Cinema Moralia – Folge 154
Ein Filmfestival im Ausnahmezustand |
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Um die Ecke denken beim Istanbuler Festival: Brothers of Silence | ||
(Foto: Mintas Film) |
»Let’s not stop. Wait till we get out of town, when we can do everything at once. Have a little meal, beer, a cigar. Go in comfort.«
»I can see you're a man who likes his pleasures.«
»Well, Franz, what else is there in life, I ask you?«
aus »Asphalt-Jungle«, 1950
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»Wo ist Euer Hirn, wenn ihr wählt? Achtet darauf.« – Ian McKellen, die britische Schauspielikone nahm kein Blatt vor den Mund, aber er gab auch keine plumpen Wahlempfehlungen ab, für das türkische Verfassungsreferendum am kommenden Sonntag.
Der 78-jährige Ian McKellen, der in seiner Heimat natürlich ein Star am Theater mit Shakespeare- und Ibsen-Inszenierungen und in sensiblen Autorenfilmen ist, dürfte dem breiteren internationalen Publikum vor allem in seinen
Rollen als Zauberer Gandalf im Herr der Ringe-Dreiteiler und als traumatisierter jüdischer Superheld Magneto in einem halben Dutzend X-Men-Filmen bekannt sein.
Nun war McKellen der Stargast bei der Eröffnung der diesjährigen, der 36. Ausgabe des Internationalen Filmfestivals von Istanbul. Und zwar ein Stargast, der durchaus mit Bedacht ausgewählt wurde: Denn
McKellen ist auch ein engagierter Aktivist für die Rechte von Schwulen und Lesben, die gerade in den letzten Jahren in der Türkei des autoritären Präsidenten Erdogan und seiner Islamisten wieder stärkerer öffentlicher Ächtung und gelegentlich offener Verfolgung und Hass-Verbrechen ausgesetzt sind.
Auch dies, der Umgang mit Minderheiten aller Art, steht auf dem Spiel im derzeitigen Kampf um die politische Zukunft der türkischen Republik, der beim Verfassungsreferendum am
Sonntag eine entscheidende Wende erleben könnte.
So gesehen war es ein mutiger und politisch eindeutiger Schritt, McKellen in diesem Jahr einzuladen.
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Die Unsicherheiten der gegenwärtigen politischen Lage schlagen sich auch in den Filmen nieder – und in der Tatsache, dass sich im Gegensatz zu früheren Jahren nur wenige internationale Gäste, und so gut wie keine internationalen Journalisten nach Istanbul getraut haben. (So will ich es mal bescheiden formulieren. Ich könnte auch sagen: Wenn es sonst immer zehn bis 20 internationale Pressevertreter gab, habe ich diesmal gar keinen getroffen. Ausnahme Klaus Eder, der
als Generalsekretär der FIPRESCI und in diesem Jahr Jurypräsident eine Sonderrolle hat, und nicht für irgendein Medium berichtet.)
Da spielen Hysterie und unberechtigte Ängste eine größere Rolle, als die wirkliche Lage.
Um so aufmerksamer blickt man auf diejenigen, die trotzdem den Weg an den Bosporus gefunden haben. Aus Deutschland gehören dazu Volker Schlöndorff der seinen neuen Film »Return to Montauk« präsentierte, die Regisseurin Ayse Polat, die in der
Dokumentarfilmjury sitzt, die Regisseurin Asli Öszarslan, die für drei Monate ein Künstlerstipendium vor Ort wahrnimmt, und der Filmemacher Julian Rosefeldt.
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Rosefeldts clipartiges Experimentalwerk Manifesto erntete gemischte Reaktionen: Auf den ersten Blick scheint es extrem politisch gewagt, diverse Kunstmanifeste von Futuristen, Dadaisten und Surrealisten aus ihrem historischen Zusammenhang zu reißen und von der Schauspielern Cate Blanchett aufsagen zu lassen. Auf den zweiten Blick führt es deren Gehalt aber ad absurdum: Das Resultat ist ein einziges Mega-Manifesto-Disneyland, in dem alles austauschbar und nicht mehr ernstzunehmen ist. Und der getragene, bedeutungsschwangere Stil von Blanchett tut ein übriges, um diesen Film zu einem einigermaßen nervigen Ereignis zu machen.
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Aber das Festival war hochinteressant. Wie war es wohl auf dem Lido zu Zeiten Benito Mussolinis? So etwas fragt man sich angesichts der mannshohen Erdogan-Plakate, die von allen möglichen Häusern herabhängen.
Alles, was in dieser Festivalwoche geschieht, steht im Schatten des kommenden Verfassungsreferendums und des seit einem Dreiviertel-Jahr in der Türkei herrschenden Ausnahmezustands: Welche Filme gezeigt werden und welche nicht, was öffentlich gesagt oder auch
nicht gesagt wird. Man spricht, jedenfalls da wo Äußerungen den privaten Rahmen überschreiten, am liebsten in Metaphern, oder auf Umwegen.
So etwa auch Volker Schlöndorff beim traditionellen Sonntagsempfang des hiesigen Goethe-Instituts. Schlöndorff erinnerte sich in seiner kurzen Gastrede an seinen allerersten Besuch in der türkischen Metropole, vor über 50 Jahren, als junger Mann im Herbst 1963.
Es sollte sich just um jene Tage handeln, an denen in Dallas der US-Präsident
John F. Kennedy Opfer eines Mordanschlags wurde. »Wie schade«, fügte Schlöndorff hintersinnig hinzu, »dass um die heute amtierenden Präsidenten kaum jemand ähnlich trauern würde...« Spontaner Applaus im Saal, denn jeder wusste, wer gemeint war.
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»Um die Ecke« denken muss man auch bei einigen Filme. So etwa erzählt der Dokumentarfilm Brothers of Silence von den bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen in Kurdistan, in dem er ein Brüderpaar portraitiert. Beide sind taub-stumm.
In den Gesprächen mit Filmemachern, Journalisten, Akademikern und ganz normalen türkischen Bürgern, die das Festival besuchen, ist Politik allgegenwärtig. Sehr schnell kommt die Rede auf Präsident Erdogan, den
Ausnahmezustand und die durch ihn kaschierte Hexenjagd auf die unabhängige Presse und die Oppositionsparteien.
Die Stimmung ist angespannt, aber nicht pessimistisch, sondern eher kämpferisch. Viele Gesprächspartner gehen von einem »Nein!« zu Erdogan Reformplänen aus. Ich bin anderer Ansicht, und glaube ähnlich wie die Korrespondenten des ARD-Studios an ein »Ja!«. Vor allem aber: Werden die Wahlen tatsächlich sauber verlaufen, oder manipuliert? Und wird jedes Ergebnis
akzeptiert werden?
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(to be continued)