23.06.2016
Cinema Moralia – Folge 135

Kunden und Kino, Fernsehen und Fußball

FADO
Jonas Rothlaenders Debütfilm feierte seine Premiere auf dem Fesitval von Rotterdam und ist jetzt in Ludwigshafen zu sehen: Fado
(Foto: missingfilms)

Filmförderung, Filmfestivals, und das Cineplexx Gotha – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 135. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»In den Sport­palästen wissen die Leute, wenn sie ihre Billette einkaufen, genau, was sich begeben wird; nämlich, daß trai­nierte Leute mit feinstem Verant­wor­tungs­ge­fühl, aber doch so, daß man glauben muß, sie machten es haupt­säch­lich zu ihrem eigenen Spaß, in der ihnen ange­nehmsten Weise ihre beson­deren Kräfte entfalten.«
Bertold Brecht

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Der Sport, sagt Bertold Brecht, ist das ehrlichste Theater, die eigent­liche Vergnü­gungs­stätte. Damit schreibt er auch dem Kino sein Zeugnis aus. Kunst und Vergnügen, das kann man von Brecht auch mitnehmen, sind keine Gegen­sätze, sondern bedingen sich gegen­seitig. Und das Kino hat Kunden, deren Erwar­tungen es mit Verant­wor­tungs­ge­fühl erfüllen sollte. Dazu kommen wir später noch.
Was man aber vom Sport lernen kann, genauer von der derzei­tigen Fußball-EM, das ist zumindest eines: Das Publikum ist durchaus bereit, sich auch zwei Stunden Ödnis und Lange­weile anzutun – wenn es versteht, warum es selber das tut, und nach welchen Regeln alles funk­tio­niert.

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In einem schmis­sigen, vermut­lich gewollt scharfen und provo­kanten Text hat die geschätzte Kollegin Dunja Bialas vergan­gene Woche über ein paar Film­fes­ti­vals geschrieben, vor allem über das in Ludwigs­hafen. Der Text provo­ziert mich zu einigen Anmer­kungen, konkreten wie allge­meinen. Dies auch, aber nicht allein deshalb, weil ich beim Ludwig­ha­fener Festival beteiligt bin, sowohl Filme mit auswähle, wie die oft langen Gespräche mit Filme­ma­chern führe. Dies vorweg, um klar­zu­ma­chen, dass meine folgenden Anmer­kungen zwar unab­hängig sind, aber keines­wegs unbe­tei­ligt.

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»Jeder rühmt sich, wie er kann«, heißt es, das stimmt natürlich. Zuschau­er­zahlen, das schrieb ich ja erst vor Kurzem wieder, finde ich prin­zi­piell eine doofe und unan­ge­mes­sene Form für ein Film­fes­tival, um sich selbst zu rühmen. Es ist schön, wenn man viele Zuschauer hat, aber dies sagt – wie die Höhe der Preis­gelder auch – nichts über die Qualität.
Aber wenn man sie schon nennt, die Zahlen, dann sind Vergleiche inter­es­sant: 90.000 Zuschauer in Ludwigs­hafen für gut 50 (nicht 66!) Filme sind halt im Vergleich zu den 80.000 Zuschauern bei über 200 Filmen (2016: 207), die das Filmfest München 2015 meldete schon mal um einiges weniger – pro Film, aber erst recht pro Vorstel­lung kommen in Ludwigs­hafen grob drei bis viermal so viel Zuschauer. Daraus ergibt sich eine Frage, die sich ans Kino insgesamt richtet, lautet daher: Was macht Ludwigs­hafen richtig (neben dem, was wir viel­leicht alles falsch machen, jeden­falls wenn man Dunja Bialas folgt), wenn wir uns mal einig sind, dass viele Zuschauer in einem Saal vor einer Leinwand für ein Ticke­ten­dgeld zu versam­meln, »richtig« ist, und Kino bedeutet – das gelingt anderen nicht, jeden­falls nicht jenseits von Schweiger, Schweig­höfer, Fack ju Göhte, etc.

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Der Vergleich hinkt aber natürlich aus ganz anderen Gründen. In Ludwigs­hafen laufen ausschließ­lich deutsche und wenige öste­rei­chi­sche und Schweizer Filme. Bei den beiden deutschen Reihen innerhalb des Super­markts Filmfest laufen insgesamt 40 Filme, und darunter fünf »reine« Kinofilme mehr, als in München. Und mehr »ARD-Degeto«-Filme-
Aber dieser Begriff des Kinofilms vs. Fern­seh­films ist eh irre­füh­rend. Worauf kommt es denn wirklich an? Doch auf bild­kräf­tige, sensible, irri­tie­rende, formal wie inhalt­lich heraus­for­dernde Werke, auf Filme, die nicht dem biederen Realis­mus­diktat entspre­chend, das in Deutsch­land Kino wie Fernsehen glei­cher­maßen dominiert.

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Ulrich Matthes oder Jürgen Vogel oder Corinna Harfouch jetzt als »Fernseh-Glamour« zu bezeichnen, weil sie auch Fernsehen machen, finde ich etwas despek­tier­lich: Matthes ist doch wohl zunächst Thea­ter­schau­spieler, und Vogel macht vor allem Kino, auch wenn bei allen Kino­filmen das Fernsehen drin ist. Und dann: Ist Hoch­häus­lers Dreileben schlecht, weil »Fern­seh­star« Stefan Kurth die Haupt­rolle spielt? Nach dieser Lesart wäre übrigens Dominik Graf ganz klar ein »Fern­seh­re­gis­seur«.

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Manche Regis­seure, die sehr wohl den Unter­schied zwischen Fernsehen und Kino deutlich machte, und die auch sofort zugeben würden, dass ein Unter­schied zwischen beiden Medien besteht, die sagen ande­rer­seits auch: »Wow, mein Film sieht ganz anders und viel besser aus auf der großen Leinwand.« Die Leinwand als Lack­mus­test für Fern­seh­ware – so kann mans auch sehen.
Die Debatte, ob es einen Unter­schied zwischen den Formen/Medien/Formaten/Abspiel­orten (wie soll man es eigent­lich nennen?) gibt, und worin der besteht, ist die lohnens­wer­teste, denn wir als Kritiker haben es ja mit Filmen zu tun, die meist in allen Formen zu sehen sind. Das Kino und die »nur fürs Kino gemachten Filme« als das einzig Wahre zu feiern, führt m.E. nicht weit. Das wäre ein Fetisch. Aber wenn schon, heißt mein Fetisch eher 35mm. Inter­es­san­ter­weise sind es dann die Filme­ma­cher die da am gelas­sensten reagieren.

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Eine letzte Frage: Warum schreiben deutsche Kritiker immer so viel über das, was fehlt? Nicht über das, was ein Festival oder Film hat. Viel­leicht tue ich das ja auch. Aber ist das ziel­füh­rend? Natürlich gibt es Filme die bei uns nicht laufen. zum Teil, weil wir sie nicht bekommen haben, zum Teil, weil wir sie nicht wollten.
Es jetzt aber als Coup zu verkaufen, dass Toni Erdmann seine deutsche Erst­auf­füh­rung in München hat, ist alberner Quatsch. Da hängen sich nur die Filmfest-Hipster an den Cannes-Erfolg dran – so wie zuvor schon sämtliche deutsche Film­funk­ti­onäre.

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Die deutsche Film­för­de­rung strotzt voller Wider­sprüche: Einer­seits ist Film der höchste Posten im Etat der Staats­mi­nis­terin für Kultur und Medien, dem BKM, ande­rer­seits ist er, wie alle Kultur­güter erst einmal Länder­sache. Einer­seits will das BKM dezidiert Kino, fördern, also den Abspielort auf großer Leinwand, zu besten Vorführ­be­din­gungen, ande­rer­seits reden bei allen deutschen Kino-Filmen die Redak­teure der Fernseh-Sender, entschei­dend mit, also eines ganz anderen Mediums der kleinen Flim­mer­kisten mit geringen Aufmerk­sam­keits­spannen und Zapping-Möglich­keit.
Vor allem aber sollen Kinofilme im Gegensatz zu allen anderen Kultur­gü­tern gleich­zeitig als Wirt­schafts­han­dels­ware wie als Kunstwerk taugen – was dabei heraus­kommt ist meistens nicht die eier­le­gende Woll­milchsau, sondern mediokre Werke, die alles richtig machen wollen, und daher oft von der Angst dominiert sind, doch irgend­etwas falsch zu machen.
Am heutigen Mittwoch nun tagte der Kultur­aus­schuss und hörte zur geplante Novelle der deutschen Film­för­de­rung die verschie­denen Inter­es­sens­ver­treter.

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Sie ist nicht so attraktiv wie ein leiden­schaft­li­ches Melodrama, Goldene Palmen oder Bären kann man auch nicht gewinnen, und auch von Super­helden fehlt jede Spur. Trotzdem: Wenn das deutsche Film­för­der­ge­setz richtig gut gestaltet wäre, dann könnte es allerei erreichen: Ästhe­ti­schen Reichtum, Festi­val­er­folge und Filmwerke, die relevante und nach­hal­tige Debatten auslösen.
Wie man das erreichen könnte, darüber streitet alle paar Jahre die Film­branche. Immer dann, wenn wie in diesen Monaten die Novel­lie­rung des Film­för­der­ge­setzes ansteht, melden sich die diversen Lobby­ver­bände zu Wort, und es häufen sich die runden Tische und irgend­wann werden dann wieder ein paar »Stell­schrauben« ganz sachte gedreht – im Kern aber bleibt alles beim Alten: Der große Wurf findet nicht statt und auch für die nächsten Jahre ist sich die deutsche Film­branche über alle Unter­schiede hinweg zumindest in einem einig: Der Klage über die Misere der Film­för­de­rung.
Denn die Förder­si­tua­tion ist tatsäch­lich nicht gut. Einige der besten deutschen Filme der letzten Zeit entstanden ganz ohne, oder mit kaum Film­för­de­rung: Ob der aufre­gende, roman­ti­sche Coming-of-age-Horror-Verschnitt Der Nachtmahr, ob Sex & Crime, die freche Komödie über einen Schrift­steller in der Krise.

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Einige der Schwie­rig­keiten erklärte jetzt beim Ludwigs­ha­fener »Festival des Deutschen Films« Jonas Roth­laender, der mit seinem Debütfilm Fado, zugleich sein DFFB-Abschluss­film beim Max-Ophüls-Festival in Saar­brü­cken einen der Haupt­preise gewann, und jetzt vor dem Bundes­start am 1.9. in Ludwigs­hafen gezeigt wird: »Dieser Film, wäre niemals entstanden, wenn er nicht als Abschluss­film entstanden wäre – weil es ein schwie­riges Thema ist, eine schwie­rige Haupt­figur. Und selbst bei dieser Abschluss­film­för­de­rung hat es unglaub­liche Wider­s­tände gegeben, die mich auch erschro­cken gemacht haben. ... Wie geht’s jetzt weiter?
Aus meiner Perspek­tive ist das grund­le­gende Problem: Wie sehr ist das Fernsehen invol­viert? Wenn ich jetzt vor allem nach Öster­reich gucke oder nach Skan­di­na­vien, da gibt’s ganz ganz andere Möglich­keiten, Filme zu machen, auch beim Fernsehen. ... da müssten wir eigent­lich hin, um wieder Qualität zu bekommen.«

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Ein Ärgernis für viele Filme­ma­cher ist dieser in den Förder­ge­setzen veran­kerte Zwangs-Einfluss des Fern­se­hens – also eines eigent­lich gegenüber dem Kino sekun­dären Mediums, auf die Gestal­tung und die Geschichten.
In der heutigen öffent­li­chen Anhörung im Bundes­tags-Ausschuss für Kultur und Medien zur Situation der Film­för­de­rung kamen vor allem viele Lobby­ver­bände und ihre Vertreter zu Wort. Sie kämpften für ihre legitimen und wohl­ver­stan­denen Inter­essen, für Frau­en­quoten, für bessere Urhe­ber­rechte – da streiten sich schon Regis­seure mit Produ­zenten und alle mit den Sendern – und um Prozent­an­teile vom viel zu kleinen Finanz­ku­chen.

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Am grund­le­genden Problem ging aber auch diesmal wieder alles vorbei. Die inter­es­san­testen Fragen wurden wieder nicht debat­tiert: Was für ein Kino will man? Wie viel­fältig darf das deutsche Kino sein? Wie einförmig muss es sein, um Gnade in den Gremien zu finden? Wie bildet man das Publikum, und inter­es­siert es für sper­ri­gere Stoffe?
Im Verhältnis zu anderen Künsten und Ländern ist der Stel­len­wert des Kinos in Deutsch­land immer noch sehr gering im Vergleich zu anderen Ländern. Es wird nicht als Hoch­kultur wahr­ge­nommen, ist nicht so ein Kulturgut, wie in Frank­reich oder in Italien, wo Film eine andere Bedeutung hat – und das sieht man dann den Filmen an.

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Das Prinzip der deutschen Film­för­de­rung ist Wider­sprüch­lich­keit. Man will Kunst und Kasse zugleich. Die Vermi­schung von Wirt­schafts­sub­ven­tion und Kultur­för­de­rung produ­ziert im Kino einen Haufen von merk­wür­digen Misch­pro­duk­tionen, geprägt von biederem Realismus und thema­ti­scher Pseudo-Relevanz. So kamen im vergan­genen Jahr gleich drei Filme über den Staats­an­walt und Nazi-Jäger Fritz Bauer heraus.
Ein Kino der Bilder und der Sinn­lich­keit, des Expe­ri­ments und der Irriation gibt es in Deutsch­land einst­weilen weiterhin nur am Rand der Film­land­schaft.

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Es gab Zeiten, da versprach der Name »Carmen« Romantik, Exotik, wohlige Verrucht­heit. Die Zeiten sind vorbei, zumindest im Cineplex Gotha. Auf Facebook fragte eine Carmen: »Wollte heute in Trans­for­mers 4 gehen. Da steht OV. Was bedeutet das?« Michael will helfen: »Original-Vassung«. Felix korri­giert: »Fassunf schreibt man mit F, du Idiot«. Michael: »Und Fassung hinten mit G. Selber Idiot«. Felix: »Meiner war ein Tipp­fehler, deiner Blödheit«. Michael: »Zusam­men­reißen!!!« Jetzt wieder Carmen: »Was heißt Original? Gibt’s da schon Remakes oder was?«
Felix: »Die Sprache ist original englisch.«
Carmen: »Aber die anderen Trans­former waren doch alle in deutsch?!«
Felix: »Ja, weil es synchro­ni­siert war.«
Carmen: »?«
Felix: »Herrgott! Das sind ameri­ka­ni­sche Schau­spieler! Da sprechen Deutsche den deutschen Text drüber.«
Carmen: »Quatsch. Glaub ich nicht. Das ist viel zu perfekt. Die ameri­ka­ni­schen Schau­spieler können halt alle mehrere Sprachen, dachte ich immer.«
Michael: »Aha... Akzent­freies, fließendes Deutsch... alle... Johnny Depp, Brad Pitt, Jennifer Aniston... Wie doof bist du denn?«
Carmen: »Hey! gehts jetzt auf einmal gegen mich oder was? Wenn Ihr so schlau seid, dann wisst Ihr auch sicher, warum die dann so viel Geld für die Filme bekommen! Erklärt mir DAS mal, Ihr Klug­scheißer!«

(to be continued)