How the Filmfest got its groove back |
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Allein war er dem Filmfest nicht gut genug - Jean-Jacques Annaud |
Von Anna Edelmann & Thomas Willmann
Anfang Juli 2015 in München. Die Stadt spielt The Floor is Lava. Der Asphalt löst sich nur schwer wieder von den Schuhen. An den Isar-Kieseln holt man sich seine Hot Stone-Anwendung. Junge, attraktive Menschen sitzen mit Gitarre und Freunden (nicht zu nah) am Grillfeuer. Aber etwas fehlt. War da nicht immer etwas – ein Getränk, eine Marke, eine Bausparkasse –, das genau dieses, ihr Lebensgefühl begleitete? Wie hieß denn das nochmal? Dafür gab es doch überall diese
visuellen Gedächtnisstützen. Wo sind eigentlich die hin?
Seit Wochen herrscht in München Werbe-Unterbrechung: Alle verfügbaren Litfaßsäulen, Plakatwände, MVG-Personenbeförderungsmittel und Bahnsteigböden zeigen nur noch ein Motiv – die Filmfest-Sonnenbrille, umfunktioniert zum Black Tie-Accessoire. (Die übrigens erste wirklich gelungene Variante des designierten Markenzeichens.)
Und das Werbeflächenbombardement scheint seinen Zweck zu erfüllen: Gefühlt zumindest beschränkt sich dieses Jahr selbst bei den obskureren Programmpunkten die freie Platzwahl öfter auf Einzelsitze denn wie früher häufig auf ganze Reihen.
Doch wer dem Lockruf der Brillen-Fliege und der Kinoklimatisierung gefolgt ist, fand – jedenfalls in unserer bisherigen Erfahrung – das Versprechen der »Besten Filme des Sommers« nicht erfüllt. Das soll nicht heißen, dass das
Programm nicht durchaus solide war. Dennoch hat man den Eindruck, dass jener Film fehlte, der den Jahrgang 2015 als Kinoerlebnis prägen wird: Der Film, dessen Titel schon klar ist, wenn ein Festival-Gespräch nur beginnt mit »Und wie fandest Du...?«. Der Film, der seine Karriere der Entdeckung auf dem Festival verdankt. Oder der Film, über den alle nur entweder in Lobeshymnen oder Zetereien rhapsodieren. Ein Film wie Oh Boy, Only God Forgives, Under the Skin.
Wir würden prognostizieren, dass 2015 weniger cineastisch in Erinnerung bleiben wird, denn als jenes Jahr, in dem das Festival, zum ersten Mal seit dem Abhandenkommen der »Isarmeile« als Garant für die häufige Begegnung unter Gleichgesinnten, wieder etwas von seinem familiären Groove gefunden hat. Dass die diesjährigen nachhaltigen Leistungen vielleicht eher im Organisatorischen denn Filmischen lagen.
Gemeinsam überstanden sind die verkrampften »Glamour«-Ambitionen. Vieles hat sich wieder auf ein sympathisches »Mia san mia«-Maß eingependelt. Es wirkt, als wäre endlich die Phase vorbei, in der das Filmfest München sein Heil in der Exklusivität gesucht hat. Nach ihrem Antritt als neue Leiterin hatte Diana Iljine noch geschwärmt von den Zeiten, als man über Mauern kletterte, um trotz nicht gewährter Invitation auf begehrte Filmfest-Empfänge zu kommen. Inzwischen hat man wieder erkannt: »Der Mittler zwischen Star und Festival muss das gemeine Volk sein.« Und unternimmt bewusst Inklusions-Anstrengungen: Selbst den Ruhm-Beeinträchtigten bietet man bei wirklich jeder Gala-Vorstellung ein frei verkäufliches Kartenkontingent. Zur schon lange dankend angenommenen Tradition der Abschlussfeier für alle gesellt sich nunmehr immerhin neben den Empfang im Bayerischen Hof eine barrierefreie, boarische Zweit-Eröffnungsparty für Zivilisten. Wie man überhaupt, selbst wenn man nicht so an Filmen interessiert ist, nicht mehr Jungschauspieler, Fernsehproduzent oder Münchner B-Promi sein muss, um auch ohne Einladung ein numerisch kaum noch zu erfassendes Programm vorzufinden. (Wo nur ist die siebte Party?)
Oft sind es auch einfach die vermeintlich kleinen Änderungen und Neuerungen, die einen nicht geringen Teil dazu beitragen, dass man sich wieder mehr wie auf einem richtigen Filmfest fühlt, statt nur bei einer großen Ansammlung einzelner Kinovorstellungen: Details wie die filmischen Grußbotschaften verhinderter Filmemacher zu Beginn der Vorführung ihrer Werke. Oder die Ummöblierung der Filmmakers Live-Gespräche in der Black Box (bei denen durch Freitickets auch die bangenden Warteschlangen sich verkrochen haben) – wo nun die Stargäste ohne trennenden Podiums-Tisch zwangloser fast auf Augenhöhe mit dem Publikum sitzen.
Regelrecht eine Revolution hingegen ist, dass das Publikum nun eine reelle Chance hat, über den Gewinner des Publikumspreises zu entscheiden. Das war eine der letzten richtig großen Bastionen der Schein-Demokratie. Denn bisher bediente man sich zur Abstimmung Zetteln, die frei auslagen und in beliebigen Mengen einzusammeln waren. Auf denen konnte man selbsttätig den Titel jenes Films eintragen, dem man den Preis am meisten wünschte. Und sie dann in unbeobachteten Augenblicken
in ebenso beliebigen Mengen in die bereitgestellten, ach so transparenten Wahlurnen versenken. Was fürsorglichen Regisseuren zuvorkommend die Möglichkeit eröffnet hat, sich für die langjährige Unterstützung von Freunden und Familie zu bedanken. Indem sie deren überraschenden Gewinn der lockenden Venedig-Reise statistisch deutlich wahrscheinlicher machten.
Was für rührende Szenen sich da oft am heimischen Kachelofen abgespielt haben müssen!
»Muatter, woaßt scho,
wo'sd nächsten Sommer hifahrst? Weil i woaß des fei.
Nach Venedig.«
»Ja wie?«
»G'wonna hast. A Reis.«
»Ja wos?«
»Zu di Filmfestspiele.«
»G'wonna? A geh! I hob do goar nix g'spuit.«
»Ja aber I, für di. Weil'sd imma gar so guad wars'd. Und fürs ganze Filmteam Apfelkiacherl bachen hast.«
»Und da ham’s grad mei Los zog'n? Ja so a Glück!«
»Na jo, I moan, des worad ned nur a rein’s Glück... I hob scho aa a bisserl nachg'holfa.«
»Nachg'holfa host,
Bua?«
»Ja freilich. Siebzig Zetterl hob I ausg'füllt für di. 's ganze Wochenend bin I dag'hockt.«
»Siiieeebzig! Mei, Bua!«
»Ja. Des wars'd ma scho wert.«
»Siiieeebzig! Geh, schad', dass da Vatter des nimmer derlebt hod!«
»Ja scho. Aber immerhi mitg'macht hat er aa. Siebzg moi.«
Das heißt nicht, dass alle Gewinner der letzten Jahre unverdient oder durch unlautere Mittel zu ihrer Ehre kamen. Aber aufgrund der offensichtlichen Fälle standen sie alle unter Generalverdacht. Dadurch war das System doppelt unfair – und der Preis kurz davor, zur Lachnummer zu werden.
Und wir sind, ehrlich gesagt, schon ein bisschen gekränkt, dass uns das Filmfest jetzt die Chance genommen hat, all die schönen, gemeinen Witze noch an- und unterzubringen, die wir zu diesem Thema angesammelt hatten. Denn dieses Jahr wurde der Abstimmprozess – wohl auch dank neuen Sponsors – gegen ein durch- und von Grund auf überdachtes System ausgewechselt. Nun muss man tatsächlich ein Ticket für den jeweiligen Film besitzen, und mittels eines darauf abgedruckten, individuellen Codes online eine Wertung abgeben.
Sicher werden noch immer die Lokalhelden einen gewissen Heimvorteil haben, weil sie potentiell mehr Freunde und Familie als Publikum haben, die sie wirklich zur positiven Abstimmung motivieren können. Aber es ist endlich sichergestellt, dass nicht fünfmal soviel Stimmen für einen Film gezählt werden, wie ihn tatsächlich Leute gesehen haben. Das macht den Riesenunterschied zwischen einem natürlichen Vorteil und der Möglichkeit zur schamlosen Manipulation. Und zwischen einem transparenten System und einem All-you-can-Vote. Außerdem gibt es jetzt ein Korrektiv, da man nicht mehr einfach nur für einen Film stimmt, sondern jeden Film – ob positiv oder negativ – bewerten kann. So können Freunde und Familie die zu vergebenden Sternchen in noch so vielen Fünfer-Konstellationen erstrahlen lassen – es hilft wenig, wenn der Film dem objektiveren Teil des Publikums schnuppe war.
Doch während der Publikumspreis seine längst überfällige Wieder-Aufwertung erfährt, befindet sich der Stern des CineMerits weiter im Abstieg. Für Jean-Jacques Annaud fand das große Bibbern bereits bei der Pressekonferenz des Filmfests ein Ende: Da war klar, dass er nicht alleiniger diesjähriger Empfänger des CineMerit Awards bleiben würde. Da hatte man schon Rupert Everett nachnominiert.
Nun ist es ein offenes Geheimnis, dass mit dem CineMerit seit Anfangstagen vor allem
die Bereitwilligkeit von namentlich bekannten Filmschaffenden ausgezeichnet wird, sich in München auf dem Roten Teppich Arm in Arm mit der jeweiligen Festivalleitung ablichten zu lassen. Neu aber ist die Entwicklung hin zu den CineMeriten: Dass anscheinend jetzt jedes Jahr die Entscheidung für einen exklusiven Preisträger nur so lange Bestand hat, bis ein prominenterer, photogenerer Star während einer Promotour auf Durchreise in München vom jüngsten Bahnstreik überrascht
wird und festgesetzt werden kann.
Letztes Jahr war man schon sehr überrascht, wie sehr sich der groß angekündigte und allemal würdige CineMerit-Empfänger Udo Kier doch verändert hat – bis sich mitten während der Festivalwoche die Gerüchte von einem spontanen Zweit-Preis als wahr herausstellten, und die Person im Abendkleid auf Gala-Photos als Isabelle Huppert entpuppte.
Ganz so schäbig wie diese Düpierung – die den Preis und das verleihende Festival nur klein macht – ist es dieses Jahr freilich
nicht. Aber es tat einem schon weh, in der Verleihung an Jean-Jacques Annaud zu sitzen mit dem Wissen, dass er allein dem Filmfest nicht gut genug war, einfach zu dieser ersten Wahl zu stehen – sondern man der Verlockung eines optisch wiedererkennbareren Stars erlegen ist. Da stand er, der Annaud, und erzählte von seiner Zeit in München während der Arbeit an Der Name der Rose,
seiner Beziehung zur, seiner noch immer präsenten Erinnerungen an die Stadt, an Bernd Eichinger – dessen Witwe der Festivalleitung freundschaftlich verbunden ist und die Laudatio auf »JJ« (B. Eichinger) hielt.
Und man muss Annaud nicht für einen der weltgrößten Regisseure halten, um das Gefühl zu haben: Das hätte gepasst. Das wäre nicht spektakulär gewesen – aber familiär und eine Wertschätzung der Filmhistorie Münchens. Stattdessen zeigt das Banner im Gasteig, an dem alle Preisträger vorbei müssen, typo- und ikonographisch klar die Rangordnung: Annaud heruntergesetzt kleiner am linken Rand; groß und zentral »ein Mann von engelsgleicher, präraffaelitischer Schönheit«
(Zitat Filmfest-Magazin), Rupert Everett – durchaus ja potentiell ein würdiger Kandidat für ein anderes Jahr.
Und man war nicht einmal gewiss, wie lange ihm dieser Vorzug vergönnt bleiben würde. Bis zum letzten Festivaltag begleitete einen latent das Gefühl: Es ist ja noch Zeit. Vielleicht tut sich ja eine Terminkalender-Lücke auf bei jemandem von gottgleicher, raffaelitischer Schönheit.
Vielleicht strebt das Filmfest ja auch bei den CineMeretierten einen neuen
Besucherrekord an.
Wir jedenfalls erwarten voller Vorfreude die erste Verleihung eines Dritt-CineMerits.