Cinema Moralia – Folge 107
Der Auszug der Filmemacher |
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Alle Filme oder keine! Ein Festival verliert seine Filme |
»Wir konnten nicht anders handeln, und mussten uns mit den Filmemachern solidarisch zeigen. Aber jetzt ist es wichtig, dass wir auch das Filmfestival unterstützen.« Wieland Speck der Programmleiter der Panorama-Sektion der Berlinale, blickt unglücklich. Er ist zum ersten Mal beim Internationalen Filmfestival von Istanbul, als Mitglied in der Jury des türkischen Spielfilmwettbewerbs. »Es war eine sehr angenehme Jury, mit denen hätte ich mich rasend gern über Filme ausgetauscht. Aber jetzt ist Politik angesagt.« Denn soeben hatte Speck gemeinsam mit seinen Jurykollegen bei einer Pressekonferenz vor rund 200 Journalisten erklärt, die Jury werde in diesem Jahr keine Preise vergeben, genau wie die Jury des internationalen Wettbewerbs. Schon am Tag zuvor war der dritte Wettbewerb in dem Dokumentarfilme konkurrierten, de facto abgebrochen worden, weil sämtliche Filmemacher ihre Werke aus dem Festival zurückgezogen hatten.
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Der Grund für all dies ist ein Fall von Zensur, wie er auch in der staatliche Gängelei und politische Eingriffe gewohnten Kulturszene der Türkei nicht gerade beispiellos, aber doch eher selten ist. Am Sonntag teilte das Kulturministerium in Ankara dem Festival mit, einer der Beiträge des Dokumentarfilmwettbewerbs, der Film Bakur, der von zwei kurdischen Filmemacher gedreht wurde und eine Art Innenansicht der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei
und Terrororganisation PKK bieten soll, dürfe nicht gezeigt werden, denn – so die offizielle Begründung – dem Filme fehle die Freigabe der Behörde. Offensichtlich ein Fall von Willkür: »In der Vergangenheit liefen bei uns immer wieder Filme, die noch nicht freigegeben waren«, sagt Azize Tan, die seit 2007 Direktorin des wichtigsten und renommiertesten türkischen Filmfestivals ist. »Aber wenn wir den Film doch gezeigt hätten, drohen uns hohe Geldstrafen oder
ein Polizeieinsatz. Das können und wollen wir uns nicht leisten.«
Aus Protest gegen diese Maßnahme der Regierung haben diverse türkische Produzenten und Regisseure ihre Filme aus dem Festival zurückgezogen. Einzelne haben auch ihre Teilnahme ganz abgesagt – aber die meisten bleiben: »Das Festival leidet jetzt unter dem Geschehen. Wir müssen aufpassen, dass wir diese Kollateralschäden in Grenzen halten. Denn das Festival war für meine Generation ein ungemein wichtiger Ort;
hier haben wir unsere cinephile Erziehung erhalten«, sagte etwa der türkische Regisseur Zeki Demirkubuz (geb 1964), der Präsident der nationalen Jury.
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»Wir mussten etwas tun«, verteidigt Emin Alper, der 2012 mit seinem Debüt Beyond the Hills im Berlinale-Forum den Caligari-Preis gewonnen hatte, seine Unterschrift unter eine Resolution in der über achtzig türkische Filmschaffende gegen das Kulturministerium protestieren, der sie »Zensur« vorwerfen.
Direktorin Tan bleibt gelassen und unterstützt das Anliegen der Regisseure: »Ich hätte mir gewünscht, man hätte die Filme nur aus dem Wettbewerb zurückgezogen und nicht gleich ganz aus dem Festival. Aber ich kann die Wut verstehen. Es muss sich bei uns etwas ändern – die Gesetze sind anachronistisch. Jetzt muss die türkische Filmszene an einem Strang ziehen.« Den Film würde sie wieder zeigen: »Ich verstehe das Ministerium nicht. Der Film ist keine Propaganda – und
immerhin führt die Regierung gerade Verhandlungen mit der PKK.«
Tan fordert nun aber auch Solidarität mit dem Festival. »Wir haben die Regisseure immer beschützt. Jetzt brauchen wir Hilfe.«
Die Ereignisse der letzten Tage und ihre politischen wie ökonomischen Folgen stellen zwar nicht gleich die Existenz des Festivals infrage, sie kommen aber zu einem ungünstigen Zeitpunkt: In den letzten Jahren wurden – nicht zuletzt als Folge des durch die neoliberale Regierung
ausgelösten Immobilienboom – viele der alten Kinos im Herz des Istanbuler Beyoglu-Viertels geschlossen. Weil die Kinos weniger und die Säle kleiner werden, schrumpfen auch die Einnahmen und damit Möglichkeiten des Festivals.
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Darum sehen nicht alle in Istanbul die Dinge so wie ein Großteil der Filmemacher. »Ich finde es sehr falsch, dass die Filmemacher von 'Boykott' sprechen.« sagt der Filmkritiker Engin Ertan. »Denn das Festival sollte nicht boykottiert werden.«
Und sein Kollege Fatih Özguven, der an der Universität von Istanbul Kulturwissenschaften lehrt, vermutet, dass die Filmszene gerade in die von der Regierung gebaute Falle tappt: »Jetzt sind es in den Augen der Öffentlichkeit wieder die
Kurden, die Ärger machen.« Das sei genau das Ziel der islamistischen AKP-Regierung. Vor den Parlamentswahlen im Juli wolle man die starke Kurdenpartei schwächen. »Man hätte das Festival besser als Plattform genutzt, um die wahren Verhältnisse darzulegen, die Schuldigen zu benennen«, so Özguven, »aber dieser Aktionismus ist ein Wesenszug, der für unsere Gesellschaft sehr typisch ist. Man will das 'stärkste' Statement abgeben und verliert deswegen jedes Maß. Hinzu kommt dass im
Zeitalter von Twitter alle etwas übereilt reagieren. Und irgendwann ist dann das Festival kaputt, und die jetzigen Protestierer sind die ersten, die darüber jammern werden.«
(to be continued)