Cinema Moralia – Folge 106
Tote haben keine Nationalität |
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Die Flucht: Suchsland sieht fern und sollte lieber Reißaus nehmen | ||
(Foto: ARD) |
»Des is das Wichtigste, verstehst: Das nicht ich der Depp bin, sondern die anderen.« – »Des wird schwer sein.«
– Monaco Franze von Helmut Dietl
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»Das Spektakel kann man nur mit spektakulären Mitteln kritisieren.« Dieser Satz des französischen Situationisten Guy Debord ist in den verschiedensten Momenten ein ganz praktikabler Leitfaden, ob es nun darum geht, die mediale Behandlung des Flugzeugunglücks vergangene Woche zu verstehen, oder die sich hochschaukelnde Krise an der Berliner Filmschule DFFB, oder das, was man sieht, wenn man Fernsehen guckt.
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An diesem Mittwoch gab es auf der ARD Bemerkenswertes. Ob diese Aussage auch für Nackt unter Wölfen gilt, das Remake von Frank Beyers großer Verfilmung von 1963, das kann ich noch nicht sagen – ich werde den Film erst morgen ansehen. Es gilt aber zumindest für deren Programmierung: Denn alles läuft auf einen Ufa-Fiction-Themenabend hinaus, den ich dem tapferen Produzenten Nico Hofmann jedenfalls gönne, programmpolitisch aber zweischeidig finde: Erst der Film, dann eine Doku, die gewissermaßen die Fakten nachliefert, grundiert, verbreitert. Und dann die Wiederholung von Die Flucht mit Maria Furtwängler-Burda als ostpreußischer Gräfin, die sich und Hab und Gutsbesitz vor den bösen Russen rettet. Zumindest diese letzte Entscheidung finde ich eine reine Obszönität: Kann man im deutschen Fernsehen nur noch ein KZ-Lager zeigen, wenn man quasi zum Ausgleich auch noch das zeigt, was man heute »deutsche Opfer« nennt (als ob Juden, Schwule und »Politische« in Buchenwald keine Deutschen gewesen wären, und als ob es darauf überhaupt ankommen würde, ob das Deutsche sind, oder nicht.) Müssen jüdische Tote ein paar Arier an die Seite gestellt bekommen?
Die Programmierung von Die Flucht unmittelbar nach Nackt unter Wölfen ist nichts anderes, als eine Relativierung der einmaligen deutschen Verbrechen durch die ARD-Programmacher. Ob bewusst oder instinktiv, tut nichts zur Sache. Instinktiv wäre noch schlimmer.
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Was hätte man stattdessen zeigen können? Die US-Serie »Holocaust, und wenn man die nicht mehr zeigen darf, dann ›Aus einem deutschen Leben mit Götz George als Rudolf Höß oder Schindlers Liste oder wie wär’s mit einer Shoah-Nacht?‹«
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Bemerkenswert ist hier nebenbei aber auch die Feststellung, dass es im deutschen Fernsehen sehr viele Themenabende gibt wie diesen (ganz zu Recht!), und sogar Thementage, nur nicht mehr bei Arte, die dieses Format einst erfunden haben. Dort spielt man stattdessen etwa zwanzig Folgen mit dem Titel »Im Lauf der Jahreszeiten« in denen es um, nun ja, die Jahreszeiten geht. Spannend, oder?
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Zwei Sendungen muss man in den Mediatheken über die Ostertage nachholen, und zwar zusammen, denn sie stehen in enger Beziehung: Zunächst Maischberger, über »70 Jahre« Kriegsende, eigentlich aber als Appetizer auf den Mittwochabend. Da gerieten nach Erinnerungsplausch im üblichen Rahmen zwei Gäste heftig aneinander: Nico Hofmann und Niklas Frank, der Sohn von Hans Frank, der als Generalgouverneur von Polen einer der Hauptverantwortlichen für die Ermordung der Juden und den deutschen Vernichtungskrieg gegen die polnische Zivilbevölkerung war.
Frank provozierte mit seiner Aussage, die Deutschen seien ein kaltes, empathieloses Volk, das aus dem III. Reich eigentlich zu wenig bis gar nichts gelernt habe: »Wir sind eine Schönwetterdemokratie, denn wir haben nichts gelernt. Wenn es uns wirtschaftlicher mal wieder schlechter geht, dann werden die alten Ressentiments wieder hochkommen«, sagt er und nennt das derzeitige Gerede über Griechenland als Beispiel. Nico Hofmann hielt dagegen, berichtete von den Schwierigkeiten des Verarbeitens am Beispiel des eigenen Vaters. Man kann nicht recht sagen, wer von beiden Recht hatte, es waren nur zwei sehr verschiedene Haltungen zur eigenen Familie und zum eigenen Deutschsein, die hier aufeinander schlugen. Beiden gemeinsam war die Intensität, mit der sie die eigene Haltung einnahmen. Kurz stand ein Eklat in der Luft.
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Aber gerade als man am Ende der Sendung geneigt war, Hofmanns geschmeidiger Argumentation recht zu geben, gab es dann »Die Anstalt«. Satiresendung, mit den üblichen, mal blöden, mal besseren Witzen zwischen Engagement und Zynismus über die Troika und die sogenannte Griechenland-Krise, die doch eher eine der Banken und des unproduktiven Kapitals ist. Immerhin hielt es wach zu später Stunde. Mit Wahrheiten wie »Wer BILD liest, um sich zu informieren, trinkt auch Schnaps, wenn er Durst hat« und »Wir leben in einem Land, in dem Günther Jauch ungestraft die Bezeichnung Journalist tragen darf«.
Doch dann war es mit den Witzen plötzlich vorbei: Als es um die geforderten Reparationszahlungen Griechenlands an Deutschland geht und die Folgen der deutschen Besetzung Griechenlands, zeigen sie das Bild eines 1944 vierjährigen Jungen, der als Einziger das Wehrmachts-Massaker an der Zivilbevölkerung im Dorf Distomo überlebt hatte.
Plötzlich betritt ein grauhaariger Herr die Studiobühne. Er ist der Vierjährige von damals, Argyris Sfountouris. Bis heute hat er keine Entschädigung von deutscher Seite erhalten.
Ein kaltes, empathieloses Volk, das aus dem III. Reich nichts gelernt hat. Vielleicht ist da ja doch etwas dran.
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Der Umgang mit dem Germanwings-Absturz zeigte alle Mechanismen in Reinform: Den Voyeurismus der Medien und ihres Publikums, als ersten Schritt. Der zweite Schritt: Die angebliche Pietät. Und dann die vermeintliche Selbstkritik und Selbstreflexion. Schließlich das »wieder vernünftig werden« und »Maßstäbe zurechtrücken«. Also alles in mehreren Schritten. Erstmal Sondersendungen, Photos, Liveschalten, Ticker und Animationen. Möglichst ran an die Absturzstelle, die Betroffenen,
Emotionen bitte und persönliche Schicksale. Wie in jeder öffentlich-rechtlichen Doku. Ratlose Fragen, Betroffenheitsshows. Maischberger letzte Woche. Dann meckert man über die Meute, die anderen. Man selber ist natürlich anders, besser. Dann wird die Wahrheit offenbar, ganz kurz schreiben alle, dann schreibt plötzlich keiner mehr den längst bekannten Namen des möglicherweise psychisch kranken Massenmörder Andreas Lubitz. Dann dürfen wir ihn nicht mehr krank nennen, denn
ohgottohgott, es gibt ja viele psychisch Kranke, die sind eigentlich ganz normal, fast jedenfalls, zumindest fliegen sie kein volles Flugzeug in die Erde.
Dann wieder geht’s so natürlich auch nicht weiter. Also zurück: Alles Bullshit. Medien bedienen Bedürfnisse. Die Kritik am Katastrophenjournalismus ist vollkommen heuchlerisch. Das Entsetzen und der Wille zur Wahrheit sind zutiefst menschlich.
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Einen guten Aufsatz dazu findet man im Netz: »Wer ein Flugzeug mit 150 Leuten an Bord mit voller Absicht an einem Berg zerschellen lässt, der qualifiziert sich automatisch zur Person der Zeitgeschichte. Medien haben jedes Recht und sogar die Pflicht seinen Namen zu nennen, sein Bild zu zeigen. Er ist der Kern der Geschichte. Wer das anders sieht, sollte überlegen, seinen Presseausweis zurückzugeben«, schreibt Stephan Winterbauer. Genau da ist unsere Aufgabe: Schreiben, beschreiben, Fakten nennen und interpretieren. Wir werden weitermachen.
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Ein ARD-Brennpunkt zum Absturz missglückte total, erstickte in seiner Kaskade aus sinnlosen Liveschaltungen. Grossartige Wahrheitsmomente, dazwischen aber die Sätze der überforderten Moderatorin, die nur für die Regie bestimmt waren, und das Gemachte der Spontanität offenbarten: »Nee, das frag ich nicht, das sag ich einfach.«
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Neulich in einer jener Berliner Bars, wo man tatsächlich, wenn man gute Ohren hat, Berliner Politikern und Journalisten beim lose Daherreden zuhören kann: »...da saß der Hartmann mit der Zuckertüte und zitternden Händen. Und später dann kam der Oppermann rein. Mit wem hat der wohl geredet? ... Die Petra Ernstberger, der hat dann Oppermann gesagt: Den bringt du unter, oder du kannst dir selber einen neuen Job suchen ... die Version ist ja, dass Hartmann von Oppermann den Auftrag
hatte, das abzuwickeln.«
»Die Sachen, die wir machen, sind doch Feigenblätter – über Bauern, die Probleme haben mit Maul- und Klauenseuche.« Na, worum gings da? Wer’s weiß, dem verrate ich die Bar.
(to be continued)