10.04.2008
Cinema Moralia – Folge 11

Bunte Kleider, bunte Seelen

ESPERANZA
Die Hoffnung stirbt sogleich:
Esperanza
(Foto: Filmwelt Verleihagentur)

Neue deutsche Filme, alte deutsche Helden, Bette Davis und Jürgen Rüttgers

Von Rüdiger Suchsland

»Du, Du bist mein größter Sieg«, sagt Matthias Schweig­höfer als Baron Richt­hofen im deutschen Film Der rote Baron. Höhni­sches Lachen in der Pres­se­vor­füh­rung. Es sollte uns allen im Halse stecken bleiben, bei dieser saublöden, ebenso naiven wie revi­sio­nis­ti­schen Kriegs-Schmon­zette. Das deutsche Kino ist mit solchen Filmen wieder da ange­kommen, wo es in den 50er Jahren schon stand: Histo­ri­scher Revi­sio­nismus, Kino als Nati­on­buil­ding, als Wieder­auf­ko­chen alter sattsam bekannter Mythen. Ästhe­tisch ist das die Rückkehr zum Heimat­film, der gerade sowieso fröhliche Urstände feiert: In den Dödel­filmen von Markus Rosen­müller, in Vils­meiers Berg­kris­tall, auch Stölzls noch bevor­ste­hender Bergfilm über die Eiger Nordwand, von dem man nach allem, was zu hören ist, auch nur Schlimmes befürchten darf. Rück­gän­gig­ma­chen des Unschulds­ver­lusts. Zur Not wird diese Unschuld dann halt konstru­iert und behauptet. Verbunden ist solche »Strategie der Entschul­dung«, wie es Georg Seeßlen in einem sehr lesens­werten Aufsatz im neuen epd (4/2008) nennt, dann mit dem Ausblenden aller unan­ge­nehmen Seiten, gern auch um den Preis der Geschichts­fäl­schung.

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Das Problem von uns Film­kri­ti­kern: Dass wir zur Zeit nicht imstande sind, darauf eine adäquate Antwort zu formu­lieren. Kämp­fe­risch zu sein gegen diesen Revi­sio­nismus und für ein anderes Kino. Auch das kann man jeden Tag lesen – selbst bei guten Autoren überwiegt das alltäg­liche Versagen vor der Heraus­for­de­rung, und ein »Service­ge­danke«, der sich damit verwech­selt dem Publikum nach dem – vermeint­li­chen – Mund zu reden. Mindes­tens Bequem­lich­keit. Klar, dass sich der Verfasser hier gar nicht ausschließen will.

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Oder man hat es zu tun mit Dingen, die man einfach schlecht nennen muss, und über die es viel­leicht noch das Beste wäre, gar nicht zu berichten. Zum Beispiel Zsolt Bács' Regie-Debüt Esperanza. Lärmender Still­stand, in dem alles aus zweiter Hand ist. Da hat die depres­sive Jungfer Konstanze die Fähre nach Dänemark verpasst, wo sie sich umbringen möchte. Jetzt muss sie den voraus­sicht­lich letzten Sylves­ter­abend ihres Lebens auf einem alten Kutter zubringen, den Zsolt Bács, wäre sein Film ein Kolpor­ta­ge­roman, wahr­schein­lich als »Seelen­ver­käufer« bezeichnen würde. Da sitzt Konstanze nun, gemeinsam mit einem Panop­tikum anderer Menschen, die alle ein wahn­sinnig origi­nelles Schicksal mitein­ander teilen, und die Tatsache, dass sie alle die Fähre verpasst haben: Unter anderem Russen­schlampe Natascha und ihr Lover, den sie gerade loszu­werden versucht, Anna, die sich ausge­rechnet in einen Priester verliebt hat, eine EU-Diplo­matin und ein notgeiler irani­scher Diplo­ma­ten­sohn, ein taub­stummer Maschi­nist und ein unsicht­barer Kapitän.

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Die Hoffnung, die angeblich immer zuletzt stirbt, stirbt in esperanza schon ganz zu Anfang, für die Zuschauer wie für die Figuren jeden­falls. Sie überlebt nur in der etwas ranzigen Form des Namens, den dieses Schiff trägt, auf dem der größte Teil von Zsolt Bács' Regie-Debüt spielt. Man könnte jetzt viel über die Schiffs­me­ta­phorik im Kino und überhaupt in der Kultur­ge­schichte schreiben, über Fellinis Schiff der Träume und Camerons Titanic – wobei sich Bács eindeutig mehr an Fellini orien­tiert –, über das Schiff als Minia­tur­ge­sell­schaft natürlich, darüber auch, dass wir alle ja irgendwie in einem Boot sitzen, über die Arche Noah viel­leicht, und so weiter und so weiter… Und man muss leider befürchten, dass sich Bács das auch alles irgend­wann mal gedacht hat, und der Verleih – ach je! – bemüht in seiner Startinfo auch noch »die Fahrt des Götter­boten Charon über den Unter­welts­fluss Styx«.
So kommt in esperanza sehr viel zusammen, so viel dass das finale Kuddel­muddel dann ziemlich auf der Stelle tritt. Lärmender Still­stand, zusätz­lich forciert durch einen wild­ge­wor­denen dauer­prä­senten Off-Erzähler. Auch stilis­tisch ist offen­kundig, dass Bács seine Vorbilder nicht in realis­ti­schen Kino­tra­di­tionen gesucht hat, sondern eher unter lauteren alteu­ropäi­schen Märchen­er­zäh­lern wie Kauris­mäki, Kusturica oder Jeunet. Deren Phantasie fehlt ihm aller­dings, und so bleibt nur der Lärm und man denkt eher an Veit Helmer und andere Epigonen, so offen­kundig aus zweiter oder dritter Hand ist alles. Insofern war es dann eine über­ra­schende – und wohl eher unbewußt – luzide Entschei­dung, eine Rolle mit Gojko Mitic zu besetzen, als »DDR-Winnetou« nicht nur heute ein leib­haf­tiger Film­ver­weis, sondern bereits damals Zitat eines Zitats.
Auch ansonsten ist esperanza immerhin inter­es­sant besetzt: Unter anderem spielen Anna Thalbach, Mavie Hörbiger, Frank Giering und Ben Becker. Gern sieht man ihnen dabei zu, wie sie so richtig auf die Tube drücken dürfen. Zsolt Bács selbst verkör­pert den Schiffs­koch, einen Typ, dem an nichts mehr liegt als an Ausge­fal­len­heit um jeden Preis. Das ist aber leider beim Kochen nicht das beste Rezept. Und im Kino auch nicht.

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Wieder so einer jener Filme, in denen der Deutsche einsam und weltfremd ist, tenden­ziell unglück­lich und irgend­etwas Diffuses mit der Seele suchend. Diese tausend­und­einmal erzählten Klischee­ro­mantik könnte inter­es­sant sein, würde sie ironisch gebrochen, oder aber als Mythos ernst genommen, also irgend­einer Neuin­ter­pre­ta­tion unter­worfen. Hier sind es nur Kostüme aus der hintersten Klamot­ten­kiste des deutschen Kinos, und wenn der Film sie sich überwirft, sieht man, wie löchrig sie geworden sind. Das Problem ist dabei nicht in erster Linie, ob man sich als Zuschauer dafür inter­es­siert – leider nicht! Aber das wäre noch auszu­halten – sondern, dass man alles schon zu oft gesehen hat.

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Ähnlich schlimm und über­flüssig ist Veit Helmers Absur­di­stan. Zu der Grundidee hat Regisseur Helmer, seit erfolg­rei­chen Kurz­filmen Ende der 90er-Jahre, der Möch­te­gern-Genius des deutschen Kinos, angeblich eine Zeitungs­mel­dung angeregt: In einem türki­schen Dorf hatten derzu­folge alle Frauen ihre Männer durch Sex-Entzug dazu gezwungen, eine marode Wasser­lei­tung zu repa­rieren. Diese skurrile Geschichte, die das Leben schrieb, reicht Helmer in seinem dritten Spielfilm aller­dings keines­wegs: In der ersten Szene schon schießt ein Jüngling seine Freundin per selbst­ge­bas­telter Rakete in den Himmel. Und so in etwa geht es weiter: Krachend, zischend, brummend, konse­quent over the top, zeigt ABSURDISTAN einen selbst­ge­bas­telten absurden Ort, welt­en­trückt und märchen­haft. Die Menschen glucksen und kichern, runzeln, damit es auch jeder kapiert, die Stirn, wenn sie nach­denken, rennen mit weit­auf­ge­ris­senen Augen durch die Gegend wie im schlechten Stummfilm oder bei Kusturica, die Musik klimpert und dudelt fort­wäh­rend und genauso penetrant und ohne noch so kurze Pause, wie der Off-Kommentar. Alles sind Schü­ler­zei­tungs­phan­ta­sien. Und dass der Haupt­dar­steller so aussieht wie der Regisseur macht es auch nicht besser.
Bunte Kleider, bunte Seelen: Der Himmel ist blau, der Mond ist gelb, die Mädchen ziehen sich aus und stehen nachts auf dem Dach, da sie »vor lauter Hitze nicht schlafen können« – Absur­di­stan möchte als »herrlich verrückt« wahr­ge­nommen werden, ist aber ranschmeiße­risch und anbie­dernd, alles in allem zusam­men­hang­loser Ethno-Kitsch und das Gegenteil von Poesie. Gefilmt wie Marga­ri­ne­wer­bung ist der Film auch noch voller Fehler, die auch mit dem Vorwand des Märchen­haften nicht entschuldbar sind: Wie das Haar des Rake­ten­mäd­chens, das in die falsche Richtung weht.
Aber wenn einem das auffällt, ist man wahr­schein­lich unpoe­tisch und profan, und als solcher unge­eignet für diesen Schrott. Am Ende sagt dann das glücklich gelandete Rake­ten­mäd­chen: »So musste ich ihm zeigen, wie man wirklich zu den Sternen fliegt«, und es folgt Kuschelsex auf Bravo-Niveau. Au weia!

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Zu den über­ra­schend vielen Toten der letzten zwei Wochen möchte man natürlich viel sagen, aber das geht jetzt einfach hier nicht. Viel­leicht in den nächsten Wochen.

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Bette Davis wäre hundert geworden. »Eine Art weib­li­cher Buster Keaton« hat sie Claudia Lenssen genannt, »für mich ist inter­es­sant, dass eine Schau­spie­lerin, die in den Stimm­film­jahren begann, sich übertrug als etwas sehr Modernes, Aktuelles.« Bette Davis kam vom Theater. Sie hatte eine thea­tra­li­sche Sprech­weise, thea­tra­li­sches Aussehen, unkon­ven­tio­nelle Rollen, sie spielte verrückte, boshafte Frauen. Lenssen erzählt, dass die nach Tonband­mit­schnitten verfasste Biografie von Charlotte Chandler (»Bette Davis. Die persön­liche Biografie«, Langen Müller Vlg., München 2008) unbe­frie­di­gend sei, weil auch Davis der typischen Schau­spie­ler­krank­heit zum Opfer falle von sich selbst zu viel und zu viele unin­ter­es­sante Anekdoten zu erzählen.

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Von der Film­stif­tung NRW erreicht uns am 2.April – also kein April­scherz! – folgende Pres­se­mit­tei­lung, die wir ungekürzt und kommen­tiert wieder­geben wollen:
»Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolle­ginnen und Kollegen, anläss­lich der aktuellen Dreh­ar­beiten von Der Vorleser in den MMC-Studios in Hürth besuchten gestern u.a. Minis­ter­prä­si­dent Dr. Jürgen Rüttgers, Andreas Kraut­scheid (Minister für Bundes­an­ge­le­gen­heiten, Europa und Medien) und Michael Schmid-Ospach (Geschäfts­führer Film­stif­tung NRW GmbH) das Set. Dort trafen sie die Haupt­dar­steller Kate Winslet und David Kross sowie Regisseur Stephen Daldry.
Minis­ter­prä­si­dent Rüttgers zeigte sich begeis­tert von der Profes­sio­na­lität der Filmcrew und von der Qualität der Studio­ku­lissen: ›Die Dreh­ar­beiten für diese große Hollywood-Produk­tion hier zeigen einmal mehr: Auch für inter­na­tio­nale Produk­tionen ist Nordrhein-Westfalen ein überaus inter­es­santer Drehort. Unsere Studios, Teams und Technik genügen höchsten inter­na­tio­nalen Ansprüchen. Das zeigt: Dieser Medi­en­standort hat eine große Zukunft.‹ Die Landes­re­gie­rung, so der Minis­ter­prä­si­dent, werde diese Entwick­lung mit weiteren Initia­tiven unter­s­tützen.
Michael Schmid-Ospach sagte beim Rundgang am Set: ›Förder­geld ist für kleine als auch für große Produk­tionen immens wichtig – aber nicht alles. Auch die Produk­ti­ons­be­din­gungen vor Ort müssen stimmen, sonst kann man anspruchs­volle, aufwän­dige Produk­tionen wie Der Vorleser nicht ins Land holen. In NRW ist alles dafür vorhanden, wie die große Zahl der inter­na­tio­nalen Kopro­duk­tionen beweist. Und auch wenn wir uns in NRW an große Namen gewöhnt haben, ist ein Dreh mit Kate Winslet für das Filmland ein Ereignis, über das wir uns besonders freuen. In den MMC Studios ist die kleine Wohnung von Hanna Schmitz in berüh­render Weise nach­ge­baut worden. 1,5 Mio. Förderung und spannende Dreh­ar­beiten in Köln und den MMC Studios sind bei der Verfil­mung des Bernhard Schlink-Best­sel­lers gut inves­tiert – wir sind gespannt auf die Bilder im Kino 2009! »Neben Kate Winslet und David Kross stehen bei der von der Film­stif­tung NRW geför­derten Produk­tion auch Ralph Fiennes, Bruno Ganz, Alexandra Maria Lara, Karoline Herfurth, Hannah Herz­sprung, Burghart Klaußner und Jürgen Tarrach vor der Kamera. Produk­ti­ons­firmen sind The Weinstein Company, Mirage Enter­prises, Scott Rudin Produc­tions und Neunte Babels­berg Film GmbH. Aus NRW sind die Centralscope NRW GmbH und Senf­kornFilm beteiligt.«
Anbei dann ein Foto »zur Veröf­fent­li­chung« mit Kross, Daldry, Rüttgers, Winslet Schmid-Ospach und Kraut­scheid – die Veröf­fent­li­chung im Internet ist leider leider »erst zum Kinostart gestattet.«‹«

(To be continued)

Rüdiger Suchsland

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.