Cinema Moralia – Folge 68
Zwischenstation Sehnsucht |
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Fritz Langs Die Nibelungen: Auch schon hier sind die Mongolen am Werk |
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(Foto: Universum-Film Verleih GmbH (Ufa)) |
»Dissent can be dicy.«
Susan Sarandon in der Rolle der Ex-Revoluzzerin Susan Solarz in Robert Redfords The Company You Keep
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»Diese Entscheidungslosigkeit«, sagte der Redakteur, »es ist wie vor dem Joghurt-Regal. Welche Sorte soll man nehmen? Und von welchem Anbieter?« Tja, ein Alltagsschicksal in der Multioptionsgesellschaft. Der Redakteur, der – das ist nicht selbstverständlich – auch ein Freund ist, sprach eigentlich nicht vom Supermarkt, sondern von seinem Büchervorrat. »Der Stapel ist unendlich – alles Bücher, die man in den Sommerferien unbedingt lesen sollte.« Mir fällt dazu erstmal nichts ein, aber ich spüre einen Stich im Herzen. Stimmt: Redakteure haben ja Sommerferien. Bezahlt! Dann frage ich, ihn, welches Buch denn bei ihm ganz oben auf dem Stapel läge? »Naja«, sagt er, »eigentlich sollte ich den Kittler lesen.« – »Der ist doch tot?« – »Eben drum«, meint er, »man muss jetzt halt schauen, was an ihm wirklich dran ist. Aber...«, meint er weiter, »ganz oben liegt bei mir ein Buch von Johannes Fried übers Mittelalter. Kennst Du den Fried?« – Kenne ich, hab ja schließlich Geschichte studiert, und mir fällt bei Fried als erstes ein, dass er wie alle deutschen Historiker besonders gern englische Tweed-Jackets trägt, grünliche, glaube ich. »Das Mittelalter«, meint der Redakteur, und klingt jetzt aufgeregt »... in seinem Buch schreibt der Fried über den Mongoleneinfall.« Ich warte. Und glaube, jetzt kommt irgendwas über den Dünger, der das Abendland zum Blühen brachte. »Der Mongoleneinfall ist ein erster großer Anlass geworden, sich mit fremden Kulturen zu befassen. Die Mongolen haben die Hälfte der ungarischen Bevölkerung massakriert und sind wieder abgezogen. Zurück blieb großes Staunen über die Mongolen. Und dann ist der Papst gekommen, und hat gesagt: ›Dem müssen wir nachgehen.‹ Das ist ja die Frage, die man auch heute hat: ›Wer sind die Aliens?‹ Das Abendland, das hat da aufgrund des Fragenkatalogs der Hochscholastik zur Neuentdeckung Asiens beigetragen.«
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Im Fernsehen redete am Sonntag dann Frank Castorf bei »ttt« über seinen Ring bei den Wagner-Festspielen. Klingt alles gut, und sieht super aus, wenn auch ein bisschen wie Castorfs größter Erfolg »Endstation Sehnsucht«. Aber warum auch nicht? Erstmals seit Jahren habe ich jedenfalls Lust, eine »Ring«-Inszenierung zu sehen, erstmals seit Jahren redet irgendwer über Wagner. Eine Ölplattform als Nibelungen-Gold – das ist eine Deutung, so platt wie der heutige Kapitalismus eben ist. Castorf sagt im Beitrag sympathische und kluge Sachen. Etwa: »Es geht um Ausnahmezustände sowieso bei Wagner. Wie laut ist es, wann ist das Orchester und die Zuschauer zu Tode erschreckt, es sind Terrorakte, wie Wagner sagte, künstlerischer Terrorismus tut manchmal not.« Oder: »Götterdämmerung ist gut, weil alles, was ist, wird anders werden.«
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Man wünschte sich nur mal so etwas Ähnliches im Kino. Ein Film, der derart wichtig genommen wird, ohne bieder naturalistisch zu sein – wie Das Leben der Anderen. Sondern so gekünstelt, wie eine Castorf-Inszenierung. Und den das Feuilleton auch wichtig nimmt, und so toleriert, wie Herrn Castorf, der Dinge tun und sagen darf, von denen Filmregisseure leider nur träumen können. Die deutsche Filmkritik will aber nämlich eigentlich keine Politik, sowenig wie die Filmbranche. Man will nur so tun, als ob, und schon gern sagen können, wie wahnsinnig politisch etwas ist, aber bei echten Manifesten oder Polemiken zitiert man hierzulande dann pikiert am liebsten den dummen Satz, Botschaften solle man »mit der Post schicken«.
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Der Mongolensturm, genauer Mongolenkönig Etzel, gegen den die »teutschen Recken« einen Angriffskrieg führen, die die schon durch Verrat Entzweiten vereinen soll, spielt ja zwar nicht bei Wagner, aber im Nibelungenlied eine zentrale Rolle. Und das hat immer wieder besonders Filmleute angezogen, nicht nur Fritz Lang und seine Epigonen, die in den Sechzigern zwei »Nibelungen«-Filme drehten, nicht nur Sat1 vor ein paar Jahren. Auch Helmut Dietl und Bernd Eichinger hatten konkrete
Pläne. Jetzt will sie Teamworx-Chef Nico Hofmann realisieren – aber vorerst nicht im Film, sondern auf der Bühne der Nibelungen-Festspiele, wo er ziemlich überraschend ab 2015 die Intendanz übernimmt – mit dem Filmregisseur Thomas Schadt (auch Geschäftsführer der Ludwigsburger Filmakademie) als künstlerischem Leiter. Eine weitere Synergie von Film und Theater.
Das neue Stück zur Inszenierung wird von Albert Ostermaier geschrieben, auch ein sehr filmaffiner
Theaterautor, der in der »SZ« vom 30.7. Lesenswertes zum Nibelungenstoff sagt: »Das ist eine der gewaltigsten und gewalttätigsten Erzählungen der Weltliteratur und verarbeitet alles, was uns Deutschen an Lieb und Leid innewohnt. ... Darin ist wie in einem Shakespeare-Drama alles vorhanden: Wie aus Privatem Politik und aus Politik das Private entsteht. Gleichzeitig stecken im Text aber auch Komik, Ironie und Leichtigkeit, was bislang immer weggedrängt wurde.«
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Widerstand kann riskant und unangenehm sein, keine Frage. Aber manchmal muss es eben sein. Das hat vielleicht auch Bernd Neumann gedacht, unser Kulturstaatsminister, und ohne Frage einer der angenehmsten Menschen in seiner Partei. Vor ein paar Wochen hatte er sehr sehr unangenehme Tage. Das war, als im Kulturausschuss des Bundestags und auch außerhalb des Parlaments, in den halbschattigen kühlen Hallen, in den die Schwarz-Gelb-Entscheidungen wirklich fallen, und nicht nur
fürs Publikum exekutiert werden, über die Künstlersozialkasse (KSK) gestritten wurde. Bekanntlich setzten sich Neumann und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen vehement dafür ein, noch vor der Wahl schärfere Kontrollen der abgabepflichtigen Unternehmen durchzusetzen, ob die denn ihre Abgaben auch zahlen. Denn seit 2010 werden diese Unternehmen immer nachlässiger geprüft und bringen die KSK daher in finanzielle Schieflage.
Bekanntlich konnten sich beide Minister nicht
durchsetzen – gescheitert sind sie an Wirtschaftslobbyisten, an der FDP und an der Kanzlerin. Die brüskierte ihren Minister kürzlich halböffentlich. Denn als Neumann eine Rede hielt, in der er sich für die KSK in der alten Form einsetzte, wird ihre Antwort wie folgt kolportiert: »Das mag Ihre Meinung sein, Herr Neumann, aber die Regierung denkt anders.«
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Weil wir nicht anders denken, erlauben wir uns hier nochmals den Hinweis auf die Petition gegen die Abschaffung der Künstlersozialkasse. Hier steht alles, was man dazu wissen muss – die Petition läuft nur noch bis zum 06.08.2013
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Für Neumann könnten diese Sommertage die letzten im Amt sein. Denn zumindest für den Bundestag kandidiert er nicht mehr, und so spekulieren manche schon über Nachfolger. Bereits eine Art vorgezogenen Abschiedstext veröffentlichte Ende Juli Christiane Peitz, die zwar im Hauptberuf Feuilletonchefin und Filmexpertin des Berliner »Tagesspiegel« ist, da aber offenbar genug Zeit hat, um nebenbei noch für Radiosender zu arbeiten. Sowohl im WDR wie im NDR blickte sie auf Neumanns Arbeit zurück – Nachhören oder -lesen lohnt.
Es ist nicht nur ein schmeichelhaftes Portrait, sie würdigt zwar, der westpreußische Flüchtlingssohn und ausgebildete Pädagoge habe »die Bundeskulturpolitik professionalisiert und konsolidiert«, nennt Tiefstapeln, und »die geräuscharme, skandalfreie Hinterzimmerpolitik, das Schmieden von Koalitionen und Kompromissen« zu seinen Stärken. Doch »das beherzte Angehen offener Fragen ist nicht seine Sache. Neumann sitzt Debatten lieber aus und pflegt den Konsens«, ein »Macher, ... cleverer Lobbyist, ein Bauernschlauer«. »Acht Jahre Bernd Neumann, acht Jahre korrekte Biederkeit bei öffentlichen Auftritten, ... Eleganz, gar Esprit, das kann er nicht. ... er wird nicht müde, das öffentlich-rechtliche Fernsehen an seinen Kulturauftrag zu erinnern, wenn ARD und ZDF die Dokumentarfilmproduktion abschaffen oder anspruchsvolle Filme ins Nachtprogramm verbannen. Aber der Geruch des Provinziellen haftet ihm weiter an, die Mischung aus Ungeschick und Eitelkeit, die wegen seines Hangs zur falschen Aussprache von Namen immer wieder peinlich berührt.«
Diese vage Kritik an Äußerlichem ist recht hart, und schwächt die wirklich sachlichen Argumente, die Peitz natürlich auch hat: »Man wünschte sich auf Dauer mehr Programmatisches vom höchsten Kulturamtsträger im Staate, mehr als nur die wortreiche Sorge um die kulturelle Bildung oder die Zukunft des Urheberrechts im digitalen Zeitalter. Wo bleibt eine zündende Idee, wie dem Kulturprekariat geholfen werden kann? Wo das leidenschaftliche Bekenntnis zum skeptisch beäugten Humboldt-Forum mit den außereuropäischen Sammlungen im Schloss: zu einem im Herzen der Nation angesiedelten Haus für die Kulturschätze der Welt, deren Wert sich in globalisierten Zeiten von selbst verstehen müsste? Warum rührte Neumann so gut wie nie die Werbetrommel für die Berliner Kunstschätze der Moderne und die Behebung der Platznot in der Neuen Nationalgalerie? Warum besticht er neben den Haushältern nicht auch die Öffentlichkeit mal mit Argumenten? ... Ja, Neumann hat den Film wirtschaftlich vorangebracht und die Babelsberger Studios sind mit internationalen Produktionen wieder gut ausgelastet. Aber künstlerisch hat der deutsche Film wenig zu melden, international laufen ihm kleinere Länder wie Österreich oder Dänemark den Rang ab. Hier hat Neumann zu wenig gestaltet.«
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In dieser letzten Juli- ersten Augustwoche ist Deutschland mehr denn je in Ferien versunken. Gerade schreibe ich in Mannheim, im Cafe Vienna, das ich unverzeihlicherweise erst im zwölften Jahr meiner regelmäßigen Mannheim-Besuche per Zufall entdeckt habe, obwohl er mitten im berühmten »Quadrat« liegt. »So ein bisschen alternativ« sei der Laden, charakterisiert ihn die Bedienung – und das stimmt zumindest wenn man auf die Preise guckt. Die sind nämlich fast wie zu DM-Zeiten. Und nirgendwo wird man so oft gefragt, warum man mit dem Laptop dasitzt und arbeitet, warum man schreibt und was – die Mannheimer haben eben kein Blatt vorm Mund und ein gesundes Verhältnis zur Arbeit, zum Wort, und zum Schreiben, dieser ungesunden Tätigkeit.
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Immer wieder werde ich als Filmkritiker gefragt, welches meine zehn (warum eigentlich zehn und nicht elf oder zwölf oder dreißig?) Lieblingsfilme seien. Nun, sie wechseln eigentlich ständig. Aber hier mal die aktuelle 10er Liste: King Kong; Le mépris; Barbarella; Casino; La notte; Modern Times; Die sieben Samurai; Bonjour Tristesse; The French Connection; Menschen am Sonntag. Beschissene Liste. Was und wer da alles fehlt! Also eine zweite: Die Außenseiterbande; Chungking Express; Armee im Schatten; Barry Lyndon; Dr. Mabuse, der Spieler; Saboteure; Novecento; Once Upon a Time in America; Die amerikanische Nacht; Les Demoiselles de Rochefort. Auch blöd. Also noch eine: Beruf: Reporter; Pierrot le fou; Diva; M – Eine Stadt sucht einen Mörder; Das Appartement; Bunny Lake Is Missing; Dressed to Kill; The Year of Living Dangerously; 2046; The Night of the Hunter – ach, so ein Quatsch. Es geht einfach nicht. Merkt ihr ja, oder? Eine Liste ohne Malick, ohne Roeg, ohne Rossellini, ohne Curtiz, ohne Bunuel, ohne Coppola, ohne Allen, ohne... ohne... ohne... Geht einfach nicht. Auch wenn mir die letzte Liste am besten gefällt.
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»Denn nur das reinste Licht wird dazu taugen, wenn heilige Glut die ersten Strahlen spinnt, wofür die wundervollen Menschenaugen nur klägliche und trübe Spiegel sind.«
Charles Baudelaire, Die Blumen des Bösen
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.