Cinema Moralia – Folge 114
Fluchtbewegungen... |
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Über Til Schweiger, schweigend. Auch das muss mal sein. |
»Sich zu fügen, heißt, sich zu belügen.« – Elisabeth Kulman, Sängerin
Ein Artikel in der »Süddeutschen« (7.8.15) macht mich auf die Geschichte der österreichischen Mezzosopranistin Elisabeth Kulman aufmerksam. Von Kulman hatte ich bisher noch nichts gehört. Und Oper finde ich eher mäßig interessant. Aber durch den Text ist mir die Frau so ungemein sympathisch geworden, dass ich mir jetzt ganz bald Aufnahmen von ihr besorgen muss, und mir ihre diversen Netzpublikationen anschauen muss, auf facebook, Youtube, usf.
Kulman ist eine der erfolgreichsten Sängerinnen der deutschsprachigen Oper, und mit Jahrgang 1973 im »besten Alter«. Jetzt lässt sie mitteilen, dass sie ab sofort auf dem Höhepunkt ihrer Karriere für weitere Opern-Engagements nicht mehr zur Verfügung steht. Sie hast einfach alles abgesagt.
Begründung, wenn man der SZ glaubt: Sänger hätten im Theater fast keinen Spielraum mehr, weil ihnen alles vorgeschrieben werde. Ihr kreatives Potenzial komme kaum zum Ausdruck, »weil es durch
viele andere Menschen – Regisseur, Dirigenten, Bühnenbildner, Kostümbildner – überlagert wird«. Sie wolle nicht brav nur das machen, was man ihr anweist. Oft sei es leider so, dass die Proben mehr der Selbstfindung des Regisseurs als der Verwirklichung des Werks dienten. »Für mich war das immer sehr belastend, sieben Wochen jeden Tag sechs bis acht Stunden zu proben.«
Im Rahmen der Initiative »Art but fair« hatte Kulman zuvor bereits via Facebook Alexander Pereira, den Intendanten der Salzburger Festspiele dafür kritisiert, dass er die Probengagen in Salzburg abgeschafft hatte. Wenn ein Sänger bei den Vorstellungen krank wird, bekommt er dadurch überhaupt keine Gage mehr. Ein System der Ausbeutung, das Kulman angreift. Kulman, obwohl gut verdienend, wurde durch dieses Engagement zu einer Galionsfigur für schlecht verdienende Künstler und
auf ihrer Homepage ruft sie sogar zu einer »Revolution der Künstler« auf. »Macht mir das wirklich aus ganzem Herzen Freude?« befragte Kulman sich selbst, und stellt ganz grundsätzlich das zeitgenössische Musik- und Sprechtheater in Frage: »Wir drehen uns im Kreis.« Immer dieselben Stücke, aber in zwanghaften Neuinterpretationen. Über die alten Opern eine ganz neue Geschichte zu stülpen, funktioniere aber einfach nicht.
Kulman zieht die Konsequenz und macht nicht mehr mit. Die
Kunst der Verweigerung.
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Lernt der deutsche Filmbetrieb etwas von diesem Beispiel? Hoffentlich! Die richtigen Fragen zu stellen beispielsweise. Neugier, Widerständigkeit, Individualität, Querdenken, Infragestellen, sich nicht alles gefallen lassen. Wieder Künstler sein, nicht Rädchen im Betrieb, nicht Sklave.
Vielleicht lernen wir einfach etwas Streitkultur?
Fangen wir an mit »Art but fair«.
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Das Kino kann nicht nur irgendetwas, sondern eine ganze Menge lernen von anderen Künsten – so wie diese vom Kino.
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Es gibt auch andere. Til Schweiger zum Beispiel. Ich kann nicht behaupten, dass ich zu seinen Fans gehöre. Und wahrscheinlich gibt es hier bald wieder einen guten Grund, über Schweiger zu schimpfen. Aber jetzt und hier loben wir Til Schweiger von ganzem Herzen.
Schweiger hat, man muss das so feststellen, einfach nur recht mit dem was er sagt.
Schweiger hat einfach recht, wenn er der deutschen Öffentlichkeit vorrechnet, dass hier mehr Geld für Tierschutz ausgegeben wird als für
Menschenschutz, dass den Leuten Kröten wichtiger sind, als Flüchtlinge.
Schweiger hat recht, wenn er die obszönen Beträge, die für Stadtschloss, Philharmonie und Berliner Flughäfen und für hunderte ähnlicher Prestigeprojekte, kleiner gernegroßer Politikerprovinzfürsten und Wirtschaftskönige einmal in ein Verhältnis setzt mit dem Geld, das Flüchtlinge kosten.
Schweiger hat recht, wenn er CSU-Politikern ihre Doppelmoral vorhält, wie dem CSU-Generalsekretär Andreas
Scheuer am Dienstag in der ARD-Talkshow »Menschen bei Maischberger«.
Schweiger hat recht, wenn er sagt: »In Deutschland gibt es zu wenig Mitgefühl mit Asylbewerbern.«
Schweiger hat recht, wenn er sagt: Gegen Fremdenhass-Demos »sollte man zwei Hundertschaften Polizei hinschicken, die einkassieren.« Schweiger hat recht, wenn er sagt, die bestehenden Gesetze seien völlig ausreichend, sie müssten nur angewendet werden.
Natürlich ist Schweiger Medienprofi, und er weiß, wie man öffentlich gut aussieht. Schweiger ist auch ein begnadeter Populist. Vielleicht müsste er einmal reflektieren, dass er für die, die er jetzt zu recht beschimpft, seine Filme macht.
Schweiger hat trotzdem vollkommen recht, wenn er sagt: »Da sind offensichtlich mehr Menschen mit sehr rechtem Gedankengut, als uns lieb ist. Aber es gibt ja wahnsinnig viele Menschen, die helfen. Es gibt ja nicht nur die, die rumpöbeln und sagen, die sollen wegbleiben, und so und überhaupt keine Phantasie haben, was das bedeutet, Flüchtling zu sein. Und dann haben wir natürlich eine Menge Leute, die nicht nachdenken, weil sie wie gesagt keine Phantasie haben und weil sie den ganzen Tag vorm Fernseher sitzen und in irgendwelchen Reality-Shows sehen, wie sich irgendwie stumpfe Leute gegenseitig beleidigen, runtermachen, dissen, und das prallt nicht an einem ab.«
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Lange habe ich nicht so viel Bullshit auf einmal gehört, wie neulich im Radio. Von Katja Schneidt, angeblich Bestsellerautorin, habe ich noch keine Zeile gelesen. Und nach diesem Interview werde ich das auch ganz bestimmt nicht tun.
Unnötig genug, dass die sonst so großartige Sendung »Informationen am Morgen« im Deutschlandfunk ausgerechnet dieser Frau überhaupt ein Forum gibt. Leider war der Moderator vollkommen überfordert, er begann bereits mit einer vollkommen
verworrenen, sinnlosen Frage: »Warum sind Til Schweigers Fans Ihrer Meinung nach keine Nazis?«
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Jetzt nochmal lesen, bitte. Dann wird widerspruchslos zugelassen, dass die Autorin (die übrigens aus aus der südhessischen Dschihaddisten-Hochburg Hanau kommt) alles über einen Kamm schert, mal über »Asylsuchende« redet, mal über Flüchtlinge, mal über »Wirtschaftsflüchtlinge aus den Balkanländern«, ohne das ihr auch nur einmal widersprochen wird, ohne dass die Dinge für die Hörer ein bisschen zurechtgerückt werden. Scheidt stellt den Rechtsstaat infrage, übt die
konventionelle Kritik an angeblich zu lange Verfahren, plädiert für kurzen Prozess, nimmt »die Menschen« in Schutz gegen Schweigers Nazi-Vorwürfe, – »die Menschen haben auch Sorgen, die haben auch Nöte.«, »die Menschen fühlen sich von unserer Regierung im Stich gelassen. Die fühlen sich mit ihren Sorgen und Nöten alleine gelassen.«, »dass wir hier sehr wohl eine Zweiklassengesellschaft haben, denn die Menschen wären auch froh, wenn man ihre Sorgen und Nöte und Frust sich einfach
mal anhören würde.« –, sie rechnet die Rentenerhöhung gegen das Geld, das die Flüchtlinge kosten, behauptet »fast 40 Prozent Wirtschaftsflüchtlinge« und Milliardenkosten – »wissen Sie, das ist ja ein Fass ohne Boden«. »Nicht jeder, der einfach mal Ängste äußert oder sich Sorgen macht über die Zukunft von Deutschland, ist gleich ein Nazi.«
Und dann noch einer drauf: »Natürlich haben wir hier Nazis, natürlich haben wir hier Menschen mit einer rechten Gesinnung, das ist
gar keine Frage. Wir haben auch extreme Gutmenschen, die eigentlich schon Anti-Deutschland eingestellt sind.«
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Mit alldem bietet Schneidt ein idealtypisches Panoptikum reaktionärer Stammtischparolen und rechten Dumpfsinns. Bis auf Ausfälle gegen »Lügenpresse« ist auch fast alles drin, was PEGIDA so herausbrüllte.
Die richtigen Nazis sind gar nicht das Problem, sondern Menschen wie Schneidt, die dieserart das ach so gesunde Volksempfinden artikulieren.
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Natürlich kann man an Schweigers Aktion auch eine ganze Menge kritisieren. Aber am Ende muss man ihm zugestehen: Er tut wenigstens etwas.
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Glücklicherweise ist Til Schweiger nicht allein. Trotz großer Ferien regen sich in der Filmwelt andere Initiativen. Bestimmt gibt es auch in München, Köln, Stuttgart und Hamburg ähnliches – ich kann hier jetzt nur über das schreiben, was Gian Piero Ringel von der »Neue Road Movies« dieser Tage gemacht hat:
Unter der Überschrift »Catering für Kriegsflüchtlinge in Berlin« schreibt er da über seine Scham gegenüber den Attacken auf Flüchtlingsheime »in ganz Deutschland, aber
speziell bei uns im Osten«, und antwortet darauf mit einer sehr konreten Aktion: Essensversorgung mit mindestens 500 Halal-Mahlzeiten durch das Filmcatering von Caterer André Ambach.
Berechnet werden nur Einkauf und Personal, trotzdem bittet Ringel um Spenden. Vielleicht bringt dieser Aufruf ja auch andere auf gute Ideen.
(To be continued)