Cinema Moralia – Folge 108
Seismographen der Gegenwart |
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Durch den Rost der Massenabstimmung gefallen: Die geliebten Schwestern | ||
(Foto: Senator Film Verleih GmbH / Central Film Verleih GmbH) |
»Es sind doch die Filmemacher, die die Filme machen! Oder?« so fragt keck und leicht rhetorisch der Verband der deutschen Filmkritik (VDFK) und das ausgerechnet noch auf dem Filmfest München, dem Festival mit der allermeisten Branchennähe.
An diesem Samstag (27.06.) findet im Rahmen des 33. Filmfests München ein vom VDFK veranstaltetes Panel zur deutschen Filmproduktion statt, das unter der Leitfrage steht: »Wer entscheidet über den deutschen Film?« (Ab 11 Uhr, in der Black
Box im Gasteig (Rosenheimer Str. 5, 81667 München), immerhin der Eintritt ist frei.)
Die Frage ist berechtigt. Denn natürlich sollten die Filmemacher entscheiden, also Regisseure, Autoren und unter Umständen noch die Produzenten. Aber jeder weiß, dass in Deutschland viel mehr mitreden, wenn Filme gemacht werden. Vielleicht sind es genau diese vielen Köche, die den Brei verderben, vielleicht ist es das mangelnde Vertrauen, umgekehrt das grassierende Misstrauen, dass noch eine
Drehbuchfassung, noch einen Erzählstrang und doch noch einen Star verlangt, damit der Film auch »sicher« ein Erfolg wird, das verhindert, dass der deutsche Film je abhebt, und mehr Filme entstehen, wie Sebastian Schippers Victoria.
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»In Deutschland hat man es nicht gern, wenn Freunde zusammen Filme machen«, sagt Franz Müller, der mit seinem neuen Film im Programm des Filmfest München vertreten ist, und an der Debatte teilnimmt. Gleichzeitig kommt nächste Woche Müllers letztes Werk, die Film-im-Film-Komödie Worst Case Scenario ins Kino. Bereits diese Woche war Müller auf dem Festival des deutschen Films in Ludwigshafen. Zu den Produktionsverhältnissen im deutschen Film zog er beim dortigen Filmtalk zu seinem Film den Vergleich mit den USA: »Da machen Freunde mit Freunden Filme. Und nur unter Freundschaftsbedingungen gibt es genug Vertrauen, um sich zu öffnen. Vertrauen kommt einem Film zugute.« Das habe man in Deutschland noch nicht begriffen, sagt Franz Müller: »Da
bekommt man dann zu hören: Du willst ja nur mit Deinen Freunden einen Film machen.«
Als ob wir es nicht alle besser wüssten, nicht wüssten, dass Fortschritte im Kino immer aus Gruppen und Zusammenhängen geboren wurden, aus persönlichen Beziehungen zwischen Regisseuren, Drehbuchautoren, Produzenten und Schauspielern: Man denke an die »Hongkong New Wave«, an »New Hollywood«, an die »Nouvelle Vague«, an den italienischen »Neorealismus« oder in Deutschland an einen Film wie Menschen am Sonntag von 1929, für den gleich fünf Regisseure verantwortlich waren.
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Eine Gruppe ist natürlich nicht mit einer diffusen Menge zu verwechseln: Vielleicht ist es also genau dieses dauernde Reingequatsche und Mitgesabbel der Redaktionen und Fördergremien, die die deutschen Filme schlechter machen, als sie sein müssten.
Das VDFK-Panel jedenfalls fragt, ob die wahren Entscheider des deutschen Films nicht vielleicht woanders sitzen, als unter den Filmemachern, ob Produzenten und Regisseure nicht Marionetten sind, die von unsichtbaren
Puppenspielern in öffentlich-rechtlich finanzierten Büros gesteuert werden.
»Welche Einflüsse hat die Förderung, welche Rolle spielen Fernsehsender, wie wichtig sind Publikum und Filmkritik?« Sogar nach »Geschmack und Lust..., Bildung und Interessen« wird gefragt. »Wer entscheidet, dass es so sein soll, wie es ist?« Denn der VDFK zumindest glaubt: »Der deutsche Film kann noch viel besser sein.«
Hintergrund von all dem bildet auch die anstehende FFG-Novelle.
Unter der
Moderation des hochgeschätzten Carlos Gerstenhauer von »BR Kino Kino« diskutieren Cornelia Ackers, BR-Redakteurin und eine der besten, interessantesten Fernsehmacherinnen, Carl Bergengruen, der neue Geschäftsführer der MFG Filmförderung Baden-Württemberg (und Ex-SWR-Redakteur und Studio-Hamburg-Chef), Christoph Gröner vom Filmfest, Frédéric Jaeger, von critic.de und VDFK-Vorstand, sowie wie erwähnt Franz Müller, Regisseur, Drehbuchautor und Produzent in Personalunion,
damit wenigstens einer von der kreativen Seite auch vertreten ist.
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Das alles ergibt dann im Zusammenspiel jene »Diktatur des Mittelmaß«, über die Lars Henrik Gass, Leider der Kurzfilmtage Oberhausen in der FAZ vor einigen Wochen geschrieben hat. Unter dem Titel lief auch ein
Radio-Streitgespräch in der Reihe des SWR 2 »Forum«, bei dem ich das Vergnügen hatte, mit Klaus Schaefer, Leiter des FFF Bayern eine knappe Stunde live über die deutschen Film-Zustände zu streiten.
Ich muss da meinem Kontrahenten ein Kompliment machen: Schaefer war gut vorbereitet, und hat geschickt argumentiert, auch manchen Hügel gleich freigegeben zugunsten einer Art Frontbegradigung. Für mich überraschend war, dass Schaefer in den ersten Minuten schon die wirtschaftliche
Filmförderung quasi komplett über Bord warf, als ob das nicht gerade in Bayern eine Rolle spielen würde.
Für mich überraschend war auch, wie kämpferisch Schaefer war, wie oft er mich auch unterbrach – da hatte ich ihn zugegebenermaßen vorab für passiver, bequemer, und auch saturierter gehalten.
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Vergeben wird in München auch der »Siegfried Kracauer Preis für Filmkritik«. Man darf gespannt sein, ob die diesjährigen Preisträger auch Kracauers Abspruch erfüllen können, dass gute Filmkritik wie ein Seismograf der Gegenwart funktionieren muss. Filmkritik sollte konkret sein und den Mut zu Aussagen haben, über die man streiten kann. Filmkritik ist keine Filmwissenschaft und sollte auch nicht mit ihr verwechselbar sein. Zumal die derzeitige Filmwissenschaft, jedenfalls
in Deutschland, sich doch sehr in ihren eigenen Elfenbeinturm zurückgezogen hat, dort gern sitzen bleibt und, sowohl sprachlich als auch in den Kategorien, mit denen sie arbeitet, »Glasperlenspiele« betreibt.
An Kracauers Person kann man hingegen zeigen, wo genau heute das Manko liegt: Gute Filmkritik ist immer auch politisch und gesellschaftlich relevant. Wenn sie nur ästhetisch ist, dann wird sie ästhetizistisch. Natürlich kann man einen Film immer so angucken, als ob er
jenseits politischer, kultureller, sozialer und zeitgeistlicher Umstände gemacht wurde. Aber das ist eben nur die eine Seite eines Kunstwerkes. Insofern macht es sehr viel Sinn, dass der neue Preis, der erst seit Ende 2013 vom VDFK zusammen mit der MFG vergeben wird, Kracauer-Filmpreis heißt, und nicht irgendwie anders.
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Sechs Bundesfilmpreise für Victoria, das geht natürlich voll in Ordnung. Hoffentlich hilft es dem Film, der in der ersten Woche mit 25.000 Zuschauern beschämende Zahlen »gemacht« hatte. Beschämend jedenfalls angesichts der Qualität des sehr ungewöhnlichen Film und seiner Werbekampagne.
Andererseits hat der Verleih diesen schwachen Start selbst zu verschulden: Es war ein Fehler,
dauernd über die »eine Einstellung« zu reden, den Film über seine Technik zu vermarkten, statt über Drama und die großartigen Schauspieler. Wer geht schon in einen Film, weil er in einer Einstellung gedreht ist? Die Machart ist eher ein Thema für Seminare.
Falsch ist es auch, dass der Verleih den Film den Programmkinos erst in der zweiten Startwoche gegeben hat, und Victoria zuerst im
Cineplexx gespielt wurde. Nur ein Beweis, dass der Verleih seinen eigenen Film nicht verstanden hat. Immer wieder wundere ich mich über solche für noch schwer verständliche Entscheidungen. Victoria ist ein Film, der nicht von selber geht, der die Pflege durch gute Kinos braucht. Programmkinos eben. Sebastian Schipper musste darunter leiden.
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Der Filmpreis war wieder im Palais am Funkturm, das war schon mal richtig. Weit weg von der City, aber ein guter Ort. Zurück ins alte West-Berlin, weg von den Touris in Mitte. Da gehört der deutsche Film eher hin, als zu den Go-go-Girls in den Friedrichstadtpalast.
Neben Victoria war wieder viel Quatsch nominiert. Filme, die keinesfalls die Preise hätten bekommen dürfen. Das
Hauptproblem des Filmpreises sind aber ja gar nicht die Nominierten, sondern die, die bei der Massenabstimmung durch den Rost gefallen sind. Dass Die geliebten Schwestern von Dominik Graf und Phoenix von Christian Petzold schlechter sein sollen, als Wir sind jung. Wir sind stark., Jack und Zeit der Kannibalen ist natürlich eine absurde Vorstellung.
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Die »Staatsministerin für Kultur und Medien« Monika Grütters sagte bei der Verleihung dann ein paar interessante Dinge: »Großes Kino« definierte sie geschickt als »Leidenschaft. Mut. Sensibilität. Ausdrucksstärke. Experimentierfreude.« Das seien »Qualitäten, die Filme zu Kunstwerken machen. Diese Qualitäten zeichnen wir mit dem Deutschen Filmpreis aus«. Der mit insgesamt 3 Millionen Euro höch stdotierte Kulturpreis des Landes werde an Ideen verliehen. Und dann: »Deshalb ist es wichtig, dass nicht nur die Maximierung des Ertrags, sondern auch der Mut zum Experiment gefördert wird. Nicht zwangsläufig gefallen zu müssen – das ist künstlerische Freiheit, und darum geht es bei der kulturellen Filmförderung, die für den deutschen Film nicht weniger wichtig ist als die wirtschaftliche.«
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Ob die deutschen Filme des Filmfest München dem gerecht werden? Mal abwarten. Auch dort wird nominiert. Die Jury ist in diesem Jahr die interessante Mischung aus dem Produzenten Peter Rommel (Feuchtgebiete), der Schauspielerin Johanna Wokalek (Die Päpstin) und Regisseur und Schauspieler Sebastian Schipper (Victoria). In der Preisankündigung macht das Filmfest vor lauter Stolz gleich Jan-Ole Gerster gleich auch zum Gewinner obwohl Oh Boy ja gerade nicht als bester Film oder beste Regie gewann, sondern nur fürs Drehbuch. Aber egal, so kleinlich wollen wir nicht sein. Schliesslich geht’s um 70.000 Euro.
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Nachdem der unterschied zwischen Fernsehen und Kino eh schon immer mehr aufgeweicht wird, gibt es nun auch »Tatort« im Kino: Unter dem Arbeitstitel Kinotatort Hamburg drehen Til Schweiger und Christian Alvart einen Krimi für die große Leinwand. Andreas Dresen dreht jetzt endlich auch mit der Constantin. Der Kinderbuchklassiker »Timm Thaler« wird neu verfilmt.
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43 Prozent des Hauptprogramms der ARD werden mit fiktionalen Programmen gefüllt. Jetzt nehmen die Prozentzahlen noch zu – oder war »Günther Jauch« schon immer Fiktion? Jedenfalls trotz des behaupteten Informationsgehalts keine dokumentarische Sendung. Die sind mit weniger als zehn Prozent im Programm vertreten. Wenn Jauch jetzt verschwindet und »Anne Will«, die man im Gegensatz zu Jauch gern sieht, wieder an ihren Ursprungsplatz zurückgeht, wird der freigewordene
Mittwoch für noch mehr Fiktion verwendet. »Mit dieser Programmentscheidung untergräbt die ARD ihre eigenen Bemühungen zur Außendarstellung ihrer Dokumentarfilm-Kompetenz.« findet Thomas Frickel, Vorsitzender und Geschäftsführer der »Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm«.
Die ARD habe eine Chance vertan, »die falschen Versprechungen wettzumachen, mit denen sie bei Einführung der ›Talkshow-Leiste‹ 2010 die Öffentlichkeit täuschten: das Mengengerüst
dokumentarischer Sendungen, so hieß es damals, bleibe unverändert.«
Die AG Dok nimmt das zum Anlass, die ARD und ihre Zuschauer mit Zahlen zu konfrontieren. Daraus gehe hervor, so Frickel, »wie sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk schrittweise von seinem Informationsauftrag verabschiedet«.
Auf der Website der AG Dok (www.agdok.de) kann man die Zahlen nachlesen und belieb verwenden. Die
Langfassung steht unter: http://agdok.de/de_DE/das-gebrochene-wort
(to be continued)
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Unter dem Titel Cinema Moralia sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beoachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.