Cinema Moralia – Folge 17
Die Großväter und das Geld |
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Zu gut für die Academy: Zeiten des Aufruhrs | ||
(Foto: Paramount Pictures) |
Berlin – München. Mal wieder die zwei Pole des deutschen Kinos. Während kommende Woche das Großereignis Berlinale auch die überzeugtesten Münchner an die Spree bringt, und sei es nur zum Empfang der bayerischen Filmförderer vom FFF, können wir diese Woche ganz ausgewogen aus beiden Städten berichten. Naja fast ausgewogen…
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Geschichte ist Trumpf. Das gilt für Stauffenberg, für die bayerischen Filmpreise, das gilt sogar für irgendwie für Pocher, der dann als Stauffenberg im Fernsehen auftrat, und bewies, wie leicht es immer noch ist, in Deutschland jemanden zu provozieren. Man müsste sich einmal erkundigen, ob man das schöne deutsche Wort »Fernsehrat« eigentlich in eine Fremdsprache übersetzen kann. Von der Sache mal ganz abgesehen. Das Wort Filmförderung ist jedenfalls schon ins Englische
schwer zu übersetzen. Früher sagte man »Stupid German Money«, das ist auch heute nicht völlig falsch, aber doch etwas zu ungenau.
Aber bleiben wir mal bei der Geschichte, »History«, nicht »Story«. Ist es nur eine Laune der Natur, völliger Zufall, dass bei den gerade bekannt gegebenen Oscar-Nominierungen vier der fünf »best picture«-Kandidaten Kostümfilme waren. Nach Jahren der relativen Arthouse-Erfolge kommen die Studios zurück, aber mit dem deutschen Weg: Geschichte ins Melo
verwandeln, sozusagen Team-Worxx auf höherem Niveau und für die Leinwände.
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Wirklich unverständlich, oder nur verständlich, wenn man von Hollywood sowieso immer nur das Schlimmste erwartet, sind an den Nominierungen aber zwei andere Dinge: Die fast völlige Ignoranz für Revolutionary Road (dt. Zeiten des Aufruhrs), einen der besten, aber leider (in dem Fall) auch subtilsten Filme des Kinojahres. Und die 13 Oscarnominierungen für T The Curious Case of Benjamin Button. Nicht, dass solche Zahlen je etwas über Qualität ausgesagt hätten. Aber man muss nach Ansicht des Films dann schon sagen, dass die Akademiemitglieder von allen, aber auch wirklich allen guten Geistern verlassen sind. Oder man begnügt sich zur Beantwortung mit dem Hinweis auf teures, technisch aufgemotztes und insofern hochgradig perfektes Industrie-Kino-Hollywoods. Und darauf, dass die Mitglieder der »acedemy« bekanntlich einen sehr hohen Altersdurchschnitt haben. Vielleicht lässt man sich, dem Tode nahe, leichter von einem solchen Altendrama rühren. Das ist der Film nämlich auch.
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Nächste Woche dazu noch mehr, aber eines müssen wir gleich loswerden: Dass uns persönlich spätestens mit diesem Film diese ätherischen, betont »starken«, betont »gut spielenden« Frauen mit weißer Haut und roten Haaren der Meryl-Streep-Liga auf die Nerven gehen, Cate Blanchett und Tilda Swinton also, auch wenn die hier unter fingerdickem Make-Up begraben sind, und Blanchett zudem über weiteste Strecken des Films ein glattgeschmirgelt glänzendes Gesicht aus digitalem Elfenbein
besitzt, dem man seine Herkunft am Computer in jedem Augenblick ansieht, und das eher die Grenzen als die Möglichkeiten des Digitalen illustriert.
Es geht aber um einen Schauspielerinnentypus: Nie zu schön, schon gar nicht zu sexy, aber »wie gemalt«, immer ein wenig zu stur, zu verstockt, oft genug unglaublich manieriert und nervtötend spielend – Signaldarstellerinnen, mit denen der Film allein schon durch ihre Besetzung um Oscarwürden bettelt.
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Zurück nach Deutschland: Zweimal Historienkino, und doch zwei denkbar unterschiedliche Projekte – das waren die großen Gewinner beim Bayerischen Filmpreis der kürzlich zum 30. Mal verliehen wurde. Denn in diesem Jahr, wurde der wichtigste der Preise, der mit 200.000 Euro dotierte Produzentenpreis, geteilt: Zwischen Mischa Hofmann, Benjamin Herrmann und Jan Mojto, den Produzenten des Films John Rabe und Bernd Eichinger für Der Baader Meinhof Komplex. Es gehört zu den Merkwürdigkeiten des Bayerischen Filmpreises, dem nach dem Bundesfilmpreis höchstdotierten, aus Steuergeldern finanzierten Filmpreis der Republik, dass er sowohl an Filme verliehen werden kann, die ihren Kinostart längst hinter sich haben, wie Eichingers RAF-Drama, als auch an Werke, die noch kein Zuschauer zu Gesicht bekommen hat, wie John Rabe. Den haben wir noch nicht gesehen, aber da es sich um einen Film von Florian Gallenberger handelt, dem Ex-Student an der Münchner Filmhochschule und Ex-Oscarpreisträger für den Kurzfilm Quiro sur, sind unsere Erwartungen, um ganz ehrlich zu sein, nicht einschüchternd hoch geschraubt. Die Story ist großartig: John Rabe war ein Deutscher der 1937, nach der japanischen Eroberung der alten chinesischen Kaiserstadt Nanking, als es zu schlimmsten Massakern an der Zivilbevölkerung kam vielen Chinesen das Leben rettete – er ist bis heute in China einer der bekanntesten Deutschen. Auch das Ulrich Tukur die Titelrolle spielt, macht Hoffnung. Andererseits haben wir schon gehört, dass der Film überaus fragwürdig mit seinen Hintergründen umgeht: Rabe war nämlich auch NSDAP-Mitglied. Ein Grund dafür, dass der Film von der Berlinale abgelehnt wurde, soll es gewesen sein, dass hier der Film die politische Distanz zu seiner Hauptfigur, sagen wir mal: nicht klar genug gemacht hat.
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Es weiß übrigens auch keiner ganz offiziell, ob, wie und nach welchen Kriterien die Jury entscheidet. Wenn man die überhaupt so nennen will. Nun ist es das gute Recht der Staatskanzlei einfach par »ordre de mufti« »de Edi« oder jetzt »de Horsti« Filmpreise zu vergeben, das Geld stammt schließlich auch aus dem persönlichen Etat des Ministerpräsidenten – so hatte eins Franz-Josef Strauß den Bayerischen Filmpreis einfach mal aus dem Boden gestampft, was nicht schlecht war – aber das waren andere Zeiten. Auch auf die Gefahr, dass man von manchen Herren (es sind in diesem Fall wirklich Herren, werte Damen, wir sind in Bayern) wieder mal als Spaßbremse oder ewiger Nörgler hingestellt wird, möchten wir trotzdem daran erinnern, dass auch der Etat des Ministerpräsidenten keine der persönlichen Willkür überlassene Schatulle ist, sondern eine bestimmte Summe Steuergelder. Die derzeit amtierende Jury setzt sich folgendermaßen zusammen: Barbara Rudnik, Dr. Paula Ewert (Filmreferentin der Staatskanzlei), Wolfgang-Peter Hassenstein (Kameramann, letzter Kinofilm 1989, letzte TV-Arbeit 1998), Dr. Klaus Schaefer (Chef vom FilmFernsehFonds Bayern), Bettina Reitz (Bayerischer Rundfunk, Leiterin des Programmbereichs Spiel-Film-Serie und Fernsehfilmchefin), Thomas Engel, Steffen Kuchenreuther (SPIO-Leiter), Eberhard Hauff (Regisseur, letzter Kinofilm 1968, letzte TV-Arbeit 1982), Manfred Heid (Produzent, zuletzt beteiligt an The Black Dahlia), Wolfgang Limmer (Arbeiten als Produzent, Autor, gelegentlich Regisseur, vor allem für ARD/degeto), Peter Sehr (Regisseur, letzter Kinofilm 2001, Mitarbeit 2008). Lassen wir einmal den Altersschnitt dieser Jury, der bei rund 60 Jahren liegt, und die generelle Fernsehlastigkeit, die kaum vermeidbar ist, beiseite, ebenso die Tatsache, dass manche Mitglieder der Jury dort seit 20 Jahren oder länger amtieren, bleibt doch die Tatsache bemerkenswert, dass führende Vertreter der bayerischen Filmförderung und des bayerischen Rundfunks, sowie weitere Mitglieder der Fördergremien über Geld-Preise – unabhängig? – entscheiden, die den vom eigenen Haus geförderten, bzw. mitproduzierten, bzw. mitvertriebenen Produkten zugute kommen. Rechtlich gesehen ist das wahrscheinlich nicht zu beanstanden. Aber muss es sein? Geht es nicht anders?
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Man soll die Feste feiern wie sie fallen. Zumal wenn man nicht sicher sein kann, ob es morgen noch viel zu feiern gibt. Der Bayerische Filmpreis ist Mitte Januar immer die erste Gelegenheit für die deutsche Filmbranche, um einerseits Bilanz zu ziehen, andererseits voraus zu schauen. Das Ergebnis fällt diesmal denkbar gemischt aus: Einerseits waren in der zweiten Hälfte 2008 die Zuschauerzahlen in den deutschen und damit auch den bayrischen Kinos und der Marktanteil deutscher Filme so gut wie lange nicht. Das nutzt vielen, auch wenn die Ernte nur von wenigen Filmen eingefahren wurde – nur sieben deutsche Filme – von 198, andere zählen 176, die 2008 ins deutsche Kino kamen – lockten über eine Million Zuschauer. Til Schweigers Keinohrhasen bekam 6.2 Millionen, gefolgt von Die Welle (2.5 Mio) und Der Baader Meinhof Komplex (2.4 Mio). Doch zwei Drittel aller deutschen Filme kamen auf weniger als 50.000 Zuschauer pro Titel. Über die Qualität – muss das betont werden? – sagen Zuschauerzahlen nichts.
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Die Qualität des bayerischen Films ist nun eher durchwachsen. Mit Peter Schamoni ehrte man einen Autorenfilmer im Großvateralter – die Autorenfilmer der Enkelgeneration heißen nicht zufällig »Berliner Schule«. Ein Rosenmüller ändert daran nichts. Der ist erstens kein Autorenfilmer, und kann eben auch nicht mehr als drei Filme pro Jahr machen. Aus der Hauptstadt kommt heute die übergroße Mehrzahl der Filmkreativen der Gegenwart, das zeigen die übrigen deutschen Filmpreise wie der gerade bekanntgegebene Berlinale-Wettbewerb. Mit Maren Ade und Hans Christian Schmid sind dort zwei Ex-Münchner vertreten – aber es hat Gründe, warum beide nicht mehr in Bayern Filme machen. Aus München kommt noch allenfalls gut ausgebildeter Nachwuchs, und das Geld der bayerischen Förderer – aber auch da liegt die Summe, die der FFF Bayern zur Verfügung stellt, inzwischen klar unter dem des Medienboards Berlin-Brandenburg. Wie man jenseits von Eichingers Constantin eine solide, künstlerisch wie finanziell erfolgreiche Filmszene in Bayern schaffen könnte – auf diese Frage gibt es einstweilen keine Antwort.
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Ob wohl auch nach dem Abend der Preisverleihung bei bayerischen Filmemachern viele Champagnerkorken knallen? Die Aussichten sind mindestens unklar. Denn die Finanzkrise trifft auch das Kino. Wieder einmal scheinen die fetten Jahre vorbei. Aber in der Krise, auch das weiß man, entstehen manchmal die besten Filmideen, und dann gehen die Leute auch gern ins Kino – zumindest zur Ablenkung.
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Gehen wir nach Berlin: Nur ein, zwei Mal, ganz kurz fletschte Tom Cruise die Zähne zu seinem ganz speziellen, weltweit bekannten Tom-Cruise-Grinsen. Ansonsten saß der Superstar ganz artig in einer Reihe mit seinen nicht weniger als 14 Kollegen, die sich vergangene Woche zur Pressekonferenz zu Valkyrie, Hollywoods-Version des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944, ins luxuriöse Berliner »Hotel de Rome« eingefunden hatten – eine Rekordkulisse auch in der Star-erprobten Hauptstadt anlässlich der Europapremiere des Films am Abend.
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»Ich wollte Hitler töten« – diesen Satz, vor Monaten bereits Schlagzeile einer Boulevardzeitung, wiederholte Cruise auch gestern wieder. Und berichtete von Tagträumen als Kind, in denen er sich bereits vorgestellt hatte, gegen das Böse zu kämpfen. Wer sich noch an die letzten Auftritte von Cruise in Berlin erinnerte, sämtlich Desaster für die Marketing-Verantwortlichen in Cruises Umfeld, erlebte gestern einen diszipliniert-sympathischen, routiniert-freundlich Star, der kühl seinen Film, promotete, für jeden ein nettes Wort und ein Lächeln übrig hatte, und sich von keiner Frage aus der Ruhe bringen ließ – dabei fragte die bekannt bissige Hauptstadtpresse durchaus auch nach Unangenehmem: Ob er von der kritischen Debatte über das Stauffenberg-Projekt gehört habe? Hat er »natürlich – aber ich versuche immer das Beste zu geben. Und man sollte meine Filme nach dem Ergebnis beurteilen, nicht im Voraus.« Ob er nach mehreren Misserfolgen nicht einen Erfolg bitter nötig habe – künstlerisch als Schauspieler, ökonomisch als Produzent des Films? »Seit ich Filme mache, sagen die Leute: Mit seinem nächsten Film wird er aber auf die Nase fallen? Ich versuche immer das Beste zu geben.« Ob der Film seine Ansichten über die Deutschen geändert habe, schließlich sei er hierzulande nicht gerade beliebt? Er kenne, so Cruise, so viele nette Deutsche; ja der Dreh ich Berlin sei ganz phantastisch gewesen, die Menschen nett, die Stadt toll und der Dreh im historischen Bendlerblock der bewegendste Moment der Arbeit. Und natürlich: »Ich versuche immer das Beste zu geben.«
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Da war es dann irgendwann schon etwas spannender, Regisseur Bryan Singer und seinem Drehbuchautor Christopher McQuarrie zuzuhören. Auf die Frage, ob es denn einen Umstellung gewesen sei, nach Comic-Superhelden-Verfilmungen einen ernsthaften historischen Stoff anzugehen, antwortete Singer: »Sie werden sich wundern: Ich bin die Sache genau wie ›X-Men‹ angegangen.« Zum einen habe er da genau so seriös gearbeitet, und schließlich gehe es auch
in Superhelden-Filme um die richtige Mischung aus Action und Poesie. Aber auch Stauffenberg sei für ihn natürlich ein Held, eine Ausnahmeerscheinung. Zudem sei er, so Singer, als Jude und Schwuler im doppelten Sinn ein Außenseiter und dankbar für Verteidiger von Minderheitspositionen. »Mir imponieren Menschen, die ihrem Gewissen folgen, nicht zwanghaft der Mehrheitsmeinung folgen. Die Mut haben, zu sich selbst zu stehen.«
Schon aus wenigen Bemerkungen von Christopher
McQuarrie wurde deutlich, wie viel Wissen der Drehbuchautor angehäuft hatte: »Mir ging es um historische Genauigkeit. Das Projekt kann sich sehen lassen.«
Nicht weniger interessant waren die Aussagen der anderen Schauspieler: »Ich glaube nicht, dass ein Film dazu da ist, uns Menschen besser zu machen«, so Tom Wilkinson, der in der Rolle des eingeweihten, aber unbeteiligten General Friedrich Fromm den beeindruckendsten Auftritt des Films hat, einen Menschen, an dessen Gesicht
man ablesen kann, wie er fortwährend seine Chancen kalkuliert. »Kunst lehrt uns nicht. Aber sie begleitet unser Leben, sie schärft unsere Sinne, sie ist das, was uns von Tieren unterscheidet.«
Bewegend schließlich die Aussagen von Stauffenberg-Enkel Philipp von Schulthess, der Schauspieler ist, und im Film einen Fahrer spielt: »Es war merkwürdig, plötzlich meinem Großvater gegenüberzustehen. Ich finde der Film ist gelungen, ohne Peinlichkeiten. Das freut mich. Ob der Film
etwas für das Ansehen der Deutschen tut, wie jetzt manche behaupten, das ist mir offen gesagt egal. Das ist so eine im schlechten Sinn typisch deutsche Frage. Denn darum geht es doch gar nicht. Deutschland ist längst ein normales Mitglied der internationalen Gesellschaft – nicht über und nicht unter anderen Staaten. Da brauchen wir keinen einen solchen Film, um das zu erreichen.«
Rüdiger Suchsland
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.