25. Filmfest München 2008
Scheiternde Träume, nostalgische Erinnerungen |
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Zeichen der Verwahrlosung: Es juckt am Kopf |
Von Carola Heinrich
Der erste Eindruck auf dem diesjährigen Filmfest in München war beklemmend und verstörend. Schuld daran war Salamandra, der erste abendfüllende Spielfilm des 1977 geborenen Argentiniers Pablo Agüero. Er beschreibt das Leben in »El Bolsón«, einem entlegenen Landstrich in der Gegend Patagoniens. Es ist die Zeit unmittelbar nach dem Ende der Diktatur in den 80er Jahren, und das argentische Volk versuchte zu vergessen oder sich eine neue Selbstbestimmung zu geben. Zufluchtsuchende aus aller Welt treffen in einem hochgelegenen Hippie-Dorf zusammen, Überzeugungen und Weltanschauungen ergeben eine schwüle Mixtur. In einer Kommune leben die Sinnsuchenden auf engstem Raum, den sie sich mit dahergelaufenen Tieren und sich stetig mehrenden Insekten teilen. Auch die junge Mutter Alba (Dolores Fonzi), die während der Diktatur inhaftiert war und gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde, findet hier Unterschlupf. In ihrem Schlepptau hat sie ihren sechsjährigen Sohn Inti (Joaquin Aguila), den sie aufgrund ihrer Verhaftung noch nie gesehen hatte. Sie haben sich eben erst kennengelernt, jetzt versuchen sie sich hier ein neues Leben als Mutter und Sohn aufzubauen.
Die Perspektive hät ganz auf die Sicht des Jungen: Durch die wackelnden Handkamera-Bilder wird die verängstigte und verwirrte Sicht des Jungen vermittelt, der Nähe und Halt sucht, sich aber in einer Umgebung völliger Verwahrlosung wiederfindet. Sie ist geprägt von Dreck und Armut, von ständig verfügbarem Sex und nie endenden Feiern. Mit bestürzenden, draufhaltenden Detailaufnahmen von Schmutz und Insekten und der Fokalisierung auf die unheimlichen Geräusche, die von ihnen ausgehen, tauchen wir ganz ein in das Erleben des Jungen und seinem persönlichen Ekel, der sich in ihm breit macht.
Die Mutter zeichnet sich indes durch Orientierungslosigkeit aus. Sie sucht ihre Rolle in der Welt und möchte ein stabiles Umfeld aufbauen, in dem die Beiden sich wohl fühlen, dazu ist sie allerdings nicht fähig. Sie lebt in ihren Träumen und Illusionen einer besseren Welt, scheitert jedoch und schafft es nicht, in dem neuen Leben in Freiheit – einem allzu freien Leben – Fuß zu fassen.
Selbst als sie die Hippiekommune verlassen und in ein Haus in einem kleinen Dorf in den Bergen ziehen, wird nur die nächste Etappe des Scheiterns ihrer Suche eingeleitet: Sie treffen auf einen rohen Alltag zwischen randalierenden Kindern und sie attackierenden Nachbarn. Das Leben ist von Gewalt geprägt und der Eindruck von Hilf- und Aussichtslosigkeit findet seinen Höhepunkt, als ihr Haus angezündet wird und abbrennt. Doch selbst hier wird Alba nicht in die Realität zurückgeholt, sie träumt weiter von einem besseren Leben, irgendwo.
Regisseur Pablo Agüero ist selbst in »El Bolsón« aufgewachsen und hat all seine bisherigen Filme dort gedreht. Zweifelsohne eine prägende Erfahrung, die ihn nicht loslässt, und es bleibt zu vermuten, wieviel Pablo wohl im kleinen Inti stecken mag.
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Erscheint hier noch die Kamera ganz dokumentarisch, und ist mit dem Hintergrund der Herkunft des Regisseurs ein wie auch immer gearteter »dokumentarischer« Aspekt seiner Spielfilmvision enthalten, zeigte La Matinée ebenfalls in der traditionsreichen Reihe »Visiones Latinas« des Münchner Filmfest zu sehen, als »echter« Dokumentarfilm die Vielseitigkeit dieser Reihe. Der in Montevideo geborene Sebastian Bednarik verfolgt die Gründung einer Murga durch Musiker, die nach vierzig Jahren und mehr auf der Bühne ihre Karriere schon beendet sahen.
Was aber ist eine Murga?, fragt ein Kind seine Mutter im Film. Bei einem Treffen von mehr als Hundert »Murgistas« derselben Generation wird die Antwort in einem Lied gegeben. »Murga«, was so viel wie »Krach« bedeutet, ist die einzigartige Karnevals musik Montevideos. Sie zeichnet sich wie keine andere Musik aus durch Farbe, Lebensfreude und Tanz. Lebensfroh und farbig – genau so kann man auch die Stimmung, die uns der Film vermittelt, charakterisieren. So finden im Jahr 2004 dreizehn legendäre Musiker des uruguayischen Karnevals noch einmal zusammen, um als Gruppe ein letztes Mal beim Karneval aufzutreten. Die Liebe und Begeisterung zu dieser Musik, die Schlaginstrumente und Chorgesang verbindet, lässt sie nicht los und führt sie wieder zusammen. Auf der Bühne werden Rollen gespielt und Geschichten erzählt, mit dem Ziel das Publikum zum Lachen zu bringen.
Aber es gibt noch das andere Leben der »murgistas«, jenes, wenn sie nicht auf der Bühne standen, und so blicken die »Murgistas« auch nostalgisch auf ihr Leben zurück. Sie beschreiben, wie sie sich durchgeschlagen haben und es immer noch tun, die einen besser, die anderen schlechter. Sie leben in Slums, arbeiten als Taxifahrer oder halten sich durch kleine Reparaturen über Wasser. Offen erzählen sie aus ihrer Vergangenheit, von Kriminalität und Alkoholismus. Diese Schilderungen verwebt Sebastian Bednarik mit Szenen aus der Vorbereitungsphase, vom Einüben des Textes, den Proben von Tanzeinlagen und der Auswahlentscheidung, ob sie beim Karneval dabei sein dürfen. Eingefügte Versatzstücke zeigen das Schminken, die Anprobe der Kostüme, vor dem ersten großen Auftritt bis zum Letzten. Er begleitet sie bei der Verwirklichung ihres Traums, noch einmal auf der Bühne zu stehen, den sie mit viel Leidenschaft und Einsatz verfolgen. Musik ist ihr Leben, und die Freude daran geht in diesem Film direkt auf den Zuschauer über.
Carola Heinrich