60. Berlinale 2010
Komödie der Macht mit Geist |
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Ewan McGregor als Polanskis The Ghost Writer | ||
(Foto: Kinowelt Film Entertainment GmbH (Leipzig)) |
»Ein ungemein intensiver Filmemacher« lobte Pierce Brosnan; »Einer der absolut die Kontrolle behalten will« beschrieb Ewan McGregor; »Er arbeitet ganz anders als alle übrigen Regisseure« fasst Olivia Williams ihre Erfahrung in Worte. Die Rede bei der Berlinale-Pressekonferenz war von Roman Polanski. Der vielfach preisgekrönte französisch-polnische Meisterregisseur sitzt bekanntlich gerade in der Schweiz unter Hausarrest, während über sein Auslieferungsverfahren entschieden wird. Aber gestern war er auch bei der Berlinale anwesend, und schwebte, während sein Film im Wettbewerb Premiere hatte, quasi als Geist über allem.
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Von einem Geist im mehrfachen Sinn handelt auch Polanskis neuester Film: The Ghost Writer heisst er, und geht auf Ghost von Robert Harris zurück, der auch am Drehbuch mitschrieb. Das erst zwei Jahre alte Buch handelt von Politik, Verschwörung und moralischer Korruption in den westlichen Demokratien und ist auch ein kaum verklausuliertes, sehr unschmeichelhaftes Portrait von Tony Blair: Ein britischen Ex-Premier mit populistischen Fähigkeiten will seine Memoiren schreiben, hilft sich dazu mit einem Ghostwriter. Während die Arbeit vorangeht, wird er mit seiner Vergangenheit und Anklagen wegen des Irakkriegs konfrontiert.
Pierce Brosnan spielt diesen Premier als König ohne Land, als von der Macht und anschließender Machtlosigkeit verdorbene Charaktermaske, der sein Herrschaftsgebaren nicht ablegen kann – eine Spur zu gut aussehend wirkt er tatsächlich wie ein gealteter Strahlemann Blair. Olivia Williams als seine Frau ist die intelligentere, der Kopf hinter der Macht. Man weiß nie, ob sie nun auch der sensiblere Charakter ist, oder die wahre Lady Macbeth, die in diesem Stück ihren Mann wie eine Marionette lenkt – die Macht verdirbt vor allem den, der sie nicht (mehr) hat: »Ich fühle mich wie die Frau von Napoleon – auf Sankt Helena« sagt sie einmal. Schließlich McGregor als angeheuerter Memoirenautor, der an seiner Arbeit zweifelt, und einer Verschwörung auf die Schliche kommt – drei Figuren in einer Geschichte, die noch im Ende ambivalent ist: Der Täter scheint zwar klar, doch könnte alles auch ganz anders sein.
Mit dem Film ist Polanski ein wunderbar eleganter Thriller aus der Politik der Gegenwart geglückt: The Ghost Writer ist spannend, bis zum Schluss überraschend, und seiner Inszenierung im besten Sinne altmodisch, den großen Vorbildern des Genres verpflichtet, also außer Hitchcock Filmen wie Rosis Hände über der Stadt, Verneuils I wie Ikarus oder Die drei Tage des Condor von Pollack.
Besonders gelungen sind die Innenansichten aus dem Alltag der Macht: The Ghost Writer ist eine Art Gesellschaftsroman, der die Innenausstattung der Macht mit Designermöbeln, festungsgleichen Nobelhäusern am Meer, täglichem Sportprogramm
und zunehmender Amoral zeigt, der beschreibt, wie man in den politischen Chefetagen lebt, und sich einrichtet.
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»Das ist ja eine Geschichte wie von Chandler« habe Polanski ihm gesagt, als er den Roman erstmal las, erinnerte sich Robert Harris. Nicht ganz böse und verworfen wie Chinatown ist The Ghost Writer, dafür in manchen Passagen fast eine Komödie der Macht. Harris selbst, ein desillusionierter Blairist, der einst selbst für den Labour-Premier arbeitete, sieht, wie er in Berlin sagte, seinen Stoff bei aller Thriller-Qualität als moralische Fabel über den Irakkrieg von Bush und Blair: »Das Urteil der Geschichte kommt nicht erst in 100 Jahren. Das Urteil der Geschichte kommt jetzt und hier.«