Cinema Moralia – Folge 57
Trailer lügen nicht... |
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James Franco in Spring Breakers | ||
(Foto: Wild Bunch) |
Seit zwei Wochen läuft Spring Breakers in den Kinos, der neue Film von Harmony Korine. Ohne zu übertreiben kann man sagen, dass mit diesem Film zumindest im Kino ein echter Frühlingsanfang geglückt ist.
In der neuesten Ausgabe der »Cahiers du Cinéma« ist der Titel und ein Dossier mit vier Beiträgen dem Film gewidmet: Wer’s uns also nicht glauben will, kann es dort nachlesen:
»Korine.Révolution.Pop«
Oder wer sich sinnlich überzeugen lassen will, kann diesen Trailer angucken: http://movies.yahoo.com/video/spring-breakers-redband-trailer-183020623.html
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Aber Spring Breakers ist ja längst nicht nur ein sehr, sehr guter und in jeder Hinsicht sehr, sehr wichtiger Film, er stellt an das Kino auch eine ganz simple Frage: Warum gibt es eigentlich nicht mehr solche Filme? Warum haben schon vor Jahren Werke wie Mulholland Drive, Happiness, Lost in Translation, um mal nur drei wichtige, drei amerikanische zu nennen, kaum Folgen gehabt? Genauso wenig die Videoclips oder Youtube oder überhaupt das Internet? Von irgendwelchen idiotischen Games-Verfilmungen oder der grassierenden Spiel-»Dramaturgie« mal abgesehen? Warum muss Kino immer so entsetzlich plotlastig, so brav dramaturgisch sein?
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Die Frage, die Spring Breakers ans deutsche Kino stellt, ist natürlich die: Warum macht hier keiner sowas? Kostet gar nicht viel, im Vergleich jedenfalls. Kann dies aber wahrscheinlich nicht mit dem Fernsehen machen. Warum wird also einerseits das Film-Geld mit beiden Händen direkt in den Ofen geschmissen, in dem es dann verbrannt wird, und werden andererseits immer weniger Projekte realisiert, die mal auch nur ein klein wenig von jenem langweiligen Mainstream-Pfad abweichen, den wir alle kennen?
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Was dann übrig bleibt, das sehen wir in der Nominierungsliste der Deutschen Filmakademie. In den letzten Jahren haben wir hier ja öfters über den Filmpreis, die Nominierung dazu und die ausrichtende Filmakademie geschrieben. Dazu gab es Feedback, viel Gutes, auch deutliche Kritik seitens der Akademie. In Teilen war sie auch berechtigt, weil an dieser Stelle zum Beispiel im letzten Jahr, einiges Falsche zum Auswahlverfahren stand. Ich will jetzt gar nicht damit kontern, dass das
ja auch ein wenig daran gelegen haben mag, dass das Verfahren fast jedes Jahr geändert – »verbessert« sagen die Verantwortlichen – wurde, und das ein Verfahren, dessen nach meinem Eindruck noch nicht mal komplette, Darstellung auf der akademieeigenen Website sage und schreibe siebzehn klein beschriebene PDF-Seiten in Anspruch nimmt, deren Lektüre allein eine gute Stunde braucht, ihr Verständnis je nach Tagesform und geistigen Kapazitäten noch eine ganze Weile länger
– dass also solch ein Verfahren vielleicht wohlerwogen ist, aber doch nicht so transparent und widerspruchs- und problemfrei, wie es sein sollte. Und darum missversteht man da auch mal etwas, oder ist einfach nicht auf dem neuesten Stand.
Den Satz wird man jetzt wieder kritisieren, darum sei klar hinzugefügt: Ich will mich nicht rausreden. Ich bin einfach zu blöd gewesen, um alle Feinheiten des Verfahren zu kapieren. Aber immerhin bin ich damit in guter Gesellschaft
– unter anderem mit gefühlt mindestens einem Drittel der Akademiemitglieder.
Trotzdem: Bis zur Preisverleihung habe ich die Absicht und den Ehrgeiz, das Verfahren noch so genau zu studieren, dass ich es zumindest verstehe. Mal sehen.
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Das Entscheidende hat damit aber gar nichts zu tun. Im Grunde muss man gar nicht über die Akademie reden, und nicht über Verfahrensfragen, sondern es genügt einfach, sich die Liste der Nominierungen für den nächsten Filmpreis durchzulesen, um zu wissen, was am Verfahren faul, und was im deutschen Kino zur Zeit los ist. Das Entscheidende ist am Ende, ob das Ergebnis überzeugt. Und das tut es nicht, auch wenn man den Beteiligten gern zubilligt, dass sie es in diesem Jahr der
schlechten Filme wirklich nicht leicht haben.
Und so erinnert alles ein wenig an die Situation des Oberlandesgericht München vor dem beginnenden NSU-Verfahren: Formal und im Einzelnen ist alles korrekt. Aber insgesamt stimmt doch ziemlich wenig.
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Denn egal, was am Verfahren immer wieder verbessert wird, man weiß eben doch schon vorher, wer nominiert wird. Am 15. November haben wir hier schon geschrieben, dass Cloud Atlas bestimmt in allen technischen Kategorien nominiert werden wird. Und wenn dann mal ein Film so überraschend durchstartet wie Oh Boy!, dann wird er eben auch baldmöglichst eingemeindet, und alle hängen sich dran, und die Macher sollen jetzt möglichst viele Filme machen, die aber dann so sein müssen wie alle.
Neun Nominierungen für Cloud Atlas? Wirklich? Und eine Schauspielpreisnominierung für Sabin Tambrea als Ludwig II. Wirklich?? Und eine fürs beste Szenenbild für Die Abenteuer des Huck Finn und Die Vermessung der Welt. Wirklich???
Und natürlich ist es falsch, egal was die
Richtliniendehnungsinterpretation hergibt, Cloud Atlas überhaupt zu nominieren. Das ist kein deutscher Film. »Lola kann kein Deutsch mehr« kommentierte Hanns-Georg Rodek in der Welt, und schrieb treffend: »Selbst wenn man ... ein Auge zudrückt, zeigt Cloud Atlas, dass die Richtlinien der Akademie sowohl der Realität des Filmgeschäfts nicht mehr angemessen sind als auch ihren Auftrag verraten: einen deutschen Kulturpreis zu vergeben. Sie gehören dringend geändert.«
Und zum deutschen Kino? Schon über den Inhalt der ominösen »Kiste« hörte man im Vorfeld Sätze: »So schlecht war’s noch nie.« Natürlich nicht von allen, aber doch von vielen.
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Wenn man im Übrigen immer gern die Transparenz des aktuellen Verfahrens betont – und das wollen wir mal im Zweifel so stehen lassen –, dann hätte ich nur die Empfehlung, doch auch in anderen Bereichen ähnlich transparent zu sein: Zum Beispiel könnte die Akademie die Wahlbeteiligung veröffentlichen, und mitteilen, wie die Stimmen im Einzelnen verteilt sind.
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Noch ein Hinweis zur Frage der Transparenz: Allen, die darin das Allheilmittel gegen Demokratie-Verdruss, Lobbyismus und Korruption zu finden glauben, sollten sich mal die kleine, preiswerte Streitschrift »Transparenzgesellschaft« (Matthes & Seitz Berlin 2012) durchlesen. Dauert auch gar nicht lang. Darin warnt der koreanische, an der Universität der Künste Berlin lehrende Philosoph Byung-Chul Han vor dem Fetisch der Transparenz, der sich zu einem »Transparenzterror« entwickele. Radikal zu Ende gedacht sei in einer von Transparenz durchdrungenen Gesellschaft gar kein Vertrauen mehr möglich. »Die Transparenzgesellschaft ist eine Gesellschaft des Misstrauens, die aufgrund des schwindenden Vertrauens auf Kontrolle setzt.«
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Dies mal fürs erste, »artechock« will ins Bett, darum gilt jetzt gerade mehr denn je:
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.