Cinema Moralia – Folge 135
Kunden und Kino, Fernsehen und Fußball |
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Jonas Rothlaenders Debütfilm feierte seine Premiere auf dem Fesitval von Rotterdam und ist jetzt in Ludwigshafen zu sehen: Fado | ||
(Foto: missingfilms) |
»In den Sportpalästen wissen die Leute, wenn sie ihre Billette einkaufen, genau, was sich begeben wird; nämlich, daß trainierte Leute mit feinstem Verantwortungsgefühl, aber doch so, daß man glauben muß, sie machten es hauptsächlich zu ihrem eigenen Spaß, in der ihnen angenehmsten Weise ihre besonderen Kräfte entfalten.«
Bertold Brecht
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Der Sport, sagt Bertold Brecht, ist das ehrlichste Theater, die eigentliche Vergnügungsstätte. Damit schreibt er auch dem Kino sein Zeugnis aus. Kunst und Vergnügen, das kann man von Brecht auch mitnehmen, sind keine Gegensätze, sondern bedingen sich gegenseitig. Und das Kino hat Kunden, deren Erwartungen es mit Verantwortungsgefühl erfüllen sollte. Dazu kommen wir später noch.
Was man aber vom Sport lernen kann, genauer von der derzeitigen Fußball-EM, das ist zumindest eines:
Das Publikum ist durchaus bereit, sich auch zwei Stunden Ödnis und Langeweile anzutun – wenn es versteht, warum es selber das tut, und nach welchen Regeln alles funktioniert.
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In einem schmissigen, vermutlich gewollt scharfen und provokanten Text hat die geschätzte Kollegin Dunja Bialas vergangene Woche über ein paar Filmfestivals geschrieben, vor allem über das in Ludwigshafen. Der Text provoziert mich zu einigen Anmerkungen, konkreten wie allgemeinen. Dies auch, aber nicht allein deshalb, weil ich beim Ludwighafener Festival beteiligt bin, sowohl Filme mit auswähle, wie die oft langen Gespräche mit Filmemachern führe. Dies vorweg, um klarzumachen, dass meine folgenden Anmerkungen zwar unabhängig sind, aber keineswegs unbeteiligt.
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»Jeder rühmt sich, wie er kann«, heißt es, das stimmt natürlich. Zuschauerzahlen, das schrieb ich ja erst vor Kurzem wieder, finde ich prinzipiell eine doofe und unangemessene Form für ein Filmfestival, um sich selbst zu rühmen. Es ist schön, wenn man viele Zuschauer hat, aber dies sagt – wie die Höhe der Preisgelder auch – nichts über die Qualität.
Aber wenn man sie schon nennt, die Zahlen, dann sind Vergleiche interessant: 90.000 Zuschauer in Ludwigshafen für
gut 50 (nicht 66!) Filme sind halt im Vergleich zu den 80.000 Zuschauern bei über 200 Filmen (2016: 207), die das Filmfest München 2015 meldete schon mal um einiges weniger – pro Film, aber erst recht pro Vorstellung kommen in Ludwigshafen grob drei bis viermal so viel Zuschauer. Daraus ergibt sich eine Frage, die sich ans Kino insgesamt richtet, lautet daher: Was macht Ludwigshafen richtig (neben dem, was wir vielleicht alles falsch machen, jedenfalls wenn man Dunja Bialas folgt),
wenn wir uns mal einig sind, dass viele Zuschauer in einem Saal vor einer Leinwand für ein Ticketendgeld zu versammeln, »richtig« ist, und Kino bedeutet – das gelingt anderen nicht, jedenfalls nicht jenseits von Schweiger, Schweighöfer, Fack ju Göhte, etc.
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Der Vergleich hinkt aber natürlich aus ganz anderen Gründen. In Ludwigshafen laufen ausschließlich deutsche und wenige östereichische und Schweizer Filme. Bei den beiden deutschen Reihen innerhalb des Supermarkts Filmfest laufen insgesamt 40 Filme, und darunter fünf »reine« Kinofilme mehr, als in München. Und mehr »ARD-Degeto«-Filme-
Aber dieser Begriff des Kinofilms vs. Fernsehfilms ist eh irreführend. Worauf kommt es denn wirklich an? Doch auf bildkräftige, sensible,
irritierende, formal wie inhaltlich herausfordernde Werke, auf Filme, die nicht dem biederen Realismusdiktat entsprechend, das in Deutschland Kino wie Fernsehen gleichermaßen dominiert.
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Ulrich Matthes oder Jürgen Vogel oder Corinna Harfouch jetzt als »Fernseh-Glamour« zu bezeichnen, weil sie auch Fernsehen machen, finde ich etwas despektierlich: Matthes ist doch wohl zunächst Theaterschauspieler, und Vogel macht vor allem Kino, auch wenn bei allen Kinofilmen das Fernsehen drin ist. Und dann: Ist Hochhäuslers Dreileben schlecht, weil »Fernsehstar« Stefan Kurth die Hauptrolle spielt? Nach dieser Lesart wäre übrigens Dominik Graf ganz klar ein »Fernsehregisseur«.
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Manche Regisseure, die sehr wohl den Unterschied zwischen Fernsehen und Kino deutlich machte, und die auch sofort zugeben würden, dass ein Unterschied zwischen beiden Medien besteht, die sagen andererseits auch: »Wow, mein Film sieht ganz anders und viel besser aus auf der großen Leinwand.« Die Leinwand als Lackmustest für Fernsehware – so kann mans auch sehen.
Die Debatte, ob es einen Unterschied zwischen den Formen/Medien/Formaten/Abspielorten (wie soll man es
eigentlich nennen?) gibt, und worin der besteht, ist die lohnenswerteste, denn wir als Kritiker haben es ja mit Filmen zu tun, die meist in allen Formen zu sehen sind. Das Kino und die »nur fürs Kino gemachten Filme« als das einzig Wahre zu feiern, führt m.E. nicht weit. Das wäre ein Fetisch. Aber wenn schon, heißt mein Fetisch eher 35mm. Interessanterweise sind es dann die Filmemacher die da am gelassensten reagieren.
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Eine letzte Frage: Warum schreiben deutsche Kritiker immer so viel über das, was fehlt? Nicht über das, was ein Festival oder Film hat. Vielleicht tue ich das ja auch. Aber ist das zielführend? Natürlich gibt es Filme die bei uns nicht laufen. zum Teil, weil wir sie nicht bekommen haben, zum Teil, weil wir sie nicht wollten.
Es jetzt aber als Coup zu verkaufen, dass Toni Erdmann seine deutsche
Erstaufführung in München hat, ist alberner Quatsch. Da hängen sich nur die Filmfest-Hipster an den Cannes-Erfolg dran – so wie zuvor schon sämtliche deutsche Filmfunktionäre.
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Die deutsche Filmförderung strotzt voller Widersprüche: Einerseits ist Film der höchste Posten im Etat der Staatsministerin für Kultur und Medien, dem BKM, andererseits ist er, wie alle Kulturgüter erst einmal Ländersache. Einerseits will das BKM dezidiert Kino, fördern, also den Abspielort auf großer Leinwand, zu besten Vorführbedingungen, andererseits reden bei allen deutschen Kino-Filmen die Redakteure der Fernseh-Sender, entscheidend mit, also eines ganz anderen
Mediums der kleinen Flimmerkisten mit geringen Aufmerksamkeitsspannen und Zapping-Möglichkeit.
Vor allem aber sollen Kinofilme im Gegensatz zu allen anderen Kulturgütern gleichzeitig als Wirtschaftshandelsware wie als Kunstwerk taugen – was dabei herauskommt ist meistens nicht die eierlegende Wollmilchsau, sondern mediokre Werke, die alles richtig machen wollen, und daher oft von der Angst dominiert sind, doch irgendetwas falsch zu machen.
Am heutigen Mittwoch nun
tagte der Kulturausschuss und hörte zur geplante Novelle der deutschen Filmförderung die verschiedenen Interessensvertreter.
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Sie ist nicht so attraktiv wie ein leidenschaftliches Melodrama, Goldene Palmen oder Bären kann man auch nicht gewinnen, und auch von Superhelden fehlt jede Spur. Trotzdem: Wenn das deutsche Filmfördergesetz richtig gut gestaltet wäre, dann könnte es allerei erreichen: Ästhetischen Reichtum, Festivalerfolge und Filmwerke, die relevante und nachhaltige Debatten auslösen.
Wie man das erreichen könnte, darüber streitet alle paar Jahre die Filmbranche. Immer dann, wenn wie in
diesen Monaten die Novellierung des Filmfördergesetzes ansteht, melden sich die diversen Lobbyverbände zu Wort, und es häufen sich die runden Tische und irgendwann werden dann wieder ein paar »Stellschrauben« ganz sachte gedreht – im Kern aber bleibt alles beim Alten: Der große Wurf findet nicht statt und auch für die nächsten Jahre ist sich die deutsche Filmbranche über alle Unterschiede hinweg zumindest in einem einig: Der Klage über die Misere der Filmförderung.
Denn
die Fördersituation ist tatsächlich nicht gut. Einige der besten deutschen Filme der letzten Zeit entstanden ganz ohne, oder mit kaum Filmförderung: Ob der aufregende, romantische Coming-of-age-Horror-Verschnitt Der Nachtmahr, ob Sex & Crime, die freche Komödie über einen Schriftsteller in der
Krise.
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Einige der Schwierigkeiten erklärte jetzt beim Ludwigshafener »Festival des Deutschen Films« Jonas Rothlaender, der mit seinem Debütfilm Fado, zugleich sein DFFB-Abschlussfilm beim Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken einen der Hauptpreise gewann, und jetzt vor dem Bundesstart am 1.9. in Ludwigshafen gezeigt wird: »Dieser Film, wäre niemals entstanden, wenn er nicht als Abschlussfilm
entstanden wäre – weil es ein schwieriges Thema ist, eine schwierige Hauptfigur. Und selbst bei dieser Abschlussfilmförderung hat es unglaubliche Widerstände gegeben, die mich auch erschrocken gemacht haben. ... Wie geht’s jetzt weiter?
Aus meiner Perspektive ist das grundlegende Problem: Wie sehr ist das Fernsehen involviert? Wenn ich jetzt vor allem nach Österreich gucke oder nach Skandinavien, da gibt’s ganz ganz andere Möglichkeiten, Filme zu machen,
auch beim Fernsehen. ... da müssten wir eigentlich hin, um wieder Qualität zu bekommen.«
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Ein Ärgernis für viele Filmemacher ist dieser in den Fördergesetzen verankerte Zwangs-Einfluss des Fernsehens – also eines eigentlich gegenüber dem Kino sekundären Mediums, auf die Gestaltung und die Geschichten.
In der heutigen öffentlichen Anhörung im Bundestags-Ausschuss für Kultur und Medien zur Situation der Filmförderung kamen vor allem viele Lobbyverbände und ihre Vertreter zu Wort. Sie kämpften für ihre legitimen und wohlverstandenen Interessen, für
Frauenquoten, für bessere Urheberrechte – da streiten sich schon Regisseure mit Produzenten und alle mit den Sendern – und um Prozentanteile vom viel zu kleinen Finanzkuchen.
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Am grundlegenden Problem ging aber auch diesmal wieder alles vorbei. Die interessantesten Fragen wurden wieder nicht debattiert: Was für ein Kino will man? Wie vielfältig darf das deutsche Kino sein? Wie einförmig muss es sein, um Gnade in den Gremien zu finden? Wie bildet man das Publikum, und interessiert es für sperrigere Stoffe?
Im Verhältnis zu anderen Künsten und Ländern ist der Stellenwert des Kinos in Deutschland immer noch sehr gering im Vergleich zu anderen
Ländern. Es wird nicht als Hochkultur wahrgenommen, ist nicht so ein Kulturgut, wie in Frankreich oder in Italien, wo Film eine andere Bedeutung hat – und das sieht man dann den Filmen an.
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Das Prinzip der deutschen Filmförderung ist Widersprüchlichkeit. Man will Kunst und Kasse zugleich. Die Vermischung von Wirtschaftssubvention und Kulturförderung produziert im Kino einen Haufen von merkwürdigen Mischproduktionen, geprägt von biederem Realismus und thematischer Pseudo-Relevanz. So kamen im vergangenen Jahr gleich drei Filme über den Staatsanwalt und Nazi-Jäger Fritz Bauer heraus.
Ein Kino der Bilder und der Sinnlichkeit, des Experiments und der
Irriation gibt es in Deutschland einstweilen weiterhin nur am Rand der Filmlandschaft.
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Es gab Zeiten, da versprach der Name »Carmen« Romantik, Exotik, wohlige Verruchtheit. Die Zeiten sind vorbei, zumindest im Cineplex Gotha. Auf Facebook fragte eine Carmen: »Wollte heute in Transformers 4 gehen. Da steht OV. Was bedeutet das?« Michael will helfen: »Original-Vassung«. Felix korrigiert: »Fassunf schreibt man mit F, du Idiot«. Michael: »Und Fassung hinten mit G. Selber Idiot«. Felix: »Meiner war ein Tippfehler, deiner Blödheit«. Michael: »Zusammenreißen!!!« Jetzt wieder
Carmen: »Was heißt Original? Gibt’s da schon Remakes oder was?«
Felix: »Die Sprache ist original englisch.«
Carmen: »Aber die anderen Transformer waren doch alle in deutsch?!«
Felix: »Ja, weil es synchronisiert war.«
Carmen: »?«
Felix: »Herrgott! Das sind amerikanische Schauspieler! Da sprechen Deutsche den deutschen Text drüber.«
Carmen: »Quatsch. Glaub ich nicht. Das ist viel zu perfekt. Die amerikanischen Schauspieler können halt alle mehrere Sprachen,
dachte ich immer.«
Michael: »Aha... Akzentfreies, fließendes Deutsch... alle... Johnny Depp, Brad Pitt, Jennifer Aniston... Wie doof bist du denn?«
Carmen: »Hey! gehts jetzt auf einmal gegen mich oder was? Wenn Ihr so schlau seid, dann wisst Ihr auch sicher, warum die dann so viel Geld für die Filme bekommen! Erklärt mir DAS mal, Ihr Klugscheißer!«
(to be continued)