Cinema Moralia – Folge 61
Schafft zwei, drei, viele |
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Oh Boy, ein Film wie ein Schelmenroman, hat es ganz nach oben geschafft | ||
(Foto: X Verleih AG / Warner Bros. Entertainment GmbH) |
Tom Schilling hat Ost-Abitur. Am John-Lennon-Gymnasium. So etwas gab es bei uns im Westen leider nicht. Es war halt nicht alles schlecht in der DDR, zum Beispiel lernte man, das bewies Schilling am Abend des Bundesfilmpreises, gute Reden zu halten: Nach dem Spott über »das pointengespickte Ergebnis«, das ihm sein Redenvorformulierer vor seiner Laudatio auf Barbara Sukowa aufgeschrieben hatte, und das, so Schilling öffentlich »den Wunsch nach konventioneller Langeweile aufkommen
ließ«, formulierte er eine tolle Lobeshymne: »Man glaubt immer, Männer hätten Angst vor intelligenten Frauen. Ich aber möchte Ihnen sagen, was Sie längst wissen: Das Gegenteil ist der Fall. Männer lieben intelligente Frauen.«
Es war auch lustig auf Schillings Gesicht zu blicken, während andere »witzische« Texte verlesen wurden: Ungläubiges, fassungsloses Entsetzen, »Oh Boy!«
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Und die Bibel hat doch recht: David gewinnt gegen Goliath – es kam wieder, wie es meistens kommt beim Deutschen Filmpreis, jedenfalls seit er nicht mehr im Juryverfahren sondern per Massenabstimmung vergeben wird: Die Preise bündelten sich auf ganz wenige Filme, aufwendige Großproduktionen sahnen die Technikpreise ab (diesmal Cloud Atlas), andere, die oft nominiert sind – wie diesmal Autorenkino-Veteranin Margarethe von Trottas Hannah Arendt – bekamen nur wenige Auszeichnungen, oder gingen wie Oskar Roehlers Quellen des Lebens sogar ganz leer aus, und ein vergleichsweise unabhängiger Film bekommt die Hauptpreise. Aber im Unterschied zu Jahren, als mit der allzu luftigen Bayern-Klamotte Wer früher stirbt ist länger tot, dem schwerblütigen Vier Minuten oder dem Gutmenschendrama Halt auf freier Strecke schwache Konsensfilme über alle Ansätze zu mutigerem Kino – von Das Parfum bis zu Barbara – triumphierten, ist Jan-Ole Gersters OH BOY! ein würdiger Sieger: Alles andere als konventionell, dabei so klug und witzig, wie es Ausländer dem deutschen Kino zwischen Wenders bis Schweighöfer gar nicht zutrauen.
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Ausgerechnet Oh Boy! Ausgerechnet das Debüt von Jan Ole Gerster. Nicht weniger als acht Mal war dieses große Berliner Filmwunder bereits nominiert gewesen: Ein vergleichsweise fast ohne Geld produzierter Film, der mit allen Regeln bricht, die die Naseweisen des Kinos gern aufstellen, der theoretisch alles Mögliche falsch macht: Er hat keine richtige Geschichte, und verzichtet auf
Psychologisierungen seiner Figuren. Er erzählt in Schwarzweiß. Das darf man ja auch nicht – erinnern wir nur an die debatten zwischen michael Haneke und seinem deutschen Produzenten Stefan Arndt, der Das weiße Band unbedingt in Farbe drehen wollte. Der Titel wäre dann wahrscheinlich Das bunte Band gewesen. Aber lassen wir das.
Oh Boy handelt, das darf man bei all der guten Laune nicht vergessen, auch auf überaus kluge Weise vom deutschen Kino und vom Faschismus. Doch ja – oder gibt es ein genialeres Bild für die deutsche Kino-Faszination, Kino-Obsession mit Nazi-Bildern und Nazi-Stories, als das, wo Tom Schilling an irgendeinem Film-Set in Babelsberg ist, die Studiohalle verlässt, und draußen ein KZ-Häftling und ein
SS-Wachmann zusammen eine rauchen?
Über dieses Bild allein könnten wir jetzt eine eigene Cinema-Moralia-Folge schreiben. Man muss nicht annehmen, dass so etwas dem Jan-Ole Gerster zufällig passiert. Und wer sich doch nicht ganz sicher, der merkte es dann am Schluß des Films, in der Bar-Szene mit Michael Gwisdek. Die ist ja auf eine angenehme, dezente Weise unglaublich moralisch, vielleicht sogar moralisierend. weil sie uns – also die Kinozuschauer – mit der Nase auf die
alltägliche Obszönität unseres Lebens stößt. Die schieben wir alle gern so beiseite, und das ist wahrscheinlich auch vernünftig, weil lebensdienlich. Ganz richtig ist das aber natürlich nicht, und diese Obszönität ab und zu mitten vors Gesicht gehalten zu bekommen, so dass wir nicht einfach beiseite treten und uns ihr entziehen können, und dazu noch so charmant, wie Michael Gwisdek – das genau ist der Sinn von Kunst.
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Oh Boy ist auch das Lob eines modernen Taugenichts. Und natürlich erzählt der Regisseur da auch über sich, zumal er in einer seiner Preisreden die Gleichung »Nichtstun + Nachdenken = Rechercheleistung« erklärte. Tatsächlich ist dies so: OH BOY! und seine Macher halten der hektischen narzisstischen Kinoszene den Zen-Ansatz entgegen. Weniger ist mehr, und dies muss nicht immer das »Weniger
Schnitte minus Dialoge minus Plot«-Rezept der Berliner Schule sein. Sondern einfach eine relaxedte Grundhaltung. Auch darin zeigt Oh Boy wie gutes Kino wirklich geht.
Nebenbei handelt der Film natürlich von allem; von Liebe, Tod und dem Sinn des Lebens
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Daher wunderte man sich (oder halt auch nicht), dass kluge Kollegen gleich wieder zu mäkeln anfingen: »Kaum einer, der ernsthaft damit zufrieden war, dass dies nun der Film des Jahres gewesen sein sollte.« Wer sollte es denn Peter, sonst bitte gewesen sein?
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Man kann trotzdem bedauern, dass, als sich am Freitagabend in Berlin die Welle der Sympathie für den Außenseiter zu einem Tsunami von Preisen verdichtete, wieder einmal kein Platz für Differenzierung war: Zum Beispiel Margarethe von Trotta hätte einen Regiepreis verdient gehabt. Doch für größere Feinheiten lässt die Schwarmintelligenz der Filmakademie keinen Platz. Im Großen Ganzen gingen die Preise diesmal in Ordnung, und die Veranstaltung war zwar überlang, aber
würdevoller als in den Vorjahren.
Die Filmakademie, das darf man feststellen, macht sich langsam. Unter ihren Geschäftsführern Alfred Holighaus und Anne Leppin bringen vieles besser auf die Reihe, als ihre Vorgänger.
Und bestimmt schaffen sie es auch noch, dass die Show unter gefühlten vier Stunden dauert, dass es keine Spezialeffekte gibt, zu denen man, wäre man der böse Mensch für den einen einige halten, »Lola im Regen« oder »Lola ganz nackt« oder »er deutsche Filmpreis fällt
ins Wasser« titeln könnte, und dass Fred Kogels persönliche Supermodelauswahl bei ihm zuhaus im Bett bleibt.
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Was sie nicht schaffen werden, ist, dass das Fernsehen sich daneben benimmt. In der radikal gekürzten, zeitversetzten Gala im ZDF – »zweite Prime-Time« spottete Kulturstaatsminister Bernd Neumann – schnitt man Neumanns Kritik an den Sendern ganz heraus – das war noch erwartbar –, kürzte man die Preisträger fast sämtlich, während die Laudatoren ungekürzt blieben, und Werner Herzogs schöne lange Rede wurde auf die zwei Anfangssätze heruntergestümmelt –
insgesamt ein unfassbarer, grotesk peinlicher Vorgang, der schon Grund genug wäre, dem ZDF die Gebührengelder mal genauso anteilig zu kürzen und so zeitversetzt zu überweisen, wie sie die für sie arbeitenden Produzenten bezahlen.
Andererseits zeigt das die Machtverhältnisse in aller Deutlichkeit, und ist insofern immerhin ehrlich.
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Oh Boy, Quellen des Lebens und Hannah Arendt sind der Trost in einem deutschen Filmjahr, das zum zweiten Mal hintereinander ansonsten eher schwach auf der Brust ist: Kein einziger deutscher Film in
Cannes, seit Jahren erstmals kein Preis im Berlinale-Wettbewerb, keine Oscar-Nominierung und auch in den Schauen anderer internationaler Festivals ist deutsches Kino schwächer vertreten, als in den Jahren zuvor. Nur die Kasse daheim scheint zu stimmen: Respektable 30 Prozent Marktanteil melden die Branchenverbände. Blickt man hinter die Zahlenkolonnen, ist schnell klar, dass die vielen Nullen auch durch künstlerische Nullen erzeugt werden: Die neuesten Filme von Til Schweiger
und Matthias Schweighöfer bieten seichte Unterhaltung und polieren die Bilanzen. Dahinter herrscht Krisenstimmung.
Während qualitativ hochwertiges und beim Publikum erfolgreiches Kino im Ausland produziert wird – bei Hanekes AMOUR gab es immerhin deutsches Geld –, in Ländern wie Frankreich Dänemark und Österreich, werden zuhause noch die letzten Schlupflöcher des Autorenkinos abgewickelt: Fernsehredaktionen wie das »Kleine Fernsehspiel« des ZDF kürzen
radikal, ebenso die ARD-Sender BR und SWR, nur der WDR ist eine Ausnahme – obwohl doch gerade erst die Gebühren gesichert wurden. 7,5 Milliarden fließen jährlich in die öffentlichen Senderhäuser. Doch statt fürs Programm geben sie den Löwenanteil für Betriebsrenten und ihren aufgeblähten Verwaltungswasserköpfe aus.
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Unter dem Roten Teppich rumorte es aber aus anderen Gründen heftig. Denn in sehr seltener Einigkeit macht das Deutsche Kino gegen das Fernsehen mobil. Vor der Filmpreisgala, die ja immer auch ein Branchentreffen ist, veröffentlichten 14 Branchenverbände, inklusive Kinobetreiber- und Filmkritikerverband eine gemeinsame Resolution, in der sie ihren Protest gegen das Verhalten der Fernsehsender bündeln und erklären und das öffentlich-rechtlichen Fernsehsender an ihre Pflichten erinnerten. Die Förderer der Bundesländer dürften sie unterstützen. Am Abend selbst blies dann der Kulturstaatsminister ins gleiche Horn: »Das Fernsehen hat keinen Quotenauftrag, aber eine Grundversorgungspflicht!« rief Bernd Neumann dem in der ersten Reihe platzierten ZDF-Intendant Thomas Bellut zu, »und zur Grundversorgungspflicht gehört ohne Zweifel die Kultur – nicht als Sahnehäubchen für Nachtstrecken, sondern als Hefe im Teig.«
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Schade nur, dass der engagierte Kulturstaatsminister in seiner wahrscheinlich letzten Filmpreis Rede sich an anderer Stelle vergriff: »Man kann demokratische Verfahren nicht abschaffen, bloß, weil einem die Ergebnisse nicht passen.« sagte Neumann. Stimmt, wenn man es so hinschreibt. Gemünzt war der Satz auf die Kritik an der Filmakademie, und ihrem Preisfindungsverfahren, zum Teil sogar überhaupt an ihrer Rolle als Ausrichter eines öffentlichen Staatspreises, die im
vergangenen Jahr nicht nur aber unter anderem von verschiedenen Seiten der deutschen Filmkritik vorgebracht worden war.
In diesem Zusammenhang ist der Satz natürlich Unsinn, und überdies frech, weil er seine Zuhörer für dumm verkauft. Denn Neumann weiß ganz genau, dass niemand »demokratische Verfahren abschaffen« will. Gewünscht wird einfach eine Rückkehr zum altbewährten Jury-Prinzip.
Das wird bei der Berlinale angewandt oder in Cannes. Und hat Fatih Akin etwa auf
undemokratische Weise den Goldenen Bär gewonnen? Oder war Neumann selbst, der bis 2004 in der Filmpreisjury saß, Mitglied einer undemokratischen Institution. Auch Jurys stimmen schließlich ab, und bei allem legitimen Populismus, der ja auch Spaß macht, wenn man das Publikum hinter sich weiß, sollte es Neumann auch den Sympathisanten des derzeitigen Verfahrens nicht allzu leicht machen. Manche von ihnen plappern dieses reduzierte Demokratieverständnis dann nämlich auf der
nächsten Filmparty nach, und wir müssen uns das dann anhören.
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Ein besseres Demokratieverständnis als Neumann haben offenkundig auch die deutschen Filmförderer. In einer gemeinsamen Pressemitteilung aller deutschen Förderinstitute haben diese jetzt bei Angela Merkel gegen das geplante das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA und gegen den schrankenlos freien Markt protestiert. Sie fordern dagegen gemeinsam mit Frankreich und der EU eine »kulturelle Ausnahme« für die Filmförderung. Es geht also nicht darum,
um jeden Preis alte Pfründe zu verteidigen, sondern um die gefährdete Substanz; es geht darum, ob sich Deutschland eine eigenständige Kinokultur leisten will – die Politik will es –, und ob diejenigen, die davon am meisten profitieren, die Sender, auch etwas dafür tun wollen.
Der gemeinsamen Presseerklärung hat sich auch der »Verband der deutschen Filmkritik« (VDFK) angeschlossen und plädiert für eine uneingeschränkte kulturelle Ausnahme zugunsten der
Filmförderung in Europa. Denn über Kunst und ihre Förderung kann nicht der schrankenlos freie Markt allein entscheiden. Darum fordern die deutschen Filmkritiker eine kulturelle Ausnahme der Filmförderung. »In einem ungleichen Wettbewerb braucht das Kino die Unterstützung der Volksvertreter.« heißt es in der Erklärung des VDFK.
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Zurück zur Resolution: Dieter Ulrich Aselmann und Thomas Frickel, Vertreter von zwei der wichtigsten Unterzeichnerverbände rechneten vor, dass die TV-Sender jährlich 8,45 Milliarden (die SZ, auf die ich mich letzte Woche verlassen hatte, hatte eine Milliarde zu wenig gemeldet) Gebührengelder erhalten, und davon nur einen Bruchteil für Kultur und Filmproduktion investieren. Sie fordern, das in Zukunft mindestens 3,5 Prozent des Etats in die Produktion von Kinofilmen
investiert wird – das wäre immer noch weit weniger Geld, als die Sender jährlich für Sportrechte oder für die eigenen Betriebsrenten ausgeben.
Die ARD zahlte für Sport 2012: 450 Mio Euro, also 24% ihres Programmbudgets, das aber nur 8% des Programms generierte. Der Betrag, den die Unterzeichner fordern, wäre 66% des ARD Budgets für Sport, 85% des ZDF-Budgets, also 33% der gesamten Sportausgaben von ARD und ZDF (Dritte Programme eingerechnet.) Wofür also gibt man sein Geld
aus?
In den Kinopool der Förderung zahlt das ZDF ca 10 Mio Euro pro Jahr.
Mehr dazu beim nächsten Mal. Hier nur noch die Kernaussage: »Die Ausstrahlung kultureller Werke befindet sich im Programm seit Jahren auf dem Rückzug.« erklärt Aselmann, »Hiervon ist besonders der deutsche und europäische Kinofilm betroffen. Ausstrahlungstermine zur Hauptsendezeit werden gestrichen. Dabei geht es nicht um Almosen, sondern um gesetzliche Ansprüche.« Und die Regisseurin Nina Grosse
ergänzt: »Es geht um die Rückeroberung der dem Fernsehen verlorengegangenen Schicht des Bildungsbürgertums.«
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Die Filmpreisverleihung war in dem Zusammenhang Wasser auf die Mühlen der Filmemacher: So mussten die engagierten Produzenten von Hannah Arendt die jetzt preisgekrönte Darstellerin Barbara Sukowa und die Regisseurin von Trotta selbst gegen den massiven Widerstand der Sender durchsetzen. Sagen wir es offen: Keiner wollte mit Margarethe von Trotta noch einen Film machen.
Bettina Brokemper aber, die einfach angstfrei ist, setzte sich durch.
Bei Oh Boy sind sie nur mit einer Minimalbeteiligung vertreten. Und der Sieger des Filmbands in Bronze, Cate Shortlands Lore, der bereits den Hessischen Filmpreis gewann, ist der seltene Fall eines Films ohne jede
Fernsehbeteiligung. Bis jetzt hat sich noch kein Sender gefunden, der dieses ungewöhnliche, sehr intensive Portrait einer Jugend in der »Stunde Null« 1945 ausstrahlen will.
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Viele Akademie-Mitglieder klagen auch darüber, dass mit Cloud Atlas ein Film die meisten (9) Nominierungen einheimste, der gar kein deutscher Film ist. Ökonomisch vielleicht schon, und juristisch auch, sonst dürfte er nicht nominiert werden. Aber mit Tom Tykwer stammt neben dem Geld nur einer von drei Regisseuren aus Deutschland – Cloud Atlas spielt dort nicht, deutsch wird nicht gesprochen, und deutsche Schauspieler sind auch nicht zu sehen. Da schon im Vorjahr Roland Emmerichs falscher Shakespeare-Kostümschinken Anonymous abräumte, ist die Frage berechtigt, ob das berüchtigte »stupid german
money« zurückkehrt? Damit bezeichnete man in den 90er Jahren die deutsche Unsitte, Film nur als Investitionschance zu begreifen, und statt eigener ausländische Filme zu fördern.
Vielleicht sollten die deutschen Fördergelder statt in überteure Prestigeproduktionen wie den 100 Millionen teuren Cloud Atlas besser in Filme wie Oh Boy gesteckt werden. Der hat gerade mal 300.000 Euro gekostet und ist deshalb im Vergleich auch wirtschaftlich der viel erfolgreichere Film.
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Bitte machen wir uns diese Preisdifferenz einfach noch mal klar: 300.000 gegen 100 Millionen. Das heißt: Wenn man bei Cloud Atlas drei Prozent Kosten eingespart hätte, hätte man dafür zehn Oh Boys machen können. Oder anders: Wenn die Filmförderung, die locker 10 Millionen (eher 15, unter uns) in Cloud Atlas gesteckt hat, das Geld stattdessen anders angelegt hätte, dann hätte sie dafür zum Beispiel 33 Oh Boys bekommen. Oder nochmal anders: Für das Geld, das Cloud Atlas gekostet hat, hätte man 333 Oh Boys drehen können und dann hätte man immer noch 100.000 für zwei Studentenfilme übrig (wobei Oh Boy ja selbst auf seine Art ein Studentenfilm ist).
Alles Polemik natürlich. Das kann man ja nicht so rechnen, heißt es dann immer. Die Rechnung stimmt trotzdem.
Und jetzt die Preisfrage: Hat Cloud Atlas wirklich so viele Fördereffekte, tut der Film wirklich so viel für das deutsche Kino, wie es 333 Oh Boys und zwei Studentenfilme getan hätten, selbst wenn die Hälfte von ihnen, oder meinetwegen zwei Drittel richtig schlecht geworden wären. Dann blieben ja immer noch 50 saugute und 70 passable Oh Boys übrig. Und um Qualität geht es ja bekanntlich bei
der Filmförderung sowieso nicht allein, sondern um Effekte. Und so richtig gut, drücken wir es mal so aus, ist Cloud Atlas ja nun auch nicht geworden.
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Es geht bei dieser irgendwie unfairen, zugleich aber auch dringend notwendigen Gegenüberstellung um die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Wofür gibt man Geld aus, und wofür nicht? Bei einem Kaufmann, der sein Geld auf eine einzige Karte setzt und voll auf Risiko spiel, statt es auf 335 Chancen zu streuen (wo die Wahrscheinlichkeit ja besteht, dass ein, zwei so abgehen, wie Oh Boy), würde man sagen: Er zockt.
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Übrigens, to make no mistake: Stefan Arndt und Manuela Stehr, X-Filme also, hätte ich einen Preis unbedingt gewünscht und mehr als gegönnt. Denn selbstverständlich ist es eine ungeheuer große Produzentenleistung, diesen Film überhaupt zu finanzieren. Und ein viel größeres Risiko – in dem Fall auch mit eigenem Geld und dem guten Namen – als bei vielen Filmen von Bernd Eichinger. Dass die Mitglieder der Filmakademie das auch irgendwie spüren, merkt man dann daran, dass
die technischen Preise bis auf »Ton« alle an Cloud Atlas gingen.
Dass der Hauptpreis »Bester Film« das dann nicht tat, hat aber seine Logik. Denn diese Auszeichnung ist nur formal die für die »Beste Produzentenleistung«. Tatsächlich ist es die für »den Film, den wir alle mögen«
Kleine Anregung an die Filmakademie: Warum eigentlich macht ihr
keinen Film für die »Beste Produzentenleistung«. Idealerweise hoch dotiert, von zusätzlichem Kulturstaatsministergeld, weil der Preis dann auch an die Firma geht, und in neue Filme investiert werden muss.
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Ansonsten gilt mit anderen Worten: Schafft zwei, drei, viele Oh Boys!
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.