10.12.2015
Cinema Moralia – Folge 122

»Democracy sometimes doesn't work«

Homeland 5
HOMELAND 5 – ruhig und reif, dabei immer noch überraschend...
(Foto: Netflix)

Diskursnachtisch zur Krise und fluide Themenraketen im Sprechraum: Die offene Gesellschaft und ihre Freunde – ein neues Beispiel für den Strukturwandel der Öffentlichkeit und wie eine Unterhaltungsserie Konflikte und Positionen besser erklärt und deutlicher beim Namen nennt als viele Nachrichtensendungen – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 122. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Kommt reden wir zusammen, wer redet, ist nicht tot./«
Es züngeln doch die Flammen schon sehr um unsre Not.
Gottfried Benn (»Kommt«)

»Democracy sometimes does n’t work.«
Slavoj Zizek

Ein Gespräch über Flücht­linge, mal wieder. Irgend­wann kommen wir auf die Frage: »Was ist eigent­lich ein '-ling'?« Sprach­lich meine ich jetzt. Also: was bedeutet es in der deutschen Sprache, wenn wir ein Wesen mit dem verbalen Anhängsel -ling versehen. Egerling, Pfif­fer­ling, Saibling. Aber um Pilze geht es ja nicht. Sondern um Menschen. Also: Fremdling, Sträfling, Schwäch­ling, Günstling. Wenn ein Jour­na­list ein Schrei­ber­ling ist, dann ist das auch nichts Positives. Es gibt aber auch den Schmet­ter­ling und den Häuptling. Ein -ling ist jeden­falls einer, den wir irgendwie nicht richtig zuordnen können, den wir aber auch nicht ernst nehmen. Was ist demzu­folge ein Flücht­ling?

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Über »Das Ideal klas­si­scher Filmkunst geht es bei der 48. Ausgabe von ›Revolver Live‹ – am kommenden Sonntag gibt es (13.12.; um 17:30 Uhr im Kino 1 des Arsenals, Berlin, Pots­da­mer­straße 2) ein Gespräch mit Axelle Ropert. Die Regis­seurin, Jahrgang 1972, macht Filme, spielt in ihnen und schreibt über sie, unter anderem in den Cahiers du cinéma, Les Inrock­up­ti­bles und bei Cinema Scope. Die Veran­stal­tung findet im Rahmen der 15. Fran­zö­si­schen Filmwoche statt, dort läuft auch eine Werkschau der Filme von Axelle Ropert und Serge Bozon.«

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Solche Verge­wis­se­rung ist nötig, weil vom »Ideal klas­si­scher Filmkunst« in der Praxis nicht so viel übrig ist. Das ist einer­seits schade, eröffnet ande­rer­seits aber auch neue Möglich­keiten: Die Grenze zwischen Kino und Fernsehen ist längst fließend geworden. Oft zum Nachteil des Kinos, weil das Kino im normalen Fern­seh­lehm versinkt. Mitunter aber öffnet das Fernsehen auch Möglich­keiten, die dem Kino verschlossen sind, oder das sie nicht nutzt. Zum Beispiel die über­ra­schend gelungene RTL-Serie »Deutsch­land 83«. Deren zweite Hälfte ist besser, als die erste, also kann man morgen und nächste Woche noch andocken – und sollte das tun. Um Anre­gungen zu bekommen, und zu sehen, was möglich ist vor allem.

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»Das deutsche Fernsehen ist am deutschen Kino gar nicht inter­es­siert.«
Dominik Graf

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Fern­seh­phi­lo­soph Richard David Precht ist dabei und Fußball­trainer Volker Finke, vermut­lich als Inte­gra­ti­ons­experte, Jutta Limbach und Sascha Lobo fehlt natürlich auch nicht. So ist dass, wenn im Deutsch­land des 21. Jahr­hun­dert Gesell­schaft statt­findet: Eine große Perfor­mance, das Dropping von Namen, die irgendwie immer die selben sind und nie über­ra­schend – Susan Neiman, Ulrich Matthes, Ingo Schulze –, die nicht wirklich wichtig sind, wenn man mal ernsthaft drüber nachdenkt – Gerd Scobel? Christoph Süß? –, aber gegen die man auch nicht haben kann, und die, jeden­falls zum Teil, schon irgendwas Kluges sagen werden: Claus Leggewie, Daniel Cohn-Bendit, Ilja Trojanov.
So eine Art fleich­ge­wor­dener Bücher­tisch zur Krise. Die Insze­nie­rung von Sorge und gutem Gewissen, von Bescheid­wissen und Reprä­sen­ta­ti­vität.

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»Welches Land wollen wir sein? Die Debatte in Deutsch­land« – so heißt das. »Die« Debatte natürlich, nicht eine. Wenn schon, denn schon. Geladen hatte man unter diesem Titel zum Auftakt passen­der­weise ins Deutsches Theater in Berlin, auch diese Ortswahl verwies darauf, worum es hier wirklich geht. Um eine Bühnen­show und idea­ler­weise auch mora­li­sche Anstalt.
Weil dem Theater die neuen Stücke und die Relevanz ausgeht, und weil man nicht immer nur Shake­speare und Thea­ter­fas­sungen von Kino­filmen und Roman­best­sel­lern spielen kann, gibt es keinen zweiten Ort in Deutsch­land, der so wie die viel zu vielen durch­sub­ven­tio­nierten Stadt­theater zur Diskurs(spül)maschine geworden ist. In »Zeiten wie diesen« läuft sie heiß und zur Hochform auf.
»Welches Land wollen wir sein?« also, und da hatte man schnell reagiert, Respekt! An den Flücht­lings­ex­press wurde noch ein Terror­waggon angehängt, das passte eh ganz gut, denn es gab der Legerité des Flücht­lings­themas, das die Bürger des Westen ja nicht wirklich tangiert und in den Talkshows ja schon allmäh­lich lang­weilig geworden war, plötzlich noch einmal einen neuen Ernst­haf­tig­keits­kick.

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Aber worum geht es denn nun eigent­lich? Kurz gesagt: Ein paar Intel­lek­tu­elle und Künstler tun sich zusammen, um zu öffent­lich darüber zu reden, worüber eh schon viele reden, öffent­lich und halböf­fent­lich, an den Stamm­ti­schen und auf Partei­tagen, bei Kirchen­pre­digten und »Unter Drei«: »Das Flücht­lings­thema, ebenso wie die Reak­tionen auf die jüngsten terro­ris­ti­schen Anschläge« Sie, so heißt es in der Einladung, »werfen dieselbe große Frage auf: Welches Land wollen wir sein und was sind wir bereit, dafür zu tun? Eine offene Gesell­schaft, geleitet von Freiheits- und Menschen­rechts­idealen, oder eine exklusive Gesell­schaft, die ihre Identität vor gefühlten äußeren Bedro­hungen sichert?«

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Über diese Frage allein könnte man jetzt einen ganzen langen Artikel schreiben. Man könnte die Jüngeren und Vergess­li­chen daran erinnern, dass »Die offene Gesell­schaft und ihre Feinde« bekann­ter­maßen der Titel eines Stan­dard­werks von Karl Popper (1902-1994) ist, in dem der Begriff der offenen Gesell­schaft entwi­ckelt wurde. Über Popper kann man streiten, aber das gehört nicht hierher. »Die offene Gesell­schaft«, das ist Selbst­bild des Westens. Aber ganz so offen, und das würden wohl auch seine größten Fans zugegeben, war der Westens natürlich nie, und sowieso ist der Begriff mehr­deu­tiger, als einem lieb ist: »Öffnung« ist zum Beispiel die wörtliche Über­set­zung des alt-arabi­schen Begriffs für die massive Erobe­rungs- und Terri­to­ri­al­er­wei­te­rungs­po­litik des 7. und 8. Jahr­hun­derts.

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Man müsste aber ange­sichts der Einla­dungs­frage vor allem gegen­fragen, ob das eigent­lich eine Alter­na­tive ist, die derzeit überhaupt zur Debatte steht. Oder ist nicht längst entschieden, dass Europa sich als exklu­siven Wohl­stands­raum begreift, der sich vor gefühlten äußeren Bedro­hungen abschottet? Ob er damit auch eine Identität (welche) sichert, wäre dann noch eine andere Frage.
Wichtiger noch ist aber die Frage: Wer ist »wir«? »Deutsch­land«? »Europa«? »Die EU«? »Der Westen?« Schließ­lich kann man die Frage eigent­lich nur beant­worten, wenn man auch die Heraus­for­de­rungen und Bedro­hungen charak­te­ri­siert.

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Wie auch immer soll es jetzt jeden­falls unter dem Label »Die offene Gesell­schaft« eine Reihe von Gesprächs­runden geben, in denen über diese Fragen und Themen geredet wird. Am Freitag ging es in Potsdam los.
Initiiert wurde die Veran­stal­tung vom Sozio­logen und Sozi­al­psy­cho­logen Harald Welzer (Direktor FUTURZWEI), immerhin einer der Inter­es­san­testen unter den öffent­li­chen Intel­lek­tu­ellen der Bundes­re­pu­blik, und Alexander Carius (Direktor adelphi), sowie Ulrich Khuon als Intendant des Deutschen Theaters. Die Orga­ni­sa­tionen »Futur Zwei« und »Adeplhi« geben da schon eher die Richtung vor. Es sind private Veran­stal­tungen, die in die Lücke springen, die Univer­si­täten und Medien hinter­lassen. Die einen sind zu spezia­lis­tisch, die anderen zu mark­t­hörig, um noch seriös mit dem Anspruch auftreten zu können, einen öffent­li­chen Diskurs im klas­si­schen Sinn zu orga­ni­sieren. Also bilden sich neue Initia­tiven zu fluiden Diskurs-Körpern. Zudem bietet man Politik- und Gesell­schafts­be­ra­tung an, und lässt sich möglichst gut dafür bezahlen. Solange aber nicht genug Nachfrage da ist, bietet man sich selber an, zu Dumping­preisen, und versucht eine »bundes­weite Debatte« ins Leben zu rufen.

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Starke Behaup­tungen helfen dabei, die Themen­ra­kete erstmal in den Diskurs­raum zu schießen. Ob sie Sinn machen, ist dabei weniger wichtig: »In der Politik wird diese öffent­liche Debatte nicht geführt.« Ach wirklich? Redel man da etwa nicht über Flücht­linge und Terror? Offenbar jeden­falls nicht richtig: »Stell­ver­tre­tend disku­tieren die üblichen Prot­ago­nisten in Talk-Shows, auf Twitter und Facebook im virtu­ellen Raum.« Die Alter­na­tive: »Zum ersten Mal debat­tiert jetzt eine Gesell­schaft über diese Frage und über sich selbst, analog, vor Ort, in Theatern aller größeren Städte in Deutsch­land, in den Wochen vor und nach Weih­nachten. Ab Januar zusammen mit Sport­ver­einen, Gewerk­schaften, Verbänden, Kirchen, Konzert­ver­an­stal­tern an anderen Orten.« Zum ersten Mal, echt? Gehts nicht auch 'ne Nummer kleiner? Anders gesagt: Ist es nicht viel­leicht dieser hohe und latent alar­mis­ti­sche Ton, der die Debatten in Deutsch­land oft schon im Ansatz so vergiftet, und der uns von der Gelas­sen­heit der Briten und – allons enfants – der Franzosen unter­scheidet? Ist nur 'mal eine Frage.

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Ansonsten ist ja nichts gegen »Impuls­geber«, »kurze State­ments« »profes­sio­nelle Mode­ra­tion«, »Dialog auf Augenhöhe« und sogar »Medi­en­partner« zu sagen, auch wenn man eigent­lich nicht wissen will, wie sie die Debatten »begleiten«, Meinungen Fragen, Ideen, Erwar­tungen und Wünsche »in ihrer Vielfalt sichtbar machen«.
Aber alles gut, wahr­schein­lich wird Gesell­schaft heute derart orga­ni­siert. Es ist ja auch durch und durch sympa­thisch, wenn Harald Welzer sich im Deutsch­land­radio Kultur einen neuen Blick auf die Flücht­lings­de­batte wünscht: »Ich möchte gerne dazu beitragen, dass wir uns darüber vers­tän­digen, was die Quali­täten einer offenen Gesell­schaft sind, wie wir sie sind, was jeder Einzelne davon hat. Und dass es ein Trug­schluss auch ist, dass man durch erhöhte Sicher­heit bestimmte Dinge verhin­dern könnte.«

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Der größte Haken bei der Sache: Debatten kann man nicht einfach verordnen, noch nicht einmal wirklich steuern. Gerade in einer offenen Gesell­schaft funk­tio­niert das nicht.
Die Zuspit­zung auf die Frage »Freiheit oder Sicher­heit« und wie das eine mit dem anderen vereinbar wäre, geht aber in eine richtige Richtung. Obwohl auch sie sich vom jüngsten Terror und der mehr als vorher­her­seh­baren Reaktion der Politiker die Alter­na­tiven vorschreiben lässt.
Mit jedem Anschlag auf den Westen nimmt jeden­falls der voraus­ei­lende Gehorsam des Westens in Form staat­li­cher Einschrän­kungen bürger­li­cher Frei­heiten im Zeichen des »Anti­terror-Kampfs« zu. »Terror« wird zur Legi­ti­ma­ti­ons­folie zur Einschrän­kung von Frei­heiten, zum Frem­den­hass und zur Über­wa­chung der Gesell­schaft. Darüber wäre einmal zu debat­tieren, über das viel zu viel an Emotion und Hysterie und Moral, dass die Mehrzahl der deutschen Medien in den letzten Tagen in einen »Panic Room« verwan­delt hat.

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Darüber wurde jetzt auch schon debat­tiert, sogar in einem Theater, aber nicht in Deutsch­land. Realis­ti­scher, härter, über­ra­schender und durchaus lachend debat­tierten vor wenigen Tagen Slavoj Zizek,Yannis Varou­fakis und Julian Assange im Londoner Royal Festval Hall im Rahmen des Southbank Centre
Zizek sagte da etwas, worüber man gern einmal mit Welzer und seinen Freunden ganz offen debat­tieren würde: »Democracy sometimes doesn’t work. People don’t know what they want, and they don’t want, what they know.«

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»Just got back from the Al-Raquah province in the oil-producing regions. Al-Raquah, thats where i have been for the last few months. Our aproach has remained constant: US-Air Strikes, by special forces. Initially against Assad, then Al-Nusrah, and recently against the Islamic State ... I've led a team of special ops for the past 28 months- we've been busy.« –
»Doing what? What the hell is going on over there?« – »If you have read the after action reports...« – »I have. Every one of them. A handful here, a handful there. I honestly have no idea, what it all ends up to.« – »The programm has been effective Sir, I believe it should be continued.« – »You do? Assad is still in power, ISIS is still growing. Are we really getting anywhere in Syria? I am asking: Is our strategy working?«
»What strategy? Tell me, what the strategy is, then I tell you if its working. See: That right here is the problem. Because they have a strategy. They are gathe­ruing right now in Al-Raquah by the tenth of thousands. Hidden in the civilian popu­la­tion cleaning their weapons. Cruci­fi­ca­tions, behea­dings, revival of slavery, do you think, they make the ship up? Its all in the book. Their fucking book, the only book, they ever read. They read it all the time, they never stop. They are there to die for a califat without infidels. Thats their strategy and its been that way since the 7th century. So do you really think, a few special forces teams are gonna put an end to that?«
»So would you do?«
»200.000 american troops inde­fi­ni­tely to provide security and support for an equal number of doctors and elemen­tary shool teachers.«
»That’s impos­sible. What else? What else would make a diffe­rence?« – »Hid and reset« – »Meaning what?« – »Meaning pound Al-Raquah into a parking lot.«
(Dialog­auszug aus »Homeland 5«, 1. Folge)

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Pessach, drei Menschen sitzen an einem Tisch, und wer gerade erst einschaltet, könnte dies ein paar Augen­blicke lang tatsäch­lich für eine fried­liche Szene halten. Ein jüdisches Fest im ameri­ka­ni­schen Fernsehen. Wir aber wissen es besser, wir kennen Saul Berenson (Mandy Patinkin) schon seit langem. Wir wissen, dass jene Frau, mit der diese jüdische Haupt­figur von »Homeland«, der groß­ar­tigsten US-Filmserie der letzten Jahre, hier am Tisch des israe­li­schen Botschaf­ters sitzt, und die nicht nur seine Berliner Mitar­bei­terin ist, sondern auch seine Lieb­ha­berin, ihn seit langem hinter­geht. »Oh my God« murmelt Saul am Ende dieser Episode, und mit Pessach hat das nichts zu tun. Gerade ist wieder einmal ein US-Plan für den Regime-Change in Syrien buchs­täb­lich in die Luft gegangen, gemeinsam mit einem syrischen General und dessen Flugzeug – da ist das Fest endgültig vorbei, und die Realität hat alle Betei­ligten eingeholt.

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»Crisis in Syria is getting worse every day. Our argument is with your president, not with the Syrian people. Will you replace Assad?« – This is your solution for Syria? – so ist das also: Die USA wollen Syriens Staats­chef Assad durch einen US-freund­li­chen General ersetzen – bestimmt nicht nur im ameri­ka­ni­schen Fernsehen.
Bis zum nächsten Sommer muss noch warten, wer nicht das Glück hat, die fünfte Staffel von »Homeland« bereits jetzt im US-Sender »Showtime« sehen zu können. Die ersten neun Folgen sind gelaufen, und die Serie wirkt nicht nur wieder in Hochform – sie ist auch diejenige, die bislang am offensten und klarsten von allen Staffeln der Geheim­dienst­serie ameri­ka­ni­sche Politik ins Zentrum rückt.
Und Berlin: Dort spielt ein Großteil von »Homeland 5«. Viele deutschen Darsteller haben Auftritte, allen voran Nina Hoss und Alexander Fehling – besser, als in vielen ihrer deutschen Filme. Von Anfang an ist die Stadt ein eigener Haupt­dar­steller, und nur Einhei­mi­sche werden über manche Wege und Hipster-Klischees lächeln, alle anderen bekommen Lust auf ein Wochen­ende in der Haupt­stadt. Obwohl diese hier auch als Hotspot für Paranoia, Terro­rismus- und Geheim­dienst­ak­ti­vität darge­stellt wird, wie nicht mehr seit den ersten Jahr­zehnten des Kalten Kriegs.
Carrie (Clare Danes), die bipolare Heldin der Serie, hat die CIA verlassen und arbeitet in Berlin für die Stiftung eines deutschen Millionärs, die sich für Flücht­lings­hilfe in Nahost engagiert. Saul wird einge­flogen, um die Folgen eines Hacker­an­griffs einzu­dämmen, der die illegale Zusam­men­ar­beit zwischen deutschem und US-Geheim­dienst aufdeckt – Edward Snowden und die NSA-Affaire lassen grüßen. Zugleich droht neues Ungemach aus Nahost.

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In einer einfach nur gran­diosen, oben ausführ­lich zitierten Szene in der Pilot­folge entlarvt »Homeland« das Desaster der US-Syri­en­po­litik besser als jede Infor­ma­ti­ons­sen­dung der letzten zwei Jahre: »Erst haben wir Assad bekämpft, dann die Nusrah-Front, jetzt die ISIS« erklärt ein Experte einem Tisch mit 20 Anzug­trä­gern. »Was würden Sie tun, wenn Sie freie Hand hätten?« fragt einer. »200.000 Soldaten mit einer gleichen Anzahl Lehrer und Ärzte vor Ort bringen – auf unbe­grenzte Zeit.« – »Das wird nicht möglich sein.« – »Dann 'Hit and reset'; alles in die Steinzeit zurück­bomben.«
Saul, seit jeher die Stimme skep­ti­scher Vernunft in der Serie, auch gegenüber der bipolaren Carrie, hat eine andere Strategie. Ihm entgegen stehen die CIA-Hardliner, wie die israe­li­sche Botschaft – so klar hier der Staat Israel in gutem Licht gezeigt wird, so wenig gilt das für seine Regierung.

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Es ist schon paradox: Da gelingt es einer Unter­hal­tungs­serie, Dinge offener beim Namen zu nennen, Konflikte und Posi­tionen besser und verblüf­fend realis­tisch zu erklären, als dies in vielen Nach­rich­ten­sen­dungen und in den meist von braver Vorsicht domi­nierten Talk-Shows passiert.
»Homeland« funk­tio­niert so wie eine Einfüh­rung und Parabel auf die ameri­ka­ni­sche Nahost­po­litik:

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Saul, der heißt, wie der erste König Israels, steht hingegen auch in dieser Staffel stell­ver­tre­tend für alle Juden in der Diaspora: Voller Sympathie und Liebe für Israel, voller Nachsicht und manchmal Vers­tändnis für Kritik an israe­li­scher Politik, dort wo sie fair bleibt. Aber unduldsam gegenüber Israels Feinden. Man sieht ihn oft schweigen, und kann nur ahnen, was für Gedanken hinter seinem dichten Bart verborgen liegen. In der ersten Staffel sprach er einmal das Kaddisch – ausge­rechnet für einen mosle­mi­schen Toten.
Saul ist ein Moralist, aber ein vers­tänd­nis­voller, nach­sich­tiger, der mehr als einmal Gespräche über Doppel­moral führt. Auch ein Roman­tiker muss Realist sein, wenn er überleben will. »Mending the nets« heißt das Gemälde des jüdisch-nieder­län­di­schen Malers Jozef Israels, vor dem Kunst­kenner Saul eine dieser Unter­hal­tungen führt – in einem Herren­club, der keine jüdischen Mitglieder aufnimmt. Darin flickt eine Fischers­frau die Netze. Während draußen ein Sturm tost, spielt im Vorder­grund nichts­ah­nend, friedlich das Kind. Saul ist wie diese Frau: Während der Sturm längst da ist, hütet er das ihm anver­traute Kind, also uns, die Gesell­schaft. Seine Antworten mögen nicht immer wahr sein, aber sie trösten, sie spenden Sicher­heit.
Noch mehr aber ist Saul eine Moses ähnelnde Gestalt: Eine Art Gesetz­geber, einer mit privi­le­giertem Zugang zu Gott und zur Wahrheit. Wie für Moses (so argu­men­tiert etwa der Reli­gi­ons­wis­sen­schaftler Jan Assmann in seinem neuen Buch »Exodus«), so ist auch für Saul die entschei­dende Differenz aber nicht die zwischen wahr und falsch, gerecht und ungerecht, sondern jene »zwischen Treue und Verrat«. Saul ist ein Realist. Denn er weiß, wie schnell das Netz zerreißt, die heile Welt zerbricht. Dafür braucht er Gefolgs­leute, und die Frage, wer zu ihnen gehört, und wer nicht, ist der Angel­punkt der neuen Staffel.

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»Homeland 5« wirkt ruhig und reif, dabei immer noch über­ra­schend, und verbindet ein ganzes Dutzend von Erzähl­strängen. Dazu gehört in dieser, sich aller Fall­stricke seines Sujets sehr bewussten Serie, auch noch etwas ganz anderes: In der dritten Folge hat Saul einen Termin bei Carries Chef, dem Stahl­ma­gnat Otto During (Sebastian Koch), der sich als Phil­an­throp sieht, und die Hizbollah unter­s­tützt. »Wäre nicht das erste Mal, dass ihre Familie mit denen kolla­bo­riert, die auf der falschen Seite der Geschichte stehen.« Otto erklärt, er habe sein Leben damit zuge­bracht, die Schuld seines Groß­va­ters wieder­gut­zu­ma­chen. Doch dann sagt der deutsche Nazi-Nachfahr dem jüdischen CIA-Agenten: »Die USA sind die größte Gefahr für die Welt.« Man muss eben wissen, wer etwas sagt, und zu wem, um es richtig zu verstehen.

(To be continued)