Cinema Moralia – Folge 143
Er will doch nur spielen! |
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King Kong und die weiße Frau (1933) | ||
(Foto: Wikicommons) |
»All you need in this life is igorance and confidence and then success is sure.«
Mark Twain»Die wirkliche Welt ist in Wahrheit nur eine Karikatur unserer großen Romane.«
Arno Schmidt
Ganz ruhig bleiben, Leute! Es ist einfach nicht so wichtig, wer Amerika regiert. Das wird alles überschätzt, gerade von den Amerika-hörigen Deutschen. In den 50er Jahren war der US-Präsident noch der »Führer der freien Welt«. Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei. Politik ist komplizierter geworden, aber damit auch unamerikanischer: Amerikanische Verhältnisse sind längst nicht mehr der Maßstab für die hiesige Demokratie. Das ist eine gute Nachricht.
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Vielleicht geht es ja auch anderen so wie mir: Ich hätte viel dafür gegeben, heute Nacht Hillary Clintons Gesicht zu sehen, in dem Augenblick, in dem ihr klar wird, dass sie die Wahl verloren hat. Ich geb’s zu: Ihr und den ihren geschieht es recht, da bin ich schadenfroh.
Das ist wohl sowieso die entscheidende Botschaft: Für Hollywood und das Kino ist die Wahl von Donald Trump eine gute Nachricht. Zwar haben die ganzen Star-Kampagnen gegen Trump nichts gebracht. Ich fand die
der Avengers am besten, in denen Robert Downey Jr, Scarlett Johansson und viele andere ganz witzig gegen Trump agitieren. Aber es hat nichts geholfen. Dafür können die Leute jetzt Anti-Trump-Filme machen. Acht Jahre Obama waren acht Jahre ohne kritische Präsidentenfilme. Weil Obama irgendwie an Bambi erinnerte – da hatten alle Beißhemmung. Aber jetzt. Wir warten auf Oliver Stones Reaktion, wir warten sogar auf Michael Moore. Was wird Eastwood machen, mit dem Mann, der sich vor dem
Vietnam-Einsatz gedrückt hat (was uns Liberalen doch sympathisch sein könnte).
Wer könnte Trump spielen? Hillary wurde vor Jahren bereits von Merryl Streep verkörpert, in Jonathan Demmes Remake von Frankenheimers Manchurian Candidate.
Aber wer könnte Trump verkörpern?
Natürlich erinnert Trump ein bisschen an King Kong, oder noch mehr an Godzilla – beide eher tolpatschig als wirklich böse, verursachen sie doch Massenpanik. Mal sehen.
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Vor acht Jahren waren die Deutschen glücklich: Barak Obama hieß der neue Hoffnungsträger. Der erste schwarze Präsident der USA, das musste einfach ein Messias sein. Ein glänzender Redner, versprach er mit Silberzunge, dass alles anders werden würde: Guantanamo geschlossen, das Klima gewandelt, der Kriegseinsatz im Nahen Osten und in Afghanistan beendet. Da war er: Der gute charismatische Führer, von dem die Deutschen seit jeher träumen, ein Friedrich Barbarossa mit dunkler
Haut.
Wenn man sich die Ergebnisse anschaut, ist aus den schönen Worten und Hoffnungen so gar nichts geworden: Außer der Gesundheitsreform und der Normalisierung der Beziehungen zu Kuba. Schluss, Aus! Dieser Präsident, der so hochgelobt und gefeiert worden ist, hat ansonsten nichts an realen Verbesserungen gebracht: Ein Bluffer und leerer Schönredner.
Jetzt gibt es wieder einen amerikanischen Politiker, der alle Phantasien der Deutschen bündelt: Er hat die rosig-weiße
Haut des White Trash Amerikas und heißt Donald Trump. Trump ist nicht weniger wie Obama zu einem politischen Körper geworden, bloß ist er aus europäischer Sicht der Anti-Hoffnungsträger, der Albtraumträger.
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Es ist unfassbar, was sich allein seit dem heutigen Mittwochmorgen für ein Mediengewitter an Angst. und Hysterie-Szenarien in Radio und Fernsehen über uns ergossen hat.
Was machen diese Medien bloß! Und mit welch' exorbitanter Einseitigkeit breiten sie Gefühle aus, anstatt zu analysieren, malen sie Affektkulissen anstatt aufzuklären. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass sich die deutschen Qualitätsmedien in einer existentiellen Krise befinden, dann ist es
diese Reaktion.
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So wie alle bei Obama gewiss waren, dass er das Gute verkörpert, wissen nun alle: Dieser Mann wird, wenn schon nicht den nächsten Weltkrieg entfesseln, so doch uns alle ins Unglück stürzen. Aber diese Annahme ist so falsch, wie die vor acht Jahren. Die in Deutschland derzeit verbreitete reflexhafte Ablehnung Trumps ist verkehrt. Es gibt nämlich gar keinen Grund für die Deutschen, Donald Trump zu fürchten. Dies aus drei zentralen Gründen:
– Zum einen »the human factor«. Trump
ist ein analoger Politiker. Klar: Es ist anzunehmen, dass Trump seine Versprechungen nicht halten wird. Aber glaubt man ernsthaft, das wäre bei Clinton anders gewesen? Hat Obama seine Versprechungen gehalten? Guantanamo ist weiterhin offen, US-Truppen stehen weiterhin in Afghanistan und im Irak, die Rassenkonflikte sind größer denn je seit den 60er Jahren, die Gesetzesbrecher aus dem Finanzsektor, die 2008 die Bankenkrise eingeleitet haben, sind weiterhin auf freiem Fuß, die USA
liegen am Boden.
Trumps Wähler, wie auch die Unterstützer des unorthodoxen demokratischen Kandidaten Bernie Sanders wollen keine weiteren vier Jahre dieses Status Quo, wie sie das Establishment beider Parteien versprochen hat. Sie wollen Veränderung um jeden Preis. Sie lehnen das etablierte Politikmodell grundsätzlich ab. Sie tolerieren keine Halbherzigkeiten. Dagegen ist erst einmal überhaupt nichts zu sagen.
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Kleiner Exkurs am Rande: Was werden all die Demokraten fluchen, dass sie auf die abgehalfterte Hillary gesetzt haben, anstatt auf Bernie Sanders. Was wird auch Clinton selbst fluchen, dass sie nicht den Mut hatte, Sanders als Vizepräsidentschaftskandidat zu ernennen. Sanders hat nämlich, von denselben populistischen Instinkten mal abgesehen, genau die Wähler angesprochen, die jetzt den Ausschlag gegen Clinton gegeben haben: Weiße Proletarier.
Clintons Fall belegt, wie
taktisch falsch es ist aus lauter Minderheiten eine Mehrheit gegen die Mehrheit schmieden zu wollen. Wie strategisch falsch es von Clinton war, um die Stimmen von Frauen, Schwarzen, Latinos, Homosexuellen zu werben, um damit weiße Männer zu besiegen. Postmoderne Theorie kann auch blind machen.
Sanders Anhänger hatten die Delegierten des demokratischen Nominierungsparteitags bereits im Juni gewarnt: Wenn sie Hillary ernennen, wird der nächste Präsident Donald Trump heißen.
Jetzt ist das Motto der linken Demokraten wahr geworden: Bernie or bust!!!
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Donald Trump verspricht, den Algorithmen der Globalisierung des Politischen Paroli zu bieten. Er ist menschlich, kein von Marketingstrategen und Politikberatern weichgespültes Produkt, sondern die politischer Körper gewordene Hoffnung der Wähler. Trump verspricht Ehrlichkeit. Die Wähler hassen die Political Correctness von all diesen sauber gestylten Promi-Kandidatenfamilien, den Clintons und den Bushs, vorgeführt zu bekommen. Sie haben es satt, das jede Kritik an
ethnischen Minderheiten reflexhaft als rassistisch gebrandmarkt, wird, dass Kritik an Frauen ebenso als vermeintliches Machotum grundsätzlich unstatthaft ist, dass man Parteifreunde nicht kritisieren darf, und die Medien natürlich auch nicht.
Vor allem dies: Trump wagt, was sich noch kein Politiker getraut hat: Er greift die Medien wegen ihrer Lügen an. Und die Medien sind dumm (pardon: ehrlich) genug, dies auch noch zu berichten. Trump greift auch das Establishment an, vor
allem Jeb Bush und Hillary Clinton. All das ist natürlich nur die eine Seite des jeweiligen Themas, aber eben eine bisher öffentlich marginalisierte. In Trump schlägt dieses Marginalisierte nun zurück.
Trump bietet einfache Antworten auf komplizierte Probleme. Das muss kein Fehler sein, und wie zu erkennen ist, schon gar kein Indiz für politische Erfolglosigkeit. Bei Reagan hat man auch gesagt: Was für ein Vereinfacher! Aber er hat sich als ein durchaus erfolgreicher
Präsident erwiesen. Und zudem ist Trump selbstverständlich viel raffinierter als er tut.
Aber Trump spricht die Emotionen an. Nichts scheint selbstverständlicher, als die Aussage, dass Politik mit Emotionen zusammenhängt. Und doch mögen wir das nicht. Es bedeutet eine narzisstische Kränkung, weil über die Emotionen auch Unvernunft in die Politik einzieht. Trump reduziert die Komplexität der Politik auf einige wenige elementare Positionen. Er tut damit genau das, was jeder
Marketingberater, jeder Werbefachmann raten würde. Nicht obwohl, sondern weil Trump als Stammtischpolitiker, also als »schrecklicher Vereinfacher« auftritt, wirkt er glaubwürdig und authentisch.Es ist ja nicht so, als würde nicht auch Obama gern »dem Islamischen Staat die Scheiße aus dem Leib bomben«. Nur sagt er es nicht so, dafür ist er sich zu fein.
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Zum zweiten vertritt Trump viele Positionen, die auch die Mehrheit der Deutschen vertritt: Trump ist ganz klar gegen TTIP und andere Handelsabkommen, die Mehrheit der Deutschen ist auch dagegen. Wie die Deutschen ist Trump für Einhegung der Marktkräfte und für Wirtschaftsprotektionismus. In der Finanzkrise von 2008ff war Trump gegen einen »Bail-Out« des Staates für die Wall-Street. Er sah seinerzeit die Wirtschaftskrise als »Washingtons Schuld« und forderte das Ende eines
Systems, in dem die Reichen die Regeln machen. Trump ist für den Mindestlohn und dafür die auf Steueroasen geparkten Gewinne der Konzerne zurückzuholen.
Trump vertritt ein vergleichsweise gemäßigtes, anti-interventionistisches außenpolitisches Programm: Trump ist das Gegenteil eines Kriegstreibers. Er tritt dafür ein, die Militärausgaben der USA zurückzufahren. Er will die Ukraine eben nicht wie die derzeitige Administration in den Westen zwingen, in die NATO oder
in die Europäische Union, sondern favorisiert eine neutrale Ukraine-Lösung unter Einbeziehung der Russen. Auch ansonsten plädiert er für einen Ausgleich mit den Russen. Trump glaubt, dass Putin ein Politiker ist, mit dem man Deals machen kann, ob in der Ukraine oder in Syrien. Viele in Deutschland denken das auch. Trump war in der Vergangenheit immer gegen den Irak-Krieg der USA, und Trump glaubt nicht an die offizielle Version von 9/11. Damit wäre er auch in Deutschland
mehrheitsfähig. Schließlich: Trump ist keine Marionette der Lobbyisten, sondern ökonomisch unabhängig.
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Trump steht für einen Protest gegen das System als solches, für einen Protest, der seit Jahren in westlichen Ländern gärt, ob er nun Occupy Wall Street heißt oder Tea Party. Beide Gruppen stehen sich näher, als sie selbst und vor allem ihre Gegner in den großen Medienhäusern wahrhaben wollen: Sie sind Anti-Establishment, sie sind Anti-Wall-Street, sie lehnen einen Staat ab, der Effizienzprobleme hat und den Druck der Gruppe repräsentiert, einen Staat, der in den USA viel bürokratischer, regulierender, aggressiver und paternalistischer ist, als es die ganzen Fans des Kitsch von der großen Freiheit Amerikas zugeben möchten. Trumps Feind steht nicht rechts und nicht links, er steht oben: »corporate America«, die Verflechtung von Wirtschaft und Washington.
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Zum Dritten vertritt Trump viele Positionen, die in der US-Gesellschaft Mehrheitsmeinung sind. Er ist ein repräsentatives, unverblümtes Abbild seines Landes. Darum bedeutet schon das Auftauchen Trumps eine neue Ehrlichkeit. Vor allem im atlantischen Verhältnis. Mit Trump kann man sich nun über Amerika keine Illusionen mehr machen, mit einem Präsidenten Trump muss man der Wahrheit Amerikas ins Auge sehen.
Ein Präsident Trump macht es den Amerika-Verstehern in Deutschland
in Zukunft schwerer, zu behaupten: »Amerika ist ganz anders«. Nein: Amerika ist genau so, jedenfalls auch so, wie Guantanamo, Abu Ghraib, Ferguson, und vieles, was man hier auch noch nennen könnte.
Die schöne Maske Obama wird diesem Amerika jetzt heruntergerissen, und es ist gut, das dahinter jetzt nicht »Hillary« zum Vorschein kommt, die dann als »die erste Frau im Weißen Haus« ein weiteres Symbol für unaufhaltsame Progressivität, und Liberalität Amerikas geworden wäre, dafür
»dass dort alles möglich ist« (Obwohl es stimmt, dort ist sehr vieles möglich. Auch Donald Trump!). Sondern mit Donald Trump wird die hässliche Fratze Amerikas sichtbar.
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Jetzt können wir Europäer uns nicht mehr so leicht schluchzend an Mami-Amerikas Rockzipfelchen klammern. Wir müssen selber handeln. Und für die Folgen gerade stehen.
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Warum hat Donald Trump diesen Erfolg? Zuallererst: Er bietet eine gute Show. Er ist der Buffo der amerikanischen Politik. Ein Bariton, der fürs Komische zuständig ist. Trump ist manchmal wirklich lustig, er kann über sich selber lachen, und spielt in Talkshows auch bei Scherzen über sich selber mit.
Trump hat die politische Marktlücke erkannt und sich positioniert. Die Marktlücke des Klartext-Sprechers, des Selbstbewussten, dessen, der keine Angst hat, des Tabubrechers, des
Machers. Trump ist witzig, frech, volksnah.
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Zudem entlarvt er das Mediensystem des Politischen: Wer auffällt, über den wird berichtet. Wer lauter ist, als die Anderen, schriller, provokanter, der gewinnt die Aufmerksamkeit. Damit legt Trump die Finger in die Wunde unseres gegenwärtigen, auch unseres deutschen Polit-Betriebs. Es geht – siehe unten – nicht mehr wirklich um Inhalte, sondern um die Show.
Trump ist ein Populist und sein Erfolg steht auch für den generellen Boom des politischen Populismus in den
Demokratien des Westens. Er steht auch für den Bedeutungsverlust von Wahlen, Verfahren und Positionen – jedenfalls im Ansehen und in der Annahme immer breiterer Wählerschichten.
Die Unterstützung für Trump belegt eine doppelte Angst der amerikanischen Gesellschaft: Die Angst der weißen Männer, die ihre Stellung durch den sozialen Aufstieg der Latinos und Schwarzen bedroht sehen. Teile der weißen Bevölkerung fühlen sich fremd im eigenen Land – und genau das nutzt
Trump aus. Und er verkörpert die Angst breiter Gesellschaftskreise vor dem schleichenden Niedergang der amerikanischen Machtposition. Trump verkörpert das Versprechen der Restauration der privilegierten Stellung des weißen Amerika. Sein Erfolg ist eine Flucht vieler Wähler in das Phantasma der Wiederherstellung von Macht und Größe. Denn unübersehbar sind die USA in den letzten vier Jahrzehnten innenpolitisch und außenpolitisch ein Land im Niedergang. Die alte Zeit
der Weltherrschaft ist vorbei.
Donald Trump beantwortet damit die zentrale Frage nach der amerikanischen Identität. Die Menschen der Welt wissen mit Donald Trump, was Amerika ist, und sie wissen damit nun zumindest auch, wer und was sie nicht sind.
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Trumps Wahl ist aus europäischer Sicht eine heilsame Schock-Therapie. Vielleicht wird sie der Beginn einer Revolution? Es ist in jedem Fall der Bruch mit der Kontinuität, einer Kontinuität, die von Bush zu Clinton zu Bush zu Obama die USA im letzten Vierteljahrhundert ins Unglück gestürzt hat. Trumps Gegenkandidatin Hillary Clinton verkörperte exakt diese Kontinuität – das war der Grund, warum auch viele Anhänger der Demokraten zu ihr auf Distanz gingen. Clinton
repräsentierte nicht nur – wie Trump – neureiche Verantwortungslosigkeit, sie steht für schmutzige Deals, für enge Nähe zur Wall Street, für außenpolitische Inkompetenz, sozialpolitisches Missmanagement, ökonomische Fehlurteile, für grundsätzliche Unehrlichkeit.
Doch die Kommentarkratie der Mainstream-Medien in Deutschland wie den USA hat entschieden, dass sie die Einzige ist, die die Welt noch vor dem bösen Trump retten konnte. Jetzt haben sie
die Quitttung.
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Til Schweiger kann bekanntlich alles. Auch Restaurant. Vielleicht baut der ganz schön alt aussehende sogenannte Star ja auch nur für die Zeit vor, in der ihn überhaupt keiner mehr sehen will. Sein neues Restaurant belegt aber wieder mal, wie oberpeinlich und zum Fremdschämen Schweiger wirklich in nahezu jeder Hinsicht ist.
Die FAZ war jetzt bei der Eröffnung, und es muss echt ganz schön schlimm sein.
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Das Fernsehen der ARD, und das hat auch viel mehr mit Donalds Trump zu tun, als der ARD lieb sein kann, das Fernsehen der ARD ist, ob mit Plasbergs »Hart aber fair«, »Günther Jauch« oder »Anne Will« immer ganz vorne dabei, wenn es gilt, den Feinden der Demokratie ein Forum zu bieten, Positionen hoffähig zu machen, die antidemokratisch und den freiheitlichen Werten des Westens entgegengesetzt sind. Jüngstes Beispiel: Der Auftritt einer vollverschleierten Islamistin bei »Anne Will«. Aber schon länger wandeln sich die ARD-Talk-Shows zunehmend zum Krawall-Fernsehen und zum Populismus, als dessen einziges Erfolgskriterium die Fragen zählen: Wie ist die Quote? Reden alle darüber?
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Man traute seinen Augen nicht: Da saß ein Mensch, dessen Gesicht unkenntlich gemacht wurde, wie sonst Missbrauchsopfer oder Whistleblower. Er redete ohne Mimik, ohne »Gesicht zu zeigen« – aus einer Black Box heraus.
Anne Will behauptete, es handle sich um die »Frauenbeauftragte« des »Islamischen Zentralrats Schweiz«, Nora Illi. Ob sie da wirklich drinsaß, oder nicht vielmehr die Redaktionspraktikantin, die vorher ein paar Phrasen auswendig lernen musste, können
wir nur glauben, ebenso, ob da unter dem schwarzen Zelt überhaupt eine Frau saß, nicht ein Zwerg, oder der von Walter Benjamin beschriebene tückische »Schachtürke«, wir können nur hoffen, dass uns Anne Will nicht belogen hat.
Aber wenn ihre Aussagen zutreffen, ist nichts besser. Denn die Schlitzträgerin wäre dann eine Vertreterin den radikalen Islamismus. Es wurde die Stunde der Propaganda im NDR.
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Über fünf Millionen Zuschauer sahen zu, als die Islamisten-Sprecherin ihre Sicht auf die Welt erklärte. Kern ihrer Aussagen war die Verharmlosung der ISIS und des Eintritts junger Europäer in die Terrormilizen und den syrischen Bürgerkrieg. »Die perfekte Propagandistin eines nihilistischen Vernichtungskults, weil sie die Unterdrückung – insbesondere die der Frauen – als Befreiung auszugeben weiß.« (Michael Hanfeld, FAZ).
Über fünf Millionen Zuschauer sahen
zu, wie sich die Frau unkritisiert zum Opfer stilisierte, gegen die angebliche Unterdrückung von Muslimen in unserer Gesellschaft redete und eine sogenannte Wertediskussion anzetteln wollte. Die Moderatorin war ihrem Gast nicht gewachsen. Die im normalen Frageduktus formulierte therapeutische Frage »Fühlen Sie sich unterdrückt?« ist eine naive Einladung für jemandem, der Unfreiheit als Freiheit ausgibt.
Moderatorin Anne Will beteiligte sich auch ansonsten an der
Relativierung des Demokratischen und der Menschenrechte, indem sie eine »Debatte über unser Werteverständnis« führen wollte, zu dem auch gehöre, »dass wir uns mit dem Werteverständnis anderer auseinandersetzen.« Darin exakt liegt die Gratwanderung: In der Scheu, bestimmte Debatten und Infragestellungen auch einmal einfach nicht zuzulassen.
Es gab immerhin Gegenreden: Imam Mohamed Taha Sabri, war eindeutig: Die ISIS sei Faschismus, nichts anderes, und begehe
Verbrechen gegen die Menschheit. Dass diese anderen, für sich genommen durchaus auch fragwürdigen Talk-Gäste der Hasspredigerin entgegentraten, macht die Dinge nicht besser. Denn derartige Vertreter menschenverachtender Ideologien können auch diese Rolle als Opfer »der Anderen« für sich und potentielle Anhänger als Erfolg verbuchen.
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Erst nach der Sendung folgten die wirklichen Fragen: Ist es nicht absurd, dass Vollverschleierung auf diesem Weg hoffähig gemacht wird? Wieso muss man einer Bewegung, die Ressentiments und Hass schürt, Ausgrenzung und Mord propagiert, das Wort erteilen? Warum sollte das öffentlich-rechtliche Fernsehen einer Demokratie den Antidemokraten und den Freunden und Sympathisanten jener, die ihre Bürger in die Luft sprengen, überhaupt ein Forum bieten?
So war »Anne Will« vom
Sonntagabend ein Meilenstein im Abstieg des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, und in der Selbstzerstörung der demokratischen Verhältnisse. Ein übertriebenes Urteil?
Das wird erst die Zukunft zeigen. Klar ist aber schon jetzt, dass Talk-Shows als ein Edelformat des öffentlich-rechtlichen Fernsehens vor allem nach dem Prinzip der Aufmerksamkeit um jeden Preis und dem Quoten-Diktat funktionieren. Auch die Reaktionen am Folgetag sind Teil eines zynischen Kalküls, das
allein auf Aufmerksamkeit setzt. Nur in den seltensten Fällen geht es um journalistische Qualität. Das zeigt schon die Tatsache, dass der »Islamische Zentralrat der Schweiz«, dem die Nikab-Trägerin angehört, eine kleine und radikale Splittergruppe mit 3.700 Mitgliedern ist – weniger als ein Prozent der rund 400.000 Schweizer Muslime.
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Bereits der Auftritt der Pegida-Vertreter bei »Günther Jauch« im Januar 2015 war ein Tabubruch. Sichtlich stolz präsentierte Jauch die stammelnde Wutbürgerin Kathrin Oertel wie einen Ehrengast. Schnöselig verband Jauch diese Präsentation mit einer Kritik an den Demokraten: Deren Mut, mit Pegida-Vertretern zu diskutieren, scheine ja begrenzt zu sein. Dabei war ein Präsidiumsmitglied der CDU und ein ehemaliger SPD- Bundestagspräsident zu Gast. Dabei könnte Jauch vor allem in den Sinn kommen, dass es bei der Frage einer Teilnahme nicht um Mutproben und öffentliche Tapferkeitsbeweise geht, sondern darum, klare Grenzlinien zu ziehen, darum, bestimmte politische Standpunkte zu tabuisieren. Dies wäre eigentlich Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Medien selbst. Gotteslästerung ist im Fersehen verboten, Republiklästerung und Demokratieverachtung erlaubt.
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Dabei lohnt es sich, an alte Einsichten zu erinnern: Mit manchen Leuten spricht man nicht. Nicht alle Positionen sind bloße Meinungen. Nicht jeder tendenziöse Kommentar ist ein Argument. Nicht jede Befindlichkeitsäußerung ist eine berechtigte Emotion, und muss zur »Sorge« oder »Wut« geadelt werden.
Nicht so der NDR: Immer wieder lud Jauch Pegidisten und die Kryptonazis der AfD in seine Sendung. Ein bisschen was von Zoo und Zirkus, von einer Freak-Show hatte das ganze auch. Und
Jauch zelebrierte genüsslich den eigenen Mut, genoß den Nervenkitzel: Was werden die Rechtsausleger von sich geben? Werden sie sich provozieren lassen, irgendwann beißen oder handgreiflich werden?
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Auch auf andere Weise machen öffentlich-rechtliche Sender den Rechtsradikalismus hoffähig. Konsequent sprechen sie im Zusammenhang mit der AfD und Pegida von »Rechtpopulismus«, als wären die direkten Verbindungen und fließenden Übergänge zu Neuen Rechten und alten Nazis nicht längst Teil der Verfassungsschutzberichte. Als wüsste man nicht, dass Populismus ein Relationsbegriff ist, der in Gegensatzpaaren arbeitet – Emotion gegen Vernunft, Volk gegen Elite,
Wahrheit gegen Lüge –, aber programmatisch und politisch substanzlos ist. Darum gibt es Rechts- wie Linkspopulismus, darum gibt es demokratischen, wie autoritären Populismus.
Im Zusammenhang mit der AfD müsste man aufgrund der Verbindung von Demokratiekritik, Anti-Parlamentarismus, Autoritarismus und von ethnozentrischen, nationalistischen und fremdenfeindlichen Positionen und anderen Inhalten, aber auch von der Form ihrer medialen Auftritte, aber vor
etwas anderem sprechen: Von Demagogie. Von Rechtsradikalismus, mit Ansätzen zum Rechtsextremismus.
Die Arbeit an der Sprache ist die Arbeit am Gedanken. Die Kämpfe der Demokratie sind semantische Kämpfe, keine substanziellen.
Nur ist schon das Wort »Radikalismus« verpönt. Das sagt man nicht. In der postmodernen Demokratie ist Streit anstrengend. Ablehnung und Feindschaften sind verpönt. Stattdessen herrscht universale Toleranz und ein Pluralismus der Meinungen, der
längst auch Antirepublikanismus, Demokratiefeindschaft und Intoleranz toleriert.
Genau dies verbindet unseren öffentlichen, medialen Umgang mit Islamismus und Rechsradikalismus.
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Natürlich kann man solche Diskussionen mit Systemfeinden, mit Rassisten oder religiösen Fanatikern aushalten. Die Frage ist eher, warum man es tun sollte? Warum man nicht einfach sagt, dass einem bestimmte Themen zu blöd sind? Was spricht dagegen, bestimmte Debatten einfach zu verweigern? Man könnte zum Beispiel Vertretern der Todesstrafe gegenüber anstatt eine ARD-Themenwoche über das Für und Wider der Todesstrafe zu veranstalten oder einen Therapietalk zur Frage »Warum wünschen junge Leute die Todesstrafe?« auch einfach mal sagen: Wir machen das so, und darüber gibt es keine Debatten. Und wem die Todesstrafe so wichtig ist, der kann ja in die USA auswandern.
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Ein weiterer Aspekt: Wozu gibt es überhaupt »Talk-Shows«? Das Fernsehen hätte lange Zeit geantwortet (und manche Verantwortliche würden es immer noch tun): Zur Information der mündigen Bürger, zur Aufklärung des Publikums, zum offenen Meinungsaustausch. Heute müssen Talk-Shows Quote machen und unterhalten. Heute sind die Grenzen zwischen Information und Unterhaltung fließend, gibt die Chimäre namens Infotainment den Takt vor.
Das führt dann zu dem paradoxen Resultat, dass
Satire-Sendungen wie die »Heute-Show« und »Neo-Magazin Royale« die einzigen echten Informationssendungen des deutschen Fernsehens sind, dass bei »Markus Lanz« oft kritischer nachgefragt, schärfer kommentiert, und härter debattiert wird, als bei »Anne Will«, wo das Muser des Trash-TV und Krawallfernsehens vorherrscht.
In unserer therapeutischen Gesellschaft dienen Talk-Shows allerdings zunehmend nicht mehr der Aufklärung und Information, sondern man will »die
Betroffenen« therapieren, man will »verstehen«, am besten »aus eigener Erfahrung«, »was Radikalisierung bedeutet«. In diesem Fall, wieso Jugendliche sich radikalisieren, und gegebenenfalls für den »Islamischen Staat« nach Syrien in den Krieg ziehen.
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Mit dieser Haltung einer scheinbar für alles offenen Neugier, einer unstillbaren Toleranz graben sich die Medien ihre eigene Grube. Denn sie bieten jenen ein Forum, die einmal zur Macht gekommen, als erstes kritische Medien zum Schweigen bringen, Journalisten drangsalieren und verhaften werden. Deren Ziel ist die Gesellschaft gleichzuschalten.
Das Ungarn Orbans, und die Türkei Erdogans machen es vor, Polen und eine FPÖ-Regierung in Österreich, eine Präsidentin Le Pen in
Frankreich werden es nachmachen, wenn man ihnen dazu die Chance gibt.
Tatsächlich könnte man begreifen, dass Medien sich von der Gesellschaft in der sie existieren, nicht verabschieden können – es sei denn, sie wollen diese Gesellschaft verabschieden.
Tatsächlich könnte man sagen, dass es die Aufgabe von Talkshows wie von allen Medien natürlich auch ist, einen gesellschaftlichen Konsens und wünschenswertes Verhalten zu formulieren, vorzuleben und einzuüben.
Jeder
öffentlich geförderte Spielfilm würde daraufhin abgeprüft, ob die positiv gezeichneten Figuren ein wünschenswertes Verhalten vorleben. Wenn Filmfiguren, die Menschen verachten, Menschenrechte verletzen, morden und anderweitig das Recht brechen, zu Helden stilisiert werden, würde man diesen Film als jugendgefährdend einstufen und gegebenenfalls auf den Index setzen.
In Talk-Shows und politischer Berichterstattung aber gibt man genau solchen Figuren eine Bühne.
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Die »Anne Will«-Talk-Show vom Sonntagabend war deshalb ein Meilenstein in der Selbstzerstörung der demokratischen Verhältnisse, weil sie genau diesen Abschied von gesellschaftlichen Werten praktizierte und das Kernproblem vorführt: Die Unfähigkeit der Demokraten, die Demokratie selbst zu verteidigen. Denn dazu bedürfte es Mittel, die selbst nicht mehr demokratisch sind. Die universale Toleranz dagegen ist eine scharfe Waffe in der Hand der Feinde.
Auch der
vermeintlich wackere Vertreter des demokratischen Konservativismus, der CDU-Talkshow-Beauftrágte Wolfgang Bosbach stammelte angesichts des schwarzen Zelts nur: »Das ist ihre ganz persönliche Entscheidung, die habe ich nicht zu kommentieren, die habe ich nicht zu kritisieren.« Warum eigentlich nicht? Könnte man nicht einmal sagen, dass man eine Entscheidung für geschmacklos hält, für Schwachsinn?
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Was lernen wir aus dieser Erfahrung? Man lädt solche Leute nicht in Talk-Shows ein. Denn sie werden ihre Thesen verkünden, sie werden eine Opferrolle spielen. Man redet nicht mit jedem. Wer mit den Feinden der offenen Gesellschaft redet, und so tut, als sei ein freier, gleichberechtigter Diskurs möglich, der beteiligt sich an der Zerstörung eben dieser offenen Gesellschaft.
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»In der Überflußgesellschaft herrscht Diskussion im Überfluß, und im etablierten Rahmen ist sie weitgehend tolerant. Alle Standpunkte lassen sich vernehmen: der Kommunist und der Faschist, der Linke und der Rechte, der Weiße und der Neger, die Kreuzzügler für Aufrüstung und die für Abrüstung. Ferner wird bei Debatten in den Massenmedien die dumme Meinung mit demselben Respekt behandelt wie die intelligente, der Ununterrichtete darf ebenso lange reden wie der Unterrichtete, und Propaganda geht einher mit Erziehung, Wahrheit mit Falschheit. Diese reine Toleranz von Sinn und Unsinn wird durch das demokratische Argument gerechtfertigt, daß niemand, ob Gruppe oder Individuum, im Besitz der Wahrheit und imstande wäre zu bestimmen, was Recht und Unrecht, Gut und Schlecht ist.«
Herbert Marcuse, »Kritik der reinen Toleranz«
(to be continued)