Cinema Moralia – Folge 100
Jeder macht so, was er macht |
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Ein Film, der überfällig ist: Elser | ||
(Foto: NFP marketing & distribution GmbH / Tobis Film GmbH) |
»Der einzige Weg mit einer unfreien Welt umzugehen, besteht darin, absolut frei zu sein.« hat Albert Camus gesagt. Étienne de la Boétie (französischer Hoher Richter von 1530 – 1563) drückt es noch etwas besser aus, wenn er sagt:
»Der Unterdrücker hat weiter nichts als die Macht, die ihr ihm zugesteht, um Euch zu unterdrücken.
Woher hat er genügend Augen, Euch auszukundschaften, wenn Ihr sie ihm nicht selbst liefert?
Woher soll er die vielen Arme haben, Euch zu
schlagen, wenn er sie sich nicht von Euch ausborgt?
Wo bekommt er die Füße her, Eure Städte niederzutrampeln, wenn es nicht Eure eigenen sind?
Wie kann er Gewalt über Euch haben, wenn nicht durch Euch selbst?
Wie könnte er es wagen, Euch zu überfallen, wenn nicht durch Eure eigene Mitwirkung?«
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Erstens, damit das auch einmal gesagt ist: Dieser Text und diese Kolumne sind nicht islamophob. Zweitens: Jeder hat das Recht, islamophobe Texte zu schreiben, soviel er will.
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Ja, heute hätten wir eigentlich die Nummer 100 dieser Kolumne mit einigen zeitlosen Einsichten feiern wollen. Aber das Wesen dieser Kolumne ist ja gerade seine Zeitgebundenheit, und spätestens die Pariser Attentate hatten allen anderen Absichten den Schwung genommen.
Und dann noch der Hype um PEGIDA. PEGIDA – was heißt das eigentlich nochmal? Provinzdeppen, Prozesshansel, Egoisten, Eigenbrötler, Grantler, Islamhasser, Idioten, Dumpfbacken, Antisemiten,
Ausländerfeinde, Angsthasen. Da wird man schnell zum Antideutschen, ohne das wir das jetzt im Einzelnen ausführen wollen. Kann ja jeder mal den Begriff googlen.
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In unserer Aufrufs- und Erregungs- und Identifizierungsgesellschaft (und über das Identitätsbekenntnis »Je suis Charlie Hebdo« lohnte sich das Nachdenken) war klar, dass es jetzt wieder etwas geben muss, wo jeder unterschreiben darf. Auch das Selbstverständliche. Weil ich diesen Manifestismus zwar für Quatsch halte, in der Sache aber natürlich nicht dagegen bin, leite ich also den Aufruf hier pflichtschuldigst weiter:
»Fanatiker haben in Paris zwölf Menschen, zumeist
Journalisten des Satiremagazins ›Charlie Hebdo‹ ermordet. Wir fühlen mit den Angehörigen der Opfer. Diese blutige Tat wendet sich gegen Demokratie und Toleranz, sie zielt auf Meinungs- und Pressefreiheit. Muslime auf der ganzen Welt verurteilen die Morde. Doch gleichzeitig versuchen die rechten Demagogen von Pegida die Tat zu instrumentalisieren, um gegen Menschen islamischen Glaubens und Flüchtlinge zu hetzen. Wer dies tut, befeuert die Spirale aus Hass
– und spielt den Tätern in die Hände.
Kommenden Montag will Pegida in Dresden wieder demonstrieren und die Morde benutzen, um Hass und Fremdenfeindlichkeit zu schüren. Die toten und verletzten Journalisten können sich gegen diese Instrumentalisierung nicht wehren. Daher müssen wir in Solidarität mit den Opfern von Paris gegen die schreckliche Gewalttat aufstehen. Und uns gleichzeitig den rechten Demagogen von Pegida entgegenstellen. Wir Bürger/innen treten ein für ein
friedliches Zusammenleben aller Menschen und Religionen.
Deshalb starten wir heute unseren Bürger-Appell ›Wir sind Charlie – wir sind nicht Pegida!‹.
Hier kann man unterzeichnen.«
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Die interessantere Frage aber ist für uns diese: Was hat PEGIDA eigentlich mit dem deutschen Film zu tun? Oder anders: Ist es eigentlich noch zeitgemäß, dass die Filmförderung unausgesprochen nach dem Blut&Boden-Prinzip funktioniert, Motto: »Deutsches Geld für deutsche Filme«.
Eine neue Filmförderung, die sowieso bald kommen wird, weil die alte gerade implodiert, ist nur als europäische denkbar. Da wird sich aber mancher hier umgucken.
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Im Zeichen der deutsch-französischen Freundschaft – erinnern wir uns: wie Merkel sich an Hollande lehnte. Das Bild wird bleiben, wie der Handschlag von Verdun – könnte man bei diesen beiden Ländern einen Anfang machen. Französisieren wir uns!!
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Patriotismus, auch falschverstandener und deutscher Film sind jedenfalls ein dankbares Thema. Auch der Erfolg, den ein Film wie Monsieur Claude bei uns hat, wäre mal vor dem Hintergrund der Dresdner Nazi-Demos zu betrachten. Da geht die selbstverschuldete Unmündigkeit auf die Straße und ist noch stolz drauf. Aber auch ein Film wie Monsieur Claude, obschon anders gemeint, bedient nur billigste und dümmste Ressentiments. Wie schon anderes vorher. Fuck you, Voltaire!
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Das sind die schönsten Preise: Die, wo den Film noch niemand gesehen hat. Die kann ja einfach niemand schlecht finden. Darum ist der Bayerische Filmpreis fast immer der schönste Filmpreis des Jahres. Denn fast immer gibt es mindestens einen Film, der viele Preise bekommt, obwohl ihn außer den Machern keiner gesehen hat. Zumindest dann, wenn man ihn überhaupt einen Filmpreis nennen will und nicht eine Spezialveranstaltung jener typischen bayerischer Machart, für die der Freistaat
wirklich ein Alleinstellungsmerkmal hat, wenn die Restrepublik sich auch noch so viel Mühe gibt.
Ach ja, die »Jury« gibt’s ja auch noch. Ganz unabhängig von der Bayerischen Staatskanzlei ausgesucht. Wer ist da drin? Kann man irgendwo nachlesen. Interessiert aber niemand. Weiß auch keiner.
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Schade, dass das einem Film wie Elser gleich schon mal ein Geschmäckle gibt. Elser, also Georg Elser, das ist nämlich, liebe Filmfreunde, nicht der Vater von Hannelore Elsner, sondern der Mann, der um ein Haar Hitler umgebracht hätte, beim Attentat 1938 im Münchner Bürgerbräukeller. Nur durch im Wortsinn unwahrscheinliches Glück (durch »die Macht der Vorsehung« meinte er) entging Hitler
dem Attentat. Wäre er getötet worden... – ob dann alles besser gewesen wäre mit Göring oder Himmler an der Spitze, das ist keineswegs sicher und daher eher eine akademische Frage, so wie die, ob Hitler, hätte ihn die Reichswehr 1934 oder 1935 weggeputscht, wohl als ein großer deutscher Politiker in die Geschichte eingegangen wäre.
Aber dass über den jetzt endlich ein Film gemacht wird – wenn das der Führer wüsste! – ist überfällig, denn im Fall von Elser gilt wie bei
den Scholls und Stauffenbergs. Nicht der Erfolg ist das Entscheidende, sondern der Versuch.
Wenn nur auch Kino so funktionieren könnte!
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Schließlich: eine Zufallsbegegnung und ein kurzes Gespräch in der Berliner U-Bahn mit einer bekannten deutschen Filmfunktionärin (jetzt darf jeder raten). Wir reden über die leidige DFFB-Situation, wo man unfähig ist, einen kompetenten Nachfolger zu finden, weil aus den Wunschlösungen nichts wird, und jetzt die Angst regiert. Im Augenblick passiert gar nichts – eine unmögliche Situation! Auch meine Gesprächspartnerin freut sich nicht auf die Berlinale, auch sie sehnt den
Tag herbei, an dem Dieter Kosslick nicht mehr Festivalleiter ist. Wir reden über mögliche Nachfolger und spekulieren, obwohl Alfred Holighaus bessere Chancen hat, oder Forums-Leiter Christoph Terhechte, der am ehrgeizigsten ist und am deutlichsten darauf hinarbeitet.
Da werden wir noch ein paar Jahre spekulieren müssen.
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Sie verabschiedet sich auf dem Weg zu einer der vielen Gremien, in denen sie sitzt, mit dem schönen Satz, der natürlich nicht nur für sie gilt: Jeder macht so, was er macht.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.