Cinema Moralia – Folge 85/2
Im finsteren Tal... |
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Klaus Lemkes Kein Großes Ding, einer von vielen Filmen made in Berlin, die jetzt bei »achtung berlin« laufen | ||
(Foto: Eigenverleih Klaus Lemke) |
»Die Sonne schien, da sie keine andere Wahl hatte, auf nichts Neues.« –Samuel Beckett
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Längst hat der Berlin-Hype ein Ende, auch unter Filmemachern. Noch vor fünf Jahren gab es gute objektive Argumente für die Letzten der deutschen Filmszene, nach Berlin zu ziehen: Eine vibrierende, moderne, unspießige Hauptstadtkultur, dazu billige Mieten, billiges Leben, viele freie Wohnungen, und eine großzügige, vergleichsweise stark an Kunst und Independent-Kultur interessierte Filmförderung. Mit alldem ist es vorbei: Die Kultur hat schon lange den Charme der Wendezeit und der 90er verloren, der noch bis in die frühen Nullerjahre anhielt. Heute muss man in den Kneipen von Berlin-Mitte – falls man da zwischen den ganzen Backpackern überhaupt einen Platz bekommen hat – und auch in Kreuzberg früher reingehen als in München, weil sonst die Nachbarn anrufen. Die Küche macht dann auch gleich zu. Die Mieten werden immer teurer, die Lokale immer doofer. Und die Filmförderung, die vor Jahren noch stolz darauf war, »kleine schmutzige Berlin-Filme« zu fördern, hat für dergleichen kein Interesse mehr. Gefördert werden die Großkopferten von »X-Filme« und den zwei, drei anderen größeren Verleihern, die Firma Teamworxx und die Amerikaner. Aber selbst diejenigen Independent-Filmemacher, die nach meiner Ansicht schon vor Jahren nur noch als Feigenblatt die ganz anderen Pläne des Medienboard ein wenig verdecken sollten, bekommen heute ihre Projekte nicht mehr finanziert, von anderen erstaunlichen Entscheidungen einmal ganz zu schweigen. Kein Wunder, wenn man allein schon daran denkt, dass der RBB der einzige sogenannte »Haussender« des Medienboards ist – lassen wir es mal bei dieser sachlichen Feststellung, ohne weiteren Kommentar.
Wer die Förderungen der ohnehin besser ausgestatteten Filmstiftung NRW oder auch die der kleineren Förderanstalten in Baden-Württemberg, Hessen oder Mitteldeutschland einmal anguckt, erkennt unter anderem, das gerade viele Berliner Filmemacher ihre Filme nicht mehr in Berlin machen können. Toller Ländereffekt!
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Eine der wenigen Hoffnungsschimmer im finstren Tal der deutschen Kinosituation ist Monika Grütters, die neue Kulturstaatsministerin. Grütters ist nicht unbedingt filmaffiner als ihr Vorgänger Bernd Neumann, der zweifellos seine Verdienste hat, aber sie ist bestimmt weniger mit den ganzen Film-Lobbys verbandelt, als ihr CDU-Parteigenosse, was bei Neumann auch zunehmend ein Problem war.
Im Haushaltsentwurf der Bundesregierung ist der Etat des Deutschen Filmförderfonds (DFFF) gleich um ein sattes Siebtel von 70 auf 60 Millionen Euro gekürzt worden. Das mag den Catering-Unternehmen von Potsdam und manchen beim Medienboard die Tränen in die Augen treiben, für den deutschen Film könnte diese Kürzung aber eine gute Nachricht sein.
Denn der DFFF, der anfangs mal als »Anreiz zur Stärkung der Filmproduktion in Deutschland« gedacht war, nutzte dieser in den letzten Jahren zunehmend weniger. Stattdessen verkam er zunehmend zum »stupid German money« für Hollywood. Zuletzt gab es allein 8,4 Millionen für »Monuments Men« und 3,2 Millionen Euro für »Grand Budapest Hotel«. Reine Hollywood-Produktionen. Oder was ist an Wes Andersons und George Clooneys Filmen deutsch außer ein paar Statisten und Handwerkern auf den unteren Ebenen der Departments? Und natürlich der Förderintendantin auf den Fotos von Dreh und Premiere. Was könnte man umgekehrt mit 11,6 Millionen Euro alles tun, wenn man sie deutschen Filmproduzenten geben würde?
Was hat der deutsche Film – also alle, die »ganze Familie« – vom DFFF? Auf George Clooney können wir doch wirklich verzichten, auf der Leinwand sehen wir ihn eh, und in Berlin auch dann nicht, wenn er drei Monate hier dreht.
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Hoffentlich lässt sich Grütters durch die ansetzenden Nebengeräusche nicht irritieren. 60 Millionen sind immer noch zu viel, für das, was gemacht wird. Denn dem deutschen Film geht es schlecht, gut geht es nur denen, die schlechte Filme machen.
Natürlich wird jetzt gejammert, dass der arme George demnächst woanders drehen muss. Wenn er’s tut, dann scheint es mit dem tollen Know-how der Deutschen ja doch nicht so weit her zu sein.
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Es war mal alles anders in der Hauptstadt. »Berlin im Film der Neunziger Jahre« heißt eine tolle Retrospektive, die seit diesem Mittwoch im Rahmen des Festivals »achtung berlin« im Berliner Babylon-Kino läuft. Da laufen 14 Spielfilme, 2 Dokumentarfilme und 10 Kurzfilme, die aus verschiedensten Blickwinkeln das Lebensgefühl und die Aufbruchstimmung der Stadt im Jahrzehnt nach dem Mauerfall in Erinnerung rufen – eine leider längst vergangene Ära. Natürlich erinnern wir uns noch an Das Leben ist eine Baustelle von Wolfgang Becker, der seinerzeit über 400.000 Zuschauer bekam – heute eine Zahl, die kaum ein vernünftiger deutscher Kinofilm erreichen kann, was mehr über den Verfall der hiesigen Filmkultur erzählt, als alle Jubelmeldungen interessierter Institutionen zusammen. Aber wer erinnert sich noch an Sperrmüll von Helke Misselwitz, und wer hat je Berlin – Prenzlauer Berg von Petra Tschörtner, Die blaue Stunde von Marcel Gisler oder Chronik des Regens von Michael Freerix gesehen? Ich nicht. Was aber auch dem klar wird, der die Filme noch nicht kennt: Was für tolle Filme mal hier gemacht wurden. Filme die etwas über die Stadt erzählen, über das Land und über die Wirklichkeit. Halloooooo Medienbooooooard!!!! Aufwachen!!!!!
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Eröffnet wird die Retrospektive mit der romantischen Komödie Oben – unten von Joseph Orr, in der man 1995 unter anderen auch Sophie Rois und Torsten Merten in frühen Auftritten begegnet. Es geht um einen Alteingesessenen, der sich nicht von der Großbaustelle namens Mitte vertreiben lassen will, um die Liebe und um die Invasion der Vegetarier – einen sehr gegenwärtiger Film also.
Begleitend zum Filmprogramm präsentiert »achtung berlin« zudem das Panel: »Stadt im Umbruch« am Samstag, 12.4., ab 18:00 Uhr. Es diskutieten Michael Klier, RP Kahl, Matl Findel, Frieder Schlaich, Katrin Schlösser und Johannes Novy – die Richtigen also, auch wenn die Besetzung sich etwas ostlastig anhört...
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Wenn man dann schon da ist, kann man am Samstag auch gleich dableiben. Zur Zeit zeigt das Kino Babylon Mitte nämlich jeden Samstag einen »Stummfilm um Mitternacht«, der live von der Musikerin Anna Vavilkina begleitet wird. Das Ganze kostet Null Euro! Aber wer jetzt glaubt, Stummfilme seien nichts wert, der darf soviel Geld bezahlen, wie er für angemessen hält.
Diese Woche läuft Menschen am Sonntag von 1929, der nicht nur einer schönsten Filme der Filmgeschichte ist, und der Weimarer Republik sowieso, sondern auch einer der interessantesten: Ein Kollektivfilm, gedreht unter anderem von Robert Siodmak und Billie Wilder, gelenkt von den Prinzipien der Neuen Sachlichkeit und des Zufalls, Nouvelle Vague, 30 Jahre vor Godard und Truffaut. Und gedreht ohne Filmförderung.
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Übrigens: Wenn Monika Grütters Lust haben sollte, in den nächsten Wochen noch andere zu ärgern, dann könnten wir ihr ein paar Tipps geben. Zum Beispiel wäre es an der Zeit, einmal die Namen derjenigen zu überprüfen, die bei der Abstimmung zur Nominierung zum Deutschen Filmpreis für bestimmte Filme gestimmt haben – und falls vorhanden gleich noch die IP-Adressen dazu.
Denn nicht nur mir fällt auf, dass es immer ganz bestimmte Produzenten und Verleiher sind, die jedes Jahr besonders viele Nominierungen abstauben, und das mit Filmen, die, nun ja, im Zusammenhang Kunst und Deutscher Filmpreis etwas befremdend anmuten. Wir haben an dieser Stelle oft genug gesagt, dass man über Kunst nicht demokratisch entscheiden kann und dass Jurys viele bessere Ergebnisse produzieren, als eine Massenabstimmung, aber noch schlechtere Ergebnisse kommen raus, wenn Lobbys und Interessen verdeckt mitmischen. Und wenn man sich die diesjährigen Nominierungen und auch die Liste der Nichtnominierten so anguckt, dann wundert man sich, auch wenn man die Bedeutung des schlechten Geschmacks gar nicht hoch genug misst.
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Dass für den höchstdotierten Kulturpreis, den Deutschland zu vergeben hat, die ästhetisch interessantesten Filme des letzten Jahres – Die Frau des Polizisten von Philip Gröning und Kreuzweg von Dietrich Brüggemann nicht eine einzige Nominierung bekommen, dafür so ein Schwachsinn wie Fack ju Göhte ein halbes Dutzend und so ein merkwürdiges Werk wie Love Steaks angeblich einer der sechs künstlerisch besten deutschen Filme sein soll – spricht Bände über das was in den Köpfen der sogenannten »Branche« vorgeht.
Wobei mir die Nominierung für Love Steaks auch nur vorkommt wie ein Feigenblatt fürs schlechte Gewissen. Was Love Steaks allerdings mit Fack ju Göhte verbindet, ist das mangelnde Formbewusstsein. Auch wenn sie sich einen formalen und konzeptionellen Anstrich geben, fehlt beiden ein elementares Gefühl für Ästhetik. Das ist durch »Kraft«, »Energie«, »Schwung« und dergleichen nicht wettzumachen. Und Formlosigkeit, da muss man gar nicht Adorno oder Nietzsche fragen, Sloterdijk genügt auch, ist immer der Beginn des kulturellen Verfalls.
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Wir hätten jetzt gern noch etwas ausführlicher über das ZDF geschrieben, aber da passiert ja derzeit so viel, da kommt man mit Lesen und Schreiben gar nicht nach. Erst killt das Verfassungsgericht den ZDF-Fernsehrat, und während der Colt noch raucht, killt eben dieser Fernsehrat »Wetten, das…?«. Das ist nun einerseits vielleicht nicht so schlimm, aber eben dann doch ein verheerendes Zeichen. Denn tatsächlich handelt es sich um nicht weniger als den öffentlichen Selbstmord des ZDF.
Natürlich weiß man auch in Mainz, dass der Sender irgendwann mit seinen Zuschauern ausstirbt. Aber was ist es für ein Zeichen, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein einziges Programm einstellt, das – außer Live-Fußball – noch in de Lage ist, eine relevante Menge des TV-Publikums gemeinsam zur gleichen Zeit am gleichen Ort vor der Glotze zu versammeln?
Der Grund für die Einstellung: Der langjährige Moderator trat zurück, der neue hat’s nicht gepackt, und ein anderer fand sich nicht. Auch im Fernsehen herrscht also das Caudillo-Prinzip einer durchschnittlichen Diktatur: Alles hängt an einer Person, nicht an Institutionen oder Ideologie. Wenn die Person abtritt, muss man gleich den Laden dicht machen.
Wäre das ZDF konsequent, würde es gleich sämtliche Programmmacher mitentlassen. Denn ihre Aufgabe, Programm zu machen, erfüllen sie offenbar nicht. Man lässt einfach Moderatoren, die »ankommen«, so lange live reden, bis sie den Sender wechseln, oder das Publikum sie satt hat, und ansonsten sendet man Fußball (mit im Übrigen desaströsen Interviews und das im Fall der einst besten Sportredaktion des Fernsehens). Kreativität gibt es absolut gar keine.
Wo stünde das ZDF, wenn sich plötzlich keiner mehr für Fußball interessierte?
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Vor zehn Tagen erschien ein toller Text in der »Süddeutsche Zeitung«. »Der blinde Fleck« vom Schriftsteller Ingo Schulze. Der beginnt so: »In den letzten Wochen ist ein Wort in Umlauf gekommen, das ich bisher nicht kannte. Zuerst begegnete es mir als Singular maskulin: der Russlandversteher. Nun, da es offenbar mehrere dieser Gattung zu geben scheint, kommt häufig der Plural zur Anwendung: die Russlandversteher. Und sicherlich wird es auch hier und da eine Russlandversteherin
geben.
Beim erstmaligen Hören hatte ich geglaubt, Russlandversteher würde anerkennend gebraucht, der Ausdruck bezeichne also jemanden, der Russland versteht, der um die Beweggründe der russischen Politik weiß und der all denjenigen, die der russischen Politik ratlos gegenüberstehen, diese erklären kann. Was mich überraschte und verwunderte, war der herabsetzende Sinn, in dem dieses Wort gebraucht wurde. Russlandversteher wird nicht nur kritisch, sondern abwertend
verwendet, mitunter sogar als Schimpfwort.
Es ist kein gutes Zeichen, wenn das Wort ›verstehen‹ negativ besetzt wird. Der Versuch, jemanden oder etwas zu verstehen, ist eine unabdingbare Voraussetzung, wenn man selbst agieren will. Nur wer etwas versteht, kann sich angemessen dazu verhalten und zwischen Zustimmung und Widerspruch abwägen.«
Das ist schon mal ein guter Anfang, den wir hier schon deswegen zu schätzen wissen, weil man uns gelegentlich »Autorenfilmversteher« oder »Berliner-Schule-Versteher« genannt hat.
Aber es geht bei Schulze noch weiter mit einer wunderbaren politischen Fantasie: »Wie lange würden Demonstranten bei einer ungenehmigten Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz aushalten können, die den Sturz von Merkel und ihrem Kabinett (und am besten auch gleich noch von Gauck) fordern, weil Merkel nichts gegen die NSA unternimmt und maßgebend dazu beiträgt, dass Europa durch das Freihandelsabkommen mit den USA den Welt-Konzernen ausgeliefert wird? Zudem fordern die Demonstranten, dass Edward Snowden, der letzte westliche Selbstaufklärer, einen Ort im Westen findet, an dem er unbehelligt leben kann. Unterstützt werden die Proteste mit Millionen oder Milliarden Rubeln und Yuan, und ab und zu tauchen der russische und chinesische Außenminister auf, verteilen Glückskekse und Pelmeni, applaudieren den Demonstranten und rufen unter der Weltzeituhr: Angela Merkel, deine Zeit ist vorbei!«
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»Es geht ein Riss durch deutsche Redaktionen. Nicht etwa unterschiedliche Ansichten zu Russland sind es, zum Euro oder zum Fall Edathy, die zu diesem Zerwürfnis führen. Nichts scheidet deutsche Journalisten mehr als das Substrat, auf dem sie publizieren: Selbst Print- und Onlineredakteure desselben Verlagshauses leben oft in unterschiedlichen Sphären und pflegen die Ressentiments gegenüber der anderen Seite.«
So beginnt die ZEIT letzte Woche (14/2014; 26. März 2014) einen Text mit »12 Thesen zu Print und Online«. Ganz allgemein konstatieren die Autoren Bernd Ulrich und Jochen Wegner einen »Dünkel der Tradition« gegen die »Arroganz des Fortschritts«. Zu großen Teilen geht es in dem Text leider nur um interne Probleme der Redaktionen, um nichts was »die Leute« interessiert. Denn das Konstrukt eines Konflikts zwischen »Printredakteuren mit Einstecktuch« und Onlinern »im Kapuzenpulli« mag bei der ZEIT virulent sein, interessiert aber eh nur die schwindende Zahl festangestellter Redakteure. Freie Journalisten arbeiten für beide – und das sind die allermeisten, die schreiben, Redakteure »planen« nämlich nur, sitzen auf Konferenzen, und mahnen zur frühen Abgabe, damit sie »planen« und »redigieren« und vor allem um 18 Uhr nach Hause gehen dürfen.
Die Vorherrschaft ist ja längst entschieden: Online erreicht mehr Leser als Print, und diese Leser sind jünger und haben mehr Geld, sind also für Werbekunden interessanter.
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Interessant ist aber, wo die eigentliche Front ausgemacht wird: Zwischen Journalisten und den Kannibalen: Facebook und Twitter, Google und iTunes, WhatsApp und Snapchat.
Und dann weiter: »Was vom Journalismus bleibt, sind seine Prinzipien. … Journalismus unterscheidet sich nur noch durch seine Prinzipien von allem anderen, was online steht, durch seine Haltung, sein Streben nach Wahrheit. Journalisten sind jene, die sich alle erdenkliche Mühe geben, diesen
Prinzipien zu folgen.«
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Einen großen Fehler machen aber all jene, die glauben, Journalismus hätte vor allem etwas mit Information zu tun, und die Idee einer Meinungshoheit sei obsolet geworden, weil undemokratisch. Alles daran ist falsch: Information gibt es im Netz schneller und ausführlicher. Journalismus beginnt bei der gut geschriebenen Seite 3, also einem gut geschriebenem Text, und beim Meinungsartikel oder Kommentar, also bei der Kuratierung von Information. Die ist nicht etwa undemokratisch, hier bei Kritik & Ästhetik fangen Demokratie, also Meinungsbildung und informiertes Urteil, erst an.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.