70. Filmfestspiele Cannes 2017
»Die Zeit des Bildes ist angebrochen!« |
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Heute sind es 70 Jahre- auf diesem Bild erst 22: Die Crew von Easy Rider auf der Croisette, 1969 | ||
(Foto: Columbia Pictures) |
»Die Sprache der Bilder ist noch nicht ausgereift, denn unsere Augen sind noch nicht für sie gemacht. Es gibt noch nicht genug Achtung, noch nicht genug Ehrfurcht vor dem, was die Bilder ausdrucken. Die Mehrheit des Publikums ist noch nicht bereit. Es benötigt Werke des Übergangs, und so bleiben wir in täglichem, aber freiwilligem Verzicht hinter unseren Wünschen zurück, um die Menge über ihren Unverstand hinauszuführen.«
Abel Gance, Filmregisseur
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Es ist die passende Begleitmelodie für diesen riesengroßen Zoo aus lauter seltsamen, erlesenen, meist sehr schönen Wesen, die in den nächsten knapp zwei Wochen den Nabel der Filmwelt bilden: Der »Karneval der Tiere« vom französischen Komponisten Camille Saint-Saens leitet seit vielen Jahren jede Filmvorstellung im Festival von Cannes ein.
Heute Abend geht es wieder los, auf dem roten Teppich vor dem Palais du Cinema direkt neben dem Strand der Cote d’Azur – unter dem
Blitzlichtgewitter der Fotographen und flankiert von über tausend Beobachtern aus der ganzen Welt.
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Eröffnet wird mit einem der besten französischen Regisseure: Les Phantomes d’Ismael heißt der neueste Film von Arnaud Desplechin: Charlotte Gainsbourg, Marion Cotillard und Matthieu Amalric – Dauergast und Alter Ego des Regisseurs – spielen die Hauptrollen. Desplechin ist am ehesten der legitime Erbe der Nouvelle Vague, der französischen Neuen Welle, die immer noch auch über Frankreich hinaus das Maß aller Dinge im Autorenkino
bildet.
Der Eröffnungsfilm läuft noch außer Konkurrenz. 19 Filme wetteifern danach um die Goldene Palme und die weiteren Preise an der Croisette. Darunter auch ein deutscher Beitrag: Aus dem Nichts von Fatih Akin.
Favoriten gibt es natürlich heute noch keine. Aber alle Augen werden auf Michael Haneke blicken. Mit seinen letzten beiden Wettbewerbs-Filmen gewann der Österreicher jeweils die Goldene Palme. Wird es ihm ein drittes Mal gelingen? Das schaffte bisher noch kein Regisseur. Zweimal immerhin gewann unter anderem auch Francis Ford Coppola. Seine Tochter Sofia Coppola gehört auch zu jenen, deren Werke man in diesem Jahr mit besonderer Spannung erwartet: Vor 11 Jahren war sie erstmals im Wettbewerb, mit Marie Antoinettei. Die Verführten heißt jetzt ihr neuer zweiter Wettbewerbsbeitrag.
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Aber der Kampf um die Palmen ist längst nicht alles. Etwa 100 Filme laufen hier insgesamt in den vier Sektionen, das ist zwar nur ein gutes Viertel des Programms der Berlinale – aber mehr als genug. Und vor allem sind es in der Regel die besten und bedeutendsten Werke eines Kinojahrgangs. Man muss sich nur erinnern, was hier vor einem Jahr gezeigt wurde und seitdem in unser Kino kam: Die neuen Filme von Ken Loach, den Dardenne-Brüdern, von Olivier Assayas, Paul Verhoeven – nicht zu vergessen Toni Erdmann. Dessen Regisseurin Maren Ade sitzt diesmal in der Jury, wie gleich drei Filmemacher, die im letzten Jahr im Wettbewerb vertreten waren und wie überhaupt viele Regisseure, unter Vorsitz eines anderen alten Bekannten: Des Spaniers Pedro Almodóvar. Irgendwie ist Cannes eben auch ein großes Familientreffen.
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Zugleich ist es der Hort der ganz einmaligen, unvergleichbaren französischen Film-Tradition. Vor ein paar Monaten ist bei uns eine Anthologie mit Texten französischer Intellektueller, Künstler und Filmkritiker über das Kino herausgekommen. Unter dem Titel »Die Zeit des Bildes ist angebrochen!« ist dieser Band im Alexander Verlag in jeder Hinsicht eine Hymne auf jene so ganz andere Kinokultur, die an den nächsten zwölf Tagen in Cannes tagtäglich zelebriert wird –
Kino als Lebenselixier und als Fähigkeit »sehr viel unmittelbarer und genauer zu denken«, wie es Regisseur Abel Gance in einem Aufsatz ausdrückte – Kino als die »Siebte Kunst« eben, wie man es in Frankreich so pathetisch wie optimistisch ausdrückt. Diese Tradition ist hier ganz gegenwärtig.
1946 begründet, feiert die Institution Cannes nun ihren 70. Geburtstag – mit einer phänomenalen Reihe mit Werken aus der eigenen Festival-Geschichte. Das meiste ist längst
klassisch geworden, nur weniges längst vergessen.
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Cannes, das ist zugleich immer auch ein bisschen die Aura des Augenblicks. Zum Beispiel La vie d’Adèle, auf Deutsch: »Blau ist eine warme Farbe«. Vor ein paar Jahren gewann er hier die Goldene Palme, ein gewisser Francois Hollande hatte da gerade die Präsidentschafts-Wahlen gewonnen, und katholische Fundamentalisten hetzten auf offener Straße gegen gleichgeschlechtliche Liebe. Eine Goldene Palme für eine lesbische Love Story und den ersten französischen Gewinner-Regisseur mit arabischen Wurzeln war da ein Signal für die Gegenwart.
Nun stehen in Frankreich wieder alle Zeichen auf Aufbruch und auf Neue Ära. Der Puls schlägt schneller... Wer weiß, wer diesmal in knapp zwei Wochen als Sieger über den roten Teppich nach Hause geht?
Bis dahin wartet auf alle Liebhaber der Filmkunst eine wunderbare Zeit – und viel Spaß im Mekka des Kinos!
(to be continued)