29.01.2009
Cinema Moralia – Folge 17

Die Großväter und das Geld

ZEITEN DES AUFRUHRS
Zu gut für die Academy: Zeiten des Aufruhrs
(Foto: Paramount Pictures)

Gemischte Gefühle: Die bayerischen Filmpreise, Oberst Stauffenberg und ein kleiner vorläufiger Ausblick auf das kommende Filmjahr, Folge 17

Von Rüdiger Suchsland

Berlin – München. Mal wieder die zwei Pole des deutschen Kinos. Während kommende Woche das Groß­ereignis Berlinale auch die über­zeug­testen Münchner an die Spree bringt, und sei es nur zum Empfang der baye­ri­schen Film­för­derer vom FFF, können wir diese Woche ganz ausge­wogen aus beiden Städten berichten. Naja fast ausge­wogen…

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Geschichte ist Trumpf. Das gilt für Stauf­fen­berg, für die baye­ri­schen Film­preise, das gilt sogar für irgendwie für Pocher, der dann als Stauf­fen­berg im Fernsehen auftrat, und bewies, wie leicht es immer noch ist, in Deutsch­land jemanden zu provo­zieren. Man müsste sich einmal erkun­digen, ob man das schöne deutsche Wort »Fern­sehrat« eigent­lich in eine Fremd­sprache über­setzen kann. Von der Sache mal ganz abgesehen. Das Wort Film­för­de­rung ist jeden­falls schon ins Englische schwer zu über­setzen. Früher sagte man »Stupid German Money«, das ist auch heute nicht völlig falsch, aber doch etwas zu ungenau.
Aber bleiben wir mal bei der Geschichte, »History«, nicht »Story«. Ist es nur eine Laune der Natur, völliger Zufall, dass bei den gerade bekannt gegebenen Oscar-Nomi­nie­rungen vier der fünf »best picture«-Kandi­daten Kostüm­filme waren. Nach Jahren der relativen Arthouse-Erfolge kommen die Studios zurück, aber mit dem deutschen Weg: Geschichte ins Melo verwan­deln, sozusagen Team-Worxx auf höherem Niveau und für die Leinwände.

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Wirklich unver­s­tänd­lich, oder nur vers­tänd­lich, wenn man von Hollywood sowieso immer nur das Schlimmste erwartet, sind an den Nomi­nie­rungen aber zwei andere Dinge: Die fast völlige Ignoranz für Revo­lu­tio­nary Road (dt. Zeiten des Aufruhrs), einen der besten, aber leider (in dem Fall) auch subtilsten Filme des Kino­jahres. Und die 13 Oscar­no­mi­nie­rungen für T The Curious Case of Benjamin Button. Nicht, dass solche Zahlen je etwas über Qualität ausgesagt hätten. Aber man muss nach Ansicht des Films dann schon sagen, dass die Akade­mie­mit­glieder von allen, aber auch wirklich allen guten Geistern verlassen sind. Oder man begnügt sich zur Beant­wor­tung mit dem Hinweis auf teures, technisch aufge­motztes und insofern hoch­gradig perfektes Industrie-Kino-Holly­woods. Und darauf, dass die Mitglieder der »acedemy« bekannt­lich einen sehr hohen Alters­durch­schnitt haben. Viel­leicht lässt man sich, dem Tode nahe, leichter von einem solchen Alten­drama rühren. Das ist der Film nämlich auch.

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Nächste Woche dazu noch mehr, aber eines müssen wir gleich loswerden: Dass uns persön­lich spätes­tens mit diesem Film diese äthe­ri­schen, betont »starken«, betont »gut spie­lenden« Frauen mit weißer Haut und roten Haaren der Meryl-Streep-Liga auf die Nerven gehen, Cate Blanchett und Tilda Swinton also, auch wenn die hier unter finger­di­ckem Make-Up begraben sind, und Blanchett zudem über weiteste Strecken des Films ein glatt­ge­schmir­gelt glän­zendes Gesicht aus digitalem Elfenbein besitzt, dem man seine Herkunft am Computer in jedem Augen­blick ansieht, und das eher die Grenzen als die Möglich­keiten des Digitalen illus­triert.
Es geht aber um einen Schau­spie­le­rin­nen­typus: Nie zu schön, schon gar nicht zu sexy, aber »wie gemalt«, immer ein wenig zu stur, zu verstockt, oft genug unglaub­lich manie­riert und nerv­tö­tend spielend – Signal­dar­stel­le­rinnen, mit denen der Film allein schon durch ihre Besetzung um Oscar­würden bettelt.

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Zurück nach Deutsch­land: Zweimal Histo­ri­en­kino, und doch zwei denkbar unter­schied­liche Projekte – das waren die großen Gewinner beim Baye­ri­schen Filmpreis der kürzlich zum 30. Mal verliehen wurde. Denn in diesem Jahr, wurde der wich­tigste der Preise, der mit 200.000 Euro dotierte Produ­zen­ten­preis, geteilt: Zwischen Mischa Hofmann, Benjamin Herrmann und Jan Mojto, den Produ­zenten des Films John Rabe und Bernd Eichinger für Der Baader Meinhof Komplex. Es gehört zu den Merk­wür­dig­keiten des Baye­ri­schen Film­preises, dem nach dem Bundes­film­preis höchst­do­tierten, aus Steu­er­gel­dern finan­zierten Filmpreis der Republik, dass er sowohl an Filme verliehen werden kann, die ihren Kinostart längst hinter sich haben, wie Eichin­gers RAF-Drama, als auch an Werke, die noch kein Zuschauer zu Gesicht bekommen hat, wie John Rabe. Den haben wir noch nicht gesehen, aber da es sich um einen Film von Florian Gallen­berger handelt, dem Ex-Student an der Münchner Film­hoch­schule und Ex-Oscar­preis­träger für den Kurzfilm Quiro sur, sind unsere Erwar­tungen, um ganz ehrlich zu sein, nicht einschüch­ternd hoch geschraubt. Die Story ist großartig: John Rabe war ein Deutscher der 1937, nach der japa­ni­schen Eroberung der alten chine­si­schen Kaiser­stadt Nanking, als es zu schlimmsten Massakern an der Zivil­be­völ­ke­rung kam vielen Chinesen das Leben rettete – er ist bis heute in China einer der bekann­testen Deutschen. Auch das Ulrich Tukur die Titel­rolle spielt, macht Hoffnung. Ande­rer­seits haben wir schon gehört, dass der Film überaus frag­würdig mit seinen Hinter­gründen umgeht: Rabe war nämlich auch NSDAP-Mitglied. Ein Grund dafür, dass der Film von der Berlinale abgelehnt wurde, soll es gewesen sein, dass hier der Film die poli­ti­sche Distanz zu seiner Haupt­figur, sagen wir mal: nicht klar genug gemacht hat.

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Es weiß übrigens auch keiner ganz offiziell, ob, wie und nach welchen Kriterien die Jury entscheidet. Wenn man die überhaupt so nennen will. Nun ist es das gute Recht der Staats­kanzlei einfach par »ordre de mufti« »de Edi« oder jetzt »de Horsti« Film­preise zu vergeben, das Geld stammt schließ­lich auch aus dem persön­li­chen Etat des Minis­ter­prä­si­denten – so hatte eins Franz-Josef Strauß den Baye­ri­schen Filmpreis einfach mal aus dem Boden gestampft, was nicht schlecht war – aber das waren andere Zeiten. Auch auf die Gefahr, dass man von manchen Herren (es sind in diesem Fall wirklich Herren, werte Damen, wir sind in Bayern) wieder mal als Spaß­bremse oder ewiger Nörgler hinge­stellt wird, möchten wir trotzdem daran erinnern, dass auch der Etat des Minis­ter­prä­si­denten keine der persön­li­chen Willkür über­las­sene Schatulle ist, sondern eine bestimmte Summe Steu­er­gelder. Die derzeit amtie­rende Jury setzt sich folgen­der­maßen zusammen: Barbara Rudnik, Dr. Paula Ewert (Film­re­fe­rentin der Staats­kanzlei), Wolfgang-Peter Hassen­stein (Kame­ra­mann, letzter Kinofilm 1989, letzte TV-Arbeit 1998), Dr. Klaus Schaefer (Chef vom FilmFern­sehFonds Bayern), Bettina Reitz (Baye­ri­scher Rundfunk, Leiterin des Programm­be­reichs Spiel-Film-Serie und Fern­seh­film­chefin), Thomas Engel, Steffen Kuchen­reu­ther (SPIO-Leiter), Eberhard Hauff (Regisseur, letzter Kinofilm 1968, letzte TV-Arbeit 1982), Manfred Heid (Produzent, zuletzt beteiligt an The Black Dahlia), Wolfgang Limmer (Arbeiten als Produzent, Autor, gele­gent­lich Regisseur, vor allem für ARD/degeto), Peter Sehr (Regisseur, letzter Kinofilm 2001, Mitarbeit 2008). Lassen wir einmal den Alters­schnitt dieser Jury, der bei rund 60 Jahren liegt, und die generelle Fern­sehl­as­tig­keit, die kaum vermeidbar ist, beiseite, ebenso die Tatsache, dass manche Mitglieder der Jury dort seit 20 Jahren oder länger amtieren, bleibt doch die Tatsache bemer­kens­wert, dass führende Vertreter der baye­ri­schen Film­för­de­rung und des baye­ri­schen Rundfunks, sowie weitere Mitglieder der Förder­gre­mien über Geld-Preise – unab­hängig? – entscheiden, die den vom eigenen Haus geför­derten, bzw. mitpro­du­zierten, bzw. mitver­trie­benen Produkten zugute kommen. Rechtlich gesehen ist das wahr­schein­lich nicht zu bean­standen. Aber muss es sein? Geht es nicht anders?

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Man soll die Feste feiern wie sie fallen. Zumal wenn man nicht sicher sein kann, ob es morgen noch viel zu feiern gibt. Der Baye­ri­sche Filmpreis ist Mitte Januar immer die erste Gele­gen­heit für die deutsche Film­branche, um einer­seits Bilanz zu ziehen, ande­rer­seits voraus zu schauen. Das Ergebnis fällt diesmal denkbar gemischt aus: Einer­seits waren in der zweiten Hälfte 2008 die Zuschau­er­zahlen in den deutschen und damit auch den bayri­schen Kinos und der Markt­an­teil deutscher Filme so gut wie lange nicht. Das nutzt vielen, auch wenn die Ernte nur von wenigen Filmen einge­fahren wurde – nur sieben deutsche Filme – von 198, andere zählen 176, die 2008 ins deutsche Kino kamen – lockten über eine Million Zuschauer. Til Schwei­gers Kein­ohr­hasen bekam 6.2 Millionen, gefolgt von Die Welle (2.5 Mio) und Der Baader Meinhof Komplex (2.4 Mio). Doch zwei Drittel aller deutschen Filme kamen auf weniger als 50.000 Zuschauer pro Titel. Über die Qualität – muss das betont werden? – sagen Zuschau­er­zahlen nichts.

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Die Qualität des baye­ri­schen Films ist nun eher durch­wachsen. Mit Peter Schamoni ehrte man einen Autoren­filmer im Groß­va­te­r­alter – die Autoren­filmer der Enkel­ge­nera­tion heißen nicht zufällig »Berliner Schule«. Ein Rosen­müller ändert daran nichts. Der ist erstens kein Autoren­filmer, und kann eben auch nicht mehr als drei Filme pro Jahr machen. Aus der Haupt­stadt kommt heute die übergroße Mehrzahl der Film­krea­tiven der Gegenwart, das zeigen die übrigen deutschen Film­preise wie der gerade bekannt­ge­ge­bene Berlinale-Wett­be­werb. Mit Maren Ade und Hans Christian Schmid sind dort zwei Ex-Münchner vertreten – aber es hat Gründe, warum beide nicht mehr in Bayern Filme machen. Aus München kommt noch allen­falls gut ausge­bil­deter Nachwuchs, und das Geld der baye­ri­schen Förderer – aber auch da liegt die Summe, die der FFF Bayern zur Verfügung stellt, inzwi­schen klar unter dem des Medi­en­boards Berlin-Bran­den­burg. Wie man jenseits von Eichin­gers Constantin eine solide, künst­le­risch wie finan­ziell erfolg­reiche Filmszene in Bayern schaffen könnte – auf diese Frage gibt es einst­weilen keine Antwort.

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Ob wohl auch nach dem Abend der Preis­ver­lei­hung bei baye­ri­schen Filme­ma­chern viele Cham­pa­gner­korken knallen? Die Aussichten sind mindes­tens unklar. Denn die Finanz­krise trifft auch das Kino. Wieder einmal scheinen die fetten Jahre vorbei. Aber in der Krise, auch das weiß man, entstehen manchmal die besten Filmideen, und dann gehen die Leute auch gern ins Kino – zumindest zur Ablenkung.

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Gehen wir nach Berlin: Nur ein, zwei Mal, ganz kurz fletschte Tom Cruise die Zähne zu seinem ganz spezi­ellen, weltweit bekannten Tom-Cruise-Grinsen. Ansonsten saß der Superstar ganz artig in einer Reihe mit seinen nicht weniger als 14 Kollegen, die sich vergan­gene Woche zur Pres­se­kon­fe­renz zu Valkyrie, Holly­woods-Version des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944, ins luxuriöse Berliner »Hotel de Rome« einge­funden hatten – eine Rekord­ku­lisse auch in der Star-erprobten Haupt­stadt anläss­lich der Euro­pa­pre­miere des Films am Abend.

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»Ich wollte Hitler töten« – diesen Satz, vor Monaten bereits Schlag­zeile einer Boule­vard­zei­tung, wieder­holte Cruise auch gestern wieder. Und berich­tete von Tagträumen als Kind, in denen er sich bereits vorge­stellt hatte, gegen das Böse zu kämpfen. Wer sich noch an die letzten Auftritte von Cruise in Berlin erinnerte, sämtlich Desaster für die Marketing-Verant­wort­li­chen in Cruises Umfeld, erlebte gestern einen diszi­pli­niert-sympa­thi­schen, routi­niert-freund­lich Star, der kühl seinen Film, promotete, für jeden ein nettes Wort und ein Lächeln übrig hatte, und sich von keiner Frage aus der Ruhe bringen ließ – dabei fragte die bekannt bissige Haupt­stadt­presse durchaus auch nach Unan­ge­nehmem: Ob er von der kriti­schen Debatte über das Stauf­fen­berg-Projekt gehört habe? Hat er »natürlich – aber ich versuche immer das Beste zu geben. Und man sollte meine Filme nach dem Ergebnis beur­teilen, nicht im Voraus.« Ob er nach mehreren Miss­erfolgen nicht einen Erfolg bitter nötig habe – künst­le­risch als Schau­spieler, ökono­misch als Produzent des Films? »Seit ich Filme mache, sagen die Leute: Mit seinem nächsten Film wird er aber auf die Nase fallen? Ich versuche immer das Beste zu geben.« Ob der Film seine Ansichten über die Deutschen geändert habe, schließ­lich sei er hier­zu­lande nicht gerade beliebt? Er kenne, so Cruise, so viele nette Deutsche; ja der Dreh ich Berlin sei ganz phan­tas­tisch gewesen, die Menschen nett, die Stadt toll und der Dreh im histo­ri­schen Bend­ler­block der bewe­gendste Moment der Arbeit. Und natürlich: »Ich versuche immer das Beste zu geben.«

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Da war es dann irgend­wann schon etwas span­nender, Regisseur Bryan Singer und seinem Dreh­buch­autor Chris­to­pher McQuarrie zuzuhören. Auf die Frage, ob es denn einen Umstel­lung gewesen sei, nach Comic-Super­helden-Verfil­mungen einen ernst­haften histo­ri­schen Stoff anzugehen, antwor­tete Singer: »Sie werden sich wundern: Ich bin die Sache genau wie ›X-Men‹ ange­gangen.« Zum einen habe er da genau so seriös gear­beitet, und schließ­lich gehe es auch in Super­helden-Filme um die richtige Mischung aus Action und Poesie. Aber auch Stauf­fen­berg sei für ihn natürlich ein Held, eine Ausnah­me­erschei­nung. Zudem sei er, so Singer, als Jude und Schwuler im doppelten Sinn ein Außen­seiter und dankbar für Vertei­diger von Minder­heits­po­si­tionen. »Mir impo­nieren Menschen, die ihrem Gewissen folgen, nicht zwanghaft der Mehr­heits­mei­nung folgen. Die Mut haben, zu sich selbst zu stehen.«
Schon aus wenigen Bemer­kungen von Chris­to­pher McQuarrie wurde deutlich, wie viel Wissen der Dreh­buch­autor angehäuft hatte: »Mir ging es um histo­ri­sche Genau­ig­keit. Das Projekt kann sich sehen lassen.«
Nicht weniger inter­es­sant waren die Aussagen der anderen Schau­spieler: »Ich glaube nicht, dass ein Film dazu da ist, uns Menschen besser zu machen«, so Tom Wilkinson, der in der Rolle des einge­weihten, aber unbe­tei­ligten General Friedrich Fromm den beein­dru­ckendsten Auftritt des Films hat, einen Menschen, an dessen Gesicht man ablesen kann, wie er fort­wäh­rend seine Chancen kalku­liert. »Kunst lehrt uns nicht. Aber sie begleitet unser Leben, sie schärft unsere Sinne, sie ist das, was uns von Tieren unter­scheidet.«
Bewegend schließ­lich die Aussagen von Stauf­fen­berg-Enkel Philipp von Schul­t­hess, der Schau­spieler ist, und im Film einen Fahrer spielt: »Es war merk­würdig, plötzlich meinem Großvater gegen­ü­ber­zu­stehen. Ich finde der Film ist gelungen, ohne Pein­lich­keiten. Das freut mich. Ob der Film etwas für das Ansehen der Deutschen tut, wie jetzt manche behaupten, das ist mir offen gesagt egal. Das ist so eine im schlechten Sinn typisch deutsche Frage. Denn darum geht es doch gar nicht. Deutsch­land ist längst ein normales Mitglied der inter­na­tio­nalen Gesell­schaft – nicht über und nicht unter anderen Staaten. Da brauchen wir keinen einen solchen Film, um das zu erreichen.«

Rüdiger Suchsland

(To be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.