Cinema Moralia – Folge 153
Lockruf des Kinos |
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»Aber hey, wofür ist das Kino da! Schon mal einen Superheldenfilm gesehen?« Aus einer Besprechung zu Tiger Girl | ||
(Foto: Constantin Film Verleih GmbH) |
Never check an interesting fact. – Howard Hughes
Wir denken uns unser Leben aus. Wenn wir uns unser leben ausdenken, dann können wir auch gleich ins Kino gehen. – Heike-Melba Fendel
Don’t send a rabbit to kill a fox. – Takeshi Kitano in Ghost in the Shell
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Selbst die Aktionäre eines börsennotierten Unternehmens haben in Deutschland mehr Macht als alle, die etwas mit Kultur zu tun haben.
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Millionen hier, Millionen da – kein Tag vergeht ohne Pressemitteilung der Kulturstaatsministerin. Meist ist darin von Denkmälern die Rede, von Museen und Provenienz, von Eröffnung und Aufstockung.
40 Millionen Euro für national bedeutsame Denkmäler und Orgeln hieß es heute zum Beispiel, und das ist wirklich kein tendenziös herausgepicktes Beispiel, sondern repräsentativ, auch im Jargon und schlechtem Deutsch. Sie sprudeln aus dem Denkmalschutz-Sonderprogramm
und dem Programm zur Sanierung und Modernisierung von Orgeln. Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters erklärte: Mit dem Erhalt und der Sanierung vieler Baudenkmäler sowie Orgeln gerade auch in der Region trägt der Bund entscheidend dazu bei, dass unsere reiche Kulturlandschaft erhalten bleibt.
Insgesamt wurden allein 2017 bislang über 70 Millionen für das Denkmalschutz-Programm und weitere 4,78 Millionen Euro die Orgeln ausgegeben.
Leider hat man von einem auch nur
annährend ählichen Engagement des BKM für Sanierung und Modernisierung von Kinos oder von einem Filmerbeschutz-Sonderprogramm des fürs nationale Filmerbe verantwortlichen Ministeriums noch nichts gehört.
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Monika Grütters hat die Zeitungsleser unter uns auch sonst auf Trab gehalten in der vergangenen Woche. Eindeutig hat Grütters ja gerade mehr als im BKM mit ihrer Partei zu tun. Sie muss sich mit den Niederungen der Berliner CDU-Flügelkämpfe herumschlagen. Aber es spricht vieles dafür, dass sie schon angezählt ist, bevor sie überhaupt richtig angefangen hat.
Berlins CDU hat ihre Bundestagskandidaten bei einem informellen Treffen ausgekungelt, ohne die Vorsitzende Grütters
auch nur zu fragen. Im Gegentei: Sie wurde getestet und hat nicht bestanden. Die Berliner Zeitung zitiert: So etwas habe ich noch nicht erlebt, erklärt ein Parteimitglied, das nachweislich schon viel erlebt hat. Grütters wurde mit unerhörter Skrupellosigkeit unter Druck gesetzt.
Grütters wurde erst gegen Mitternacht zu dem Treffen bestellt, wogegen sie sich allerdings verwahrt hat. Das Ergebnis hat sie dann akzeptiert. Ist das weiblicher Führungstil? Wenn es so etwas geben
sollte, funktionierte es anders. Der Test – ob Grütters so stark ist, wie sie tut, oder eigentlich so schwach, wie sie wirkt, ist erstmal nicht bestanden.
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Die nächste Bewährungsprobe: Die Entscheidung über die Nachfolge von Dieter Kosslick als Berlinale-Chef: Nach 18 Jahren muss Kosslick, seit 2002 amtierender, nahezu ewiger Direktor der Berliner Filmfestspiele, eher widerwillig aber definitiv seinen Stuhl räumen.
So erleichtert größere Teile der deutschen Filmszene diese Nachricht nun auch aufnehmen – zugleich stellt sich eine ganze Reihe neuer, nicht weniger dringlicher Fragen. Denn entscheidend ist ja nicht, wer warum jetzt nicht mehr die Berlinale leitet. Sondern wer eigentlich darüber entscheidet, wer dem wichtigsten Filmfestival Deutschlands, einer mit vielen Millionen Steuergeld ausgestatteten öffentlichen Institution, in Zukunft vorstehen wird? Und was sind überhaupt die Kriterien? Was macht einen guten Berlinale-Direktor aus?
In der jüngeren Vergangenheit wurde – gerade im Bundesstaatsministerium für Kultur und in der Berliner Senatskanzlei, jenen beiden Institutionen die formell für die Berufung eines neuen Berlinale-Direktors zuständig sind – gerne Kultur-Politik so gemacht, wie sie einst in den geheimen Kabinettszimmern absolutistischer Höfe im 18. Jahrhundert üblich war: Einsame Entscheidungen nach Fürstenart, oder bestenfalls Gekungel weniger Eingeweihter. Das Ergebnis wurde der geneigten Öffentlichkeit dann verordnet, als alles gelaufen war.
Die Folgen sind bekannt: Die Wahl Chris Dercons zum neuen Volksbühnen-Leiter würde der Senat gern selber rückgängig machen, die Wahl Ben Gibsons zum Leiter der Berliner Filmakademie ist nach wie vor hochumstritten – so wie schon die letzte Vertragsverlängerung für den bisherigen Berlinale-Chef.
Eine solches intransparentes Nicht-Verfahren ist einer Demokratie unwürdig. Man kann nicht glaubwürdig Autokraten anderer Länder kritisieren, und in der Türkei oder Russland
Meinungs- und Pressefreiheit einfordern, sich aber zu Hause um jede Diskussion herumdrücken, und Debatten darüber peinlich vermeiden, wozu überhaupt eine Institution wie die Berlinale da ist.
Selbst die Aktionäre eines börsennotierten Unternehmens haben in Deutschland mehr Macht, als alle, die etwas mit Kultur zu tun haben, als im Fall der Berlinale die Filmbranche, die Verbände und die Öffentlichkeit.
Jeder, dem die Berlinale am Herzen, liegt, sollte jetzt darauf Wert legen, dass der Posten nicht hinter den Kulissen ausgekungelt wird. Und selbstverständlich darf der bisherige Direktor zwar in seiner Meinung gehört werden. Mitreden aber darf er nicht. Denn eine Institution wie die Berlinale ist sowenig ein Erbhof wie Verfügungsmasse für Politikerehrgeiz.
Der jetzige Berlinale-Direktor wird noch zwei Jahre amtieren. Deswegen sind Eile und Hektik auch vollkommen unnötig
– es sei denn, die Kulturstaatsministerin, die sich schon jetzt vor allem mit den Niederungen der Berliner CDU-Flügelkämpfe herumschlagen muss, möchte die Causa Berlinale schnell erledigen, bevor im Herbst gewählt wird und sie als designierte Bürgermeisterkandidatin mit anderem beschäftigt ist.
Hoffen und verlangen wir also, dass die Kulturpolitiker ihre politische Verantwortung wahrnehmen.
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Wo bleibt das Positive? Sind Filme am Ende interessanter als Männer? lautet die mutige, auf den Punkt gesetzte erste Frage, die die sehr geschätzte Ex-Kollegin Julia Encke auf der Leipziger Buchmesse an Heike-Melba Fendel stellt, aus Anlass ihres Romans Zehn Tage im Februar, der ja unter anderem ein Berlinale-Roman ist. Meine Antwort wäre hier natürlich Ja, am Ende schon, aber die Frage müsste man für mich anders stellen. Heike ist diplomatischer: Das ist, glaube ich, nicht zu
beantworten. Das Problem des realen Lebens: Man sei ja in der Regel nicht mit dem Mann und der Frau zusammen, sondern mit einem Mann und mit einer Frau. Das Kino habe einfach mehr Optionen und mehr Zauber, aber ob das besser ist, als was man tatsächlich morgens beim Aufwachen anfassen kann, möchte ich nicht behaupten.
Weiter geht’s: Jedes Filmfestivals habe seinen eigenen Charakter, das ist Binse, aber nicht fürs Volk. Heike spricht über die seltsame Schizophrenie, dass man sich
vom Kino sehr beeinflussen lässt; man befragt das Kino, wie man leben soll. Und das kann man auf Filmfestival so gut wie an keinem anderen Ort.
Wir denken uns unser Leben aus. Wenn wir uns unser Leben ausdenken, dann können wir auch gleich ins Kino gehen.
Liebe zum Kino – das ist einfach da. Je mehr schlechte Filme man sieht, um so mehr wartet man auf den einen guten Film. Dann erzählt sie, wie sie im Arsenal den Director’s Cut von Heaven’s Gate in einer schlechten Kopie gesehen hat. Rausgehen? Ich guck bis zum Ende. Das ist so ein komischer Respekt. Es gibt immer die eine Szene, den einen Satz...
Und dann beschreibt sie den Lockruf des Kinos: Das Kino ist stärker als die Liebe. Wir beschließen ja, uns in jemanden zu verlieben. Das Kino hat eine größere Stärke als dieser eine Mensch im Leben, der diesem Anspruch nicht
standhalten kann.
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Etwas verspätet wurde uns Facebook-Abstinenzlern ein FB-Eintrag zu unserem schönen Interview mit Heike-Melba Fendel übermittelt.
Da hat Esther Gronenborn, Regisseurin, einst artechock-Autorin und Pro-Quote-Aktivistin grundsätzlich verschnupft und konkret etwas wunderlich reagiert: Denn weil Heike den
politischen Widerspruch benannt hat, dass die lieben Pro-Quote-Damen in der Gummi-Fruchtblase auf der Berlinale Sticker verteilen und Unterschriften sammeln – natürlich auch die von Frau Grütters – aber nicht im Traum dran denken, gegen die von Frau Grütters geförderte Berlinale zu protestieren, die Frauen auf ihre Schlüsselreize reduziert und über ihre Sponsoren als Sexobjekte vermarktet, weil Heike das tut, wirft Frau Gronenborn ihr vor, von den armen geplagten Frauen
einfach zu viel zu verlangen: Ehrenamtlich sollen die Frauen von Pro Quote Regie dann auch noch das Treiben auf dem roten Teppich der Berlinale kritisieren. Nach dem Motte: Wenn Frauen aktiv werden, dann müssen sie schon gleich die ganze (Frauen-)Welt retten! Und legt ihr nahe, die Klappe zu halten, und überdies solle sie doch mal auf die Webseite gehen und sich einlesen, bevor sie sich in Interviews lautstark äußert und Quatsch erzählt.
Das klingt etwa so, wie wenn Herr Seehofer die
Kritiker der CSU-Flüchtlingspolitik auf CSU-Parteiprogramm verweist, wo doch drin stehe, dass man alle Schwarzen liebe, wenn sie sich anständig benehmen.
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Und wie wäre es mal zur Abwechslung mit der wohlverdienten Unterstützung für das Viele, das diese Bewegung seit ihrem Auftauchen vor 3 Jahren für die weiblichen Filmschaffenden erreicht hat?
Ohhhh...
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So wie Filmemacher haben auch Filmkritiker Männerphantasien. Natürlich ist es Übertreibung und kompletter Wahnsinn, wenn ein renommierter Autor in der Süddeutschen behauptet, Tiger Girl sei ein Meisterwerk. Er hätte sowieso persönlich allen Grund,
gerade über diesen Film nicht zu schreiben. Aber hey, wofür ist die Zeitung da, wir sind nicht mehr jung, wir brauchen das Geld. Korruption, Compliance ist doch eh Kacke.
Ruhe bewahren, beruhigend auf die Volltrottel einreden – das ist nun die gelernte Option. Blöd nur, dass es die einzige ist. Und wie toll, mal ehrlich, wäre jetzt eine Alternative, die sich ein bisschen weniger kläglich und erniedrigend anfühlt? Genau, mal ehrlich, lassen wir doch das Gefasel. War das nicht
auch die Strategie von Hitlers Braunhemden? Und Tigers Schlüsselsatz Du musst einfach sagen, was du willst, und dann kriegst du’s auch, könnte genauso gut das Motto einer anderen, sehr viel aktuelleren Machtergreifung sein. Am Ende bleibt da wirklich nur eine Gewissheit: Wenn schon Rüpel die Welt beherrschen müssen, die ihre dunkelsten Impulse unkontrolliert ausleben – dann dürfen es zur Abwechslung ruhig auch mal Filmkritiker werden.
Und genau: Ich möchte Teil
einer Jungendbewegung sein. Ist es nur Zufall, dass TK , also Tom Kummer, nicht der andere, gerade einen Roman geschrieben hat?
Aber hey, wofür ist das Kino da! Pffff.. Schon mal einen Superheldenfilm gesehen? Puh...
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Die Herrschaft der Buchhalter wird unsere Welt zugrunde richten. Die Formal-Nerderei der deutschen Tugendwächter verkauft als Regelgehorsam, die Angst vor Korruption, obwohl man die gar nicht versteht. Es sind die Kleinen, die Museen und Dozenten, die Akademien und vor allem die Menschen, die dort, die bei allen öffentlich geförderten Institutionen die Arbeit machen, die unter ihnen leiden. Die wirklich Reichen, Großkopferten machen weiter, wie bisher, die tangiert das nicht.
Genauso wie der Irrsinn der modischen Compliance nur dazu führt urmenschliches Verhalten zu zerstören, oder mindestens zu verhindern. Natürlich hilft man Freunden. Auch weiterhin. Man tarnt sich nur besser.
Als der Projektor eines Filmmuseums nach vielen Jahren repariert werden musste, kam ein Brief von der naturgemäß fachfremden Buchhalterin: Ob dies nicht eine Wertsteigerung des des Geräts bedeute. Wertsteigerungen sind schlecht, sofern man sie nicht vorab genehmigt hat
– und, unnötig zu sagen: Man würde sie nicht genehmigen, denn nur Werterhaltung ist erlaubt, Werterhaltung durch Wertsteigerung aber nicht.
Die Fachfremdheit wird dann als Vorteil, als Vorurteilsfreiheit gerechtfertigt. Kenntnisse wiederum gelten als Vorurteil. Was schlimmer ist, als dass jetzt die Maschinen entscheiden, ist: Es entscheiden Menschen, die Maschinen imitieren.
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Die Compliance hat Camouflage und Konspiration zur Folge. Conspiration, bei den Ideologen des Bestehenden gern verschrien als Verschwörung, kommt aus dem Lateinischen, und heißt, Rainald Goetz hat vor Jahren schon darauf aufmerksam gemacht, nichts anders als zusammen atmen. Konspiration ist also etwas sehr Schönes. Wir müssen alle konspirieren und Konspirateure werden.
Unter dem Regiment der Camouflage, der Tarnung, deren komplett unbewusster, unreflektierter
Zeitgeist-Ausdruck der neue Boom der Militärkleidung unter vollkommen pazifistisch gesonnenen Teens und Twens und unter Hipstern der Berliner Mitte ist, entstehen völlig neue Umgangsformen mit sich selbst. Es sind Verhaltenslehren des Tarnens, des Verbergens, des Spuren-Verwischens. Lern unerkannt gehn dichtete bereits vor 50 Jahren hellsichtig Hans Magnus Enzensberger.
Dem Dark Web folgt das Dark Life auf dem Fuß.
(to be continued)