66. Berlinale 2016
Ave Cäsar, die Todgeweihten grüßen Dich... |
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George Clooney in Hail, Caesar! | ||
(Foto: Universal Pictures) |
»Das kulturelle und innovative Klima dieser Stadt fordert, wenn auch nur stillschweigend, dass selbst eine offizielle und institutionalisierte Veranstaltung den Weg des Originellen, des Neuen, des Schwierigen, des Experiments suchen muss.«
Moritz de Hadeln, Direktor der Berlinale, 1980-2001, im Vorwort zum Katalog der 36. Berlinale, 1986
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Das kann ja gar nicht so schlecht sein. Mit Hail, Caesar!, einer Komödie des genialen amerikanischen Brüderpaars Joel und Ethan Coen, hat die Berlinale für die am Donnerstagabend stattfindende Eröffnung ihres 66. Jahrgangs bereits eine gute Entscheidung getroffen. Das zumindest kann man unbesehen sagen. Denn es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn dieser Film nicht so ein
witziges, intelligentes Gute-Laune-Stück wäre, wie es bei den Coens bereits Routine ist – sie sind die besten Komödienregisseure des Gegenwartskinos. Und dann noch George Clooney in der Hauptrolle – da brodelt auch der Boulevard, und ein paar Filmkritikerdamen fallen ebenso bezaubert in Ohnmacht, wie der eine oder andere schwule Society-Herr.
Und dann geht es in dem Film auch noch um die Abgründe des Filmbusiness – was könnte besser passen zur Eröffnung
eines Filmfestivals, vor allem dieses Filmfestivals.
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Der Wettbewerb sieht zumindest auf dem Papier in diesem Jahr interessanter aus – das war auch dringend nötig nach den schlechten Kritiken, die das Aushängeschild der Berlinale vor allem international bekommen hatte.
An den nächsten zehn Tagen werden wir den Katalogbeschreibungen und Direktorenverlautbarungen zufolge viele französische Filme sehen – »in allen Sektionen … die Franzosen machen tolle Filme«. Jetzt hat er’s also auch entdeckt. Es
gibt auch viele Lateinamerikaner (man hängt sich also ein wenig an die Latino-Welle, die von Venedig ausging) man wird die Berlinale-üblichen brav bebilderten Sozialdramen begleiten, aber auch radikales Kunstkino, wie einen achtstündigen Film aus den Philippinen von Lav Diaz, der vor zwei Jahren in Locarno gewann, davor mit seinen Sachen in Venedig – auch keine Entdeckung dieses Festivals, aber die Zeit in der man hier noch Entdeckungen machte, liegt halt eh lange zurück.
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Ansonsten Business as usual: Die bekannten Berlinale-Krankheiten sind im 15. Jahr unter Leiter Dieter Kosslick längst so chronisch geworden, dass man es bald leid ist, immer wieder die gleiche Litanei anzustimmen. Ist aber trotzdem unvermeidbar: Viel zu viele Filme in viel zu vielen Sektionen, die inklusive Wettbewerb untereinander fast völlig austauschbar geworden sind – selbst Experten finden sich nur noch schwer zurecht. Stilistisch zeigt die Berlinale oft
zusammengeleimte Zutatenfilme und Inhaltistisches, die Filmkunst bleibt dagegen gerade im Wettbewerb zu oft auf der Strecke, auch weil man sich ja als »das politischste« Filmfestival vermarktet, und unter Politik vor allem versteht, die Nachrichtenthemen auf der großen Leinwand wiederzukäuen.
Darum gibt es diesmal übers Festival verstreut viel über Flüchtlinge und viel arabisches Kino. Das ist bestimmt hochinteressant. Nur haben die Araber die Filmkunst ja nicht erst
seit dem letzten Sommer plötzlich erfunden. Entweder waren sie also schon immer gut – kann sein, aber warum dann jetzt erst? – oder sie haben auch 2016 bei einem Kunstfestival nichts verloren – sondern vielleicht besser an einer politischen Akademie.
Doch statt über Autorenfilme lässt sich der Festivalleiter lieber stundenlang über seinen Vegetarismus, seine Yoga-Übungen und über die Papierersparnis der Berlinale aus. Das Festival ist unter Dieter Kosslick zu
einer einzigen Cross-Section des lifestyligen Gutmenschentums geworden, dessen Wellness noch durch Wohlfühlfilme gesteigert wird.
Sperriges, Irritierendes, zum Streit anregendes fehlt.
So sind die Verschleißerscheinungen unübersehbar. Und auch die selbst ernannte »Plattform des deutschen Kinos« bröselt. Dass das alles nicht so sein muss, sondern ganz anders sein könnte, zeigt der lohnende Blick in die Vergangenheit.
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Im Februar 1986 war die Welt noch in Ordnung. Die Mauer stand noch, Tschernobyl tuckerte friedlich vor sich hin, nur die »Challenger« war gerade am Himmel zerplatzt. Im Kino lief »Unter dem Vulkan« von John Huston. Ich las Moravia, »Tempo« und Christian Meiers Caesar-Biographie.
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Wo ist der Schnee vom vergangenen Jahr? Vor ein paar Wochen fiel mir durch Zufall ausgerechnet in einem Saarbrücker Antiquariat ein Berlinale-Katalog in die Hände. Und siehe da: Er war vom Jahr 1986, ich blätterte ein wenig und kaufte ihn. Denn, dachte ich, es sei doch bestimmt interessant, einmal das Festival von vor 30 Jahren mit dem Jetzigen zu vergleichen.
1986 genügten 150 Filme, das Forum kam noch dazu, also knapp die Hälfte der heutigen 400. Dafür liefen auf der Berlinale
Werke von zum Beispiel Fellini, Achternbusch, Derek Jarman, Nanni Moretti, Sidney Pollack, von William Friedkin, und es gewann der Westdeutsche Reinhard Hauff. Außer Konkurrenz liefen zum Beispiel Eastwood und Gus Van Sant.
Im Vorwort sammelte der Direktor keine Spenden, wie heute, sondern Moritz de Hadeln sprach tatsächlich von Filmkunst, und davon, dass man sich dem Publikum nicht liebedienerisch anbiedern solle.
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Nicht nur der Inhalt, auch die Sprache, nicht nur die Strenge, auch der Anspruch, die Unbeugsamkeit und Konsequenz, die Anstößigkeit sind heute undenkbar. Sie zeigen, was man an der Berlinale schmerzhaft vermisst. Manches war nämlich früher wirklich besser. Echt wahr!
Wie lange also müssen wir das noch ertragen?
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Heute mischen sich Ermüdungstaktik – also Hoffnung auf den oben erwähnten Effekt, dass man das Gemeckere irgendwann selber leid ist und die Berlinale einfach abgestumpft über sich ergehen lässt – und Umarmungstaktik.
Zur Umarmungstaktik der Berlinale von heute gehört etwa, dass man einer der schärfsten Berlinale-Kritiker, den britischen Sight & Sound-Redakteur Nick James, kurzerhand in die Jury eingeladen hat. Ein durchschaubarer, aber kluger Schachzug, und
erstmals seit mehr als einem Jahrzehnt ein Filmkritiker in der Jury – auch eine absichtliche Aufwertung der Filmkritik, die sich ja vor einem Jahr mit der Gründung einer Woche der Kritik mit eigenen Veranstaltungen von der Berlinale unabhängig machte.
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Immerhin steht eines schon fest. Der Goldene Bär. Es gibt nämlich ein heimliches Berlinale-Barometer: Das heißt bekanntlich: Filme gewinnen, die in der ersten Hälfte laufen und früh morgens: Also Rosi, Tanovic, der Portugiese, der Tunesier oder der Exil-Iraner Rafi Pitts. Letzterer ist unwahrscheinlich, weil nicht andauernd Iraner gewinnen können. Hier kommt das zweite Berlinale-Orakel zum Zuge: Michael Kölmel, Chef des früher als »Kinowelt« firmierenden, sich durch Instinkt und Geschmack von der Konkurrenz wohltuend abhebenden »Weltkino«-Filmverleihs, gelang es in den letzten Jahren immer, bei den jeweiligen A-Festivals von Cannes, Venedig und Berlin den jeweiligen Gewinnerfilm zu erwerben. Bislang hat »Weltkino« nur einen einzigen Film aus dem Wettbewerbsprogramm gekauft: Den französischen Film L’avenir (deutsch: »Die Zukunft«) von Mia Hansen-Lowe. Schön wär’s, sage ich jetzt mal unbesehen, wenn Kölmel wieder recht hätte.
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»Ein verantwortliches Festival muss Risiken eingehen.«
Moritz de Hadeln, Direktor der Berlinale, 1980-2001, im Vorwort zum Katalog der 36.Berlinale, 1986