69. Filmfestspiele Cannes 2016
Last Exit Cannes |
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Mein schönstes Cannes – damals, 2009... | ||
(Foto: X Verleih AG / Warner Bros. Entertainment GmbH) |
Cannes ist ein Paralleluniversum. Das weiß jeder, der hier ist, darin liegt die Suchtwirkung von Cannes, seine Faszination. Es kann die Welt untergehen, aber wenn nicht gerade die ISIS ins Palais eindringt, wird das niemand hier kümmern. Zwölf Tage muss die Welt draußen bleiben, mit dem ganzen Schei ß, der an ihr dranhängt. Herrlich.
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Wenn man dann noch an den letzten Tagen mal Gelegenheit hatte, entspannt vor dem deutschen Pavillon zu sitzen, Karamellbonbons zu lutschen, und aufs Meer zu blicken, dann spürt man: Es wäre auch noch, vielleicht, etwas ganz anderes möglich, ein anderes Leben, ein anderes Cannes, ein anderes Festival... Das wäre nicht notwendig schöner, die Schönheit wäre aber zumindest eine andere. Vage Erinnerungen kommen auf, an die ersten Jahre hier auf dem Festival, als die Redaktionen andere
waren und anderes verlangten, als ich selbst naiver auf dem Festival unterwegs war, unbeschwerter allerdings auch, und zumindest öfters an diesem Strand saß.
Mein Cannes-Radius ist kleiner geworden, gerade in diesem Jahr. Ob’s an Auftraggebern liegt, der absurden Wettbewerbsfixiertheit, auch meiner eigenen? Keine Party an der Croisette in diesem Jahr, und Blicke in die Modeboutiquen erst nach Festivals. Das muss sich jedenfalls wieder ändern.
Etwas über 30 Filme habe
ich gesehen, zu wenig aus den Nebenreihen, was natürlich auch an der doofen Auswahl von Weintraub in der Quinzaine liegt. Aber »Un Certain Regard« wo ich viel gesehen habe, war auch nicht gut gewesen.
Relativ wenig Filme aus den »Außer Konkurrenz«, vor allem zu wenig Asiaten. Kein Mitternachtsscreening. Diesmal hatte ich keinen Tag mit fünf Filmen, aber auch keinen unter drei, außer dem ersten, an dem nur zwei liefen.
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Welches mein schönstes Cannes war, hatte Engin mich am ersten Abend gefragt. Spontan hatte ich 2009 genannt, als Haneke mit dem Weißen Band gewonnen hatte. Das war die Zeit, als ich noch aufs arte-Boot ging, und ich Sara aus Madrid kennengelernt habe, die heute schon keine Filmkritikerin mehr ist. Dann hab ich von 2003 erzählt, meinem ersten Jahr und 2004, dem Durchbruch der
Asiaten. Da war ich auch noch regelmäßig ins Petit M gegangen. Später ist mir noch 2011 eingefallen, das Drive-Jahr.
Ein Film ist es fast immer, der im Kopf bleibt, auch mal zwei, drei, selten mehr als fünf. Sofia Coppola und Guillermo del Toro, die für ihre jeweils besten Filme keinen Preis bekamen. War dies das Jahr, als Ken Loach gewann, 2006, in der hirnrissigen Wong Kar.wai-Jury? Die
drei tollen Godard-Filme: Notre Musique, Film Socialisme, Adieu au langage, jeweils in Cannes. Wo sonst? La vie d’Adèle, von 2013. NBC und Kawase, von 2014. 2015:
Kore-eda vor allem. 2016 wird später das Toni Erdmann-Jahr gewesen sein.
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Sie sickert und tropft natürlich trotzdem hinein, die Welt. Nicht allein, weil nach dem letzten Besuch am deutschen Pavillon, der dann mich besuchte, leider sehr FC Bayern-lastig, das war schon dass falsche Signal fürs Pokalfinale, und so kam es auch.
Wenn man gewisse Fußballergebnisse, Mitmenschen, Anrufe, Ämter, Beziehungen hier auch noch ignorieren kann, so sorgen doch die Filme dafür, vor allem die schlechten. Und die gutgemeinten, was wenigstens nicht immer dasselbe ist.
Etwa in Filmen wie Sean Penns The Last Face, einem einzigen Desaster. War Toni Erdmann ein Film, der so gut ankam, wie noch nie ein Film in Cannes seit Jahren, so fiel dieser auf eine Weise durch, wie ich sie noch nicht erlebt habe. Selbst Buhrufe wären zuviel gewesen für diesen Schrott.
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Was uns bisher zwar irgendwie bewusst war, aber immer wieder in Vergessenheit gerät, das ist, dass es auch innerhalb dieses Orbits Cannes mehrere Paralleluniversen gibt.
In einem bewegte sich offenkundig die diesjährige Jury. Ihre Entscheidungen, die ich gebührend kommentiert, aber noch nicht ausreichend erläutert habe, erklären sich eigentlich nur daraus, dass diese neun Leute auf einem anderen Festival waren, als ich, dass sie andere Filme gesehen hatten, die nur zufällig
die gleichen Titel trugen.
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Ein Universum für sich ist Susanne Ostwald, Kritikerin der im Prinzip renommierten NZZ, allerdings geboren in Herne/Süd. Über Ostwald wurde noch auf dem Deutschen Filmpreis gelästert – nicht von mir ausgehend. Aber ich hab dann mitgelästert. Denn es war auch anderen, mehreren anderen aufgefallen, dass Ostwald die einzige Kritikerin der Welt war, die mit den Jury-Entscheidungen einverstanden war, die Xavier Dolans Film mochte, den noch nicht mal jene, die ihn verkaufen mussten, etwas abgewonnen konnten. Die Ken Loach... Ach was solls, über den Unsinnstext muss man kein Wort mehr verlieren.
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Langsam sickert die Welt wieder ein, am Ende eines solchen Festivals. Die, die nicht bis zum Ende ausharren berichten von Französischkursen in Paris, auf die ich aus mehreren Gründen auch Lust hätte, von bevorstehender Arbeit, oder sie verabschieden sich bis zum nächsten Festival. Andererseits lebt das Festival auch weiter, auf Festivalscope zum Beispiel und natürlich eben in Paris, wo jetzt alle Nebensektionen nachgespielt werden. Die haben’s gut – es lebe die Francophilie.
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Auf dem Rückflug sind die hübschen Stewardessen von Germanwings in etwas alberner, aber eigentlich sehr erhebender Flirtstimmung. Und der Bekannte eines Weltvertriebs liest ein Buch mit dem Titel »transformer ma vie«.
Das fragt man sich dann am Ende eines Festivals, aber Preise hin, Jurys her – das diesjährige Cannes war jede Sekunde wert.
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Dann die Landung als Vertreibung aus dem Paradies, Ankunft um 22.40 Uhr, 45 Minuten verspätet wegen des Sturms. Zurück in der wirklichen Welt. Berlin ist so klein, so heruntergekommen, und so billig, man vergisst es nur immer – das will Hauptstadt sein? Hier fahren die Straßenbahnen nicht mal alle 10 Minuten, hier werden werktags um Mitternacht die Bürgersteige hochgeklappt, und alle gehen ins Bett. Vergesst den Mythos, Leute, Berlin ist einfach eine Pissstadt, in Mannheim ist um die Zeit mehr los. Um 23 Uhr fuhr ich dann im X9-Bus zum Hauptbahnhof. Dort aber fährt keine S-Bahn, weil der S-.Bahn-Verkehr mal gerade wieder wegen irgendwelcher Umbauten ab 21.30 eingestellt ist. Es bleiben Regionalbahnen, die nächste fährt um 23.45. Dann aber doch nicht, weil sie Verspätung hat. Nach BVG-Angaben »5 Minuten, da ist sie aber schon 10 Minuten verspätet. Die Anzeige ändert sich auf ›15 Minuten später‹, es werden dann 20. Beim Bahnhof Friedrichstraße kommt die nächste Straßenbahn dann in 13 Minuten. Das ist Hauptstadtfeeling.«