09.06.2016
Cinema Moralia – Folge 134

Früher nannte man es »das Publikum«

THE REVENANT
»aka-Filmclub« Freiburg – einer der ältesten und besten Studentenfilmclubs der Republik

Ein Brandbrief der Regisseure fordert ein besseres Urheberrecht – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 134. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals glauben würdet. Gigan­ti­sche Schiffe, die brannten, draußen vor der Schulter des Orion. Und ich habe C-Beams gesehen, glitzernd im Dunkeln nah dem Tann­häuser Tor. All diese Momente werden verloren sein in der Zeit, so wie Tränen im Regen.«
Blade Runner The Director’s Cut von Ridley Scott, Warner.

Ein Lektü­retip zu Anfang, den Text kann man noch lesen, bevor die EM losgeht: Maren Lickhardt (die ich nicht kenne, aber jetzt möchte ich sie kennen­lernen) hat in der »Pop-Zeit­schrift« einen auch richtig schön geschrie­benen Text (»Hongkong, Pop!«) veröf­fent­licht, der von Hongkong handelt (dieser tollen Stadt, die auch ein einma­liger Film-Ort ist), und von Dingen, die man in Europa nicht kaufen kann, und der einen sehn­süchtig werden lässt:
Selbst­ver­s­tänd­li­ches Flanieren, Betrach­tungen über Beiläu­fig­keiten, so muss es sein! Sie schwärmt, das ist sowieso sympa­thisch, in diesem Fall erst recht, auch wenn ein Satz wie »nichts, was ich je gesehen habe, ist spek­ta­kulärer als jede noch so abge­le­gene Straßenecke in Hongkong.« schon grenz­wertig ist. Aber ja: »Das Tempo der Stadt ist großartig. Alles ist unglaub­lich schnell ohne jede Hektik. ... Wenn Musil heute noch leben würde, würde er wohl Hongkong und nicht Wien als 'übera­me­ri­ka­ni­sche Stadt' beschreiben. Aber eigent­lich entzieht sich Hongkong einer Beschrei­bung in kultu­reller oder geogra­phi­scher Oppo­si­tion von Ost und West. Und wieder ist es abge­griffen, aber ich muss sagen, dass die Stadt eher wie die Zukunft aussieht oder wie die richtige, die konse­quente Post­mo­derne.« Inter­es­sant ist auch, dass die Autorin »die europäi­sche Reiz­un­ter­flu­tung« bemerkt, Sachen schreibt wie »ca. 1.300 Hoch­häu­sern – und das sind dann auch wirklich Wolken­kratzer, nicht so wie in London oder Frankfurt«. Verwun­dernd allein, dass es für sie »eine (fast) ganz neue Erkenntnis« ist, dass »Primär­er­fah­rung alles über­steigt, was man medi­en­tech­nisch und sprach­lich vermit­teln kann«.
Wunder­bare Lektüre – das Gegenteil jenes Akade­mismus, der im Feuil­leton zunehmend vorherrscht und ihm alle Leich­tig­keit austreibt.

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Die Film­stif­tung, jetzt offiziell »Film- und Medi­en­stif­tung NRW« feiert ihr 25-jähriges Bestehen. Wir gratu­lieren!! 1991 vom Land Nordrhein-Westfalen und dem WDR gegründet, ist die Film­stif­tung mit einem durch­schnitt­li­chen Förder­vo­lumen von rund 35 Millionen Euro die bedeu­tendste Länder­för­de­rung in Deutsch­land.

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Letzte Woche war ich in Freiburg, wo der »aka-Filmclub« Von Caligari zu Hitler zeigte. Der Besuch war aus vielen Gründen schön: Nach langer zeit traf ich frühere Münchner/Berliner Freunde wieder, über 40 Leute waren im Kino, die Diskus­sion ging über eine Stunde, die Gastgeber waren supernett. Der »Aka-Filmclub« ist einer der ältesten und besten Studen­ten­film­clubs der Republik – nicht weil sie meinen Film zeigten, sondern weil es da fast jeden Tag anspruchs­vollstes Programm gibt: Letzten Freitag lief Pasolinis Die 120 Tage von Sodom, über­morgen Bela Tarrs 453 Minuten langer Satan­t­ango – Satan­s­tango, dazwi­schen Filme von Satoshi Kon, Lutz Dammbecks Overgames und andere Tarr-Filme – Wahn­sinns­pro­gramm, Leute. Gratu­la­tion!

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Freiburg selbst habe ich auch beim vierten Besuch meines Lebens noch nicht ganz verstanden. Erstaun­lich wie studen­tisch das hier alles ist, wie die Uni die Stadt dominiert, die Menschen, ihre Gespräche, auch die Restau­rant­karten: Viel Nudeln und Kartof­fel­ge­richte. Die Lokale heißen »Aspekt« oder »Schlappen« Man trinkt »Waldhaus«-Bier, das schmeckt auch wirklich gut. »Das Problem an Freiburg ist, dass keiner hier weg will, weil es hier ja so schön und gemütlich ist« sagt Alexander, bei dem ich früher ein paar Jahre in Berlin ein Unter­miet­zimmer hatte. Aber er ist auch wieder zurück­ge­kommen, und als die Studenten mit uns kurz vor Mitter­nacht noch in die »Warsteiner Galerie« gingen, erinnert er sich, dass er sich hier früher mit seiner ersten Freundin immer getroffen hat. Das sind dann die Vorteile des Über­schau­baren.

»Deutscher Idea­lismus ist spannend, aber wir machen hier nur dessen Geschichte, gar nicht mal, was daran wichtig sein könnte. Es geht ja nur um die Frage, auf eine Antwort komme ich schon selbst« sagt Nathalie vom »Aka«, die mich schon deswegen beein­druckt, weil sie jedes Mal, wenn ich sie sehe, eine andere Frisur hat,

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Das Wetter ist zwar jetzt schön, dafür hagelt es täglich Pres­se­mit­tei­lungen von Film­fes­ti­vals rein. Da stehen dann so über­flüs­sige Infor­ma­tionen drin, wie »Deut­li­cher Besu­cher­zu­wachs bestätigt führende Stellung des Festivals« – das ist so eine typische Festi­val­ju­belü­ber­schrift, die ich nicht nur über­flüssig finde, sondern ärgerlich, weil sie der Film­kultur, also der ange­mes­senen Betrach­tung des Kinos, eher schadet. Immer dieses Argu­men­tieren mit dem Publikum – als ob das irgend­etwas beweisen würde. Ebenso das Zählen von xyz Welt- und inter­na­tio­nalen Premieren, xyz Master­classes und xyz Panels. Das sind alles falsche Maßstäbe.

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Die herrschen aber auch in anderen Bereichen vor: Der »Bundes­ver­band Regie« mit seinem Ehren­prä­si­denten Volker Schlön­dorff hat einen Offenen Brief an die Bundes­kanz­lerin geschrieben, die »den völlig unzu­rei­chenden Regie­rungs­ent­wurf zum Urhe­ber­ver­trags­recht« kriti­siert, und dringende Über­ar­bei­tung fordert. Der am 16. März von der Regierung durch­ge­wun­kene Entwurf fällt weit hinter den Refe­ren­ten­ent­wurf des Bundes­jus­tiz­mi­nis­te­riums wie der rechts­wis­sen­schaft­li­chen Problem­lö­sungs-Vorschläge zurück. Er »verschlimm­bes­sert« das bereits 2002 nur unzu­rei­chend novel­lierte Urhe­ber­ver­trags­recht.

Der Kern der Einwände und Argumente, die man auf der Website nachlesen kann, trifft zu. Denn nur in Deutsch­land gibt es diese absurd merk­wür­dige Konstruk­tion des »Leis­tungs­schutz­rechts«, das eigent­lich die Leis­tungen der Urheber gerade nicht schützt, sondern zum Nulltarif freigibt – zugunsten von Verwer­tern, die bis zum St. Nimmer­leinstag kassieren dürfen.
Je größer und mächtiger ein Verwerter ist (also ein Verlag oder ein Sender), um so mehr gelingt es ihm, »Verhand­lungen über gemein­same Vergü­tungs­re­geln entweder zu umgehen oder über Jahre durch ablen­kende Torpe­do­klagen im Wege negativer Fest­stel­lungs­klagen zu verschleppen.«

Künstler heißt es weiter, »sehen sich mit dem Diktat kompletter Rech­teü­ber­tra­gung 70 Jahre über ihren eigenen Tod hinaus bei oft pauscha­li­sierter Vergütung konfron­tiert«.
Außerdem kriti­sieren die Regis­seure dass es keine klaren, durch­setz­baren Auskunfts­rechte für Urheber gibt, und dass Urheber bisher nicht anonym klagen können und so Black­lis­ting geschützt sind.
Alles sehr berech­tigte Anliegen.

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Es irren die Regis­seure aller­dings, wenn sie die »tech­ni­sche Selbst­be­die­nungs­men­ta­lität der Inter­net­ge­ne­ra­tion« kriti­siert. Denn an der haben ja auch Regis­seure und Autoren regen Anteil. Sehr einfach könnte man mehr Gelder für Urheber gene­rieren, wenn erstens die Verwerter nicht Rechte horten dürften, und zweitens die Internet-Provider (Telekom, Vodafone, etc) ange­messen zahlen müssten. Diese Konzerne kassieren pro Anschluss und Kunde monat­liche Beträge, ohne einen einzigen Inhalt bereit­zu­stellen. Sie bieten nur Zugang. Warum sollen sie nicht von ihren – zum Beispiel – 29.99 Euro im Monat 5 Euro in den Topf einer Verwer­tungs­ge­sell­schaft (analog der »VG Wort« und »VG Bild«) einzahlen müssen, der dann an die Urheber ausge­schüttet wird. Die »Inter­net­ge­ne­ra­tion« mit ihrer »tech­ni­schen Selbst­be­die­nungs­men­ta­lität« – früher hat man diese Leute mal »das Publikum« genannt – hat nämlich bereits die 29 Euro gezahlt, plus hohe Beträge für Computer, Smart­phones, Bild­schirme etc, nur nicht an die Urheber, die die genutzten Inhalte schaffen.

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Zum letzten Mal tagte Ende Mai die gemein­same Jury des BKM für Spielfilm- und Dreh­buch­pro­jekte. Wie aus BKM-Kreisen unter der Hand zu hören war, gab es wieder eine Antrags­schwemme. Kaum zu glauben, dass man alle über hundert Projekte überhaupt gelesen und debat­tiert hat, dass da nicht Um der viel zu vielen Anträge Herr zu werden, eine inof­fi­zi­elle Vorauswahl durch einzelne Jury­mit­glieder getroffen und manche Anträge von der Jury gar nicht erst debat­tiert wurden – wenn es so wäre, würde das natürlich keiner zugeben, weil das offiziell unzu­lässig wäre.

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Der offene Ärger Stefan Arndts bei der Film­preis­ver­lei­hung über seine Nicht­för­de­rung ist sehr vers­tänd­lich und zeigt das Problem: Zu viele Anträge, zu wenig Geld.

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Diese Nachricht rela­ti­viert die heute Jubel­mit­tei­lung der Staats­mi­nis­terin für Kultur und Medien, dass es 5,7 Mio. Euro für Projekte geben soll und auch 2017 15 Mio. Euro zusätz­lich für die Produk­ti­ons­för­de­rung.

(to be continued)