Cinema Moralia – Folge 156
Wenn man Nazis mit Torten verwechselt... |
||
Paul A. Webers »Das Gerücht« |
»Auch das Ungewisse hat seine Reize.«
Friedrich Nietzsche
+ + +
Am Mittwochnachmittag kam über die Agenturen die Nachricht, dass Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen den Chefausbilder des Heeres entlassen hat – wegen nachlässiger Ermittlungen im Fall der Vorwürfe um Mobbing, Sexspiele, und ekelige Aufnahme-Rituale bei der Bundeswehr ordnete, und weil er dabei offensichtlich nicht tat, was die Ministerin wollte, sondern nachlässig ermittelte, möglicherweise vertuschte.
Warum das für uns wichtig ist? Weil von der Leyen
ihre für Film zuständige Kabinettskollegin vorführt: So geht das, Frau Grütters! Nicht nur Generäle, auch politische Beamte, zum Beispiel Ministerialdirektoren, kann man versetzen!
Man kann ihnen sagen: Ich will es so, Herr Ministerialdirektor und sie haben es zu machen. Wenn einer schon das FFG für sie geschrieben hat, und zwar ganz anders, als sie es haben wollte, dann sollte sich Kulturstaatsministerin Grütters darum bemühen, dass sie wenigstens jetzt wieder in ihrem
Ministerium die Zügel in die Hand bekommt. Wir sprechen natürlich von der offenen Frage der Neubesetzung der Leitung des wichtigsten deutschen Festivals, der Berlinale.
Letzte Woche hatten wir darüber berichtet, wie sich der scheidende Direktor an seinen Posten klammert, versucht, wenigstens noch ein Austragsstüberl als Ehrenpräsident oder Ähnliches zu bekommen. Dabei wird er, wie die »gut unterrichteten Kreise« uns erzählen, offenbar von Monika Grütters'
Ministerialdirektor, einer Art für Film zuständiger Staatssekretär im BKM, Günter Winands unterstützt. Hoffentlich setzt sich Grütters mit ihrem Vorhaben, die Berlinale auch personell zu erneuern, durch.
Aus Kreisen einer großen deutschen Filmförderanstalt hört man derweil ein anderes Gerücht: Der jetzige Berlinale-Direktor wolle deswegen nicht aufhören, »weil er das Geld braucht.« Ob das jetzt eine bloße Meinungsäußerung war, oder so von Betroffenen gestreut wird, können
wir leider hier nicht sagen.
+ + +
Ein besseres Timing verdient hätte ein spannender Facebook-Text von Martin Hagemann, Dozent an der Filmuni Potsdam und Produzent. Ein Aufruf zum produktiven Streit, wie er in Deutschland so extrem unbeliebt wie dringend nötig ist, der in den letzten Wochen irgendwie von vielen übersehen wurde, darum weisen wir hier nochmal drauf hin.
Hagemann weist wiederum auf zwei Texte aus der Welt hin. Der eine stammt von Hanns-Georg Rodek, und ist eine Lobeshymne für Jakob Lass' Tiger Girl. Darin heißt es: Tiger Girl folgt dem Lustprinzip, ... ist nicht perfekt, aber so frisch, so innovativ, dass man ihm alle möglichen Etiketten aufkleben kann, die
noch nie auf einen deutschen Film passten. ... Vor allem aber ist es eine Lust, in diesen deutschen Film zu gehen.
Ich finde dieses Lob zwar ein bisschen übertrieben, aber passt schon, und außerdem geht es ja eigentlich darum, wie viel uninteressanter viele andere deutsche Filme sind. Hat hier jemand den letzten Dresen gesehen? Oder die neuen Beziehungskomödien, die jetzt wieder kommen, wie zur Bestätigung, dass Deutschland gerade in vielen Bereichen einen reaktionären Backlash
erlebt?
Hagemanns Kritik sieht Tiger Girl auch als Beispiel für Generelles, und entwickelt eine präzise Kritik der Preisnominierungen der Filmakademie für die von ihr ausgerichteten und verteilten zweckgebundene Subvention der Kulturfördergelder des Bundestages, vulgo: Deutscher Filmpreis, der am kommenden Freitag wieder mal ausgerichtet wird.
Dazu O-Ton Hagemann: »Es ist für mich ein
Skandal, dass meine Kolleginnen und Kollegen, die Mitglieder der Filmakademie ›Tiger Girl‹ in keiner der 14 Kategorien des deutschen Filmpreises, die für Spielfilme in Frage kommen, für wert hielten, nominiert zu werden. Stattdessen gingen 30 der möglichen 50 Nominierungen in allen Kategorien an die 6 Filme, die auch für den ›besten Film‹ ganz oben stehen. Nimmt man die ›Hauptkategorien‹ Regie/Drehbuch/Hauptdarsteller*in/
Kamera/Schnitt, gehen sogar nur 3 von möglichen 21 Nominierungen an andere Filme, als diejenigen, die für den ›besten Film‹ nominiert sind. Es kann nicht sein, dass die herausragenden Kolleginnen und Kollegen unter uns sich auf so eine kleine Anzahl von Projekten in einem Jahr konzentrieren. Wir sind, von den Gewerken her gesehen, besser als es die 6 nominierten Filme vorschlagen.«
+ + +
Da hat er recht! Wenn wir noch mal auf die Titel der sechs Nominierten gucken, dann muss man zwar nicht vor Scham in den Boden versinken, aber man darf sich wundern: Toni Erdmann, Wild, Tschick, 24 Wochen, Die Blumen von gestern, Willkommen bei den Hartmanns.
Tatsächlich fragt man sich: »Wo ist da Tiger Girl? Man fragt sich auch: Wo ist da Fado, wo ist Der traumhafte Weg, wo ist Looping? Alles bessere, interessantere Filme, als Die Blumen von gestern und Willkommen bei den Hartmanns sowieso, aber auch als Tschick und 24 Wochen.
Mir fielen noch weitere Titel ein, aber hier stoßen wir auf
ein grundsätzliches Problem der Nominierungspraxis: Ihre zeitliche Willkür und unnötige Kompliziertheit. Da Filme innerhalb eines Zeitraums von mindestens anderthalb Jahren eingereicht werden können (wenn ich alles richtig verstanden habe muss man immer bis Ende Oktober einreichen, kann das aber auch mit einem Film machen, der erst im darauffolgenden Juni startet). Viele Filme können so dann nämlich pokern, in welchem Jahr sie bessere Chancen haben. Daher ist dann ein Film wie Wild, der im Frühjahr 2016 startete, ebenso nominiert, wie einer der noch gar nicht gestartet ist, und Morgenröte, der nach Wild ins Kino kam, war schon im Vorjahr nominiert. Blickt da wirklich jemand
durch?«
+ + +
Martin Hagemann schreibt zu den nominierten Filme voller Nachsicht mit den betroffenen Kollegen: »Das sind alles ehrenwerte, auch einige gute Arbeiten, einige dieser Filme sind preisgekrönt, andere haben viele Zuschauer gefunden, zumindest einer gehört nur ins Fernsehen, mindestens einer ist nach einer Formel gestrickt, dafür geben sich andere wild: die Akademie kann zufrieden sein mit sich, da sie mit ihren Nominierungen doch für ein ausgewogenes, nettes Bild des deutschen Films
in diesem Jahr gesorgt hat. ... Insofern haben die Mitglieder der Filmakademie sicher einen sehr repräsentativen Jahrgangsschnitt von 6 Filmen zum ›besten deutschen Film‹ nominiert, viel Nachvollziehbares aber auch einiges Unverständliches. Das ist bei den Nominierungen anderer Akademien nicht anders, und dies – das liegt in der Sache – ist auch immer ein Stück weit subjektive Meinung, was nun das gelungene und das weniger gelungene in der Kategorie
›bester Film‹ sein soll. Für mich sind es in diesem Jahr nur 3 Filme, die diese Bezeichnung verdient hätten, aber da es nun mal 6 Slots und 6 Förderungen sind, wählen wir 6 ›beste Filme‹.
Dass es aber zu dieser auffälligen Häufung von Nominierungen der ›besten Filme‹ in anderen Kategorien gekommen ist, das ist ärgerlich und nicht hinnehmbar, zeugt aus meiner Sicht von Unprofessionalität. Oder liegt es doch daran, dass es für viele
Mitglieder in einigen Sektionen kaum zu schaffen ist, die ca. 40 vorgeschlagenen Filme in 9 Wochen in Ruhe zu schauen und sich genügend vergleichende, nicht nur geschmäcklerische Gedanken darüber zu machen, welcher Film für die Nominierung ›bester Film‹ und das Fördergeld sowie die Gewerkenominierungen in Frage kommt?
40 Filme zwischen Anfang Januar und Mitte März, wenn die Nominierungen bekannt gegeben werden, das sind locker 3-4 Filme pro Woche, auch wenn man
den ein oder anderen schon vorher im Kino gesehen haben mag. Da fasse sich jeder und jede an ihre, bzw. seine eigene Nase, aber 3-4 Filme pro Woche, das ist viel Holz neben der Arbeit, der Familie, der parallel liegenden Berlinale etc.«
+ + +
Was Hagemann hier im Grunde sagt, ist: Die Nominierungsvergabe funktioniert nicht. Kein Vorwurf an jene in der Filmakademie, die sich viel Mühe um Ausgewogenheit, Gerechtigkeit und Demokratie geben oder was sie für all das halten. Aber so geht’s trotzdem nicht. Ist nicht zu schaffen. Schon gar nicht für Leute, die seriös arbeiten.
+ + +
»Anne Will« ist leider in den letzten Jahren eine immer schwächer gewordene, zunehmend überflüssige Sendung. Politische Haltung findet man selbst bei »Markus Lanz«, der sich bisher auch noch nicht blöd genug war, den Demagogen und Demokratiefeinden von der AfD ein Forum zu bieten, wie das manche »Informationsprogramme« der Öffentlich-Rechtlichen gern tun. Interessant ist »Anne Will« allerdings schon. Vor ein paar Wochen zum Beispiel wurde über Syrien debattiert.
Ursula
von der Leyen behauptete da lang und breit und unkritisiert Dinge, die ihr später vom Faktencheck der ARD auseinander genommen und als unzutreffend entlarvt wurden.
Wichtiger aber: Moderatorin Anne Will versuchte bereits in der ersten Vorstellung ihren Gast Michael Lüders, Politikwissenschaftler und Vorsitzender der DAG, der als Autor und Nah-Ost-Experte bestimmte Analysen geleistet hat, die nicht mainstreamkonform sind, zu diffamieren, indem sie ihn, wie sie betonte,
»heute hier nicht« vorstellt als neutralen Nah-Ost-Experten, sondern »als Berater, als Geschäftsmann, der sein Wissen an Firmen verkauft, die in Nah-Ost Geschäfte machen wollen.«
In der ARD scheint man sich da nicht einig zu sein, denn der SWR immerhin gibt Lüders Gelegenheit, ohne derart tendenziöse Vorab-Bewertungen seine gut begründeten Thesen vorzutragen.
+ + +
Frauke Petry darf als erste reden, ihr Kollege Jörg Meuthen als zweiter. Er darf verkünden, was die AfD will: »einen Fahrplan in ein anderes Deutschland, in ein Deutschland weg vom Links-Rot-Grün verseuchten 68er-Deutschland.«
Die ersten sieben Minuten des Films gehören nur der AfD, und ihren Wählern, dem Mob der Pegida. Das Korrektiv dazu bilden währenddessen nur Journalisten, »die Medien«, also Stern, Spiegel, und natürlich BILD. Immerhin einer von ihnen, Lutz Kinkel, vormals
»Stern«, formuliert das Problem das dieser Film – wenn schon wie das Kaninchen auf die AfD blickend – ausdifferenzieren und zum Thema machen müsste: Dass die Medien über die AfD berichten, »wie über eine 40 Prozent Partei«, und Kinkel benennt auch das Ergebnis: »Insofern machen wir sie als Medien größer, als sie eigentlich ist. Danach geht es so weiter, episodisch, rhapsodisch, nicht analytisch, nicht einen Gedanken oder ein Argument weiter entwickelnd, nie zu einem Fazit
führend, sondern raunend, impressionistisch: Justizminister Heiko Maas wird in Sachsen bepöbelt, die AfD beklatscht das hämisch auf ihrem Parteitag, Sarah Wagenknecht bekommt eine Torte ins Gesicht – was hat das eine eigentlich mit dem anderen zu tun? –, Sigmar Gabriel wird Opfer eines Gerüchts, dass Focus-Markwort eitel im BR verbreitet. Von er CDU gibt es offenbar Ähnliches nicht zu berichten.
Tilo Jung, der auch seine Marktlücke gefunden hat, mit der er nun sogar im
Fernsehen hausieren geht, und vielleicht bald in der ARD seine Talkshow bekommt, Tilo Jung also, der tatsächlich so ist, wie sein Blog heißt, vergleicht Apfel mit Birnen, bzw Nazis mit Torten, und stellt Wagenknecht mal flugs in die rechte Ecke.«
+ + +
Wir sehen die ARD-Dokumentation »Nervöse Republik«
von Stephan Lamby der sich seit knapp 20 Jahren auf Politiker-Dokus mit reißerischen Titeln spezialisiert hat: »Schäubles Fall«, »Die Welt des Joschka Fischer«, »Merkels Macht«, »Steinbrücks Blick in den Abgrund«, »Das Duell: Merkel gegen Steinbrück«, »Schlachtfeld Politik«, »Schäuble – Macht und Ohnmacht«
Lamby gilt aus guter
Dokumentarfilmer. Zu Recht?
Zu seinem aktuellen Thema hat er sich schonmal von seinem Konkurrenten Lutz Hachmeister, nun ja: inspirieren lassen: »Nervöse Zone« hieß Hachmeisters um einiges tiegschürfenderes und differenzierteres Buch von 2007 über »Politik und Journalismus in der Berliner Republik«.
Hachmeister beschrieb seinerzeit den
meinungsführenden Journalismus als politische Akteure ohne Mandat: Bewusst und geplant hätten deren Wortführer die Berliner Republik nach rechts »in Richtung eines neo-konservativen Zentrismus« bewegt. Hachmeister beschrieb auch die zunehmende, heute weiter fortgeschrittene Verschmelzung von Journalismus und politischem und ökonomischem Marketing und Lobbyismus, Längst haben PR-Strategien (mindestens jene der eigenen Werbeabteilung) auch den vermeintlichen
Qualitätsjournalismus gekapert, längst ist die Neutralität ein gefährdetes Gut. Eine neue Klasse ist entstanden, in der Publizistik, Ökonomie, Marketing und politische Kommunikation sich zu einer Unterhaltungs- und Bewusstseinsindustrie verbunden haben. Meinungen und Information sind Produkte geworden, Güter mit denen Handel betrieben wird – nicht nur auf dem freien Markt. »In Berlin wird mit Informationen Schach gespielt.« heißt dies im Film, die Berichterstatter
würden dafür instrumentalisiert. Hachmeisters Buch ist insgesamt eine Mängelanzeige für Lambys Film.
Denn Lamby geht nicht in die Tiefe. Er flaniert am Ereignis-Kalender des Jahres 2016 entlang. Anstatt die inneren Strukturen und die politische Agenda des Spiegel zu beschreiben, stellt er nette Menschen vor: Bei der Brexit-Abstimmung blickt er der Spiegel-Redaktion über die Schulter, einer darf behaupten, »wenn die Briten aussteigen, ist die Europäische Idee tot«, was
ziemlicher Unsinn ist. Spiegel ist überrascht vom Brexit, statt Analysen hören wir vollkommen übertriebene Reaktionen: David Cameron habe »sein Leben verpfuscht, egal, was er jetzt noch macht«, als ob das irgendwas mit der Wirklichkeit zu tun hätte und als ob das Schicksal des Ex-Premiers die Hauptfrage nach dem Brexit wäre.
Zum Verhältnis der Bürger zu den Medien bemerkt Carline Mohr: »Hass gab’s immer ... seit Sommer 2015 ganz neue Dynamik«. Da hätte Lamby jetzt wieder
ansetzen können, nachfragen, mehrere Stimmen oder Bilder zur gleichen Sache. Stattdessen denken wir über drei alternative Entwürfe zum nächsten Spiegel-Titel nach.
Klaus Brinkbäumer beschreibt »zunehmende Unsicherheit« und eine »zunehmende weitere Hysterisierung der Debatte«
+ + +
Hysterie ist schon wieder so eine Kategorie. Von Nervosität ist im Film nicht die Rede, dieser Titel scheint eher die persönliche Behauptung Lambys zu enthalten oder eine Hachmeister-Hommage.
Eine andere Frage ist dabei, ob diese Kategorie eigentlich irgendetwas Substantielles aussagt? Was sagt es über die Kategorie, wenn sie offenbar im Jahr 2007 genauso gut taugt wie 2017?
Wie kann will man ausgerechnet mit dem Nervositätsbegriff die kollektive bundesdeutsche
Geistesverfassung analysieren? Ein Gedanke an die Geschichte dieses Begriffs stimmt da eher skeptisch. Bereits viele Kulturwissenschaftler haben sich in den letzten Jahrzehnten mit der Kultur- und Gesellschaftsgeschichte der »Neurasthenie«, »Nervenschwäche« oder Nervosität in den Jahren zwischen 1880 und 1940 beschäftigt. Der Kulturwissenschaftler Wolfgang Martynkewicz betitelte sein Buch gar als »Das Zeitalter der Erschöpfung«, der Historiker Joachim Radkau seines als
»Das Zeitalter der Nervosität«. Alle redeten seinerzeit plötzlich über die Nerven.
Wie heute der Burnout transformierte die Neurasthenie das gesellschaftlich unakzeptierte Unbehagen in der Kultur und den Überdruß an der modernen Zivilisation in eine gesellschaftlich akzeptierte Krankheit. Wer Burnout hat, ist krank, wer müde ist oder gleichgültig, dagegen selber schuld. Lamby hätte insofern auch von der Burnout-Republik, oder der »ausgebrannten Repubik« schreiben
können.
Als Diagnose treffender wäre es aber, von Orientierungslosigkeit und Gleichgültigkeit zu reden. Von der Unfähigkeit zu streiten. Von dem Unvermögen für eigene Werte zu kämpfen und dummes Geschwätz auch so zu nennen. Oder von kollektivem Narzissmus:
+ + +
Es sagt schon alles, dass ausgerechnet dem Medien-Outsider und Jungspund Tilo Jung hier überhaupt so viel Raum gegeben wird, und dann noch zu seichten Appellen wie diesem: »Meine Eltern sind auch Einheitsverlierer, meinen Vater kotzt diese ganze Politik an.« Über PEGIDA »Wir sollten auf diese Menschen zugehen, ihnen nicht immer nur vorwerfen, wie sie sich artikulieren.«
Das genau dies aber keiner tut, interessiert Lamby nicht. Was diese Leute der Pegida-Demos artikulieren, nicht
wie, das ist der Punkt. Ein tobender, hasserfüllter Mob. Diese Leute haben keine Sorgen, sondern sie haben ein Aufmerksamkeitsdefizitproblem. Im 19. Jahrhundert hätte man mit gehacktem Blei auf solche Leute geschossen, da wäre Pegida nach einer Demonstration vorbei gewesen, Und da die Gesellschaft und ihre Medien offenbar unfähig sind, dem rassistischen Pöbel mehr entgegenzusetzen als Indifferenz und Nachgiebigkeit, könnte es eines Tages wieder so kommen.
Zwischen
solchen Eindrücken auch ein paar Politikerinterviews. In betont originellen Positionierungen: Maas auf einer Tischkante halb sitzend. Hat das der Pressesprecher so gewollt. Petry im schulterfreien Dress.
De Maiziere macht in diesem Umfeld sehr überraschenderweise in jeder Hinsicht den besten Eindruck: Er findet als einziger eindeutige, harte und angemessene Worte für den AfD-Pegida-Komplex: »miese, aber gut wirksame Propaganda ... inszenierter Eklat ... an die
Propaganda des Nationalsozialismus gegen die Politiker von Weimar erinnernd...«
In Lambys Blick hat De Maizieres altmodische, autoritäre, kühl-nassforsche Art etwas Sympathisches, Realpolitisches, fast Helmut-Schmidt-haftes – ein Mann für die Zukunft.
+ + +
Der Film selbst ist nervös. Lambys Film ist ein Paradebeispiel für Medien, die als Institution zur Aufklärung und Irritation der Bürger, auch als ihr Anwalt gegenüber der Politik zunehmend versagen und stattdessen als Echoraum und Stimmungsmacher funktionieren. Lambys Film betreibt mit seiner visuellen Gleichsetzung von AfD und Regierung eine enorme Aufwertung der Demagogen und Freiheitsfeinde. In Lamby Film kommen GRÜNE und FDP gar nicht erst vor, und das Volk nur als
keifende Minderheit, die allen Ernstes von »Widerstand« redet, von »Volksverrätern« und der Abschaffung Deutschlands.
So zeigt Lambys Film eine Konstellation, wie eine Talkshow von Anne Will, auf Krawall gebürstet, an Information desinteressiert. Die ARD strickt mit an Klischees und Vorurteilen, die auf Dauer eine andere Republik herbeiführen werden.
Lutz Kinkels Frage steht bis zum Ende im Raum: Haben die Qualitätsmedien die AfD und Pegida nicht erst geschaffen, nicht
groß durch übertriebene Aufmerksamkeit? Indem Demagogie und Rechtsextremismus zu »Populismus« verniedlicht werden. Indem der AfD die Möglichkeit gegeben wird, ihre Kommunikationsverweigerung als Gesprächsbereitschaft zu tarnen.
+ + +
Die letzte Chance verpasst der Film in Minute 54. Nachdem vorher Petry noch unwidersprochen natürlich, ihre üblichen Behauptungen aufstellen durfte, dass »die Medien« »alles« über die AfD »immer ins Negative ziehen« würden, und unfair berichten.
Danach redet Lamby mit dem Ex-BILD-Chefredakteur Kai Diekmann, und geht ihn für seine Verhältnisse kritisch an, aber eben einmal mehr in die falsche Richtung: Als dieser erklärt, dass er Antisemitismus und Rassismus der AfD bekämpfen
würde, weil er sie für gefährlich hält, fragt Lamby kess: »Sind sie Journalist oder Aktivist?« Diekmann erklärt ruhig, dass es zum Journalismus dazugehöre, zu berichten »wer sind denn die Leute, die von der AfD in die Landtage geschickt werden? Was für einen Hintergrund haben die?« Lamby: »Ich war bislang der Meinung, Journalisten berichten, jetzt sagen Sie mir, Journalisten kämpfen.« – Diekmann: »Selbstverständlich tun wir das.« Und gegen Hans-Joachim Friedrichs
Behauptung, ein Journalist »macht sich mit keiner guten Sache gemein«, kontert Diekmann: »Diesen Satz habe ich schon immer für falsch gehalten.«
+ + +
Am Ende erfahren wir den Titel jener großartigen Graphik, die ein paar Mal im Film auftaucht und die beste Entdeckung an ihm ist: »Das Gerücht« von Paul A. Weber, einem Künstler im Umkreis des Nationalbolschewisten Ernst-Niekisch. Lamby betitelt sie auf 1943, obwohl die Graphik erst von 1953 stammt, und nur der Entwurf im Dritten Reich entstand. Das verdeutlicht die Methode: Es sieht gut aus, allerdings zugleich um einiges besser als es ist und ist im Detail dann mindestens ungenau, wenn nicht ein absichtlicher Bluff, der mehr über das öffentlich-rechtliche Fernsehen verrät, als über seinen Gegenstand.
+ + +
Einmal mehr in eigener Sache: Das Berliner Bali-Kino zeigt eine Woche lang zuerst Von Caligari zu Hitler, dann Hitlers Hollywood. So muss es sein!
(to be continued)