Kampf der Titanen |
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Friedlich vor sich hinspuckende Trailer-Titanen |
Von Dunja Bialas
Hans Hurch, seit 18 Jahren Leiter der Viennale, sorgt – wie so oft vor Festivalbeginn – für Aufregung. Ähnlich wie vor acht Jahren, als er gegen das »Rotzbubenkino« anerkannter österreichischer Regisseure wetterte (es ging damals tatsächlich um niemand Geringeren als um den im Frühjahr verstorbenen Michael Glawogger, was Hurch heute die Schamesröte ins Gesicht treiben dürfte), verlautbarte er auch diesmal zum Auftakt der Viennale ein paar schlagzeilenträchtige feuilletonistische Kraftausdrücke: »Sklavenseelen« seien die Wiener Filmkritiker, spielten »Privatpolizei« für Alexander Horwath, den Leiter des Österreichischen Filmmuseums.
Wien degradiert sich derzeit geradezu in einer Provinzposse, die beispielhaft ist für Luxusprobleme, mehr noch aber für mangelnde Solidarität unter Kulturschaffenden und womöglich eitle Geltungssucht. Hintergründig mag es dabei aber auch um zu vergebende Finanztöpfe gehen, die immer dort eine Rolle spielen, wo Aufmerksamkeit und Alleinstellungsmerkmale – zwei Unworte aktueller Kulturrealitäten – wichtig werden.
Der ganze Streit gründet darin, dass Wien zwei herausragende Archive hat. Da ist das international angesehene und weithin wirkkräftige Österreichische Filmmuseum mit seiner Filmsammlung, die mehr als 30.000 Werke der Filmgeschichte umfasst, angehäuft seit der Gründung im Jahr 1964. Vor allem die Sowjetische Filmkunst, das New American Cinema und die »berühmtesten Werke der Filmgeschichte« hebt das Museum in seiner Selbstdarstellung hervor.
Neben dem international hochrenommierten Filmmuseum ist in Wien länger schon – seit 1955 – das Filmarchiv Austria ansässig. Es umfasst mit 70.000 Spielfilmen und historischen Filmdokumentationen die größte Sammlung österreichischer Filme, darunter auch solche aus der Zeit der Monarchie und eine nahezu lückenlose Sammlung österreichischer Wochenschauen ab den 30er Jahren. Selbstbewusst heißt es auf der Website: »Die Kultur- und Zeitgeschichte Österreichs im 20. Jahrhundert kann mit diesem Gesamtbestand repräsentativ dokumentiert werden.« Berührungspunkte zwischen den Archiven gibt es nicht nur in der stolzen Erwähnung von leicht entflammbaren Nitro-Kopien (»mehrere tausend Rollen« auf Seiten des Österreichischen Filmmuseums, »derzeit ca. 22.000 Filmdosen« auf Seiten des Filmarchiv Austria), sondern auch in der beiderseitigen Beanspruchung »internationaler Bedeutsamkeit«, die sich auch das Filmarchiv Austria durch Werke aus der Frühzeit des Kinos gesichert hat, u.a. durch »weltweite Unikatskopien«, wie es auf der Website heißt.
Bislang kamen sich die beiden Sammlungen nicht in die Quere, sondern ergänzten sich vorbildgemäß. Das Österreichische Filmmuseum richtet seit 1968 eine umfassende Retrospektive zur Viennale-Zeit und darüber hinaus aus, die Viennale wiederum hat in gemeinsam entworfenen Programmen Filme aus dem Archivbestand Austria gezeigt.
Schon seit 2002 hat das Filmarchiv Austria seine Hauptspielstätte im Metro-Kino, einen Steinwurf vom Österreichischen Filmmuseum entfernt, und alles deutete bis zur Renovierung, die vor wenigen Jahren in Angriff genommen wurde, auf eine friedliche Koexistenz hin. Schließlich: warum auch nicht?
Glaubt man der »Presse«, gab jedoch schon länger unterschwellig Missgunst und Neid zwischen Hans Hurch, der sich für das Filmarchiv Austria einsetzte, und dem Österreichischen Filmmuseums-Leiter, es ist sogar die Rede von einem »historischen Streit«. Nun wurde das zum »Kinokulturhaus« umgebaute Metro-Kino neu eröffnet (das 20er-Jahre-Kino bekam unter sorgfältiger Beachtung der historischen Gegebenheiten einen weiteren Saal im Obergeschoss), und der Streit wurde offensichtlich. Im Rahmen seiner Peter-Handke-Retrospektive zeigt nun das Filmarchiv im Metro-Kino auch zwei Filme von John Ford, integriert in das Viennale-Programm, ein klarer Faux pas, da es damit der diesjährigen John-Ford-Retro des Filmmuseums zumindest in die Suppe spuckt.
Hurch wurden daraufhin »seltsame Nebengeschäfte« und »undurchschaubare Verflechtungen« der Viennale mit dem Filmarchiv Austria unterstellt. Dieser wiederum sieht dies als »journalistische Kameraderie« für Alexander Horwath und konterte mit einem Monolog im »Falter« und einem Gastkommentar im »Profil«: »Vielleicht ist das alles (das neue Kinokulturhaus) einfach nur zu viel, auch für den alten und neuen Nachbarn Filmmuseum, der inzwischen ein wenig in die Jahre gekommen ist und langsam anfängt, sich da und dort zu wiederholen. Ein Zuviel an produktiver Herausforderung, an zumutbarer Ergänzung und lebendiger Konkurrenz. Im Grunde ein kulturpolitisch wünschenswerter und richtiger Zustand, von dem die Filmkultur und eine kinointeressierte Öffentlichkeit nur profitieren können.«
Hurch selbst hat eingestanden, dass seit längerer Zeit Konflikte zwischen ihm und seinem Vorgänger und jetzigen Leiter des Österreichischen Filmmuseums, Alexander Horwath, gärten. Wie es sich aber nun wirklich verhält, und ob der eine im Sinne des Filmarchiv Austrias mehr nachgeholfen hat als notwendig, oder ob der andere überempflindlich reagierte, weil er um sein Alleinstellungsmerkmal bangt und deshalb einen mit dem Filmmuseum befreundeten Journalisten berichterstattend auf seine Seite schlagen konnte, wodurch der große Streit erst richtig losgetreten wurde, sei dahingestellt. Von außen betrachtet sieht alles nach einem unnötigen Sandkastenkampf aus, bei dem man sich gegenseitig die Schaufel wegzunehmen versucht, damit der andere nicht weiterbuddeln kann.
Was für ein Rotzbuben-Streit!
Der 105jährige Manuel de Oliveiera hat mit seinem Trailer, der die 52. Viennale begleitet, nolens volens einen treffsicheren Kommentar zum aktuellen Viennale-Skandalon geliefert. Zwei Titanenköpfe spucken zusammen in einen Brunnen.
So einfach kann das sein.