Cinema Moralia – Folge 110
Have a nice Summer:- |
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Melina Mercouri in Sonntags... nie! | ||
(Foto: Jules Dassin) |
»...die großartig und auch noch immer wieder explizit bejahte Affirmation von Tratsch und übler Nachrede als Kunst, ja, man müsste sich festhalten, weil es so irr ist, aber jeder hat sich inzwischen komplett daran gewöhnt, dass der Boulevarddreck, der den Proleten offen und direkt als Lüge verkauft wird, von den Boulevardchefs den Nichtproleten, den Intellektuellen, als Kunst verkauft wird...«
Rainald Goetz, »loslabern«, Frankfurt 2009, S.170
Yeah! Keiner hat den Büchner-Preis dermaßen verdient wie Rainald Goetz, der beste und zugleich meistunterschätzteste deutschsprachige Autor der Gegenwart, einer der ganz wenigen lebenden Schriftsteller, der überhaupt die Lektüre lohnt, von dem ich mir jedes neue Buch sofort besorge und es sogar auch noch lese, manchmal sogar mehr als nur einmal, ein Vorbild auch in vieler Hinsicht, als Schreiber und mehr noch als Neugieriger, Sensibler, und einer, der auch wahnsinnig filmisch schreibt, so, dass man sie fragt, ob der Mann nicht eigentlich Filme macht, vielleicht heimlich, vielleicht aber auch mit Worten und Buchstaben, ohne es zu wissen. Gratulation, Verbeugung, Verehrung, ich freue mich schon auf die Preisrede!
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Es ist ja das eine, was man über die sogenannte »Griechenland-Krise«, oder »Euro-Krise«, die in Wahrheit eine Bankenkrise ist, denkt. Aber diese Griechenlandselbstgerechtigkeit der Deutschen und vor allem der deutschen sogenannten Qualitäts-Medien, dieser apokalyptische Ton der deutschen Medien, ist täglich zum Kotzen. Käme es nicht aus der falschen Ecke, möchte man fast »Lügenpresse« brüllen, allemal fällt einem das auch nicht sehr schöne Wort aus der Weimarer Republik von
der »Systempresse« ein. Als ob ein Kartell Meinungen und Mehrheiten orchestrieren müsste, als ob alle Chefredakteure und Verlagsgeschäftsführer Angst haben, dass es bald ihnen an den Kragen gehen könnte, wenn sie nicht auf die Griechen eindreschen – und zwar ohne jedes Maß.
Abgesehen von allem: Als ob es das Geld der Leute wäre – es sind die Banken, ihr Trottel.
Dabei ist es leider nur zu offenkundig, dass hier die prinzipielle Unfähigkeit einer linken Regierung vorgeführt werden soll, damit ja niemand auf den Gedanken kommen könnte, so eine Regierung auch woanders zu wählen. Ebenso sonnenklar ist, warum die SPD, allen voran Siggi Gabriel der Kugelblitz der SPD, noch lauter quäkt und schimpft, weil ihnen Syriza und Podemos zeigen, was »links« bedeutet, weil nunmehr doch für immer mehr Deutsche klar ist, dass die derzeitige SPD keine linke Partei ist, noch nicht mal eine linksliberale und auch keine Alternative zur CDU/CSU, sondern nur ihr Wurmfortsatz.
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Was aber noch schwerer wiegt und wirklich schade ist, wenn auch nicht überraschend, angesichts des grundsätzlichen ästhetischen Defizits der »deutschen Seele«: dass noch nicht einmal jemand ein Gefühl für das Theatralische der Situation hat, dass niemand mal Achtung dafür äußert, was für großartige Darsteller und Spieler die Herren Zsipras und Varoufakis sind. Dass sie mutig sind, etwas riskieren, und dass in ihrem Auftritt eine unglaubliche Anmut liegt, Schönheit und
Charisma. Dass sie die Underdogs sind, die stellvertretend für den Teil der Menschheit, der sich noch anderes als Merkels Republik der Alternativlosigkeit vorstellen kann, einen Kampf gegen ein Ungeheuer ausfechten, einen Kampf der Titanen. Dass mit anderen Worten die Ästhetik der griechischen Tragödie so völlig an den Deutschen vorbei geht.
Aber kein Gran Humor, nirgends. Noch nicht mal Sinn fürs Pokerspiel.
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Sonntags... nie! heißt der 1960 in Cannes uraufgeführte griechische Film Pote tin Kyriaki von Jules Dassin, wo Melina Mercouri, die spätere Kulturministerin das Lied Ta Paidia Tou Piraia singt. In Deutschland wurde das Lied unter dem Titel Ein Schiff wird kommen von Lale
Andersen zum Hit.
War es nur Zufall, dass dieses Lied in Christian Petzolds schönem »Polizeiruf 110 (Kreise)« zitiert wurde? Das war ein Film über Menschen, die in ihren eigenen Modellen gefangen sind, und da nicht rauskommen. Dieses Modell wiederum lässt sich auf die derzeitige EU-Finanzshow gut übertragen.
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Email an das dänische Filminstitut. Grund war eine eher harmlose Nachfrage, einen dänischen Film betreffend, und meine Mail ging an die zuständige allgemeine Mailadresse. Die Antwort kam postwendend:
»Thanks for your e-mail. I am on holiday and will return on Friday, August 7th. Emails will not be checked throughout this time.
For general festival matters please contact:
Festival Manager Lizette Gram Mygind – lizetteg@dfi.dk
Festival Manager Christian Juhl Lemcke
– christianjl@dfi.dk
For print matters please contact:
Print Manager Malene Vincent – maleneiv@dfi.dk
Print Coordinator Frederikke Guldborg Larsen – printcoordinator@dfi.dk
Best regards,
Jeppe H. Jørgensen«
Ich maile also der angegebenen »Festival Manager Lizette Gram Mygind – lizetteg@dfi.dk«
Von dort die Antwort:
»On Summer break until August 3rd.
For urgent assistance only:
Christian Juhl Lemche / Christianjl@dfi.dk / until July 10th
Frederikke / Printcoordinator@dfi.dk / after July 10th
Otherwise I will get back to your inquiry upon my return.
Best Regards,
Lizette Gram Mygind
Festival Consultant
Danish Film Institute
Mobil: +45 2482 3758«
Also maile ich dem in beiden Mails angegebenen Christian Juhl Lemche. Von ihm die nicht mehr ganz überraschende Antwort:
»I am out of office – back on August 10th. From July 7 – 10 I’m attending the Karlovy Vary International Film Festival and afterwards I’m on holiday. After this date you may try Frederikke / Print Coordinator / Printcoordinator@dfi.dk<mailto:Printcoordinator@dfi.dk>.
Otherwise I will get back to you upon my
return.
christianjl@dfi.dk«
Bei der gleichfalls angegebenen Kollegin war es noch gutgelaunter formuliert:
»I am on Summer Holiday and will be back in the office on Thursday the 5th of August.
In case of emergency, please contact my colleagues:
Frederikke Guldborg Larsen, Tel: + 45 33 74 36 42
E-mail: printcoordinator@dfi.dk<mailto:lanceringsassistent@dfi.dk>
or
Katrine Danielle Bjaarnø, Tel: +45 3374 3517, Email: katrineb@dfi.dk<mailto:katrineb@dfi.dk>
Have a nice Summer
:-
Best regards,
Malene
Malene Vincent
Festival Coordinator
Marketing & Festival Distribution«
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Immerhin die arme Frederikke Guldborg Larsen (printcoordinator) muss in Kopenhagen die Stellung halten. Denn sie hat, auf meine fünfte Mail dann geantwortet.
Generell bleibt aber der Eindruck, dass man in Dänemark eine ganz ruhige Kugel schiebt, und überaus gelassen den Sommer genießt. Vielleicht ist ja auch dies ein Teil der phänomenalen Erfolge des dänischen Films. Gemessen an der Bevölkerungszahl ist Dänemark zusammen mit Österreich das erfolgreichste Filmland Europas.
Und keine Nation geht öfters ins Kino: 8,4 Mal besucht jeder Däne, Kleinkinder und Uralte mitgerechnet, dort jährlich einen Film im Kino.
Und das nächste Mal, wenn ich etwas übers dänische Kino wissen will, schreibe ich einfach einen Brief. Geht wahrscheinlich schneller:
Danish Film Institute
Gothersgade 55
DK-1123 Copenhagen K
Denmark
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Abschied vom »in«-München: Nach 17 Jahren Punkte geben im »Filmspiegel« des »In-München«, des kostenlosen Stadtmagazins der bayerischen Landeshauptstadt, möchte Hermann Barth auf meine Dienste in Zukunft verzichten, und hat mir recht ruppig und aus meiner Sicht stillos den Stuhl vor die Tür gesetzt. Ich werde es überleben, aber finde es doch schade, dass sich diese Art der Verbundenheit mit München nun löst, zudem auf derart stillose Weise.
Der Grund sind preußische Tugenden bei diesem bayerischen Stadtmagazin.
Denn Barth, der Ende 2010 nach einiger Zeit als Dok-Fest-Leiter, die Herausgeberschaft des »in« recht plötzlich und für manche etwas ruppig von der langjährigen Herausgeberin Christiane Heinrich übernommen hatte, war zornig darüber, weil ich meine Wertungen in den letzten Monaten ein paarmal nicht angegeben hatte. Christiane Heinrich hatte so etwas einst immer auf die Schnelle telefonisch erledigt,
seit Barths Amtsübernahme gab es Exel-Tabellen, die sich nicht immer abspeichern ließen. Auch telefonisch ließ er dann nicht mehr mit sich reden. Schade. Ich habe meine – übrigens natürlich ehrenamtlichen – Wertungen immer als Unterstützung eines solchen, im Grunde natürlich längst überholten und durch Internet-Angebote ersetzten, Stadtmagazins gesehen. Und hätte mir nach all den Jahren einen etwas angenehmeren Umgang gewünscht – dass es nach 17 Jahren auch
mal genug ist, steht da auf einem ganz anderen Blatt.
In seiner Verabschiedungsmail, die ohne jede Vorwarnung und daher für mich doch überraschend gekommen war, behauptet Barth sein Bedauern und begründet es selbst damit, dass meine Ansichten etwas unkonventionell, von den anderen Kollegen abweichend und überdies zu gesprächsanregend gewesen seien. Auf die Idee, dass solche abweichenden Meinungen und meine fehlenden preußischen Tugenden womöglich etwas miteinander zu tun haben könnten, ist er aber nicht gekommen.
Jetzt muss,
wer Suchsland will, halt erst recht artechock lesen!
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Apropos »Filmspiegel«. Was macht eigentlich Uli Hübsch? Lange vor meiner Zeit, als es die tz noch gab, also, als sie noch eigene Texte hatte, und nicht mit dem Münchner Merkur identisch war, war Uli Hübsch jahrelang das tz-Gesicht des Filmspiegel. Vielleicht weiß ja wer etwas.
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Eigentlich wollten wir gern noch etwas zum »Kulturgutschutzgesetz« der Kulturstaatsministerin schreiben. Aber das können wir auch ein andermal. Also belassen wir es bei einer Frage und einem Zitat. Die Frage (sind eigentlich zwei): Bezieht sich das alles auch auf Filme, und wieviel Geld gedenkt die Ministerin dafür auszugeben, dass man die in den Archiven vor sich hinrottenden Filmkopien zumindest vor dem weiteren Zerfall schützt?
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Das Zitat (sind eigentlich Zitate) stammt von Gerhard Richter und ist mir sausympathisch: Das geplante Kulturgutschutzgesetz der Bundesregierung sei ein Eingriff in die Freiheit: »Niemand hat das Recht, mir vorzuschreiben, was ich mit meinen Bildern mache«, sagte Richter im Gespräch mit der »Dresdner Morgenpost«. Er werde seine Bilder nicht irgendeiner Kommission zeigen und fragen, ob er sie verkaufen dürfe. »Diese Leute haben meist auch gar keine Ahnung von Kunst«, so Richter
über derartige Kommissionen.
Dauerleihgaben werden jetzt aus deutschen Museen abgezogen. Richter dazu: »Ich würde es genauso machen wie er: die Bilder aus den Museen holen, schnellstens auf den Markt bringen und verkloppen.«
Scheint so, als wäre Monika Grütters selbst auf ihrem vermeintlich ureigenen Feld, der bildenden Kunst, zunehmend im Amt überfordert und angreifbar. Was schade wäre, weil Grütters ja eigentlich im Gegensatz zu vielen anderen, so etwas wie einen Kunstbegriff
hat.
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Jetzt kommt der neue Film von Sono Sion ins Kino: Tokyo Tribe Unbedingt angucken! Genau wie It Follows, der letzte Woche gestartet ist.
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Ein Satz noch: Perfektion ist uninteressant. Spektakel ist die Essenz des Kinos.
(to be continued)