Cinema Moralia – Folge 152
Diagonal ist besser |
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Statt einem Foto von Kosslick, dessen Rechte wir nicht hätten, und einer Bebilderung der Diagonale gibt es hier: Das Plakat des illegalen Festivals NO X NO (in Munich: place to be). |
»Dieses nationale Ding ist ja, also vielleicht a bisserl, aber auch nicht zu ernst zu nehmen...« Also sprach Alexander van der Bellen, Bundespräsident der Republik Österreich, und erklärte vor eintausendzweihundert, vor allem österreichischen Filmschaffenden, warum man den österreichischen Film mal nicht zu wichtig nehmen sollte, vor allem nicht in Österreich. So eine Rede eines Politikers wäre in Deutschland vollkommen undenkbar, wie überhaupt alles, was man am Dienstag Abend erleben konnte.
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Der Ort war Graz, die zweitgrößte Stadt Österreichs, der Anlass war die Eröffnung der 20. Diagonale. Das zweite wichtige (und keinesfalls zweitwichtigste) Filmfestival Österreichs, neben der Viennale, ebenfalls beachtenswert in seiner geschmackvollen, strengen, dabei erstaunlich offenen und immer bedenkenswerten Programm-Auswahl.
Schon das alles leider undenkbar bei uns (Piefkes), erst recht in dieser Form, Stilsicherheit, gelassenen Ironie: Wo gäbe es das, dass zwei
gleichberechtigte Intendanten ein Filmfestival leiten, und dass diese dann öffentlich auf »Feuer und Enthusiasmus, Hysterie und Anarchie« fürs Kino hoffen? Die Offenheit und Neugierde einfordern, und für die das kein Widerspruch zu Realitätssinn ist?
Großartig und relaxed eröffnete das Intendantenduo Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger das Festival und zeigte, wie man so etwas auch machen kann: Ironisch, offen vom Wunsch getragen, Teil einer Jugendbewegung zu sein
und in aller hedonistischen Heiterkeit hochpolitisch: Gegen die »gedankliche Auslagerung der Konflikte«, »Unbehagen an der Politik« – jede dieser Behauptungen ist als Ideologie zu enttarnen – gegen die wohlfeile Kuschelbereitschaft zwischen Kultur und Politik, von der man nicht nur in Österreich ein Lied singen kann. Gegen ein Kino »mit Beipackzettel«, in dem »die Kritik an den Verhältnissen von begriffsfixierter Identitäts- und Befindlichkeitspolitik
abgelöst« wird – Huhu, Pro Quote! – setzten sie Hansi Langs Austropop-Song-Verführung »Keine Angst«.
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A propos Festival: Erfreuliche Nachrichten gibt es von der Dok Leipzig. Die meldet nach einem turbulenten halben Jahr, vielen Gerüchten vor Ort, zerborstenem Porzellan und manchen Verletzungen, dass ihre Auswahlkommission jetzt wieder komplett ist. Die persönlich wie fachlich sehr geschätzte Claudia Weidner, Kollegin von der taz, dem Spiegel und einst auch der FAZ, neuerdings auch Vorstandsmitglied des »Verband der deutschen Filmkritik«, ist jetzt das fünfte Mitglied.
Neuer Leiter der Auswahlkommission ist der ihr seit 2007 angehörende Ralph Eue, für den die Wahl Weidners natürlich auch spricht. Weitere Neuzugänge sind Filmemacher und Medienpädagoge Leopold Grün sowie die Kuratorin und Filmvermittlerin Luc-Carolin Ziemann, bereits länger dabei sind André Eckardt (Filmverband Sachsen) und Zaza Rusadze (Filmemacher, Produzent). Frischen Wind kann das Programm in Leipzig in jedem Fall brauchen. Die letzten Jahre war es zwar auf solide gutem Niveau, aber oft inhaltistisch und in jedem Fall allzu erwartbar.
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Ach ja: Wenn man dann noch naiv der Grazer Eröffnung am nächsten Morgen bei 23 Grad Sonnenschein in der Zeitung – in diesem Fall der »Berliner Morgenpost« – liest, dass Dieter Kosslick definitiv im Jahr 2019 als Berlinale-Direktor gehen muss, dann ist das endgültig Grund für hervorragende Laune. Diese Nachricht war zwar überfällig, aber erst letzte Woche hatte Frédéric Jaeger bei Spiegel-Online sehr richtig darauf hingewiesen, dass Kosslick bereits im Februar und seitdem hinter den Kulissen um eine weitere Vertragsverlängerung gebuhlt hatte. Dass dem die Kulturpolitiker nicht stattgegeben haben, ist großartig. Jetzt beginnt zwar das große Nachdenken darüber, wer denn
Nachfolger werden könnte, aber insbesondere, wer eigentlich wann und wie und vor allem nach welchen Kriterien darüber entscheiden wird? Gibt es eine öffentliche Auschreibung der Position? Hoffentlich. Aber welche Kriterien für einen guten Berlinale-Chef werden da benannt? Wird es eine Findungskommission geben? Warum nicht? Sind auch Nicht-Deutsche als Berlinale-Chef denkbar? Doch auf alle Fälle. Jeder, dem die Berlinale am Herzen, liegt, sollte jetzt darauf Wert legen, dass der Posten
nicht hinter den Kulissen ausgekungelt wird. Und selbstverständlich darf Dieter Kosslick zwar in seiner Meinung gehört werden. Mitreden aber darf er nicht. Soweit kommt’s noch!
Über all das werden noch viele Zeilen geschrieben werden – aber jetzt freuen wir uns erstmal und genießen Graz – diagonal.
(to be continued)