Cinema Moralia – Folge 121
Uns bleibt noch immer Paris... |
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Der Auslandskorrespondent ist heute wichtiger denn je: Hitchcocks Foreign Correspondent |
»They combine a mad love of country with an equally mad indifference to life, their own as well to others. They are coming, unscrupulous and inspired.« – Stephen Fisher in: Alfred Hitchcock: Foreign Correspondent (1940)
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Hitchcocks Foreign Correspondent von 1940 ist unterschätzt und irgendwie übersehen. François Truffaut nennt ihn in seinem berühmten Gesprächsbuch zwar einen Film, den er besonders schätzt, aber dennoch mag man heute die manierierten, philosophischen, oberflächlich apolitischen und die straight auf Suspense setzenden Hitchcock-Filme der 50er und 60er lieber als den ätherischen und
zugleich groben Hitchcock der 30er und 40er, den von Rebecca, von Jamaica Inn und von Suspicion.
Den der Propagandafilme – Life-Boat, Saboteure eben Foreign Correspondent hat man völlig vergessen. Vielleicht aber, da ist so ein Gedanke in diesen Tagen, sollte man im Westen endlich wieder – gute – Propaganda-Filme drehen, und den Mut haben, die Feinde unserer Gesellschaft und unserer Werte zumindest im Kino zu bekämpfen. Gute
natürlich, gelassene, ironische, wie Casablanca.
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Im Zusammenhang mit dem Filmstart von Spectre nahm ich neulich an einer Radiodiskussion teil, bei der die Frage aufkam, warum Bond eigentlich zuletzt nicht mehr gegen reale, politische Feinde antritt, sondern – außer gegen sich selbst und gegen Bösewichte im britischen Geheimdienst – nur noch gegen irgendwelche kranken Superverbrecher und Einzelgänger. Noch nicht mal ein
durchgeknallter nordkoreanischer General.
Es ist auch in Spectre wieder keine andere Großmacht, weder Russen, noch Chinesen, weder Diktatoren noch Islamisten – obwohl doch die ISIS ein perfektes Bond-Feindbild abgegeben hätte – sondern es ist einmal mehr ein schurkisches, krakenhaftes Verbrecher- und Oligarchensyndikat, das unbedingt transnational nach der
Weltherrschaft strebt.
Warum nicht besser mal Bond gegen NSU und Pegida? Warum nicht Bond gegen ein Bündnis aus türkischer Regierung und ISIS?
Die Bond-Macher trauen sich das nicht, denn Bond ist ein globaler Erfolg. Man hat Angst, dies zu gefährden, indem man Teile des Publikums gegen sich aufbringt. Hier macht der Kapitalismus sein eigenes Produkt kaputt. Political Correctness und Profitgier verbünden sich hier, auch in der Themenauswahl und der Entscheidung über Schurken.
Dabei wissen wir: Es gibt Feinde, es gibt die ISIS. Man will einfach die Bond-DVD auch der ISIS verkaufen, darum bitte keine blöden Witze über ISIS und Mohammed.
Man unterschätzt dabei natürlich die Araber und den Mittleren Osten in ihrer Offenheit ebenso, wie man sie auch nicht ernst nimmt. Dabei sollte man selbst Islamisten ernst nehmen, als unseren Antagonisten, wie in ihrer Fähigkeit zur Selbstironie.
Ich bin dafür, dass mindestens Bond wieder reaktionär wird, wieder Macho
ist, wieder kolonialisiert. Warum soll nicht Bond die Figur im Kino sein, die zu dem steht, was der Westen sowieso tut.
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Könnte es sein, dass das so leicht abrufbare Plädoyer für »mehr Sicherheit«, für Überwachung, die so leicht mobilisierbare Kritik an der Freiheit und an dem »westlichen Hedonismus« eher ein Symptom unseres Problems als dessen Diagnose ist? Könnte es sein, dass manche im Westen nur auf die Terroristen warten, damit sie dann im geeigneten Moment ihre Agenda in Gang setzen können?
Man sollte nicht alles glauben, was in der Zeitung steht, auch das kann man von Hitchcocks Foreign Correspondent lernen.
Könnte es sein, dass unsere sogenannten Qualitätsmedien so empfindlich auf die Pegida-Auswürfe gegen die Lügenpresse reagieren, weil sie ahnen, dass etwas dran sein könnte an der Vorstellung, dass sie mehr Lügen enthalten als Wahrheit?
Mindestens enthalten sie viel zu viel Emotion und Hysterie, viel zu wenig Information. In den letzten Tagen haben sich
auch die deutschen Medien in einen »Panic Room« verwandelt.
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Die Attentate von Paris zwingen uns zur Entscheidung, wieviel uns unsere Freiheit wert ist. Wir können sie auch zum Anlass dafür nehmen, uns zu erinnern, dass es die Erfahrung und der Geist des Terrors – der religiösen Bürgerkriege – war, aus denen die Aufklärung geboren wurde, nicht etwa entstand aus der Aufklärung der Terror.
Wir könnten wieder einmal Casablanca sehen, bei der
Marseillaise-Szene mitsingen, und uns daran erinnern, wo »wir« eigentlich herkommen. Aus den Trümmern des Jahres 1945, aus einem vom Faschismus verheerten Europa.
Wir könnten uns erinnern, dass nicht das Regulieren von Staubsaugern und das Rauchverbot das Thema Europas waren, und auch nicht der Freihandel. Sondern der Tod und der Widerstand gegen ihn, die Kunst und der Intellekt und die Verteidigung des Geistes gegen die Instinkte. Europas Thema ist Freiheit, ist Anti-Nationalismus, ist Anti-Seperatismus (liebe Katalanen), ist Terrorabwehr.
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Warum singt man eigentlich in britischen Fußball-Stadien die Marseillaise, in deutschen aber nicht?
Könnte es etwas mit der antifaschistischen Allianz 1939-1945 zu tun haben, die am Ende mehr wiegt als der Hundertjährige Krieg und die EWG?
Oder mögen nur die deutschen Gutmenschen den Text nicht?
»Entendez-vous dans les campagnes/ Mugir ces féroces soldats?/ Ils viennent jusque dans vos bras/ Égorger vos fils, vos compagnes.« (»Hört ihr auf den Feldern/ Diese wilden
Soldaten brüllen?/ Sie kommen bis in eure Arme,/Um euren Söhnen, euren Gefährtinnen die Kehlen durchzuschneiden.«) Das ist die ISIS.
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Ein paar Tage nach den Attentaten gehe ich eher ziellos durch Berlin. Bei Dussmanns gibt es natürlich einen Helmut-Schmidt-Tisch, auf dem auch auch Lokis Gartenbuch nicht fehlt. Und ich denke, nachdem ich überlegt habe, was es über den Stand der Dinge sagt, dass »Esoterik« hier zwischen »Kochen« und »Gesundheit« steht: Ein Glück, dass Schmidt das nicht mehr erleben musste. Ich meine jetzt nicht Dussmanns und den Büchertisch, sondern Paris. Ein paar Minuten später, vor dem Bahnhof
Friedrichstraße, laufe ich dann – det is Berlin – Jochen Hörisch über den Weg, den ich seit Jahren aus Mannheim kenne. Der leider seltene Fall eines Kino-affinen Literaturwissenschaftlers. Er ist für zwei Tage hier, natürlich auch, um zu arbeiten – »wir müssen das Reformationsjahr vorbereiten« –, aber auch um ins Theater zu gehen. A,m Abend wird er »Huis Clos« von Sartre sehen, mit Ulrich Matthes im Deutschen Theater – »dass Sartre heute überhaupt noch
gespielt wird« – und morgen dann »Faust«. Jetzt kommt Hörisch gerade aus dem DHM [https://www.dhm.de/], wo er die Azusstellung über das Jahr 1945 gesehen hat. »Wie das eigentlich war damals – man müsste heute mal erinnern an die Ruinen« sagt auch er in Bezug auf die Pariser Attentate.
Dann fragt er, ob ich seinen Beitrag über das Lachen kennen würde, den er seinerzeit nach dem »11. September« fürs Sonderheft des »Merkur« geschrieben hat. Kenne ich nicht, aber der Gedanke
bleibt mir im Kopf: Man muss den Terror weglachen, man muss Witze über Terroristen, Islamisten und überhaupt über Religion machen. Das Lachen, auch das Lachen über sich selbst, ist die beste Waffe gegen den Terror. Es ist Ausdruck der Moderne schlechthin: Kritik, Selbstkritik, Reflexivität. Das Lachen darf uns nicht vergehen.
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Der Terror der ISIS hat mit der schlechten Laune unserer Moralpäpste, Mülltrenner, Genderisierer, Rauchgegner, Puritaner und sonstig politisch Korrekten leider mehr gemeinsam, als diese wahrhaben möchten: Die schlechte Laune, mit der »Spaßgesellschaft« und Hedonismus geschmäht, oder gar als »Dekadenz« zur wahren Ursache des Terrors erklärt werden – ein klassischer Fall von Identifikation mit dem Aggressor.
Mit jedem Anschlag auf den Westen nimmt jedenfalls der vorauseilende Gehorsam des Westens in Form staatlicher Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten im Zeichen des »Antiterror-Kampfs« zu.
Nicht nur in der Türkei, unserem »Partner« und Waffenbruder, dessen Regierung die ISIS unterstützt, und wo heute täglich Journalisten als »Terroristen« verhaftet werden, ist die Definition des Terrorismus dermaßen weit gefasst, dass die Polizei nach Belieben vorgehen kann. »Terror«
ist eine Legitimationsfolie zur Einschränkung von Freiheiten, zum Fremdenhass und zur Überwachung der Gesellschaft geworden – und die Schreibtischtäter im Westen glauben wahrscheinlich wirklich, dass sie damit Attentate verhindern. Tun sie aber nicht.
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Ein tolles Interview hat Frédéric Jaeger mit Cristina Nord auf critic.de geführt. Cristina Nord war dreizehn Jahre Filmredakteurin der »taz«. Im Interview erklärt sie, wie sich Filmkritik verändert hat und warum sie jetzt etwas anderes machen will.
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»Und wenn sie uns töten. Wenn sie uns alle töten – An jeder Ecke und jedem Ende Europas werden hunderte, Tausende aufstehen, die unseren Platz einnehmen. So schnell können nicht mal Nazis töten.« –aus: »Casablanca«
(To be continued)