Cinema Moralia – Folge 11
Bunte Kleider, bunte Seelen |
||
Die Hoffnung stirbt sogleich: Esperanza |
||
(Foto: Filmwelt Verleihagentur) |
»Du, Du bist mein größter Sieg«, sagt Matthias Schweighöfer als Baron Richthofen im deutschen Film Der rote Baron. Höhnisches Lachen in der Pressevorführung. Es sollte uns allen im Halse stecken bleiben, bei dieser saublöden, ebenso naiven wie revisionistischen Kriegs-Schmonzette. Das deutsche Kino ist mit solchen Filmen wieder da angekommen, wo es in den 50er Jahren schon stand: Historischer Revisionismus, Kino als Nationbuilding, als Wiederaufkochen alter sattsam bekannter Mythen. Ästhetisch ist das die Rückkehr zum Heimatfilm, der gerade sowieso fröhliche Urstände feiert: In den Dödelfilmen von Markus Rosenmüller, in Vilsmeiers Bergkristall, auch Stölzls noch bevorstehender Bergfilm über die Eiger Nordwand, von dem man nach allem, was zu hören ist, auch nur Schlimmes befürchten darf. Rückgängigmachen des Unschuldsverlusts. Zur Not wird diese Unschuld dann halt konstruiert und behauptet. Verbunden ist solche »Strategie der Entschuldung«, wie es Georg Seeßlen in einem sehr lesenswerten Aufsatz im neuen epd (4/2008) nennt, dann mit dem Ausblenden aller unangenehmen Seiten, gern auch um den Preis der Geschichtsfälschung.
+ + +
Das Problem von uns Filmkritikern: Dass wir zur Zeit nicht imstande sind, darauf eine adäquate Antwort zu formulieren. Kämpferisch zu sein gegen diesen Revisionismus und für ein anderes Kino. Auch das kann man jeden Tag lesen – selbst bei guten Autoren überwiegt das alltägliche Versagen vor der Herausforderung, und ein »Servicegedanke«, der sich damit verwechselt dem Publikum nach dem – vermeintlichen – Mund zu reden. Mindestens Bequemlichkeit. Klar, dass sich der Verfasser hier gar nicht ausschließen will.
+ + +
Oder man hat es zu tun mit Dingen, die man einfach schlecht nennen muss, und über die es vielleicht noch das Beste wäre, gar nicht zu berichten. Zum Beispiel Zsolt Bács' Regie-Debüt Esperanza. Lärmender Stillstand, in dem alles aus zweiter Hand ist. Da hat die depressive Jungfer Konstanze die Fähre nach Dänemark verpasst, wo sie sich umbringen möchte. Jetzt muss sie den voraussichtlich letzten Sylvesterabend ihres Lebens auf einem alten Kutter zubringen, den Zsolt Bács, wäre sein Film ein Kolportageroman, wahrscheinlich als »Seelenverkäufer« bezeichnen würde. Da sitzt Konstanze nun, gemeinsam mit einem Panoptikum anderer Menschen, die alle ein wahnsinnig originelles Schicksal miteinander teilen, und die Tatsache, dass sie alle die Fähre verpasst haben: Unter anderem Russenschlampe Natascha und ihr Lover, den sie gerade loszuwerden versucht, Anna, die sich ausgerechnet in einen Priester verliebt hat, eine EU-Diplomatin und ein notgeiler iranischer Diplomatensohn, ein taubstummer Maschinist und ein unsichtbarer Kapitän.
+ + +
Die Hoffnung, die angeblich immer zuletzt stirbt, stirbt in esperanza schon ganz zu Anfang, für die Zuschauer wie für die Figuren jedenfalls. Sie überlebt nur in der etwas ranzigen Form des Namens, den dieses Schiff trägt, auf dem der größte Teil von Zsolt Bács' Regie-Debüt spielt. Man könnte jetzt viel über die Schiffsmetaphorik im Kino und überhaupt in der Kulturgeschichte schreiben, über Fellinis Schiff der Träume und Camerons Titanic – wobei sich Bács eindeutig mehr an Fellini orientiert –, über das Schiff als Miniaturgesellschaft natürlich, darüber auch, dass wir alle ja irgendwie in einem Boot sitzen, über die Arche Noah vielleicht, und so weiter und so weiter… Und man muss leider befürchten, dass sich Bács das
auch alles irgendwann mal gedacht hat, und der Verleih – ach je! – bemüht in seiner Startinfo auch noch »die Fahrt des Götterboten Charon über den Unterweltsfluss Styx«.
So kommt in esperanza sehr viel zusammen, so viel dass das finale Kuddelmuddel dann ziemlich auf der Stelle tritt. Lärmender Stillstand, zusätzlich forciert durch einen wildgewordenen dauerpräsenten Off-Erzähler. Auch stilistisch ist offenkundig, dass Bács seine Vorbilder
nicht in realistischen Kinotraditionen gesucht hat, sondern eher unter lauteren alteuropäischen Märchenerzählern wie Kaurismäki, Kusturica oder Jeunet. Deren Phantasie fehlt ihm allerdings, und so bleibt nur der Lärm und man denkt eher an Veit Helmer und andere Epigonen, so offenkundig aus zweiter oder dritter Hand ist alles. Insofern war es dann eine überraschende – und wohl eher unbewußt – luzide Entscheidung, eine Rolle mit Gojko Mitic zu besetzen, als
»DDR-Winnetou« nicht nur heute ein leibhaftiger Filmverweis, sondern bereits damals Zitat eines Zitats.
Auch ansonsten ist esperanza immerhin interessant besetzt: Unter anderem spielen Anna Thalbach, Mavie Hörbiger, Frank Giering und Ben Becker. Gern sieht man ihnen dabei zu, wie sie so richtig auf die Tube drücken dürfen. Zsolt Bács selbst verkörpert den Schiffskoch, einen Typ,
dem an nichts mehr liegt als an Ausgefallenheit um jeden Preis. Das ist aber leider beim Kochen nicht das beste Rezept. Und im Kino auch nicht.
+ + +
Wieder so einer jener Filme, in denen der Deutsche einsam und weltfremd ist, tendenziell unglücklich und irgendetwas Diffuses mit der Seele suchend. Diese tausendundeinmal erzählten Klischeeromantik könnte interessant sein, würde sie ironisch gebrochen, oder aber als Mythos ernst genommen, also irgendeiner Neuinterpretation unterworfen. Hier sind es nur Kostüme aus der hintersten Klamottenkiste des deutschen Kinos, und wenn der Film sie sich überwirft, sieht man, wie löchrig sie geworden sind. Das Problem ist dabei nicht in erster Linie, ob man sich als Zuschauer dafür interessiert – leider nicht! Aber das wäre noch auszuhalten – sondern, dass man alles schon zu oft gesehen hat.
+ + +
Ähnlich schlimm und überflüssig ist Veit Helmers Absurdistan. Zu der Grundidee hat Regisseur Helmer, seit erfolgreichen Kurzfilmen Ende der 90er-Jahre, der Möchtegern-Genius des deutschen Kinos, angeblich eine Zeitungsmeldung angeregt: In einem türkischen Dorf hatten derzufolge alle Frauen ihre Männer durch Sex-Entzug dazu gezwungen, eine marode Wasserleitung zu reparieren. Diese
skurrile Geschichte, die das Leben schrieb, reicht Helmer in seinem dritten Spielfilm allerdings keineswegs: In der ersten Szene schon schießt ein Jüngling seine Freundin per selbstgebastelter Rakete in den Himmel. Und so in etwa geht es weiter: Krachend, zischend, brummend, konsequent over the top, zeigt ABSURDISTAN einen selbstgebastelten absurden Ort, weltentrückt und märchenhaft. Die Menschen glucksen und kichern, runzeln, damit es auch jeder kapiert, die Stirn, wenn sie
nachdenken, rennen mit weitaufgerissenen Augen durch die Gegend wie im schlechten Stummfilm oder bei Kusturica, die Musik klimpert und dudelt fortwährend und genauso penetrant und ohne noch so kurze Pause, wie der Off-Kommentar. Alles sind Schülerzeitungsphantasien. Und dass der Hauptdarsteller so aussieht wie der Regisseur macht es auch nicht besser.
Bunte Kleider, bunte Seelen: Der Himmel ist blau, der Mond ist gelb, die Mädchen ziehen sich aus und stehen nachts auf dem
Dach, da sie »vor lauter Hitze nicht schlafen können« – Absurdistan möchte als »herrlich verrückt« wahrgenommen werden, ist aber ranschmeißerisch und anbiedernd, alles in allem zusammenhangloser Ethno-Kitsch und das Gegenteil von Poesie. Gefilmt wie Margarinewerbung ist der Film auch noch voller Fehler, die auch mit dem Vorwand des Märchenhaften nicht entschuldbar sind: Wie das Haar
des Raketenmädchens, das in die falsche Richtung weht.
Aber wenn einem das auffällt, ist man wahrscheinlich unpoetisch und profan, und als solcher ungeeignet für diesen Schrott. Am Ende sagt dann das glücklich gelandete Raketenmädchen: »So musste ich ihm zeigen, wie man wirklich zu den Sternen fliegt«, und es folgt Kuschelsex auf Bravo-Niveau. Au weia!
+ + +
Zu den überraschend vielen Toten der letzten zwei Wochen möchte man natürlich viel sagen, aber das geht jetzt einfach hier nicht. Vielleicht in den nächsten Wochen.
+ + +
Bette Davis wäre hundert geworden. »Eine Art weiblicher Buster Keaton« hat sie Claudia Lenssen genannt, »für mich ist interessant, dass eine Schauspielerin, die in den Stimmfilmjahren begann, sich übertrug als etwas sehr Modernes, Aktuelles.« Bette Davis kam vom Theater. Sie hatte eine theatralische Sprechweise, theatralisches Aussehen, unkonventionelle Rollen, sie spielte verrückte, boshafte Frauen. Lenssen erzählt, dass die nach Tonbandmitschnitten verfasste Biografie von Charlotte Chandler (»Bette Davis. Die persönliche Biografie«, Langen Müller Vlg., München 2008) unbefriedigend sei, weil auch Davis der typischen Schauspielerkrankheit zum Opfer falle von sich selbst zu viel und zu viele uninteressante Anekdoten zu erzählen.
+ + +
Von der Filmstiftung NRW erreicht uns am 2.April – also kein Aprilscherz! – folgende Pressemitteilung, die wir ungekürzt und kommentiert wiedergeben wollen:
»Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, anlässlich der aktuellen Dreharbeiten von Der Vorleser in den MMC-Studios in Hürth besuchten gestern u.a. Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers,
Andreas Krautscheid (Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien) und Michael Schmid-Ospach (Geschäftsführer Filmstiftung NRW GmbH) das Set. Dort trafen sie die Hauptdarsteller Kate Winslet und David Kross sowie Regisseur Stephen Daldry.
Ministerpräsident Rüttgers zeigte sich begeistert von der Professionalität der Filmcrew und von der Qualität der Studiokulissen: ›Die Dreharbeiten für diese große Hollywood-Produktion hier zeigen einmal mehr: Auch für
internationale Produktionen ist Nordrhein-Westfalen ein überaus interessanter Drehort. Unsere Studios, Teams und Technik genügen höchsten internationalen Ansprüchen. Das zeigt: Dieser Medienstandort hat eine große Zukunft.‹ Die Landesregierung, so der Ministerpräsident, werde diese Entwicklung mit weiteren Initiativen unterstützen.
Michael Schmid-Ospach sagte beim Rundgang am Set: ›Fördergeld ist für kleine als auch für große Produktionen immens wichtig
– aber nicht alles. Auch die Produktionsbedingungen vor Ort müssen stimmen, sonst kann man anspruchsvolle, aufwändige Produktionen wie Der Vorleser nicht ins Land holen. In NRW ist alles dafür vorhanden, wie die große Zahl der internationalen Koproduktionen beweist. Und auch wenn wir uns in NRW an große Namen gewöhnt haben, ist ein Dreh mit Kate Winslet für das Filmland ein
Ereignis, über das wir uns besonders freuen. In den MMC Studios ist die kleine Wohnung von Hanna Schmitz in berührender Weise nachgebaut worden. 1,5 Mio. Förderung und spannende Dreharbeiten in Köln und den MMC Studios sind bei der Verfilmung des Bernhard Schlink-Bestsellers gut investiert – wir sind gespannt auf die Bilder im Kino 2009! »Neben Kate Winslet und David Kross stehen bei der von der Filmstiftung NRW geförderten Produktion auch Ralph Fiennes, Bruno Ganz, Alexandra
Maria Lara, Karoline Herfurth, Hannah Herzsprung, Burghart Klaußner und Jürgen Tarrach vor der Kamera. Produktionsfirmen sind The Weinstein Company, Mirage Enterprises, Scott Rudin Productions und Neunte Babelsberg Film GmbH. Aus NRW sind die Centralscope NRW GmbH und SenfkornFilm beteiligt.«
Anbei dann ein Foto »zur Veröffentlichung« mit Kross, Daldry, Rüttgers, Winslet Schmid-Ospach und Krautscheid – die Veröffentlichung im Internet ist leider leider »erst zum
Kinostart gestattet.«‹«
(To be continued)
Rüdiger Suchsland