66. Berlinale 2016
Mehr Demokratie wagen? |
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Soll wieder zum Impulsgeber des deutschen Kinos werden... |
Durchgebräunt ist Ben Gibsons Teint, was vor dem bleichen Berliner Februarhimmel über dem Sony-Center um so mehr auffällt. Sein Jahr in Australien wirkt noch nach beim neuen Direktor der »Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin« (DFFB), der sein Amt offiziell erst kommenden Montag antritt, sich jetzt aber schon eine Woche vorher – und rechtzeitig vor dem Veranstaltungstsunami der Berlinale – der Presse vorstellte.
Auch sonst zeigte sich Gibson sommerlich gut
gelaunt, humorvoll und offen im Rahmen des Möglichen: »Über konkrete Pläne, über das, was ich verändern will, möchte ich noch nicht sprechen.« Womit er immerhin schon verraten hat, dass sich etwas ändern soll. Und etwas später sagt er dann schon, es sei wahrscheinlich, dass es zum Herbst »tiefgreifende Änderungen« werde.
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Eine Evaluation, gemeinsame Gespräche mit allen Abteilungen sollen dem vorausgehen, ein paar Wochen werde das schon dauern. »Wir werden auf alles schauen und Berlin die Filmschule geben, die es verdient, aber wir werden das zusammen tun, als Gemeinschaft aus Kreativen – Studenten und Dozenten.« Gibson weiß, dass er hierfür nicht allzu viel Zeit hat, allein schon, weil die DFFB im September ihr 50. Jubiläum feiert. »Gut, dass Willy Brandt die DFFB nicht im Februar eröffnet hat.« sagt er lächelnd und verweist auf die Retrospektive der kommenden Berlinale: »1966 war unser Gründungsjahr. Bei der Retrospektive können wir verstehen lernen, worum es seinerzeit ging.« Gibson erinner an den Geist der DFFB als einer autonomen Schmiede des Autorenfilms, »ein Atelier der Innovation.« Diese revoltierende Tradition sei ihm sympathisch, ein Kulturrevolutionär sei er aber nicht.
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Gibson spricht mit den Journalisten Englisch, Deutsch muss er noch lernen. Im Gespräch mit der sehr internationalen Studentenschaft wird das kein Hindernis sein, schon eher mit Mitarbeitern und manchen Dozenten. Um Nuancen und den wichtigen »Flurfunk« aufzuschnappen, wird er noch eine Weile auf Übersetzungshilfen angewiesen sein. Aber Gibson macht nicht den Eindruck, als wäre er fremden Einflüsterungen allzu leicht zugänglich – dafür ist er wohl auch zu erfahren.
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Garantien habe es keine gegeben seitens des Senats, weder finanzieller Art, noch für den grundsätzlichen Bestand der Filmschule, um die sich immer mal wieder Gerüchte ranken, sie solle aufgelöst werden, oder verschmelzen mit der weniger rebellischen Film-Uni in Potsdam, der HFF Konrad Wolf, wie sie früher hieß.
»Was ich garantieren kann, ist, dass ich für diese Filmschule kämpfen werde« versicherte Gibson ungefragt. Entscheidend sei am Ende immer: »Who is running the place?« Wer ist der Chef?
Dass er der Chef sein will, daran lässt Gibson keinen Zweifel. Aber diese Bemerkung richtet sich nach beiden Seiten: Nach innen, aber auch nach Außen, hin zur von Björn Böhning (SPD) im Filmbereich katastrophal gemanagten Senatskanzlei, und zum Kuratorium: »Es wäre vielleicht keine schlechte
Idee, auch ein paar Filmemacher reinzutun« – das war eine der wenigen spitzen Bemerkungen Gibsons, und sie zielte auf das Gremium, das ihn gerade erst berufen hatte.
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Von seinem Arbeitszimmer blickt Gibson übrigens direkt auf das von Dieter Kosslick herab. Er kann den Trubel sehen, der sich da unten jetzt aufbaut, zugleich wirkt das Gebrause ganz klein, ganz weit weg. Man hat von hier oben, in den Lüften des neunten Stocks Distanz und so sollte man Gibsons Plädoyer für Realismus nicht als Bekenntnis zum Kino-Rinnstein-Realismus missverstehen, zur Absage an Utopien.
Der Filmredakteur der nach Selbstbeschreibung »örtlichen« Westberliner Zeitung »Tagesspiegel«, der die Anliegen der Studenten, und ihr Drängen auf Demokratisierung und Transparenz noch nie verstanden hatte, hat sich vielleicht zu früh gefreut, wenn er unverhohlen jubelt, als ob sein Fußball-Team gerade das Cup-Final in Wembley gewonnen hätte: »dynamisch, charismatisch, konkret, pointiert und entschieden durchsetzungsfähig. Mit einem englischen Wort: powerful.«
Na,
das warten wir mal ab.
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Eine paar – zumindest für seine Kritiker überraschende – Bekenntnisse ließ Gibson sich dann doch entlocken: Er sei gegen Spezialisierung einer Filmschule, auch Kameraleute seien in erster Linie »Filmemacher«. Er habe »nie Mainstream gemacht«.
Die DFFB solle in Berlin verankert sein, sich der Stadt und ihrem Filmdiskurs öffnen, wieder zum Impulsgeber des deutschen Kinos werden – das solche Impulse und einen Stachel im Fleisch gut gebrauchen kann, das lässt Gibson unverblümt durchblicken. Gibson spricht über Alexander Kluge und die Berliner Schule, über die Kraft des iranischen Films und seine Liebe zum Kino als privilegierter Ort des Filmsehens – ich bin da eher konventionell. Ich glaube nicht, dass wir alle bald nur noch YouTube gucken
Noch sind die Wunden der letzten Jahre an der DFFB nicht verheilt, noch gibt es tiefe Gräben und Verwerfungen innerhalb der Dozenten, und zwischen Studenten und manchen angestellten Mitarbeitern. Auf Nachfrage bekennt sich Gibson auch zur studentischen Mitbestimmung. Das ist gut, um dem Rumoren hinter den Kulissen und der eher skeptischen Erwartungshaltung vieler Studenten entgegenzuwirken. Dass nun ausgerechnet der sehr gefragte und beliebte DFFB-Dozent, der Filmemacher Fred Kelemen, selbst ein Bewerber um den Direktorenposten und einer, der es gewagt hatte, das unselige Berufungsverfahren und das Verhalten des Kuratoriums wie manchen Dozentenkollegen auch öffentlich zu kritisieren, nun seit Jahren erstmals keinen neuen Lehrauftrag erhalten hat, war kein kluger letzter Schachzug der intern umstrittenen Interimsleitung.
Zuvor hatte sie die Stelle einer Mitarbeiterin, die DFFB-Filme international vermarkten und auf Festivals platzieren sollte, ein arbeitsintensiver Job, der viel mit langjähriger Kontaktpflege zu tun hat, abgeschafft, worauf deren Kollegin aus Frust und Arbeitsüberlastung gekündigt hat – ein weiteres Indiz unter mehreren für die nicht einfache Situation an der DFFB.
Ben Gibson will diese Gräben zuschütten. Vielleicht hält er sich auch da an die Maximen des von ihm offenbar geschätzten Willy Brandt. Der hoffte zur DFFB-Eröffnung im September 1966 nicht nur auf »künstlerische und organisatorische Impulse in die Gesellschaft, er prägte auch das Motto ›Mehr Demokratie wagen‹. Beides könnte der DFFB und Gibson nutzen. Denn Freundlichkeit und gute Manieren allein werden nicht genügen.«