Cinema Moralia – Folge 155
Filmrausch in Berlin... |
||
Ein wunderschönes Kino... |
In eigener Sache: Mindestens dreimal ist »Hitlers Hollywood« noch in Berlin zu sehen: Jeweils 18 Uhr am 24.4., 25.4. und 26.4.im wiedereröffneten »KlickKino« in Charlottenburg. Am Mittwoch dann mit einem Regisseursgespräch. Kommet zuhauf!
+ + +
Aus dem Stolpernetz: Über Erna Samuel ist auf die Schnelle nicht viel zu erfahren. Sie war eine Berliner Lehrerin an der jüdischen Schule in der Rykestraße und am Auerbachschen Waisenhaus in der Schönhauser Allee. Ab 1942 wurden Schülerinnen und Lehrerinnen der Jüdischen Schule in der Choriner Straße untergebracht. Samuel wurde 1895 geboren und am 29. November 1942 nach Auschwitz deportiert, wo sie ermordet wurde.
Für Ellen Epstein hingegegen gibt es einen
Wikipedia-Eintrag. Sie war eine erfolgreiche Pianistin. Geboren 1898 in Breslau spielte sie seit 1920 auf Tourneen und war Teil der Berliner Kunstszene. Im Oktober 1942 wurde Epstein deportiert. Dann verliert sich ihre Spur.
Liest man weiter, stößt man auf ein Mitglied ihres Transportes: Der zehnjährige Gert Rosenthal, der jüngere Bruder von Hans Rosenthal, dem späteren Quizmaster, den meine Generation wohl vor allem als »Dalli-Dalli«-Conferencier kennt.
Rosenthal, Jahrgang
1925, musste im Dritten Reich Zwangsarbeit leisten, unter anderem als Totengräber, seine komplette Familie wurde vom Staat ermordet. Im März 1943 tauchte er in einer Berliner Kleingartenanlage unter, und lebte zwei Jahre unter ständiger Todesgefahr, mit Hilfe dreier nichtjüdischer Berlinerinnen.
+ + +
Nach Erna Samuel und Ellen Epstein sind die beiden Straßen im Gewerbegebiet am Berliner Westhafen benannt, wo sich einst der Moabiter Güterbahnhof befand, von dem über 32.000 Berliner Juden in die Vernichtungslager deportiert wurden. Ich ging die Straßen gestern zum ersten Mal von der S-Bahn-Station »Westhafen« zur Lehrter Straße. Dort liegt der »Filmrauschpalast« ein wunderschönes Kino mit
großartigem Programm.
Die Leinwand dieses Kinos ist leicht rund geschwungen, es gibt weiche Polster-Sitze für 40 Leute und Stühle zum Aufstellen für den Fall, das mehr kommen. Im Kino wärmt ein Ofen, und vor dem Film bringt einer noch Holz rein.
Es laufen Trailer für Guillermo del Toro. Man zeiht konsequent Original mit Untertiteln, und mehrfach im Monat 35mm Kopien. Zu Ostern lief »Rocker« und »Mädchen mit Gewalt«
+ + +
Viermal trat Ilse Werner in den 70er Jahren bei »Dalli Dalli« auf. Werner war einer der Superstars des Dritten Reichs. Persönlich eher naiv und nicht kompromittiert, schauspielerisch und in ihrer Ausstrahlung zu Höherem berufen, gehörte sie doch zur ersten Liga der Durchhalte-Schlagersänger. Man wüsste gern, was Hans Rosenthal sich wohl so gedacht hat, und wie sehr ihm zum Mitsummen zumute war.
+ + +
Zwei Filmtipps für Berliner, die den Weg nicht nach Moabit finden: Beim jetzt beginnenden Festival »Achtung Berlin«, das vor allem den Programmkinos Konkurrenz macht, laufen mindestens zwei interessante Filme: Der eine ist der Spielfilm Mandy – das Sozialdrama, das Debüt von Aron Craemer. Er hat am Samstag den 22. um 19.45 im Babylon Mitte seine Welt-Premiere.
Darin geht es um
eine Regisseurin, die einen Low Budget Film drehen will: »Sie castet einen Stab, der sich ohne Bezahlung für nichts zu schade ist. Mandy selbst spielt im Film eine junge Frau aus dem Ghetto. Sie braucht Geld, um für sich, ihre behinderte Schwester Jaqueline, ihre türkische Freundin Nurgül und ihren drogendealenden Lover Matratze ein neues Leben zu ermöglichen: am Meer! Doch genauso wie hinter den Kulissen muss Mandy hart und mit allen Taschenspielertricks für ihren Traum kämpfen
…Mandy – Das Sozialdrama ist eine böse Komödie. Ein No-Budget-Monumentalfilm mit Gesang, Tanz und Martial Arts. Ein Film, der gleichzeitig Spaß macht und weh tut.« (Produktionsmitteilung)
Im Dokumentarfilmwettbewerb läuft der beeindruckende »Dil Leyla« von Aslı Özarslan, der bereits auf der IDFA in Amsterdam und in Saarbrücken beim Max-Ophüls-Festival lief. Der Film
erzählt die Geschichte der deutsch-türkisch-kurdischen Politikerin Leyla Imret, die mit 26 Jahren die jüngste Bürgermeisterin der Türkei wurde. Derzeit wurde sie, wie viele kurdische Aktivisten von der Türkei unter Hausarrest gestellt und ist nicht zu erreichen.
Die Regisseurin begleitete Leyla aus Deutschland in die Türkei, beobachtete ihren Wahlkampf, ihre Arbeit als Bürgermeisterin bis zu ihrer Verhaftung und der brutalen Zerstörung ihrer Heimatstadt Cizre durch die
türkische Armee. Ein exzellentes Portrait über die derzeitige deprimierende Lage in der post-demokratischen Türkei. »Dil Leyla« ist Asli Özarslans Diplomfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg.
+ + +
Going in Style – so heißt ein Film, der letzte Woche in die Kinos kam. Einen Abgang mit Stil würde man auch dem derzeitigen Direktor der Berlinale wünschen. Drei Wochen ist es jetzt her, da meldete die Berliner Presse, dass das Bundeskulturministerium derzeit über einen neuen Berlinale-Leiter verhandelt. Dieter Kosslicks Abgang schien beschlossene Sache, dessen
Bekanntgabe nur noch eine Frage von Stunden zu sein.
Das bleierne Schweigen seitdem erregt Verdacht. Offenbar klammert sich Dieter Kosslick an seinen Posten und mobilisiert noch einmal all seine Bataillone, die ihm dabei helfen können.
Allein diese Gerüchte zeigen es: Zur Stil- und Geschmacklosigkeit, die die Berlinale seit Jahren immer deutlicher prägt, kommt persönliche Schamlosigkeit: Kosslick kann und will einfach nicht loslassen, und ist darin so hartnäckig, dass die
schwachen Funktionäre, mit denen er es in der Regel zu tun hat, einfach die Geduld verlieren.
+ + +
Wie der deutsche Papst will Kosslick gehen, um zu bleiben. Der neue Direktor ist noch nicht entschieden, aber er weiß schon: Der Alte bleibt, und wird ihm auf der Nase herumtanzen.
Es sagt alles über Kosslicks charakterliche Struktur, dass er sich auch dafür nicht zu schade ist.
Aber stellen wir uns nur mal vor: Hätte Kosslick akzeptiert, dass Moritz de Hadeln zu seinem Amtsantritt zum Berlinale-Ehrenpräident ernannt worden wäre?
+ + +
Es ist wie bei Merkel und Erdogan: Der türkische Ministerpräsident ist ein Aufsteiger mit der Härte seiner Klasse, ein Straßenjunge, der nur die Sprache der Gangs versteht. Wenn ihm gegenüber einer einen Schritt nachgibt, geht er einen weiteren Schritt voran. Darum beißt sich Merkel an ihm die Zähne aus. Nur Putin kann mit Erdogan angemessen umgehen.
Man sollte sich deshalb auch nicht allzu sehr grämen über das zu erwartende »Ja« beim türkischen Referendum. Hätte es ein
»Nein« gegeben, hätte Erdogan die Abstimmung in den nächsten Monaten eben wiederholt, und vorher noch weitere Verhaftungen und Hausarreste vorgenommen – bis zum erwünschten Resultat.
+ + +
Was man von den Konservativen lernen kann, ob Erdogan, Seehofer, Kosslick oder zuletzt Theresa May: Selbstbewusstsein, machen, Mut haben, einfach tun, nicht zuviel abwägen, nicht Kompromisse, nicht den Konsens suchen, nicht labern, sondern entscheiden.
+ + +
Der »Verband der deutschen Filmkritik« nahm das mutmaßliche Auslaufen des Vertrags jetzt zum Anlass für eine Anregung: »Die Neubesetzung der Direktion des wichtigsten deutschen Filmfestivals bietet die seltene Möglichkeit, die Diskussion über die Zukunft der Berlinale zu öffnen. Eine ideale Gelegenheit, durch die Einbeziehung verschiedenster Gruppen, die sich für die Filmkultur in Deutschland und der Welt engagieren, das künstlerische Profil der Berlinale zu
schärfen und ihre Verankerung in der internationalen wie nationalen Filmszene zu verbessern.
Daher sollte eine solche Diskussion ohne Zeitdruck und nach einem für die Öffentlichkeit transparenten Verfahren geführt werden.
Zudem wäre es wünschenswert, die Kriterien zu überprüfen, nach denen die Berlinale-Direktion besetzt wird: Ist ihr aktueller Zuschnitt noch zukunftstauglich? Andere Filmfestivals wie Cannes, Venedig oder Locarno zeigen, dass eine Aufteilung der
Direktion in eine künstlerische Leitung mit entsprechend cinephiler Bildung und eine Geschäftsführung erfolgversprechend sein kann.
Die Fragen, was eine gute Berlinale-Direktion ausmacht und worin die Aufgabe einer Institution wie der Berlinale in Zukunft besteht, verdienen eine offene und vielstimmige Diskussion und könnten den handelnden Kulturpolitikerinnen und -politikern wie der kritischen Öffentlichkeit unerwartete Perspektiven aufzeigen. Einer solchen
Chance darf man sich nicht ohne Not verschließen.«
+ + +
Wir sind gespannt. Der Kampf geht weiter. Der »Tagesspiegel« zitierte kürzlich Kosslicks taktische Rezepte: »Ein Netzwerk ist für mich etwas Virtuelles, das man real anwenden muss. Man hat 500 Telefonnummern und aus diesen kann man etwas kreieren. Aber es ist jedes Mal etwas anderes.«
+ + +
(to be continued)