12.02.2010
60. Berlinale 2010

Komödie der Macht mit Geist

Ghost­writer
Ewan McGregor als Polanskis The Ghost Writer
(Foto: Kinowelt Film Entertainment GmbH (Leipzig))

Nicht nur Polanskis Geist ist anwesend:
Der Politthriller Der Ghostwriter im Berlinale-Wettbewerb

Von Rüdiger Suchsland

»Ein ungemein inten­siver Filme­ma­cher« lobte Pierce Brosnan; »Einer der absolut die Kontrolle behalten will« beschrieb Ewan McGregor; »Er arbeitet ganz anders als alle übrigen Regis­seure« fasst Olivia Williams ihre Erfahrung in Worte. Die Rede bei der Berlinale-Pres­se­kon­fe­renz war von Roman Polanski. Der vielfach preis­ge­krönte fran­zö­sisch-polnische Meis­ter­re­gis­seur sitzt bekannt­lich gerade in der Schweiz unter Haus­ar­rest, während über sein Auslie­fe­rungs­ver­fahren entschieden wird. Aber gestern war er auch bei der Berlinale anwesend, und schwebte, während sein Film im Wett­be­werb Premiere hatte, quasi als Geist über allem.

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Von einem Geist im mehr­fa­chen Sinn handelt auch Polanskis neuester Film: The Ghost Writer heisst er, und geht auf Ghost von Robert Harris zurück, der auch am Drehbuch mitschrieb. Das erst zwei Jahre alte Buch handelt von Politik, Verschwörung und mora­li­scher Korrup­tion in den west­li­chen Demo­kra­tien und ist auch ein kaum verklau­su­liertes, sehr unschmei­chel­haftes Portrait von Tony Blair: Ein briti­schen Ex-Premier mit popu­lis­ti­schen Fähig­keiten will seine Memoiren schreiben, hilft sich dazu mit einem Ghost­writer. Während die Arbeit vorangeht, wird er mit seiner Vergan­gen­heit und Anklagen wegen des Irak­kriegs konfron­tiert.

Pierce Brosnan spielt diesen Premier als König ohne Land, als von der Macht und anschließender Macht­lo­sig­keit verdor­bene Charak­ter­maske, der sein Herr­schafts­ge­baren nicht ablegen kann – eine Spur zu gut aussehend wirkt er tatsäch­lich wie ein gealteter Strah­le­mann Blair. Olivia Williams als seine Frau ist die intel­li­gen­tere, der Kopf hinter der Macht. Man weiß nie, ob sie nun auch der sensi­blere Charakter ist, oder die wahre Lady Macbeth, die in diesem Stück ihren Mann wie eine Mario­nette lenkt – die Macht verdirbt vor allem den, der sie nicht (mehr) hat: »Ich fühle mich wie die Frau von Napoleon – auf Sankt Helena« sagt sie einmal. Schließ­lich McGregor als ange­heu­erter Memoi­ren­autor, der an seiner Arbeit zweifelt, und einer Verschwörung auf die Schliche kommt – drei Figuren in einer Geschichte, die noch im Ende ambi­va­lent ist: Der Täter scheint zwar klar, doch könnte alles auch ganz anders sein.

Mit dem Film ist Polanski ein wunderbar eleganter Thriller aus der Politik der Gegenwart geglückt: The Ghost Writer ist spannend, bis zum Schluss über­ra­schend, und seiner Insze­nie­rung im besten Sinne altmo­disch, den großen Vorbil­dern des Genres verpflichtet, also außer Hitchcock Filmen wie Rosis Hände über der Stadt, Verneuils I wie Ikarus oder Die drei Tage des Condor von Pollack.
Besonders gelungen sind die Innen­an­sichten aus dem Alltag der Macht: The Ghost Writer ist eine Art Gesell­schafts­roman, der die Innen­aus­stat­tung der Macht mit Desi­gner­mö­beln, festungs­glei­chen Nobel­häu­sern am Meer, täglichem Sport­pro­gramm und zuneh­mender Amoral zeigt, der beschreibt, wie man in den poli­ti­schen Chef­etagen lebt, und sich einrichtet.

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»Das ist ja eine Geschichte wie von Chandler« habe Polanski ihm gesagt, als er den Roman erstmal las, erinnerte sich Robert Harris. Nicht ganz böse und verworfen wie Chinatown ist The Ghost Writer, dafür in manchen Passagen fast eine Komödie der Macht. Harris selbst, ein desil­lu­sio­nierter Blairist, der einst selbst für den Labour-Premier arbeitete, sieht, wie er in Berlin sagte, seinen Stoff bei aller Thriller-Qualität als mora­li­sche Fabel über den Irakkrieg von Bush und Blair: »Das Urteil der Geschichte kommt nicht erst in 100 Jahren. Das Urteil der Geschichte kommt jetzt und hier.«