66. Filmfestspiele Cannes 2013
Außergewöhnliche Filme erfordern außergewöhnliche Entscheidungen |
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Blau, blau, blau sind alle meine Kleider... | ||
(Foto: Alamode/Wild Bunch / Central Film Verleih GmbH) |
Aus ganz sicherer Quelle wisse Sie, flüsterte mir meine Istanbuler Freundin Nil wenige Minuten vor der Preisverleihung zu, dass die Goldene Palme an Asghar Farhadi ginge. Sorrentino bekomme den »Grand Prix«. »Und Kechiche?« frage ich entsetzt. »Nothing for him!« Zuvor schon hatte die Gerüchteküche gebrodelt, und in all dem Namenswirbel tauchte der spätere Sieger nicht auf. Wir hätten es ja auch nicht wirklich gedacht...
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»We take an extraordinary decision« sagte Steven Spielberg, und man fürchtete schon Schlimmes, »we award three artists on stage…« Eine konservative Jury habe konservative Preise vergeben – so glaubte man bis zu diesem Augenblick, bis zur Bekanntgabe der Goldenen Palme. Schließlich hatten in Cannes die Amerikaner schon immer gute Karten.
Und dann verkündete Spielberg: Der französische Regisseur Abdellatif Kechiche gewinnt für seinen Film Blue Is the Warmest Colour (La vie d’Adèle 1+2) die Goldene Palme, und zwar gemeinsam mit seinen Hauptdarstellerinnen Léa Sedoux und Adele Exarchopoulos. Mit dieser »außergewöhnlichen Entscheidung« umging die Jury das Verbot, das ein Gewinner der Goldenen Palme noch weitere
Preise erhält, etwa für Darsteller. Jetzt hat er sozusagen drei Goldene Palmen
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Mit dieser überaus verdienten, für viele Beobachter gleichwohl sehr überraschenden Entscheidung ging am Abend die 66. Ausgabe des wichtigsten Filmfestivals der Welt zu Ende. Aber man hätte bereits durch den Regiepreis für den Mexikaner Amat Escalante gewarnt sein können.
Am Ende eines starken Wettbewerbs ohne klare Favoriten lautet das generelle Urteil der professionellen Besucher: Es war ein überdurchschnittlich gutes Jahr, aber kein absolut herausragendes. Es gab
wenig richtig schlechte und viele gute Filme, aber Kechiches Film war der einzige, der auch hartgesottene Film-Beobachter verzauberte.
Die Silberne Palme für die »Beste Regie« bekam wie gesagt Amat Escalante für sein hartes, aber auch ästhetisch gewagtes, sperriges Rachedrama Heli. Weitere Preise bekamen die Coen-Brüder (»Großer Preis der Jury« (Grand Prix du Jury) für Inside Llewyn Davis), an Hirokazu Kore-eda (Jury-Preis für das Familienmelo Like Father, Like Son) sowie an den Chinesen Jia Zhang-ke für das »Beste Drehbuch« für sein abgründiges, poetisches China-Portrait A Touch of Sin. Berenice Bejo, die argentinischstämmige Hauptdarstellerin von Asghar Farhadis Le passé bekam den Preis für die »Beste Darstellerin«. Oder die hübscheste? »Bester Darsteller« wurde Bruce Dern für Alexander Payne stinklangweiligen Nebraska und wohl vor allem für sein Lebenswerk.
Auch diese Preise gehen im Großen Ganzen in Ordnung und zeichnen damit – von Nebraska abgesehen – tatsächlich die stärksten Filme des Wettbewerbs aus.
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Inoffizielle, völlig willkürliche Umfragen unter Bekannten ergaben vor der Preisverleihung ein selten erlebtes eindeutiges Bild: Kechiche, Kechiche, Keschiche. Fast einstimmig. Ein kurzes Gespräch mit »Sight & Sound«-Chefredakteur Nick James zwei Tage vor der Preisverleihung über das gemeinsam Gesehene. Sein Favorit ist Blue is the Warmest Colour – »by far the best
film in a very strong competition« fand er am Donnerstag Nachmittag, als noch vier Wettbewerbsfilme ausstanden. Ansonsten sind mir noch folgende Gesprächsfetzen in Erinnerung: »I am very pleased you hate the Refn too«; »I loved Sorrentino«; »Jodorowsky looks shit.«
Nachdem in den Umfragen während des Festivals lange Zeit der neue Film der Coen-Brüder führte, hatte auch bei den internationalen Filmkritikern Kechiches Film am Ende die Nase vorn. Etwa in der Screen-Umfrage
unter acht repräsentativen Autoren, bei denen auch Nick dabei ist.
An den allerersten Tagen wirkte Farhadis Le passé tatsächlich wie ein enorm starker Film. Dann löste sich dieser Eindruck Stück für Stück auf. Interessant, wie ein Film verlieren kann, wie ein Eindruck über nur eine Woche total nachlässt.
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Länger unterhalte ich mich mit Olivier Père, dem Ex-Leiter der Quinzaine (bis 2009) und Ex-Direkter von Locarno (2010-2012), der mittlerweile französischer arte-Chef ist, und meint: Kechiche sollte gewinnen, aber Jia Zhang-ke werde gewinnen. Nach allem, was ich gehört habe, glaube ich, dass Olivier recht hat. Es sei denn, dass der wohl auch politisch brisante Stoff auch China einem wie Ang Lee dann doch einfach zu heiß ist.
Zu meiner Überraschung erzählt mir Olivier auch, dass er
auf dem Blog von arte Filmkritiken schreibt. Das mache viel Spaß, eine Rückkehr zu den Ursprüngen, man habe hier in Cannes ja auch sehr viel eigene Filme. »Kannst Du das denn?« frage ich. Als französischer arte-Chef könne er doch kaum einen arte-produzierten Film verreißen. »Ich muss ja nicht über alles schreiben« antwortet er und lächelt vielsagend. Schon in Locarno hatte der gelernte Filmkritiker, der für »Les Inrockturibles« schrieb, regelmäßig Interviews geführt und Texte
verfasst. Wir wissen also ein bisschen, wie wir den arte-Blog zu lesen haben: Wenn er schreibt, mag er es, wenn nicht, mag er es vermutlich nicht.
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Auch bei der Gruppe jener jüngeren internationalen Kritiker, wo Olivier vor zwei Jahren noch mitmachte, und auch ich auch mitstimme, führt Kechiches Film am Ende deutlich mit einem Schnitt von 8.39 von 10 möglichen Punkten. An zweiter Stelle folgt Jia Zhang-ke (7.38), an dritter Jarmusch (7.27). Gegen Ende lassen die Kritiker an Strenge spürbar nach, wie die hohen Wertungen für »The Immigrant« zeigen.
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Unsere Freundin Violeta Kovacics aus Barcelona hat auf Ihrem Blog eine interessante Umfrage veranstaltet, wo ich unter lauter Spaniern und Latinos der einzige Deutsche bin. Sie fragt nach der persönlichen Palme und nach der, von der man glaubt, dass sie die Jury wahrscheinlich vergibt. In der ersten Gruppe führte Kechiche sehr klar, in der zweiten knapp vor Kore-eda.
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In der Neben-Sektion »Un Certain Regard« gewann der Film L’image manquante von Rithy Panh den Hauptpreis. Der Spezialpreis der Jury ging an Omar von Hany Abu-Assad, der Regiepreis an Alain Guiraudie für L’inconnu du lac. Der »Prix François Chalais« ging an
Rebecca Zlotowski für Grand Central.
In der »Cinéfondation and Short Films Jury« unter Jane Campion gab gestern ihren Hauptpreis an Needle von Anahita Ghazvinizadeh (Chicago); weitere Preise an Waiting for the Thaw von Sarah Hirtt (Belgien), In the Fishbowl von Tudor Cristian (Rumänien) und Pandas von Matúš Vizár (Tschechien)
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Auch der Preis der internationalen Filmkritikerorganisation FIPRESCI ging an Blue is the Warmest Colour (La vie d’Adèle 1+2).
In der Sektion »Un Certain Regard« gewann Manuscripts Don’t Burn (Dast-Neveshtehaa Nemisvosand) über den was man so hört der Titel schon das meiste sagt, vom Iraner Mohammad Rasoulof. Der Preis in den Parallel Sektionen ging an Blue Ruin vom Amerikaner Jeremy Saulnier, der in der Quinzaine gezeigt wurde.
Der zum zweiten Mal vergebene Preis der unabhängigen Filmkritik »Les
Artisans« gewann Crustáceos vom Spanier Vicente Pérez Herrero.
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Screen-Führende gewinnen nie. Das war jahrelang die Regel in Cannes. Denn dort findet man auf der letzten Seite des sogenannten »Dailys«, also der Festivalzeitschrift von »Screen International« die Wertungen einer Kritikerjury. Über deren Besetzung kann man wie immer streiten. Sie waren aber seit 1998 ein zuverlässiger Maßstab insofern, dass der dort führende Film nie die Goldene Palme und oft gar keinen Preis gewann: Kaurismäki, Almodovar, Mike Leigh und auch Wong Kar-wai können davon ein Lied singen. Letztes Jahr brach die Regel, wenn auch nicht komplett, weil da zwei Filme gleichauf lagen: Beyond the Hill von Cristi Mungiu und Michael Hanekes Amour, der schließlich gewann. Aber oh Wunder: 2013 wurde mit dem ewigen Gesetz gleich zum zweiten Mal gebrochen. Abdellatif Kechiches Blue is the Warmest Colour (La vie d’Adèle 1+2) führte, und gewann tatsächlich gestern die Goldene Palme.
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Wie sollen wir diesen und die anderen Preise aber nun verstehen? Ästhetisch? Politisch? Aus der Jury-Dynamik? Dies ist – dies mal vorweg – einer der verdientesten Cannes-Sieger seit Jahren. Der Film des in Tunesien geborenen Franzosen Kechiche – bisher vor allem in Frankreich bekannt, international eher ein Geheimtipp – ist schlichtweg großartig und beeindruckend.
Mit Kechiche gewann zudem ein Filmemacher den Haupt-Preis, der in seiner Biografie wie in
seinen Kino-Geschichten das neue, kulturell vielfältige Europa repräsentiert. Ironischerweise (?) ist aber gerade Kechiches Film nichts anderes, als ein Hohelied auf die klassische Bildung: Offen zitiert er Mozart, Marivaux, Voltaire, Sartre – Repräsentanten des Europas der Aufklärung.
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Das müsste für Steven Spielberg alles sympathisch sein, und in Ordnung gehen. Erlaubt ist auch die Frage, ob es für ihn als jüdischen Amerikaner womöglich besonders attraktiv ist, einem in Tunis geborenen moslemisch erzogenen (wenn auch bestimmt nicht sehr religiösen) Franzosen den Hauptpreis zu geben. Als Spielberg Anfang des Jahres zum Jurypräsident nominiert wurde, hatte man das allgemein als Signal des Festivals gewertet, dass sich damit noch einmal vom Lars-von-Trier-Skandal
absetzen wollte. Und dann geht es natürlich in Blue is the Warmest Colour auch noch um eine lesbische Liebe. Das hat sowieso politische Brisanz, ist aber deshalb noch zusätzlich aktuell, weil in Frankreich derzeit ja eine heftige politische Debatte um die Homosexuellenehe tobt, weil sich auf der Straße der »Kommunitarismus der Homophoben« (so die Liberation von heute) als neue Resistance gegen die regierung gebärdet.
Kann man also als Fazit formulieren: einmal mehr entpuppe Steven Spielberg sich als der humanistische Sozialliberale, der er er auch als Filmemacher ist?
So einfach ist es keineswegs. Diese Jury war äußerst schwer zu berechnen: Spielberg ist es gewohnt, Boss zu sein, klar. Aber
Ang Lee und Cristi Mungiu sind eigenständige Persönlichkeiten. Auteuil, Kidman, Waltz und Kawase sollte man nicht unterschätzen. Mungiu hate immerhin als einziger in der Runde schon eine Goldene Palme gewonnen. Kawase dachte man vorher, dürfte gegen eine Palme für Kore-eda votieren, der womöglich aber bei Lee und Spielberg gute Chancen hätte. Mungiu und Lee könnten Kechiche mögen, das schien klar: Beide sind offen für homosexuelle Untertöne, beide sind das, was man so als
»Frauenregisseure« bezeichnet. Gerade Mungiu hat in seinen zwei letzten Filmen anhand zweier Frauen von Frauenfreundschaft/liebe erzählt.
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Nach allem was man hören konnte, ging es in der Jury durchaus kontrovers her: Ein Streit zwischen Spielberg und dem Rumänen Cristi Mungiu wurde schon vor Tagen kolportiert. Und nicht immer sind es die Präsidenten und Alphatiere, die in Jurys am Ende den Ausschlag geben: Viel wichtiger als Machtworte ist diplomatisches Geschick. Bei aller Vorsicht vor vorschnellen Urteilen scheint es diesmal so, als wären Ang Lee und der Schauspieler Daniel Auteuil die Schlüsselfiguren in der Entscheidungsfindung der Jury gewesen. Spielberg, sagen die üblichen »gut unterrichteten Kreise«, habe Farhadi den Vorzug gegeben. Für eine schwere Geburt spricht auch, dass diesmal erst sonntags, statt wie sonst bereits Samstagabend, die endgültige Entscheidung gefallen war.
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Insgesamt gab die Jury nicht nur genau den Filmen je einen Preis, die in den letzten 12 Tagen insgesamt am besten angekommen waren. Sie zeichnete auch betont politische Werke aus: Jia Zhang-ke’s A Touch of Sin ist eine einzige abgründige Anklage an Korruption und moralischen Verfall im China der Gegenwart. Viermal begegnet man Menschen, die ihr Glück nicht finden, und sich
– aus Verzweiflung oder aus moralischer Indifferenz – zu einer Gewalttat hinreißen lassen. Die moralische Selbstzerstörung einer Gesellschaft hat auch der Japaner Kore-eda im Blick: Sein Film konfrontiert zwei Familien aus unterschiedlichen Milieus miteinander: Im Aufeinandertreffen von Reich und Arm, haben letztere moralisch klar die Nase vorn.
Schließlich der Mexikaner Amat Escalante, der die Silberne Palme für die »Beste Regie« bekam: Heli ist ein hartes, auch ästhetisch gewagtes, sperriges Rachedrama. Es überzeugt durch Konsequenz, aber auch als Sinnbild der gesellschaftlichen Katastrophe, die sich im vom Drogenkrieg geplagten Mexiko gerade ereignet. Und es bekräftigt, wie stark das mexikanische Kino gerade ist: Erst vor einem Jahr gewann Escalantes Landsmann Carlos Reygadas die Regiepalme. Mit diesem Gesamtbild
wird gewiss auch der humanistische Liberale Steven Spielberg gut leben können.
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Da Cannes immer auch ein Schaufenster des Weltkinos und eine Schule des Filmgeschmacks ist, muss man noch eine weitere Frage stellen: Welche Tendenzen zeigt das diesjährige Festivalprogramm? Zum einen gibt es ein paar offenkundigen Fakten: Es gab diesmal in allen Sektionen überraschend wenige osteuropäische Filme. Dafür war Asien nicht nur bei den Preisen wieder stärker vertreten; Lateinamerika bleibt konstant interessant. 2013 ist auch jenseits der Goldenen Palme wieder ein Triumph für das französische Kino. Fünf Filme im Wettbewerb, acht in der wichtigsten Nebensektion war keiner zuviel. Was diesmal wie schon 2011 und 2012 auffallend fehlte, waren die üblichen Blockbuster und »Starvehikel« aus Hollywood. Es gab weniger US-Filme, und sie waren nicht immer gut.
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Macht am Ende Festivaldirektor Thierry Fremaux Cannes kaputt? Warum sollte er? Immerhin: es gabt weniger US-Filme, weniger gute erst recht. Aber der Cannes-Eröffnungsfilm The Great Gatsby hat doch bisher 100 Millionen eingespielt.Aber er läuft seit zwei Wochen, und müsste eigentlich bei 200 Millionen liegen, um sich zu refinanzieren.
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Die zweite Beobachtung zeigt aber etwas anderes: Die zunehmende Angleichung der Stile eine Art »Globalisierung des Geschmacks« (Diego Lerer). Wer das diesjährige Festival mit der Ausgabe vor zehn Jahren vergleicht, oder noch mit dem Jahrgang 2008, der muss zugeben: Wirklich radikale Kino-Avantgarde, Werke, die auch Profis provozierten, verunsicherten oder erschütterten, in denen man die Filmkunst von morgen erahnen konnte, sah man in diesem Jahr in Cannes nicht.
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Vielleicht aber diese Kategorien auch überholt. Oder sie haben noch nie gestimmt. Provokation, Verunsicherung, Erschütterung – kann man das noch so sagen? Die Filmkunst von morgen... wen interessiert das?
Kann und will Kino uns noch den Sinn des Lebens lehren?
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Mit der FAS landen wir wieder auf dem Boden der Tatsachen, kommen gewissermaßen von Wolke 7 wieder auf Wolke 1 an, in der deutschen Wirklichkeit, obwohl wir da doch eigentlich erst morgen landen. In Cannes hat Verena Lueken mit Jurymitglied Christoph Waltz gesprochen. Und weil der über die Juryarbeit nicht sprechen darf, zitieren er und Verena dann lieber ein bisschen aus meinen Cinema-Moralia-Texten, die man bei der FAZ offenbar auch aufmerksam liest liest: »Wer ist schuld am
Zustand des deutschen Films, der hier immerhin mit einem Debüt, wenn auch nicht im Wettbewerb, vertreten ist? Die Filmförderung, sage ich, die sich mit internationalen Koproduktionen brüstet, ohne dass diese fürs deutsche Kino von Bedeutung wären. 'Das sind doch Steuergelder', meint Waltz, ›das müsste man vielleicht mal deutlicher hervorheben.‹ ... Waltz sagt: ›Und die Filmakademie.‹ Das kommt unerwartet. ›Wissen Sie, wenn die Filmakademie
die Geldpreise nicht abschafft, trete ich aus. Die muss sich schon entscheiden, ob sie eine Akademie sein will oder ein Verein.‹
Das einzige, das dabei völlig unter den Tisch fällt: Waltz ist immer noch Österreicher. Auch wenn ihn gern alle eingemeinden würden – er spricht gewissermaßen von Außen.«
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Einen hochinteressanten Text, der sich mit unserer Debatte neulich mit Diego Lerer aus Buenos Aires über den grundsätzlichen Kurs des Festivals weitgehend deckt, schrieb Dominik Kamalzadeh im Wiener Standard. Vom »Anschein der Konsolidierung« und »Eindruck eines abgesicherten Qualitätskinos« ist darin die Rede. Tatsächlich wünscht man Cannes wieder etwas mehr Mut beim Programmieren, den Mut, mehr Filme aus Un Certain Regard in den Wettbewerb zu heben. Erst wenn wir allen Ernstes erwarten können, aus einem Cannes-Film anders herauszukommen, als wir hineingingen, hätte das Festival seinen Zweck wirklich erfüllt. Die Quelle Cannes muss unsicher sein, ein wenig bittter schmecken und vergiftet...