13.12.2012
Cinema Moralia – Folge 54

Warner, Winnetou und die Wehrmacht am Wolgastrand

Winnetou Filmverleih
Winnetou: Hobbit der 60er Jahre
(Foto: Croco Filmverleih)

Hobbitismus, Hassartikel – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 54. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Das ging ganz schön nach hinten los. Neuseelän­di­sche Kritiker feierten zwar den Hobbit, doch die Ameri­kaner bleiben über­wie­gend negativ. Das Studio Warner Brothers hatte besonders auf das Urteil der US-Kritiker Wert gelegt. Man gab den neuseelän­di­schen Touris­mus­ab­tei­lungen in den Kultur­re­dak­tionen, einen Maulkorb. Doch die Amis fanden den Film langatmig. »Langatmig und nerv­tö­tend.«

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»Die deutschen Pres­se­vor­füh­rungen sind aller­dings so knapp angesetzt, dass Kritikern kaum Zeit bleibt, davon zu erzählen, wie dieser Hobbit überhaupt geworden ist. Lustiger zum Beispiel? (Denn die Vorlage ist ja eigent­lich ein Kinder­buch.) Oder genauso gewaltig und blutig und ewig, wie die drei ›Ringe‹ es waren? Das wäre schon inter­es­sant zu wissen, damit sich die Bericht­erstat­tung wenigs­tens kurz lösen könnte von der Vorin­sze­nie­rung, von den paar Bildern des Trailers und denen vom roten Teppich bei der Urauf­füh­rung des Films in Neusee­land, vorletzte Woche; von den Schau­spie­lern Martin Freeman (als Hobbit) und Cate Blanchett (als Elbin Galadriel) und Ian McKellen (als Zauberer Gandalf), von den Fans in Elben-, Hobbit- und Zaube­rer­ver­klei­dung und vom Regisseur Peter Jackson, der auch unver­kleidet immer ein bisschen so aussieht, als hätte er eine Neben­rolle in seinem eigenen Film.« (FAS). Lange nicht hat mir ein Text so aus der Seele gespro­chen wie der groß­ar­tige Hass­ar­tikel auf den Tolki­ni­smus von Tobias Rüther.

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»Mein Schatz, mein Schatz!« Wie Gollum hausen ehemalige leitende Redak­teure in den zerklüf­teten Schluchten der öffent­lich-recht­li­chen Sender­ge­bäude und können ihren Verlust nicht fassen: »Mein Schatz!«

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»By stret­ching a medium-length prequel into three long movies, Jackson is almost begging for his Hobbit to be compared to another movie trilogy: episodes 1 through 3 of Star Wars, which both expanded and dimi­nished the achie­ve­ment of the 1977-83 films. So, you ask, is An Unex­pected Journey better than The Phantom Menace? Easily, yes — it would take a real effort to make it worse — though the appearance of the wizard Radagast (Sylvester McCoy), a flight Dr. Dolittle, has stirred the unhappy memory of Jar Jar Binks in some early viewers.
But the movie lacks majesty. Grand in parts, the movie is too often grandiose or gran­di­lo­quent; and the running time is inde­fen­sible. It’s like the three-hour first cut, assembled by editors, of even the most modest films — before the director says, 'OK, now let’s make a movie out of this.' This Hobbit plays like the rough cut, with no deleted scenes left for the DVD.«
Die richtigen Argumente, die richtigen Massstäbe, keine falsche Gnade – Richard Corliss in »Time« über The Hobbit.

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Winnetou hieß der Held für die Kinder der deutschen Wehrmacht. Die Urenkel der Wehrmacht schwärmen nicht mehr für Winnetou mit seiner Silber­büchse, sondern für einen Hobbit. Ob das ein Fort­schritt ist?

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»Amis raus aus USA – Winnetou ist wieder da!« So skan­dierte man 1968. Roman­ti­scher Anti-Ameri­ka­nismus, und vergessen wir nicht, dass Winnetou schon seit Geburt ein Roter war.
Winnetou, der edle Wilde aus Deutsch­land kam vor genau 50 Jahren auch ins Kino. Damals reiste ein recht unbe­kannter fran­zö­si­scher Schau­spieler, der eine recht vage Ähnlich­keit mit dem aktuellen Jugen­d­idol Alain Delon hatte, zur Erst­auf­füh­rung eines deutschen Films nach München. Viel erwartete er dort nicht, denn er hatte in dem ganzen Film nur ein paar Sätze Text gehabt, worüber er zunächst ziemlich unge­halten war. Doch vor dem Kino war er plötzlich fassungslos: »Winnetou! Winnetou!« kreischte da ein Dutzend junger Groupies. Langsam dämmerte es Pierre Brice, so hieß der Pseudo-Delon, dass seine Rolle als schweig­same Rothaut für die Deutschen irgendwie etwas Beson­deres sein musste.

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»Ein Traum Ihrer Jugend ist Wirk­lich­keit geworden«, klang der Kino­trailer im Herbst 1962, und meinte nicht etwa die Erin­ne­rungen ehema­liger Wehr­machts­sol­daten an den Wolgastrand, sondern »Karl Mays fantas­ti­scher Erfolgs­roman ›Der Schatz im Silbersee‹ als deutscher Monu­men­tal­film!« Nach der Urauf­füh­rung am 12. Dezember 1962 in Stuttgart und der »Erst­auf­füh­rung« in München zwei Tage später stand die Adenauer-Republik ganz im Bann von Freiheit und Abenteuer. Drei Millionen Zuschauer reisten virtuell in die Weite des Wilden Westens – die Karl-May-Welle der 60er Jahre begann. Der Erfolg kam für viele über­ra­schend, nicht zuletzt für den Berliner Produ­zenten Horst Wendlandt (1922-2002). Die Idee zu der Verfil­mung hatte ihm sein Karl-May-begeis­terter Sohn einge­geben: Wendlandt selbst kannte kein einziges Buch. Deshalb glaubte er auch nicht daran, dass sich die Deutschen massen­haft für einen Indianer begeis­tern würden. Statt­dessen setzte er darauf, dass Götz George als drauf­gän­ge­ri­scher Fred Engel der Held des Films werden würde.
Regisseur Harald Reinl (1908-1986) war dagegen ein echter Karl-May-Kenner. Er war es auch, der die wild­ro­man­ti­sche Land­schaft des kommu­nis­ti­schen Kroatiens als Wildwest-Kulisse entdeckte. Als er die Rolle des Winnetou aller­dings mit einem Mexikaner besetzen wollte, griff Wendlandt ein – dieser Typ könne höchstens Winnetous Mörder spielen, spottete er. Kurz vor Beginn der Dreh­ar­beiten war noch immer niemand gefunden. Da fiel Wendlandt bei einem Empfang während der Berliner Film­fest­spiele ein gutaus­se­hender Franzose auf. Sofort entschied er: »Das ist er!« Pierre Brice nahm die Rolle nur an, weil er hörte, dass in dem Film auch der Hollywood-Star und Ex-Tarzan Lex Barker mitspielen würde. »Von Karl May hatte ich noch nie etwas gehört.«

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»Da hatte ich plötzlich wahn­sin­nige Angst und hab mir gedacht, was das wohl kostet«, erinnerte sich Horst Wendlandt später, als Reinl mit einem Tross von 300 Komparsen und 150 Pferden durch Jugo­sla­wien zog. Aber Reinl drehte um zu sparen, jeden Tag 14 Stunden.

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Der Hobbit ist nicht mehr klein, sondern groß: Über 160 Minuten dauert der Film. Dazu nicht weniger als 16 Minuten Abspann. Jackson hat den Längsten! Ganz allgemein geht unter 120 Minuten derzeit nix mehr im Kino: Cloud Atlas dauerte 172 Minuten, Skyfall 140, Anna Karenina und Great Expec­ta­tions etwa 130, genau wie Life of Pi, und das Millio­nen­grab Ludwig II. wird 140 Minuten Lebens­zeit kosten. So simuliert man Bedeu­tungs­schwere durch Länge.

(To be continued)