Cinema Moralia – Folge 51
Die Freunde der Freunde |
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Veränderung muss sein: Der Deutsche Filmpreis |
Es war ein kalkulierter Schlag ins Gesicht, nicht nett gemeint und nicht nett in der Wirkung, dafür in der Sache überfällig, mit präzisem Timing passend gesetzt am Tag vor dem vergangenen Freitag, an dem seit Wochen in Berlin ein Beziehungsgespräch zwischen Deutscher Filmakademie und deutscher Filmkritik – den Titel »Wir müssen reden« konnte man nicht anders deuten – angesetzt war: In einem offenen Brief, der in der Berliner taz, der »Süddeutschen« und der ZEIT komplett und in der »Welt« auszugsweise veröffentlicht wurde, haben sich 20 namhafte Filmkritiker gegen gegen die bisherige Vergabepolitik und die geltenden Verfahren des Deutschen Filmpreises gewandt.
Die Kritik trifft nicht allein die Deutsche Filmakademie, die ihre Film-Preise seit 2005 alljährlich in einem in vielen Einzelheiten
intransparenten Massenabstimmungsverfahren vergibt, und deren Schwarmintelligenz schon oft zu fragwürdigen, zum Teil gar lächerlichen Ergebnissen geführt hat, die auch einem vollkommen unbeteiligten Beobachter immer wieder die Schamesröte ins Gesicht schießen lässt.
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Die Kritik der Kritiker trifft auch den Kulturstaatsminister der Bundesregierung, den CDU-Politiker Bernd Neumann. Denn die Preise der Filmakademie sind keineswegs ihre eigenen – es handelt sich eigentlich um den Bundesfilmpreis, den höchstdotierten deutschen Filmpreis, und einer der wenigen, der als ausschließlich kulturell definiert ist – die Preise wurden der Akademie nur vom Bundestag auf Zeit geliehen, und da sie mit rund 3 Millionen Euro pro Jahr dotiert
werden, wird in der Konsequenz des Briefes auch ein Minister massiv kritisiert, der seiner Aufsichts- und Sorgfaltspflicht offenkundig nur unzureichend nachkommt. Denn verteilt werden Mittel des Bundestages, die der »künstlerischen Spitzenleistung« gewidmet sind.
Zugleich verrät die unterschiedliche Publikationspraxis des Briefes in der Tagespresse aber auch Bemerkenswertes über die Unterschiede zwischen einzelnen Medien und wirft darüber hinaus auch einige Fragen
auf, die die Autorschaft, die Unterzeichner und das Selbstverständnis der Filmkritik in Deutschland betreffen.
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Mit Verweis auf die in dieser Woche stattfindenden Hofer Filmtage heißt es in dem Schreiben, diese könnten Anlass sein, »einmal grundsätzlich über den Deutschen Filmpreis zu diskutieren, den Sie seit 2005 vergeben.« Dieser höchstdotierte deutsche Kulturpreis sei anders als Oscars, Césars oder Goyas ein öffentlich finanzierter Preis: »Hieraus erwächst für die Akademie eine große Verantwortung, weil die Preisgelder für künftige Filmprojekte vorgesehen sind. Ist diese Vermischung von Förderungspolitik und der Auszeichnung künstlerischer Leistungen unverrückbar festgeschrieben? Liegt nicht hier schon die Wurzel aller Unzufriedenheit? Nicht erst seit der Filmpreisgala 2012 fragen wir uns, ob die Auswahl- und Abstimmungsregeln, die sich die Akademie selbst gegeben hat, wirklich dazu geeignet sind, der Vielfalt des deutschen Films auch im Sinne einer finanziellen Förderung zu entsprechen. Kann die Mehrheitsabstimmung der 1300 Mitglieder das garantieren? ... Die Entscheidungen der letzten Jahre zeigen eine unübersehbare Tendenz zum kleinsten gemeinsamen Nenner, zu einem Konsenskino, das künstlerische Extreme ebenso wie große Kassenerfolge von vornherein ausschließt.«
Vor allem aber, heißt es weiter sinngemäß, verfehle die Filmakademie ihre Aufgabe: »Leider hat sich bei uns der Eindruck festgesetzt, dass die Akademie an einer Auseinandersetzung mit solchen und anderen Befunden nur wenig Interesse hat. Kritik wird ignoriert oder in internen Zirkularen der Akademie verhöhnt, obgleich der Zweck einer Akademie ja genau darin besteht: Impulsgeber und Akteur im öffentlichen Gespräch über Film und Kino zu sein.«
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All das ist vollkommen richtig. Und es ist überhaupt nicht neu. Seit Jahren schreiben diverse Autoren und diverse Medien weit über die Unterzeicherkreise hinaus, Ähnliches. Auch auf »artechock« haben wir oft entsprechend berichtet und kommentiert.
Man muss den Initiatoren und Verfassern des Briefes – ZEIT-Redakteurin Katja Nicodemus und FAS-Redakteur Peter Körte – aber neidlos zugestehen, dass ihr Brief schon in einer Woche mehr bewirkt hat, als nahezu alles, was
auch von den Unterzeichnern zuvor zur Sache veröffentlicht wurde.
Die Stoßrichtung des Kritikerbriefes ist immerhin keine verfahrensfunktionalistische – »wie kann man die Richtlinien ändern, damit bessere Entsdcheidungen herauskommen« – sondern eine politische: Wie geht man mit öffentlichem Geld um, und wie sinnvoll ist die Vergabe öffentlicher Preise durch eine Lobby aus Interessenten.
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In einer ersten, schnellen Reaktion hat die Filmakademie die Kritik zurückgewiesen. Vieles, was dort steht, lässt sich leicht widerlegen: Von einem, wie es heißt, »ausgeklügelten, äußerst transparenten und demokratisch funktionierendem Vergabeverfahren« kann keine Rede sein. Wäre es so ausgeklügelt, müsste es ja nicht jedes Jahr verändert werden, weil sich eine neue Verfahrenslücke aufgetan hat.
Zur Transparenz würde gehören, einmal über Wahlbeteiligung und
Stimmverteilung zu informieren. Meine Vermutung: Das geschieht aus guten Gründen nicht, denn es käme heraus, dass die Wahlbeteiligung in manchen Kategorien schwach ist, und dass oft Filme den Hauptpreis bekommen, die von vielen, aber nur mit der »zweiten« und »dritten« Stimme gewählt wurden – die also selten erste Wahl, aber oft konsensfähig gewesen sind. Das genau ist übrigens mit »Konsensfilm« und »kleinsten gemeinsamen Nenner« gemeint.
Zur Transparenz gehörte dann
auch eine Überprüfung, wie viele Abstimmende denn wirklich alle Filme überhaupt angucken, bis zum Ende und ohne Vorspulen der DVD.
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Auch zur Veröffentlichung des Briefes, zu seinem Zustandekommen und zu den Folgen innerhalb der Kreise der Filmkritik, könnte man noch manches sagen: Allemal interessant zu lesen waren die Unterschiede der Veröffentlichung. In der »taz« war der Brief inklusive der Unterzeichnernamen kommentarlos abgedruckt, versehen mit der sachlichen Überschrift: »Aufruf von FilmkritikerInnen. Offener Brief an die Filmakademie«. In der »Zeit« ebenfalls ein Komplettabdruck, in der
Überschrift aber reißerischer, und im Ton einer strengen Tante: »So nicht, liebe Akademie!«
Die »Welt« druckte den Brief immerhin auszugsweise, kommentierte ihn aber fehlerhaft: Denn weder »Fernsehstationen« noch »Online-Medien« sind, wie dort behauptet, beteiligt. In der FAZ dagegen, obwohl doch allein vier der 20 Unterzeichner dort angestellte Redakteure sind, fand sich nur eine vergleichsweise kleine Meldung, die einen Teil der Argumente referiert. In der Süddeutschen
schrieb dagegen Tobias Kniebe, einer der Filmredakteure und selbst Unterzeichner, lieber einen eigenen Kommentar, der immerhin fast doppelt so lang ist, wie das Schreiben, und einige interessante Gedanken und Beobachtungen enthält, die über den Brief noch hinausgehen – »Tatsächlich würden wohl selbst die Mitglieder der Akademie in ihrer Mehrheit nicht behaupten, dass das derzeitige Nominierungs- und Preisvergabeverfahren zufriedenstellend funktioniert.« –, ihn
aber auch stellenweise in der Aussage deutlich verändern: An einer Stelle verschiebt Kniebe den Sinn des Schreibens geradezu in sein Gegenteil und in Richtung Kommerz, wenn er Mainstream-Filmer wie Til Schweiger oder Bernd Eichinger mit – bezeichnenderweise dann nicht namentlich genannten – Filmemachern auf eine Stufe stellt, »die hohe künstlerische Risiken eingehen und Neues wagen wollen«, und »diskriminiert« würden: »Ohne Chance auf eine kulturelle Förderung, die
sie dringend brauchen könnten«. Stimmt zwar, doch der von Kniebe mitunterzeichnete Brief hat schon eine andere Tendenz: Dort wird Ulrich Köhler namentlich erwähnt, dafür werden weder Eichinger noch Schweiger genannt. »Müssen nicht auch preiswürdige, aber nicht unbedingt mehrheitsfähige Ausnahmefilme eine Chance bekommen, solange der Preis als kulturelle Subvention definiert ist?« wird da gefragt, und darauf hingewiesen, Filme wie John Rabe (Goldene Lola 2009) und Vincent will meer (Goldene Lola 2011) seien ja wohl kaum die herausragenden Filme ihres Jahrgangs.
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Demokratie, das ist die logische Konsequenz des Kritiker-Schreibens, schadet in Kunstfragen nur. Was in der Politik oft gut ist, der Konsens, führt in der Kunst zu schlechten Resultaten.
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Blickt man nun noch etwas länger auf den offenen Brief, tun sich andere Fragen auf. War es wirklich geschickt und angemessen, seine Veröffentlichung auf den Tag vor dem Gespräch zwischen Filmakademie und Kritikern zu legen, an dem genau drei der Unterzeichner »die« Filmkritik repräsentieren sollten?
Verfasser Peter Körte selbst verwies am Freitag auf »reinen Zufall« und die Terminierung vor Hof. Auch wer das gerne glaubt, kann in der Zeitkoinzidenz nur einen bewussten
Affront erkennen.
Hinzu kommt, dass es im Schreiben heißt, es habe sich »bei uns« der Eindruck »festgesetzt, dass die Akademie an einer Auseinandersetzung mit solchen und anderen Befunden nur wenig Interesse hat. Kritik wird ignoriert oder in internen Zirkularen der Akademie verhöhnt, obgleich der Zweck einer Akademie ja genau darin besteht: Impulsgeber und Akteur im öffentlichen Gespräch über Film und Kino zu sein.«
Da sieht man dann doch etwas schlecht aus, wenn man nur einen Tag später mit fünf Repräsentanten der deutschen Filmbranche (und geschätzt rund 60 weiteren im Publikum) auf einem Podium geladen ist, um zu diskutieren – egal, wie jene Veranstaltung dann verlief, in der die teilnehmenden Filmemacher nämlich tatsächlich das Publikum durch eine größtenteils erschütternde Harmlosigkeit der Argumente und der geäußerten Erwartungen überraschten. (Zur Veranstaltung werden
wir demnächst noch mehr schreiben).
Auch sonst kann ich dazu nur sagen: Diese Aussage stimmt doch so nicht. Zugegeben: Unter ihrer alten Geschäftsführung behandelte man bei der Filmakademie die Filmkritik oft wie einen potentiellen Feind, mindestens aber mit uninformierter Ignoranz. Doch in der letzten Zeit hat sich das auch offiziell geändert.
Anderes kommt hinzu. Ein wenig scheinen die Vorwürfe, die die Unterzeichner der Filmakademie machen, salopp gesagt: Geheimniskrämerei, Intransparenz, Freunderlwirtschaft und ein gewisses hierarchisches, elitäres Gehabe, die mangelnde Bereitschaft zu Integration und streitbarer Auseinandersetzung, nämlich auch auf sie selber zuzutreffen. Obwohl man gewiss mit vielen weiteren Unterstützern rechnen konnte, blieben die Unterzeichner zunächst unter sich. Es war nicht
möglich, dass auch andere den offenen Brief unterstützten. Erst als es nach der Veröffentlichung Kritik an dieser Abschottung gab, erhielten andere Filmkritiker die weiterhin privat gehaltene Einladung, doch nachträglich zu unterzeichnen.
Die Gruppe der Unterzeichner war begrenzt. Sie sind im Printbereich sämtlich Redakteure, kein einziger freier Autor wurde offenbar gefragt. Ebenso ist kein Online-Medium vertreten. Aber auch im Printbereich wurden wichtige Medien im Vorfeld
nicht gefragt, und damit deren Konkurrenz in Punkto Aufmerksamkeit einseitig bevorzugt: »Epd« ist dabei, die Konkurrenz vom »Filmdienst« nicht, »Tip« ist dabei, die Konkurrenz von »Zitty« nicht, und die Abwesenheit sämtlicher anderer Stadtmagazine ähnlichen Zuschnitts verstärkt den Eindruck einer Aktion gut vernetzter Berliner Freundschaftszirkel.
Das alles wirft ein Schlaglicht auf eine andere, nicht weniger wichtige Problematik: Wenn Solidarität und
filmkulturpolitisches Bewusstsein der Filmbranche mit Recht vermisst und eingefordert werden, muss man, zumal als Betroffener, zurückfragen: Wie steht es eigentlich damit bei der deutschen Filmkritik?
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Es ist zudem sehr bedauerlich, dass so ein im Prinzip sinnvoller Aufruf völlig am Verband der deutschen Filmkritik (VDFK), die einstweilen einzige berufsständische Vertretung deutscher Filmkritiker, vorbeiläuft. Da ich selbst dem Vorstand des Verbandes angehöre, kann ich nur sagen: Offenbar war niemand aus Vorstand und Beirat informiert. Man kann nur vermuten, woran das liegt: Gewiss gibt es unter den Unterzeichnern einige, die »unter sich« bleiben wollen und andere, die den VDFK mehr oder weniger verachten. Aber die wichtigste Frage ist dann natürlich die, warum das so ist, und ob und wie es sich ändern ließe.
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Was den Zustand des VDFK angeht, ist auch öffentlich für jeden sichtbar, dass er verbesserungsfähig ist. Der beste Einwand im oben genannten Schreiben der Filmakademie ist der, dass der VDFK zuletzt oft die gleichen oder ähnliche Preise vergeben hat – tatsächlich ein Armutszeugnis.
Offenbar ist allzu vielen im VDFK nicht bewusst, das dieser als Verband nur wahrgenommen werden wird – in der Öffentlichkeit wie in der Branche, wie vor allem unter Filmkritikern im
In- und Ausland – wenn eine solche Organisation als Avantgarde agiert, nicht als Nachhut oder Mainstream, sondern als Parteigänger des Kinos an sich, als Grenzgänger zwischen innen und außen, nicht wie ein schwerfälliger Tanker, nicht als Gewerkschaft, nicht als Lobby vergleichsweise spezieller und marginaler Interessen, der sich allenfalls für Gebührenreduktionen bei Filmfestivals, Heißgetränke bei Pressevorführungen, und die Einführung von
Pressevorführungen noch in drei Städten mehr einsetzt – zu denen dann keine zehn Kollegen kommen – und vielleicht noch Forderungen für bessere Zeilenhonorare erhebt. Das alles mag gut und schön und wichtig sein, käme aber womöglich von selbst, wenn man uns nur achten würde.
Dass allerdings selbst ehemalige VDFK-Sprecher wie Hans-Georg Rodek und Josef Schnelle und VDFK-Mitglieder wie Cristina Nord und Andreas Kilb, den VDFK offenbar so wenig achten, dass sie sich nicht
dafür einsetzen ihn einzubinden, ist das Problem eines Verbandes, der zur Zeit leider nicht von sich behaupten kann, für alle Kritiker zu sprechen.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.