Cinema Moralia – Folge 122
»Democracy sometimes doesn't work« |
||
HOMELAND 5 – ruhig und reif, dabei immer noch überraschend... | ||
(Foto: Netflix) |
»Kommt reden wir zusammen, wer redet, ist nicht tot./«
Es züngeln doch die Flammen schon sehr um unsre Not.
Gottfried Benn (»Kommt«)»Democracy sometimes does n’t work.«
Slavoj Zizek
Ein Gespräch über Flüchtlinge, mal wieder. Irgendwann kommen wir auf die Frage: »Was ist eigentlich ein '-ling'?« Sprachlich meine ich jetzt. Also: was bedeutet es in der deutschen Sprache, wenn wir ein Wesen mit dem verbalen Anhängsel -ling versehen. Egerling, Pfifferling, Saibling. Aber um Pilze geht es ja nicht. Sondern um Menschen. Also: Fremdling, Sträfling, Schwächling, Günstling. Wenn ein Journalist ein Schreiberling ist, dann ist das auch nichts Positives. Es gibt aber auch den Schmetterling und den Häuptling. Ein -ling ist jedenfalls einer, den wir irgendwie nicht richtig zuordnen können, den wir aber auch nicht ernst nehmen. Was ist demzufolge ein Flüchtling?
+ + +
Über »Das Ideal klassischer Filmkunst geht es bei der 48. Ausgabe von ›Revolver Live‹ – am kommenden Sonntag gibt es (13.12.; um 17:30 Uhr im Kino 1 des Arsenals, Berlin, Potsdamerstraße 2) ein Gespräch mit Axelle Ropert. Die Regisseurin, Jahrgang 1972, macht Filme, spielt in ihnen und schreibt über sie, unter anderem in den Cahiers du cinéma, Les Inrockuptibles und bei Cinema Scope. Die Veranstaltung findet im Rahmen der 15. Französischen Filmwoche statt, dort läuft auch eine Werkschau der Filme von Axelle Ropert und Serge Bozon.«
+ + +
Solche Vergewisserung ist nötig, weil vom »Ideal klassischer Filmkunst« in der Praxis nicht so viel übrig ist. Das ist einerseits schade, eröffnet andererseits aber auch neue Möglichkeiten: Die Grenze zwischen Kino und Fernsehen ist längst fließend geworden. Oft zum Nachteil des Kinos, weil das Kino im normalen Fernsehlehm versinkt. Mitunter aber öffnet das Fernsehen auch Möglichkeiten, die dem Kino verschlossen sind, oder das sie nicht nutzt. Zum Beispiel die überraschend gelungene RTL-Serie »Deutschland 83«. Deren zweite Hälfte ist besser, als die erste, also kann man morgen und nächste Woche noch andocken – und sollte das tun. Um Anregungen zu bekommen, und zu sehen, was möglich ist vor allem.
+ + +
»Das deutsche Fernsehen ist am deutschen Kino gar nicht interessiert.«
Dominik Graf
+ + +
Fernsehphilosoph Richard David Precht ist dabei und Fußballtrainer Volker Finke, vermutlich als Integrationsexperte, Jutta Limbach und Sascha Lobo fehlt natürlich auch nicht. So ist dass, wenn im Deutschland des 21. Jahrhundert Gesellschaft stattfindet: Eine große Performance, das Dropping von Namen, die irgendwie immer die selben sind und nie überraschend – Susan Neiman, Ulrich Matthes, Ingo Schulze –, die nicht wirklich wichtig sind, wenn man mal ernsthaft
drüber nachdenkt – Gerd Scobel? Christoph Süß? –, aber gegen die man auch nicht haben kann, und die, jedenfalls zum Teil, schon irgendwas Kluges sagen werden: Claus Leggewie, Daniel Cohn-Bendit, Ilja Trojanov.
So eine Art fleichgewordener Büchertisch zur Krise. Die Inszenierung von Sorge und gutem Gewissen, von Bescheidwissen und Repräsentativität.
+ + +
»Welches Land wollen wir sein? Die Debatte in Deutschland« – so heißt das. »Die« Debatte natürlich, nicht eine. Wenn schon, denn schon. Geladen hatte man unter diesem Titel zum Auftakt passenderweise ins Deutsches Theater in Berlin, auch diese Ortswahl verwies darauf, worum es hier wirklich geht. Um eine Bühnenshow und idealerweise auch moralische Anstalt.
Weil dem Theater die neuen Stücke und die Relevanz ausgeht, und weil man nicht immer nur Shakespeare und
Theaterfassungen von Kinofilmen und Romanbestsellern spielen kann, gibt es keinen zweiten Ort in Deutschland, der so wie die viel zu vielen durchsubventionierten Stadttheater zur Diskurs(spül)maschine geworden ist. In »Zeiten wie diesen« läuft sie heiß und zur Hochform auf.
»Welches Land wollen wir sein?« also, und da hatte man schnell reagiert, Respekt! An den Flüchtlingsexpress wurde noch ein Terrorwaggon angehängt, das passte eh ganz gut, denn es gab der Legerité des
Flüchtlingsthemas, das die Bürger des Westen ja nicht wirklich tangiert und in den Talkshows ja schon allmählich langweilig geworden war, plötzlich noch einmal einen neuen Ernsthaftigkeitskick.
+ + +
Aber worum geht es denn nun eigentlich? Kurz gesagt: Ein paar Intellektuelle und Künstler tun sich zusammen, um zu öffentlich darüber zu reden, worüber eh schon viele reden, öffentlich und halböffentlich, an den Stammtischen und auf Parteitagen, bei Kirchenpredigten und »Unter Drei«: »Das Flüchtlingsthema, ebenso wie die Reaktionen auf die jüngsten terroristischen Anschläge« Sie, so heißt es in der Einladung, »werfen dieselbe große Frage auf: Welches Land wollen wir sein und was sind wir bereit, dafür zu tun? Eine offene Gesellschaft, geleitet von Freiheits- und Menschenrechtsidealen, oder eine exklusive Gesellschaft, die ihre Identität vor gefühlten äußeren Bedrohungen sichert?«
+ + +
Über diese Frage allein könnte man jetzt einen ganzen langen Artikel schreiben. Man könnte die Jüngeren und Vergesslichen daran erinnern, dass »Die offene Gesellschaft und ihre Feinde« bekanntermaßen der Titel eines Standardwerks von Karl Popper (1902-1994) ist, in dem der Begriff der offenen Gesellschaft entwickelt wurde. Über Popper kann man streiten, aber das gehört nicht hierher. »Die offene Gesellschaft«, das ist Selbstbild des Westens. Aber ganz so offen, und das würden wohl auch seine größten Fans zugegeben, war der Westens natürlich nie, und sowieso ist der Begriff mehrdeutiger, als einem lieb ist: »Öffnung« ist zum Beispiel die wörtliche Übersetzung des alt-arabischen Begriffs für die massive Eroberungs- und Territorialerweiterungspolitik des 7. und 8. Jahrhunderts.
+ + +
Man müsste aber angesichts der Einladungsfrage vor allem gegenfragen, ob das eigentlich eine Alternative ist, die derzeit überhaupt zur Debatte steht. Oder ist nicht längst entschieden, dass Europa sich als exklusiven Wohlstandsraum begreift, der sich vor gefühlten äußeren Bedrohungen abschottet? Ob er damit auch eine Identität (welche) sichert, wäre dann noch eine andere Frage.
Wichtiger noch ist aber die Frage: Wer ist »wir«? »Deutschland«? »Europa«? »Die EU«? »Der Westen?«
Schließlich kann man die Frage eigentlich nur beantworten, wenn man auch die Herausforderungen und Bedrohungen charakterisiert.
+ + +
Wie auch immer soll es jetzt jedenfalls unter dem Label »Die offene Gesellschaft« eine Reihe von Gesprächsrunden geben, in denen über diese Fragen und Themen geredet wird. Am Freitag ging es in Potsdam los.
Initiiert wurde die Veranstaltung vom Soziologen und Sozialpsychologen Harald Welzer (Direktor FUTURZWEI), immerhin einer der Interessantesten unter den öffentlichen Intellektuellen der Bundesrepublik, und Alexander Carius (Direktor adelphi), sowie Ulrich Khuon als
Intendant des Deutschen Theaters. Die Organisationen »Futur Zwei« und »Adeplhi« geben da schon eher die Richtung vor. Es sind private Veranstaltungen, die in die Lücke springen, die Universitäten und Medien hinterlassen. Die einen sind zu spezialistisch, die anderen zu markthörig, um noch seriös mit dem Anspruch auftreten zu können, einen öffentlichen Diskurs im klassischen Sinn zu organisieren. Also bilden sich neue Initiativen zu fluiden Diskurs-Körpern. Zudem bietet man
Politik- und Gesellschaftsberatung an, und lässt sich möglichst gut dafür bezahlen. Solange aber nicht genug Nachfrage da ist, bietet man sich selber an, zu Dumpingpreisen, und versucht eine »bundesweite Debatte« ins Leben zu rufen.
+ + +
Starke Behauptungen helfen dabei, die Themenrakete erstmal in den Diskursraum zu schießen. Ob sie Sinn machen, ist dabei weniger wichtig: »In der Politik wird diese öffentliche Debatte nicht geführt.« Ach wirklich? Redel man da etwa nicht über Flüchtlinge und Terror? Offenbar jedenfalls nicht richtig: »Stellvertretend diskutieren die üblichen Protagonisten in Talk-Shows, auf Twitter und Facebook im virtuellen Raum.« Die Alternative: »Zum ersten Mal debattiert jetzt eine Gesellschaft über diese Frage und über sich selbst, analog, vor Ort, in Theatern aller größeren Städte in Deutschland, in den Wochen vor und nach Weihnachten. Ab Januar zusammen mit Sportvereinen, Gewerkschaften, Verbänden, Kirchen, Konzertveranstaltern an anderen Orten.« Zum ersten Mal, echt? Gehts nicht auch 'ne Nummer kleiner? Anders gesagt: Ist es nicht vielleicht dieser hohe und latent alarmistische Ton, der die Debatten in Deutschland oft schon im Ansatz so vergiftet, und der uns von der Gelassenheit der Briten und – allons enfants – der Franzosen unterscheidet? Ist nur 'mal eine Frage.
+ + +
Ansonsten ist ja nichts gegen »Impulsgeber«, »kurze Statements« »professionelle Moderation«, »Dialog auf Augenhöhe« und sogar »Medienpartner« zu sagen, auch wenn man eigentlich nicht wissen will, wie sie die Debatten »begleiten«, Meinungen Fragen, Ideen, Erwartungen und Wünsche »in ihrer Vielfalt sichtbar machen«.
Aber alles gut, wahrscheinlich wird Gesellschaft heute derart organisiert. Es ist ja auch durch und durch sympathisch, wenn Harald Welzer sich im
Deutschlandradio Kultur einen neuen Blick auf die Flüchtlingsdebatte wünscht: »Ich möchte gerne dazu beitragen, dass wir uns darüber verständigen, was die Qualitäten einer offenen Gesellschaft sind, wie wir sie sind, was jeder Einzelne davon hat. Und dass es ein Trugschluss auch ist, dass man durch erhöhte Sicherheit bestimmte Dinge verhindern könnte.«
+ + +
Der größte Haken bei der Sache: Debatten kann man nicht einfach verordnen, noch nicht einmal wirklich steuern. Gerade in einer offenen Gesellschaft funktioniert das nicht.
Die Zuspitzung auf die Frage »Freiheit oder Sicherheit« und wie das eine mit dem anderen vereinbar wäre, geht aber in eine richtige Richtung. Obwohl auch sie sich vom jüngsten Terror und der mehr als vorherhersehbaren Reaktion der Politiker die Alternativen vorschreiben lässt.
Mit jedem Anschlag auf den
Westen nimmt jedenfalls der vorauseilende Gehorsam des Westens in Form staatlicher Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten im Zeichen des »Antiterror-Kampfs« zu. »Terror« wird zur Legitimationsfolie zur Einschränkung von Freiheiten, zum Fremdenhass und zur Überwachung der Gesellschaft. Darüber wäre einmal zu debattieren, über das viel zu viel an Emotion und Hysterie und Moral, dass die Mehrzahl der deutschen Medien in den letzten Tagen in einen »Panic Room« verwandelt
hat.
+ + +
Darüber wurde jetzt auch schon debattiert, sogar in einem Theater, aber nicht in Deutschland. Realistischer, härter, überraschender und durchaus lachend debattierten vor wenigen Tagen Slavoj Zizek,Yannis Varoufakis und Julian Assange im Londoner Royal Festval Hall im Rahmen des Southbank Centre
Zizek sagte da etwas, worüber man gern einmal mit Welzer und seinen Freunden ganz offen debattieren würde: »Democracy sometimes doesn’t work. People don’t know what they want,
and they don’t want, what they know.«
+ + +
»Just got back from the Al-Raquah province in the oil-producing regions. Al-Raquah, thats where i have been for the last few months. Our aproach has remained constant: US-Air Strikes, by special forces. Initially against Assad, then Al-Nusrah, and recently against the Islamic State ... I've led a team of special ops for the past 28 months- we've been busy.« –
»Doing what? What the hell is going on over there?« – »If you have read the after action reports...« – »I have.
Every one of them. A handful here, a handful there. I honestly have no idea, what it all ends up to.« – »The programm has been effective Sir, I believe it should be continued.« – »You do? Assad is still in power, ISIS is still growing. Are we really getting anywhere in Syria? I am asking: Is our strategy working?«
»What strategy? Tell me, what the strategy is, then I tell you if its working. See: That right here is the problem. Because they have a strategy. They are gatheruing
right now in Al-Raquah by the tenth of thousands. Hidden in the civilian population cleaning their weapons. Crucifications, beheadings, revival of slavery, do you think, they make the ship up? Its all in the book. Their fucking book, the only book, they ever read. They read it all the time, they never stop. They are there to die for a califat without infidels. Thats their strategy and its been that way since the 7th century. So do you really think, a few special forces teams are gonna put
an end to that?«
»So would you do?«
»200.000 american troops indefinitely to provide security and support for an equal number of doctors and elementary shool teachers.«
»That’s impossible. What else? What else would make a difference?« – »Hid and reset« – »Meaning what?« – »Meaning pound Al-Raquah into a parking lot.«
(Dialogauszug aus »Homeland 5«, 1. Folge)
+ + +
Pessach, drei Menschen sitzen an einem Tisch, und wer gerade erst einschaltet, könnte dies ein paar Augenblicke lang tatsächlich für eine friedliche Szene halten. Ein jüdisches Fest im amerikanischen Fernsehen. Wir aber wissen es besser, wir kennen Saul Berenson (Mandy Patinkin) schon seit langem. Wir wissen, dass jene Frau, mit der diese jüdische Hauptfigur von »Homeland«, der großartigsten US-Filmserie der letzten Jahre, hier am Tisch des israelischen Botschafters sitzt, und die nicht nur seine Berliner Mitarbeiterin ist, sondern auch seine Liebhaberin, ihn seit langem hintergeht. »Oh my God« murmelt Saul am Ende dieser Episode, und mit Pessach hat das nichts zu tun. Gerade ist wieder einmal ein US-Plan für den Regime-Change in Syrien buchstäblich in die Luft gegangen, gemeinsam mit einem syrischen General und dessen Flugzeug – da ist das Fest endgültig vorbei, und die Realität hat alle Beteiligten eingeholt.
+ + +
»Crisis in Syria is getting worse every day. Our argument is with your president, not with the Syrian people. Will you replace Assad?« – This is your solution for Syria? – so ist das also: Die USA wollen Syriens Staatschef Assad durch einen US-freundlichen General ersetzen – bestimmt nicht nur im amerikanischen Fernsehen.
Bis zum nächsten Sommer muss noch warten, wer nicht das Glück hat, die fünfte Staffel von »Homeland« bereits jetzt im US-Sender »Showtime« sehen
zu können. Die ersten neun Folgen sind gelaufen, und die Serie wirkt nicht nur wieder in Hochform – sie ist auch diejenige, die bislang am offensten und klarsten von allen Staffeln der Geheimdienstserie amerikanische Politik ins Zentrum rückt.
Und Berlin: Dort spielt ein Großteil von »Homeland 5«. Viele deutschen Darsteller haben Auftritte, allen voran Nina Hoss und Alexander Fehling – besser, als in vielen ihrer deutschen Filme. Von Anfang an ist die Stadt ein eigener
Hauptdarsteller, und nur Einheimische werden über manche Wege und Hipster-Klischees lächeln, alle anderen bekommen Lust auf ein Wochenende in der Hauptstadt. Obwohl diese hier auch als Hotspot für Paranoia, Terrorismus- und Geheimdienstaktivität dargestellt wird, wie nicht mehr seit den ersten Jahrzehnten des Kalten Kriegs.
Carrie (Clare Danes), die bipolare Heldin der Serie, hat die CIA verlassen und arbeitet in Berlin für die Stiftung eines deutschen Millionärs, die sich für
Flüchtlingshilfe in Nahost engagiert. Saul wird eingeflogen, um die Folgen eines Hackerangriffs einzudämmen, der die illegale Zusammenarbeit zwischen deutschem und US-Geheimdienst aufdeckt – Edward Snowden und die NSA-Affaire lassen grüßen. Zugleich droht neues Ungemach aus Nahost.
+ + +
In einer einfach nur grandiosen, oben ausführlich zitierten Szene in der Pilotfolge entlarvt »Homeland« das Desaster der US-Syrienpolitik besser als jede Informationssendung der letzten zwei Jahre: »Erst haben wir Assad bekämpft, dann die Nusrah-Front, jetzt die ISIS« erklärt ein Experte einem Tisch mit 20 Anzugträgern. »Was würden Sie tun, wenn Sie freie Hand hätten?« fragt einer. »200.000 Soldaten mit einer gleichen Anzahl Lehrer und Ärzte vor Ort bringen – auf
unbegrenzte Zeit.« – »Das wird nicht möglich sein.« – »Dann 'Hit and reset'; alles in die Steinzeit zurückbomben.«
Saul, seit jeher die Stimme skeptischer Vernunft in der Serie, auch gegenüber der bipolaren Carrie, hat eine andere Strategie. Ihm entgegen stehen die CIA-Hardliner, wie die israelische Botschaft – so klar hier der Staat Israel in gutem Licht gezeigt wird, so wenig gilt das für seine Regierung.
+ + +
Es ist schon paradox: Da gelingt es einer Unterhaltungsserie, Dinge offener beim Namen zu nennen, Konflikte und Positionen besser und verblüffend realistisch zu erklären, als dies in vielen Nachrichtensendungen und in den meist von braver Vorsicht dominierten Talk-Shows passiert.
»Homeland« funktioniert so wie eine Einführung und Parabel auf die amerikanische Nahostpolitik:
+ + +
Saul, der heißt, wie der erste König Israels, steht hingegen auch in dieser Staffel stellvertretend für alle Juden in der Diaspora: Voller Sympathie und Liebe für Israel, voller Nachsicht und manchmal Verständnis für Kritik an israelischer Politik, dort wo sie fair bleibt. Aber unduldsam gegenüber Israels Feinden. Man sieht ihn oft schweigen, und kann nur ahnen, was für Gedanken hinter seinem dichten Bart verborgen liegen. In der ersten Staffel sprach er einmal das Kaddisch –
ausgerechnet für einen moslemischen Toten.
Saul ist ein Moralist, aber ein verständnisvoller, nachsichtiger, der mehr als einmal Gespräche über Doppelmoral führt. Auch ein Romantiker muss Realist sein, wenn er überleben will. »Mending the nets« heißt das Gemälde des jüdisch-niederländischen Malers Jozef Israels, vor dem Kunstkenner Saul eine dieser Unterhaltungen führt – in einem Herrenclub, der keine jüdischen Mitglieder aufnimmt. Darin flickt eine Fischersfrau die
Netze. Während draußen ein Sturm tost, spielt im Vordergrund nichtsahnend, friedlich das Kind. Saul ist wie diese Frau: Während der Sturm längst da ist, hütet er das ihm anvertraute Kind, also uns, die Gesellschaft. Seine Antworten mögen nicht immer wahr sein, aber sie trösten, sie spenden Sicherheit.
Noch mehr aber ist Saul eine Moses ähnelnde Gestalt: Eine Art Gesetzgeber, einer mit privilegiertem Zugang zu Gott und zur Wahrheit. Wie für Moses (so argumentiert etwa der
Religionswissenschaftler Jan Assmann in seinem neuen Buch »Exodus«), so ist auch für Saul die entscheidende Differenz aber nicht die zwischen wahr und falsch, gerecht und ungerecht, sondern jene »zwischen Treue und Verrat«. Saul ist ein Realist. Denn er weiß, wie schnell das Netz zerreißt, die heile Welt zerbricht. Dafür braucht er Gefolgsleute, und die Frage, wer zu ihnen gehört, und wer nicht, ist der Angelpunkt der neuen Staffel.
+ + +
»Homeland 5« wirkt ruhig und reif, dabei immer noch überraschend, und verbindet ein ganzes Dutzend von Erzählsträngen. Dazu gehört in dieser, sich aller Fallstricke seines Sujets sehr bewussten Serie, auch noch etwas ganz anderes: In der dritten Folge hat Saul einen Termin bei Carries Chef, dem Stahlmagnat Otto During (Sebastian Koch), der sich als Philanthrop sieht, und die Hizbollah unterstützt. »Wäre nicht das erste Mal, dass ihre Familie mit denen kollaboriert, die auf der falschen Seite der Geschichte stehen.« Otto erklärt, er habe sein Leben damit zugebracht, die Schuld seines Großvaters wiedergutzumachen. Doch dann sagt der deutsche Nazi-Nachfahr dem jüdischen CIA-Agenten: »Die USA sind die größte Gefahr für die Welt.« Man muss eben wissen, wer etwas sagt, und zu wem, um es richtig zu verstehen.
(To be continued)