Cinema Moralia – Folge 23
Jauchzet, frohlocket... |
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„Visionär“ oder doch nur ein Hype? | ||
(Foto: Twentieth Century Fox of Germany) |
Filmkritiker mag James Cameron sowieso nicht. Wir erinnern uns noch, wie er den einen bekannten US-Kritiker, der Titanic seinerzeit verrissen hatte, Kenneth Turan von der LA Times öffentlich verfolgte, beschimpfte und sogar seine Entlassung forderte. Jetzt hat dieser Regisseur mit dem gesund entwickelten Ego in einem lesenswerten Interview im US-Playboy (den wir ja immer nur wegen der Interviews lesen) unter anderem folgende schöne Sätze gesagt:
»Avatar is made very consciously for movie fans, if critics like it, fine. I can’t say I won’t read the reviews, because I may not be able to resist. I spent a couple of decades in the capricious world of being judged by those not knowledgeable about the depth and history of film and with whom I would not want to have a conversation – with a few notable exceptions. Why would I want to be judged by them? For me, this past decade has been about retreating to the great fundamentals, things that aren’t passing fads or subject to the whims of some idiot critic. You can’t write a review of the laws of thermodynamics.«
Ah so, aha. Leicht zu verstehen: Wer Avatar kritisiert, der kritisiert die Naturgesetze. Gegen die Erdumdrehung kann man nicht argumentieren, also auch nicht gegen die Meisterschaft von Cameron.
Umso interessanter ist die Beobachtung der nun erschienenen Filmkritiken zu Avatar. Sagen wir mal so: Man wundert sich dann doch, mit welch einhelliger Begeisterung Camerons Film von der Filmkritik aufgenommen wird. Und wie wenig Diskussion der Marketingmaschine und Produktionsbedingungen, der Umstände des Films oder auch nur der 3-D-Rezeption stattfindet. Natürlich gibt es Ausnahmen, erwartete und auffällige, und natürlich Sonderfälle. Ein Überblick, der für sich selber spricht.
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Die Ersten: Der frühe Vogel fällt im Sturm. Vor allem die, die ganz früh dran sein wollen, geben erst einmal die jubelnde Orchestrierung des Marketinggebrülls: Ausgerechnet die ZEIT fängt an. Katja Nicodemus findet die schöne Formulierung »Genesis auf LSD« schon eine Woche vor Filmstart (und einen Tag vor Ende der offiziellen Sperrfrist, die der Verleih für Berichterstatter verhängt hatte). Dann geht’s weiter: Zunächst Arbeit am von James Cameron selbst sorgfältig
gestrickten Mythos vom »megalomanischen Autorenfilmer«, dann Verniedlichung zum netten Kumpel von Nebenan: »Mischung aus Hollywood-Haudegen und technikbegeistertem Spielkind, kreativem Dickkopf und Traumfabrik-Pionier«. Um dann zu erklären: »Ein wirklich visionärer Film«. Potzblitz! Aber warum? Eigentlich ist die im Text dann völlig selbstreferentiell. Sie lautet: Weil Cameron so ein toller Autorenfilmer ist. »In Avatar ist die Computertechnik einmal nicht das uninspirierte Mittel zur Fortschreibung herkömmlicher Kinophantasien. Sie ist das Medium, das die Phantasie erst zum Abheben bringt, kurz: ein Zauberkasten für James Cameron«;. Und weil der ein Visionär ist, ist der Film visionär. Oder so. Das Wort »visionär« kommt dann übrigens im Text noch zweimal vor.
Der Stern mag den Film, bleibt Cameron gegenüber aber weitaus distanzierter,
wagt dezente Kalauer: »Der Mann fürs Große«. Oder zitiert in indirekter Majestätsbeleidigung den Schauspieler Bill Paxton: »Wenn Jim Sätze hört wie ›Das geht nicht‹ oder ›So was kann man nicht machen‹, bekommt er eine Erektion.«
»Ein Meilenstein« sei der Film, meldet die Welt einen Tag später. »Das lange Warten hat sich gelohnt. ... Cameron gelingt die Verschmelzung von digitaler Technik und menschlicher Emotion.« Das könnte so auch im
Presseheft stehen.
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Hauptstrom: Aspekte jubelt, Cameron sei »der perfekte Hollywood-Film gelungen« und feiert »den Kinohit des Jahres.« Größtenteils am Computer entstanden, wirkt der Film dennoch so authentisch, dass selbst hartgesottene Filmkritiker angerührt staunen. Wirklich? Na dann.
Die Frankfurter Rundschau dagegen lässt uns verwirrt zurück: Zuerst schreibt der Kritiker als Euphoriker: »Camerons ökologischer Science-Fiction-Film über die Zwangskolonialisierung des
Planeten Pandora ist ein Trip, eine Einladung zum Ausbruch aus den Fesseln von Körper und Geist.« Und weiter: »Dieser Film ist, was es schon lange nicht mehr im Kino gegeben hat: Ein richtiges Weihnachtsgeschenk. Eine Phantasieorgie in 3D, ein schweres coffee-table-book von einem Film, der nicht aufhört, seine Einfälle über uns auszuschütten, für manchen vielleicht bis zum bescheidenen Abwinken.« Aber, aber, Herr Cameron, das wäre doch wirklich nicht nötig gewesen. Am Ende heißt es,
Camerons »Fabel steht mit einem Bein im 19., mit dem zweiten im 21. Jahrhundert.« Aber Moment mal: War nicht das Jahrhundert dazwischen, das 20., das Jahrhundert des Kinos?
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Ausnahmen: Zu ihnen gehört natürlich mal wieder der verlässliche Georg Seeßlen, der in der taz einen der interessantesten Texte geschrieben hat: Auch er kommt schon in der Überschrift zum Drogenvergleich – »Drogentrip mit Pixelromantik« – zu dem dieser Film offenbar verführt. Dann, gleich im ersten Absatz, eine interessante These, die distanzieter gemeint ist, als sie klingt: »Avatar ist eine vielleicht noch kühnere Mischung: Fantasy und Western, Science Fiction und Kriegsfilm, moralisches Statement und visueller Trip (eine Parallelschöpfung auf Magic Mushrooms), History Lesson und Kinderkram, technisch-ästhetisches Wunderwerk und das teuerste B-Movie aller Zeiten. Wenn man Avatar gesehen hat, hat man alles gesehen, was das populäre Kino derzeit können will und wollen kann.« Und weiter: »All in One, wie gesagt. In Avatar ist immer was los, und wenn gerade nichts los ist, gibt es was zu staunen. Wenn weder was los ist noch etwas zu staunen geboten wird, dann wird der Film nachdenklich und erlaubt sich mythische Tiefen und heftige Kritik«. Man lernt noch einiges bei Seeßlen, aber die ganz klare These findet man in diesem filmkritischen Selbstbedienungsladen nicht. Ich glaube zu spüren, dass er den Film nicht mag, aber mir scheint, er erstarrt ein wenig zu sehr im Respekt vor dem Feind.
Nur zwei echte klare Verrisse des Films gibt es. Der eine im »epd« von Jan Distelmeyer ist gewohnt niveauvoll und gewohnt akademisch gestelzt: Ein bisschen zu sehr Möchtegern-Seeßlen, wenn das hier erlaubt ist, in Sätzen wie diesem: »Zwölf Jahre nach Titanic kehrt James Cameron zurück, um ... die ziemlich abgedrehte Variante eines durchökonomisierten Weltkinos zu präsentieren«
Sein
Fazit aber ist deutlich: »Jesus hat unter dem Baum der Erkenntnis Sex mit Pocahontas und konvertiert zum Buddhismus, bevor er das Jenseits zum Diesseits erklärt und als Drachenreiter für das totale Gleichgewicht auf einem Mond sorgt, der eigentlich ein großer Datenspeicher ist. Sie finden das gaga? Das kommt dabei heraus, wenn ein Blockbuster von James Cameron das Gleichgewicht sucht und zum Glück nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner will.«
Auch hier eine interessante These,
in der zugleich der Text sich selbst erklärt, der quer zu allen anderen Texten operiert: »Es macht keinen Sinn, hier den Versuch zu unternehmen, den vielen Anspielungen dieses Films zu folgen, oder die Abenteuer Jakes auf seinem Weg aufzuzählen, Teil der Na'vi zu werden. Von den Kontroversen mit seinen Konzern-Dienstherren, die ihn immer wieder ins humane Jammertal zurückholen, ganz zu schweigen. Was diesen Film ausmacht, ist auch gar nicht die eine oder andere Sensation, sondern deren
systemische Ordnung.«
Der bemerkenswerteste, weil deutlichste Verriß steht aber in einer guten Regionalzeitung, im Darmstädter Echo: Als einer der wenigen schreibt Stefan Benz detailliert über die 3-D-Erfahrung: »Der erhoffte Türöffner für die 3-D-Technik aber ist dieser Film wohl nicht. Die dreidimensionalen Effekte verlieren sich und sind auch oft nicht überzeugend. Mal schiebt sich eine Pfeilspitze vor die Nase des Betrachters, mal wackelt da ein Palmwedel, und immer wieder hüpfen
Glühwürmchen vor den Augen, als wäre man zu schnell aufgestanden. Impressionistisch bunt, wie es in diesem Dschungel zugeht, löst sich die Tiefenillusion oft in Tupfern auf. Und dort, wo die Bilder Tiefenschärfe besitzen, stehen die verschiedenen Bildebenen flächig hintereinander wie im Papiertheater. Unschärfen im Vordergrund wirken dann besonders störend. Doch oft ist es einfach so, dass man verwundert die Polarisationsfilterbrille anhebt, um zu prüfen, ob noch immer
das stereoskopische Doppelbild auf der Leinwand erscheint oder der Film jetzt in 2D läuft. Der größte Eindruck, den die 3D-Brille nach 160 Minuten hinterlässt, ist eine Druckstelle auf der Nasenwurzel.«
Und zuvor bringt er den Film auf den Punkt: »James Cameron führt eine Expedition ins bunt schillernde Reich der Zitate, wo sich Öko-Spiritualität und Disney-Zauber mit jubelnden New-Age-Chören in psychedelischer Leuchtkraft mischen. Alles Leben ist dort in einem
Ökonervensystem miteinander vernetzt, was den griechischen Namen Pandora, die Allbeschenkte, erklärt: Du bist die Schöpfung, wir sind die Welt – das ist ein Paradies für Pantheisten und die Hölle der Esoterik. … Als Antwort auf Fantasy-Rollenspiele aus der Internetwelt Second Life ist das fast schon überholt, als Reflex auf das barocke Spiel vom Leben als Traum, ist es zeitlos.«
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Sonderfälle: Die FAZ. Dort will der Autor zum Film offenbar nicht noch einmal das sagen, was schon geschrieben wurde, und schreibt lieber über Erwartungen und 3-D-Zukunft: »Und auch wenn sich der Satz auf tausenderlei Arten widerlegen ließe, möchte man ihm zustimmen: Ja, Avatar könnte der Citizen Kane des 3D-Kinos sein. ... Es geht, wenn man schon über die Zukunft des Kinos spekuliert, auch gar nicht darum, den Film in gewohnter Weise zu reflektieren, sondern allein darum, dass man sich zum ersten Mal vorstellen kann, wie ein Sechzehnjähriger aus dem Kino kommt und das Erlebnis in 3D fortan für den Maßstab dessen hält, was Film kann. So wie Menschen eben irgendwann im Kino nicht mehr ohne Ton und ohne Farbe auskommen wollten. Und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das technisch Machbare so finanzierbar wird, dass 3D auch jenen Filmemachern offensteht, die mit ihrer Kamera nur auf die Straße hinausgehen und das Leben einfangen wollen. Vielleicht aber werden wir, ehe es so weit kommt, schon wie die Menschen in Avatar über unsere neuronalen Systeme an Avatare angeschlossen und wie der gelähmte Soldat auf ganz anderen Wegen durch die Filme unterwegs sein. Ob wir dann noch von Filmen sprechen oder überhaupt noch Kinos brauchen werden, ist eine andere Frage.«
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.