Von wegen: »Ich bin John Ford und mache Western« |
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John Ford | ||
(Foto: Sammlung Österreichisches Filmmuseum) |
Von Dunja Bialas
Manche Regisseure begleiten einen, wenn nicht das ganze Leben (das wissen wir erst spät), so doch sehr lange. Sie kommen immer wieder zu einem zurück, auch wenn man insgeheim mit ihnen schon abgeschlossen hatte, über die unterschiedlichsten Wege, immer wieder. Mit dem Dahinfließen der Zeit, so erkennt man, kann sich auch die Sichtweise auf das Werk neu einstellen. Bekannte Filme begegnen einem dann unter neuem, manchmal auch überraschendem Vorzeichen. Das, was man zu wissen glaubte oder für seine feste Meinung hielt, wird über Bord geworfen, macht neuen Ansichten, aus neuen Werk-Anschauungen gewonnen, Platz.
John Ford ist für mich so ein Regisseur.
Obgleich er selbst vermutlich alles dafür getan hat, sich ein felsenfestes Monument in der Kinematographie zu setzen – »Ich bin John Ford und mache Western« – würde man, so offenbarte die diesjährige Filmmuseums-Viennale-Retro, seinem Werk unrecht tun, es auf ein bestimmtes Genre festzuschreiben, und selbst seine Western blitzen oftmals vieldeutig wie ein Sheriffstern im Sonnenlicht. Selbstverständlich verlief auch bei mir die erste Annäherung an Fords Filme über das ihn definierende Genre, das unter seiner Regie aus dem Western erst werden ließen, wofür dieser heute steht: monumentale Landschaften als stumme Protagonisten, Dreitagesbärte und Schweigen am Lagerfeuer, Schlägereien in Saloons, verführerische, aber nichtssagende Frauen, o-beinige Cowboys, die zu lange auf dem Pferd saßen, durchtriebene Indianer, John Wayne.
Stereotype Genderbesetzungen, eine reaktionäre Einstellung zur amerikanischen Gesellschaft und verhaltener Nationalstolz bildeten für mich den Assoziationsraum, in dem ich mich, resultierend aus wenigen Sichtungen von Fords Filmen, befand, und den ich durchaus verlassen wollte, als ich mich intensiver mit seinem Werk befasste. Trotz seiner Anhänger, die mich, immer wenn ich meine Ford-Skepsis artikulierte, in Grund und Boden redeten und dem Regisseur und seinen Filmen damit nichts Gutes taten, wurde ich mir nach und nach meiner grundsätzlichen Akzeptanz der Filme gewahr.
Meine ersten Berührungen mit Ford waren seine »Building of a Nation«-Filme: Wagon Master (1955) mit betörenden Szenen in einem Planwagen, wo eine Schauspieltruppe eine entscheidende Rolle spielt. The Searchers (1956), ein Film, der für mich genauso war, wie es das Zusammentreffen von Monument Valley und John Wayne erwarten ließ: männlich, monumental, manisch. Es folgten: Stagecoach (1939) und She Wore a Yellow Ribbon (1949). Dann kam, später, im Rahmen eines Seminars zum Propagandafilm, The Battle of Midway (1942) hinzu, ein Film, über die »größte Seeschlacht aller Zeiten und den Wendepunkt im Geschehen des Pazifik-Kriegs« (Viennale-Katalog), eine Produktion der US-Navy. »Emotional-musikalisch, nicht dokumentarisch, pointiert geschnitten«, so notierte ich mir damals. Ergreifend war der Moment, in dem die amerikanische Flagge gehisst wird, leuchtendes Rot im strahlenden Blau des Himmels, der sich über den pazifischen Midway-Inseln aufspannt. Ein Film, gedreht für die Mütter von Amerika, um ihnen Trost zu geben, wenn ihre Söhne fernab im Krieg waren. Oder sogar gefallen.
Ob Ford das bereits dialektisch, in gewisser Weise zweideutig meinte, wie mir jetzt, nach der neuerlichen Begegnung mit seinem Werk im Rahmen der Viennale-Retro erscheint, kann ich nicht mehr beurteilen. Dazwischen schieben sich andere Filme, wie Letter to Jane von Godard/Gorin, oder die Filme von Harun Farocki, dezidiert analytische Filme, die den Umgang mit Bildern befragen. Ford hingegen hatte die Bilder erst geschaffen, um die es bei den Analytikern geht, Bilder der Affirmation, die Bedeutung produzierten.
Wendepunkt in meiner persönlichen Ford-Rezeption wurde das Erlebnis der Aufführung des Stummfilms The Iron Horse (1924), in der neu eröffneten Cinémathèque française. Ebenfalls ein »Building of the Nation«-Film, allerdings mit Perspektive auf die Arbeiterschaft, der ich mehr abgewinnen konnte als den Erzählungen aus der Army, mit Kameraeinstellungen, in denen buchstäblich Eisenbahnwagons über einen hinwegrollten. Vielleicht tat auch die auratische Cinémathèque française ihr übriges dazu, oder die nachmittägliche Uhrzeit der Vorführung im Kreise Pariser Cinephiler – aber von da an stand ich Ford mit wachsender Begeisterung gegenüber. Wie in einem nachträglichen Anerkennen seiner Bildgewalt und der Erzählungen über die Werdung der amerikanischen Gesellschaft, erschienen mir nun seine Filme weniger ideologisch, mehr der Faszination großer Gesten verfallen: mythisch, heroisch, das Licht am Horizont erblickend.
In die Viennale-Retrospektive wurde ich dann mehr durch den Umstand getrieben, es bei dem Film, der sich anbot, mit einem völlig anderen Genre als dem Western zu tun zu haben als durch die Tatsache, einen weiteren Film von Ford sehen zu können. Gezeigt wurde The Whole Town’s Talking (1935). Ein unfassbarer, sich fortwährend wandelnder Film, von der Büro- zur Gangsterkomödie zur echten Gangstererzählung, in der Büroheld Jones von seinem kriminellen Doppelgänger Manion, einem klassischen »Public Enemy Nr. 1« (in der Doppelrolle brilliert Edwar G. Robinson), bedroht wird. Im Namen »Manion« klingt natürlich »maniac« mit, leicht kann der Film auch psychoanalytisch gelesen werden (die Befreiung des Kleingeists durch das Manische und Größenwahnsinnige, was auch immer eine Gefahr für die Gesellschaft bedeutet). Die komödiantischen und überraschenden Plot Points halten den Film in Drehungen und Wendungen in Gang, und am Ende fiel selbst ich auf die alte Schnurrbart-Nummer herein.
Dieses freie Spiel der Zeichen, Vorzeichen und Genres, in welchem das eine mühelos in das andere hineingleitet, der Film sich stets wandelt und wie eine Walze sich permanent dreht und wendet und so in seiner Erzählung vorankommt, wird erst am Ende angehalten. Jones, jetzt ein Star und mit einer satten Belohnung für die Ergreifung des gefährlichen kriminellen Doppelgängers ausgestattet, heiratet die kühle Blonde.
Diese Erfahrung sollte sich in den nächsten Tagen, als ich, angefixt durch diesen ersten Film (und die sagenhafte Filmkopie), beschloss, die diesjährige Viennale vor allem John Ford zu widmen, wiederholen: freies Spiel der Zeichen, fortwährender Wandel des Films, verschiedene Stationen, die der Held durchläuft und die unterschiedlicher, teils subversiver und anti-ideologischer Couleur sind, bis am Ende wieder alles ins gesellschaftliche Lot gerückt wird mit der Wiederherstellung jegwelcher Ordnung, wenn auch unter anderem Vorzeichen (der Gangster ist keiner mehr, der Büroangestellte konnte sich von seiner langweiligen Existenz befreien). Was bisweilen als Ende oft sehr schnell und bisweilen auch mechanisch abgespult wird (Rückholung in die Gesellschaft ist das Stichwort: der sich bewährt habenden (Ex-)Gangster findet ein Mädchen, es wird geheiratet, Trophäen werden entgegengenommen und damit Existenzen gerettet). Dazwischen aber haben wir mit den Helden nicht nur Abenteuer durchlaufen, sondern auch Extremsituationen, Uneindeutigkeiten, Dialektik erfahren.
Visuell überaus überwältigend (die fast grafischen Aufnahmen der Sandwüste von Arizona und die bildliche Orientierungslosigkeit im Sandsturm) überraschte mich 3 Godfathers (1948) vor allem durch den Umstand, es mit einer Art Westernversion von Drei Männer und ein Baby zu tun zu haben. Auch dies ein Film der Volten, geprägt durch das visuelle Wechselbad von Überfluss und (Wasser-)Mangel und durch die Konstellation des verfolgenden Sheriffs und des schließlich siegreichen einen heldenhaften Banditen (John Wayne), dem Sheriff ebenbürtig, sein faszinierender Gegenspieler auf der anderen Seite des Gesetzes. Die größte Wendung in dieser klassischen Verfolger-Verfolgten-Story kündigt sich durch die gewagte Kameraeinstellung aus dem Inneren eines Planwagens an. Wie eine Mega-Vagina klafft hier die Plane und öffnet sich den Banditen, die sehen wollen, was sich in ihm findet: eine gebärende Frau, die bald nach der Geburt sterben wird. Die Männer werden fortan vom dem, was die weibliche Kreatürlichkeit ihnen offerierte, bestimmt.
Übrig bleiben also die drei Gangster mit dem Baby. Eine ganze, lange Szene lang verlesen sie Anleitungen zur Säuglingspflege, packen Schnuller und Schühchen aus, basteln ein Fläschchen, schunkeln das Baby, das erstaunlich neugeboren aussieht. Mitten in der Wüste. Starke, das Baby haltende, wettergegerbte Männerarme. John Wayne. Fast wie bei Herkules, der im Mythos als Sklave der Königin Omphale Weiberarbeiten verrichtet, als Inbegriff möglicher Helden-Verweichlichung, kommt hier die westernhafte Verfasstheit des Genders ins Taumeln. Auch buchstäblich, wenn die Gangster, geschwächt durch die Entbehrungen, über einen Salzsee straucheln, im Arm immer fest das Baby.
Getrieben werden sie von einer eigenartigen, fast schon häretischen Bibelauslegung, nach der sie (drei Gangster) Moses gefunden hätten und es jetzt wie die Heiligen Drei Könige nach Jerusalem schaffen müssen, um das Moses-Baby zu retten. Auch wenn unterwegs die Bibel ebenso wie anderes Gepäck als überflüssiger Ballast in der Wüste zurückbleiben muss (auch so eine uneindeutige Perfidie Fords: zum einen die Bibel nach gusto zu benutzen, andererseits sie mit einer befreienden Handbewegung wegzuwerfen), ist dies immer noch eine Art gelebter Bibelhinwendung. Der Glaube in der Praxis. Und selbst wenn am Ende des Films der Gangster in den Knast einfährt und bereits eine Frau auf seine Entlassung wartet, damit sie gemeinsam (!) das Kind großziehen können: im letzten Bild hält nicht etwa eine Frau, sondern der Sheriff das Baby auf dem Arm.
Auch wenn in 3 Godfathers der Gangster mit dem vielleicht denkbar radikalsten Vorzeichen einer neuen Rollenzuschreibung versehen wurde, ließen sich ähnliche, positive Brüchigkeiten und Bedeutungs-Oszillationen auch in anderen Filmen Fords feststellen. In Steamboat Round the Bend (1935), der mit einem Schaufelraddampfer-Rennen auf dem Mississippi endet, reißt der Film, wann auch immer es sich anbietet, in die Stummfilmkomödie aus, mit grandiosem Slapstick. Two Rode Together (1961) thematisiert eine problematisch gewordene hybride Kulturalität von zu den Indianern verschleppten Weißen, die nun in die weiße Zivilisation reintegriert werden sollen. Inmitten der manifest werdenden Fremdenfeindlichkeit gegenüber jenen, die man zurückgeholt hat, benennt der freigeistige Marshal McCabe (James Stewart) schonungslos die Ängste der Gesellschaft. Auch hier muss das Ende dafür dienen, die Ordnung wieder herzustellen, nur tut es dies auf radikale, gewalttätige und äußerst zwiespältige Weise: der weiße Junge, der bei den Indiandern aufwuchs, wird, da er seine Wildheit im entscheidenden Moment nicht zähmen konnte, vom Mob gelyncht, obwohl die Identifizierung als einer der ihren kurz zuvor passierte. Ein zynischer Schluss, der quittiert wird durch die Abkehr von der bigotten Gesellschaft: der freigeistige Marshal und Elena, die als ehemalige Frau eines Indianers zurückgebracht wurde (Linda Cristal), verlassen die Gemeinschaft der Siedler.
Im Sinne von Ford, das freie Spiel der Zeichen möglichst nicht zu arretieren (es sei denn durch einen wie aufgepropft wirkenden Schluss), soll dies hier nicht mit einem Fazit enden. Die Filme von Ford werden sich weiter wandeln und neue Seiten offenbaren. In anderen Retrospektiven, wann immer mir wieder Ford begegnet. À suivre.