Cinema Moralia – Folge 134
Früher nannte man es »das Publikum« |
||
»aka-Filmclub« Freiburg – einer der ältesten und besten Studentenfilmclubs der Republik |
»Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals glauben würdet. Gigantische Schiffe, die brannten, draußen vor der Schulter des Orion. Und ich habe C-Beams gesehen, glitzernd im Dunkeln nah dem Tannhäuser Tor. All diese Momente werden verloren sein in der Zeit, so wie Tränen im Regen.«
Blade Runner The Director’s Cut von Ridley Scott, Warner.
Ein Lektüretip zu Anfang, den Text kann man noch lesen, bevor die EM losgeht: Maren Lickhardt (die ich nicht kenne, aber jetzt möchte ich sie kennenlernen) hat in der »Pop-Zeitschrift« einen auch richtig schön geschriebenen Text (»Hongkong, Pop!«) veröffentlicht, der von Hongkong handelt (dieser tollen Stadt, die auch ein
einmaliger Film-Ort ist), und von Dingen, die man in Europa nicht kaufen kann, und der einen sehnsüchtig werden lässt:
Selbstverständliches Flanieren, Betrachtungen über Beiläufigkeiten, so muss es sein! Sie schwärmt, das ist sowieso sympathisch, in diesem Fall erst recht, auch wenn ein Satz wie »nichts, was ich je gesehen habe, ist spektakulärer als jede noch so abgelegene Straßenecke in Hongkong.« schon grenzwertig ist. Aber ja: »Das Tempo der Stadt ist großartig. Alles ist
unglaublich schnell ohne jede Hektik. ... Wenn Musil heute noch leben würde, würde er wohl Hongkong und nicht Wien als 'überamerikanische Stadt' beschreiben. Aber eigentlich entzieht sich Hongkong einer Beschreibung in kultureller oder geographischer Opposition von Ost und West. Und wieder ist es abgegriffen, aber ich muss sagen, dass die Stadt eher wie die Zukunft aussieht oder wie die richtige, die konsequente Postmoderne.« Interessant ist auch, dass die Autorin »die
europäische Reizunterflutung« bemerkt, Sachen schreibt wie »ca. 1.300 Hochhäusern – und das sind dann auch wirklich Wolkenkratzer, nicht so wie in London oder Frankfurt«. Verwundernd allein, dass es für sie »eine (fast) ganz neue Erkenntnis« ist, dass »Primärerfahrung alles übersteigt, was man medientechnisch und sprachlich vermitteln kann«.
Wunderbare Lektüre – das Gegenteil jenes Akademismus, der im Feuilleton zunehmend vorherrscht und ihm alle
Leichtigkeit austreibt.
+ + +
Die Filmstiftung, jetzt offiziell »Film- und Medienstiftung NRW« feiert ihr 25-jähriges Bestehen. Wir gratulieren!! 1991 vom Land Nordrhein-Westfalen und dem WDR gegründet, ist die Filmstiftung mit einem durchschnittlichen Fördervolumen von rund 35 Millionen Euro die bedeutendste Länderförderung in Deutschland.
+ + +
Letzte Woche war ich in Freiburg, wo der »aka-Filmclub« Von Caligari zu Hitler zeigte. Der Besuch war aus vielen Gründen schön: Nach langer zeit traf ich frühere Münchner/Berliner Freunde wieder, über 40 Leute waren im Kino, die Diskussion ging über eine Stunde, die Gastgeber waren supernett. Der »Aka-Filmclub« ist einer der ältesten und besten Studentenfilmclubs der Republik – nicht weil sie meinen Film zeigten, sondern weil es da fast jeden Tag anspruchsvollstes Programm gibt: Letzten Freitag lief Pasolinis Die 120 Tage von Sodom, übermorgen Bela Tarrs 453 Minuten langer Satantango – Satanstango, dazwischen Filme von Satoshi Kon, Lutz Dammbecks Overgames und andere Tarr-Filme – Wahnsinnsprogramm, Leute. Gratulation!
+ + +
Freiburg selbst habe ich auch beim vierten Besuch meines Lebens noch nicht ganz verstanden. Erstaunlich wie studentisch das hier alles ist, wie die Uni die Stadt dominiert, die Menschen, ihre Gespräche, auch die Restaurantkarten: Viel Nudeln und Kartoffelgerichte. Die Lokale heißen »Aspekt« oder »Schlappen« Man trinkt »Waldhaus«-Bier, das schmeckt auch wirklich gut. »Das Problem an Freiburg ist, dass keiner hier weg will, weil es hier ja so schön und gemütlich ist« sagt Alexander, bei dem ich früher ein paar Jahre in Berlin ein Untermietzimmer hatte. Aber er ist auch wieder zurückgekommen, und als die Studenten mit uns kurz vor Mitternacht noch in die »Warsteiner Galerie« gingen, erinnert er sich, dass er sich hier früher mit seiner ersten Freundin immer getroffen hat. Das sind dann die Vorteile des Überschaubaren.
»Deutscher Idealismus ist spannend, aber wir machen hier nur dessen Geschichte, gar nicht mal, was daran wichtig sein könnte. Es geht ja nur um die Frage, auf eine Antwort komme ich schon selbst« sagt Nathalie vom »Aka«, die mich schon deswegen beeindruckt, weil sie jedes Mal, wenn ich sie sehe, eine andere Frisur hat,
+ + +
Das Wetter ist zwar jetzt schön, dafür hagelt es täglich Pressemitteilungen von Filmfestivals rein. Da stehen dann so überflüssige Informationen drin, wie »Deutlicher Besucherzuwachs bestätigt führende Stellung des Festivals« – das ist so eine typische Festivaljubelüberschrift, die ich nicht nur überflüssig finde, sondern ärgerlich, weil sie der Filmkultur, also der angemessenen Betrachtung des Kinos, eher schadet. Immer dieses Argumentieren mit dem Publikum – als ob das irgendetwas beweisen würde. Ebenso das Zählen von xyz Welt- und internationalen Premieren, xyz Masterclasses und xyz Panels. Das sind alles falsche Maßstäbe.
+ + +
Die herrschen aber auch in anderen Bereichen vor: Der »Bundesverband Regie« mit seinem Ehrenpräsidenten Volker Schlöndorff hat einen Offenen Brief an die Bundeskanzlerin geschrieben, die »den völlig unzureichenden Regierungsentwurf zum Urhebervertragsrecht« kritisiert, und dringende Überarbeitung fordert. Der am 16. März von der Regierung durchgewunkene Entwurf fällt weit hinter den Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums wie der rechtswissenschaftlichen Problemlösungs-Vorschläge zurück. Er »verschlimmbessert« das bereits 2002 nur unzureichend novellierte Urhebervertragsrecht.
Der Kern der Einwände und Argumente, die man auf der Website nachlesen kann, trifft zu. Denn nur in Deutschland gibt es diese absurd merkwürdige Konstruktion des »Leistungsschutzrechts«, das eigentlich die Leistungen der Urheber gerade nicht schützt, sondern zum Nulltarif freigibt – zugunsten von Verwertern, die bis zum St. Nimmerleinstag kassieren dürfen.
Je größer und mächtiger ein Verwerter ist (also ein Verlag oder ein Sender), um so mehr gelingt es ihm,
»Verhandlungen über gemeinsame Vergütungsregeln entweder zu umgehen oder über Jahre durch ablenkende Torpedoklagen im Wege negativer Feststellungsklagen zu verschleppen.«
Künstler heißt es weiter, »sehen sich mit dem Diktat kompletter Rechteübertragung 70 Jahre über ihren eigenen Tod hinaus bei oft pauschalisierter Vergütung konfrontiert«.
Außerdem kritisieren die Regisseure dass es keine klaren, durchsetzbaren Auskunftsrechte für Urheber gibt, und dass Urheber bisher nicht anonym klagen können und so Blacklisting geschützt sind.
Alles sehr berechtigte Anliegen.
+ + +
Es irren die Regisseure allerdings, wenn sie die »technische Selbstbedienungsmentalität der Internetgeneration« kritisiert. Denn an der haben ja auch Regisseure und Autoren regen Anteil. Sehr einfach könnte man mehr Gelder für Urheber generieren, wenn erstens die Verwerter nicht Rechte horten dürften, und zweitens die Internet-Provider (Telekom, Vodafone, etc) angemessen zahlen müssten. Diese Konzerne kassieren pro Anschluss und Kunde monatliche Beträge, ohne einen einzigen Inhalt bereitzustellen. Sie bieten nur Zugang. Warum sollen sie nicht von ihren – zum Beispiel – 29.99 Euro im Monat 5 Euro in den Topf einer Verwertungsgesellschaft (analog der »VG Wort« und »VG Bild«) einzahlen müssen, der dann an die Urheber ausgeschüttet wird. Die »Internetgeneration« mit ihrer »technischen Selbstbedienungsmentalität« – früher hat man diese Leute mal »das Publikum« genannt – hat nämlich bereits die 29 Euro gezahlt, plus hohe Beträge für Computer, Smartphones, Bildschirme etc, nur nicht an die Urheber, die die genutzten Inhalte schaffen.
+ + +
Zum letzten Mal tagte Ende Mai die gemeinsame Jury des BKM für Spielfilm- und Drehbuchprojekte. Wie aus BKM-Kreisen unter der Hand zu hören war, gab es wieder eine Antragsschwemme. Kaum zu glauben, dass man alle über hundert Projekte überhaupt gelesen und debattiert hat, dass da nicht Um der viel zu vielen Anträge Herr zu werden, eine inoffizielle Vorauswahl durch einzelne Jurymitglieder getroffen und manche Anträge von der Jury gar nicht erst debattiert wurden – wenn es so wäre, würde das natürlich keiner zugeben, weil das offiziell unzulässig wäre.
+ + +
Der offene Ärger Stefan Arndts bei der Filmpreisverleihung über seine Nichtförderung ist sehr verständlich und zeigt das Problem: Zu viele Anträge, zu wenig Geld.
+ + +
Diese Nachricht relativiert die heute Jubelmitteilung der Staatsministerin für Kultur und Medien, dass es 5,7 Mio. Euro für Projekte geben soll und auch 2017 15 Mio. Euro zusätzlich für die Produktionsförderung.
(to be continued)