And when the twelfth largest company in the world controls the most awesome, god-damned propaganda force in the whole godless world, who knows what shit will be peddled for truth on this network. So, you listen to me! Television is not the truth. Television is a goddamned amusement park. Television is a circus. So turn off your television sets. Turn them off and leave them off!« (Aus dem Drehbuch zu Network, 1976)
(To be continued)
Rüdiger Suchsland