27.04.2017
Cinema Moralia – Folge 156

Wenn man Nazis mit Torten verwech­selt...

Paul A. Webers »Das Gerücht«
Paul A. Webers »Das Gerücht«

Kann man eigentlich alles vergleichen? »Sind sie Journalist oder Aktivist?« Vor dem deutschen Filmpreis und ein Film über die angeblich »nervöse Republik« – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 156. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Auch das Ungewisse hat seine Reize.«
Friedrich Nietzsche

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Am Mitt­woch­nach­mittag kam über die Agenturen die Nachricht, dass Vertei­di­gungs­mi­nis­terin Ursula von der Leyen den Chef­aus­bilder des Heeres entlassen hat – wegen nach­läs­siger Ermitt­lungen im Fall der Vorwürfe um Mobbing, Sexspiele, und ekelige Aufnahme-Rituale bei der Bundes­wehr ordnete, und weil er dabei offen­sicht­lich nicht tat, was die Minis­terin wollte, sondern nach­lässig ermit­telte, mögli­cher­weise vertuschte.
Warum das für uns wichtig ist? Weil von der Leyen ihre für Film zustän­dige Kabi­netts­kol­legin vorführt: So geht das, Frau Grütters! Nicht nur Generäle, auch poli­ti­sche Beamte, zum Beispiel Minis­te­ri­al­di­rek­toren, kann man versetzen!
Man kann ihnen sagen: Ich will es so, Herr Minis­te­ri­al­di­rektor und sie haben es zu machen. Wenn einer schon das FFG für sie geschrieben hat, und zwar ganz anders, als sie es haben wollte, dann sollte sich Kultur­staats­mi­nis­terin Grütters darum bemühen, dass sie wenigs­tens jetzt wieder in ihrem Minis­te­rium die Zügel in die Hand bekommt. Wir sprechen natürlich von der offenen Frage der Neube­set­zung der Leitung des wich­tigsten deutschen Festivals, der Berlinale.
Letzte Woche hatten wir darüber berichtet, wie sich der schei­dende Direktor an seinen Posten klammert, versucht, wenigs­tens noch ein Austrags­stü­berl als Ehren­prä­si­dent oder Ähnliches zu bekommen. Dabei wird er, wie die »gut unter­rich­teten Kreise« uns erzählen, offenbar von Monika Grütters' Minis­te­ri­al­di­rektor, einer Art für Film zustän­diger Staats­se­kretär im BKM, Günter Winands unter­s­tützt. Hoffent­lich setzt sich Grütters mit ihrem Vorhaben, die Berlinale auch personell zu erneuern, durch.
Aus Kreisen einer großen deutschen Film­för­der­an­stalt hört man derweil ein anderes Gerücht: Der jetzige Berlinale-Direktor wolle deswegen nicht aufhören, »weil er das Geld braucht.« Ob das jetzt eine bloße Meinungs­äuße­rung war, oder so von Betrof­fenen gestreut wird, können wir leider hier nicht sagen.

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Ein besseres Timing verdient hätte ein span­nender Facebook-Text  von Martin Hagemann, Dozent an der Filmuni Potsdam und Produzent. Ein Aufruf zum produk­tiven Streit, wie er in Deutsch­land so extrem unbeliebt wie dringend nötig ist, der in den letzten Wochen irgendwie von vielen übersehen wurde, darum weisen wir hier nochmal drauf hin.

Hagemann weist wiederum auf zwei Texte aus der Welt hin. Der eine stammt von Hanns-Georg Rodek, und ist eine Lobes­hymne für Jakob Lass' Tiger Girl. Darin heißt es: Tiger Girl folgt dem Lust­prinzip, ... ist nicht perfekt, aber so frisch, so innovativ, dass man ihm alle möglichen Etiketten aufkleben kann, die noch nie auf einen deutschen Film passten. ... Vor allem aber ist es eine Lust, in diesen deutschen Film zu gehen.
Ich finde dieses Lob zwar ein bisschen über­trieben, aber passt schon, und außerdem geht es ja eigent­lich darum, wie viel unin­ter­es­santer viele andere deutsche Filme sind. Hat hier jemand den letzten Dresen gesehen? Oder die neuen Bezie­hungs­komö­dien, die jetzt wieder kommen, wie zur Bestä­ti­gung, dass Deutsch­land gerade in vielen Bereichen einen reak­ti­onären Backlash erlebt?

Hagemanns Kritik sieht Tiger Girl auch als Beispiel für Gene­relles, und entwi­ckelt eine präzise Kritik der Preis­no­mi­nie­rungen der Film­aka­demie für die von ihr ausge­rich­teten und verteilten zweck­ge­bun­dene Subven­tion der Kultur­för­der­gelder des Bundes­tages, vulgo: Deutscher Filmpreis, der am kommenden Freitag wieder mal ausge­richtet wird.
Dazu O-Ton Hagemann: »Es ist für mich ein Skandal, dass meine Kolle­ginnen und Kollegen, die Mitglieder der Film­aka­demie ›Tiger Girl‹ in keiner der 14 Kate­go­rien des deutschen Film­preises, die für Spiel­filme in Frage kommen, für wert hielten, nominiert zu werden. Statt­dessen gingen 30 der möglichen 50 Nomi­nie­rungen in allen Kate­go­rien an die 6 Filme, die auch für den ›besten Film‹ ganz oben stehen. Nimmt man die ›Haupt­ka­te­go­rien‹ Regie/Drehbuch/Haupt­dar­steller*in/ Kamera/Schnitt, gehen sogar nur 3 von möglichen 21 Nomi­nie­rungen an andere Filme, als dieje­nigen, die für den ›besten Film‹ nominiert sind. Es kann nicht sein, dass die heraus­ra­genden Kolle­ginnen und Kollegen unter uns sich auf so eine kleine Anzahl von Projekten in einem Jahr konzen­trieren. Wir sind, von den Gewerken her gesehen, besser als es die 6 nomi­nierten Filme vorschlagen.«

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Da hat er recht! Wenn wir noch mal auf die Titel der sechs Nomi­nierten gucken, dann muss man zwar nicht vor Scham in den Boden versinken, aber man darf sich wundern: Toni Erdmann,  Wild, Tschick, 24 Wochen, Die Blumen von gestern,  Will­kommen bei den Hartmanns.
Tatsäch­lich fragt man sich: »Wo ist da Tiger Girl? Man fragt sich auch: Wo ist da Fado, wo ist Der traum­hafte Weg, wo ist Looping? Alles bessere, inter­es­san­tere Filme, als Die Blumen von gestern und Will­kommen bei den Hartmanns sowieso, aber auch als Tschick und 24 Wochen.
Mir fielen noch weitere Titel ein, aber hier stoßen wir auf ein grund­sätz­li­ches Problem der Nomi­nie­rungs­praxis: Ihre zeitliche Willkür und unnötige Kompli­ziert­heit. Da Filme innerhalb eines Zeitraums von mindes­tens andert­halb Jahren einge­reicht werden können (wenn ich alles richtig verstanden habe muss man immer bis Ende Oktober einrei­chen, kann das aber auch mit einem Film machen, der erst im darauf­fol­genden Juni startet). Viele Filme können so dann nämlich pokern, in welchem Jahr sie bessere Chancen haben. Daher ist dann ein Film wie Wild, der im Frühjahr 2016 startete, ebenso nominiert, wie einer der noch gar nicht gestartet ist, und Morgen­röte, der nach Wild ins Kino kam, war schon im Vorjahr nominiert. Blickt da wirklich jemand durch?«

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Martin Hagemann schreibt zu den nomi­nierten Filme voller Nachsicht mit den betrof­fenen Kollegen: »Das sind alles ehren­werte, auch einige gute Arbeiten, einige dieser Filme sind preis­ge­krönt, andere haben viele Zuschauer gefunden, zumindest einer gehört nur ins Fernsehen, mindes­tens einer ist nach einer Formel gestrickt, dafür geben sich andere wild: die Akademie kann zufrieden sein mit sich, da sie mit ihren Nomi­nie­rungen doch für ein ausge­wo­genes, nettes Bild des deutschen Films in diesem Jahr gesorgt hat. ... Insofern haben die Mitglieder der Film­aka­demie sicher einen sehr reprä­sen­ta­tiven Jahr­gangs­schnitt von 6 Filmen zum ›besten deutschen Film‹ nominiert, viel Nach­voll­zieh­bares aber auch einiges Unver­s­tänd­li­ches. Das ist bei den Nomi­nie­rungen anderer Akademien nicht anders, und dies – das liegt in der Sache – ist auch immer ein Stück weit subjek­tive Meinung, was nun das gelungene und das weniger gelungene in der Kategorie ›bester Film‹ sein soll. Für mich sind es in diesem Jahr nur 3 Filme, die diese Bezeich­nung verdient hätten, aber da es nun mal 6 Slots und 6 Förde­rungen sind, wählen wir 6 ›beste Filme‹.
Dass es aber zu dieser auffäl­ligen Häufung von Nomi­nie­rungen der ›besten Filme‹ in anderen Kate­go­rien gekommen ist, das ist ärgerlich und nicht hinnehmbar, zeugt aus meiner Sicht von Unpro­fes­sio­na­lität. Oder liegt es doch daran, dass es für viele Mitglieder in einigen Sektionen kaum zu schaffen ist, die ca. 40 vorge­schla­genen Filme in 9 Wochen in Ruhe zu schauen und sich genügend verglei­chende, nicht nur geschmäck­le­ri­sche Gedanken darüber zu machen, welcher Film für die Nomi­nie­rung ›bester Film‹ und das Förder­geld sowie die Gewer­keno­mi­nie­rungen in Frage kommt?
40 Filme zwischen Anfang Januar und Mitte März, wenn die Nomi­nie­rungen bekannt gegeben werden, das sind locker 3-4 Filme pro Woche, auch wenn man den ein oder anderen schon vorher im Kino gesehen haben mag. Da fasse sich jeder und jede an ihre, bzw. seine eigene Nase, aber 3-4 Filme pro Woche, das ist viel Holz neben der Arbeit, der Familie, der parallel liegenden Berlinale etc.«

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Was Hagemann hier im Grunde sagt, ist: Die Nomi­nie­rungs­ver­gabe funk­tio­niert nicht. Kein Vorwurf an jene in der Film­aka­demie, die sich viel Mühe um Ausge­wo­gen­heit, Gerech­tig­keit und Demo­kratie geben oder was sie für all das halten. Aber so geht’s trotzdem nicht. Ist nicht zu schaffen. Schon gar nicht für Leute, die seriös arbeiten.

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»Anne Will« ist leider in den letzten Jahren eine immer schwächer gewordene, zunehmend über­flüs­sige Sendung. Poli­ti­sche Haltung findet man selbst bei »Markus Lanz«, der sich bisher auch noch nicht blöd genug war, den Demagogen und Demo­kra­tie­feinden von der AfD ein Forum zu bieten, wie das manche »Infor­ma­ti­ons­pro­gramme« der Öffent­lich-Recht­li­chen gern tun. Inter­es­sant ist »Anne Will« aller­dings schon. Vor ein paar Wochen zum Beispiel wurde über Syrien debat­tiert.
Ursula von der Leyen behaup­tete da lang und breit und unkri­ti­siert Dinge, die ihr später vom Fakten­check der ARD ausein­ander genommen und als unzu­tref­fend entlarvt wurden.
Wichtiger aber: Mode­ra­torin Anne Will versuchte bereits in der ersten Vorstel­lung ihren Gast Michael Lüders, Poli­tik­wis­sen­schaftler und Vorsit­zender der DAG, der als Autor und Nah-Ost-Experte bestimmte Analysen geleistet hat, die nicht main­stream­kon­form sind, zu diffa­mieren, indem sie ihn, wie sie betonte, »heute hier nicht« vorstellt als neutralen Nah-Ost-Experten, sondern »als Berater, als Geschäfts­mann, der sein Wissen an Firmen verkauft, die in Nah-Ost Geschäfte machen wollen.«
In der ARD scheint man sich da nicht einig zu sein, denn der SWR immerhin gibt Lüders Gele­gen­heit, ohne derart tenden­ziöse Vorab-Bewer­tungen seine gut begrün­deten Thesen vorzu­tragen.

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Frauke Petry darf als erste reden, ihr Kollege Jörg Meuthen als zweiter. Er darf verkünden, was die AfD will: »einen Fahrplan in ein anderes Deutsch­land, in ein Deutsch­land weg vom Links-Rot-Grün verseuchten 68er-Deutsch­land.«
Die ersten sieben Minuten des Films gehören nur der AfD, und ihren Wählern, dem Mob der Pegida. Das Korrektiv dazu bilden während­dessen nur Jour­na­listen, »die Medien«, also Stern, Spiegel, und natürlich BILD. Immerhin einer von ihnen, Lutz Kinkel, vormals »Stern«, formu­liert das Problem das dieser Film – wenn schon wie das Kaninchen auf die AfD blickend – ausdif­fe­ren­zieren und zum Thema machen müsste: Dass die Medien über die AfD berichten, »wie über eine 40 Prozent Partei«, und Kinkel benennt auch das Ergebnis: »Insofern machen wir sie als Medien größer, als sie eigent­lich ist. Danach geht es so weiter, episo­disch, rhap­so­disch, nicht analy­tisch, nicht einen Gedanken oder ein Argument weiter entwi­ckelnd, nie zu einem Fazit führend, sondern raunend, impres­sio­nis­tisch: Justiz­mi­nister Heiko Maas wird in Sachsen bepöbelt, die AfD beklatscht das hämisch auf ihrem Parteitag, Sarah Wagen­knecht bekommt eine Torte ins Gesicht – was hat das eine eigent­lich mit dem anderen zu tun? –, Sigmar Gabriel wird Opfer eines Gerüchts, dass Focus-Markwort eitel im BR verbreitet. Von er CDU gibt es offenbar Ähnliches nicht zu berichten.
Tilo Jung, der auch seine Markt­lücke gefunden hat, mit der er nun sogar im Fernsehen hausieren geht, und viel­leicht bald in der ARD seine Talkshow bekommt, Tilo Jung also, der tatsäch­lich so ist, wie sein Blog heißt, vergleicht Apfel mit Birnen, bzw Nazis mit Torten, und stellt Wagen­knecht mal flugs in die rechte Ecke.«

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Wir sehen die ARD-Doku­men­ta­tion »Nervöse Republik«
von Stephan Lamby der sich seit knapp 20 Jahren auf Politiker-Dokus mit reiße­ri­schen Titeln spezia­li­siert hat: »Schäubles Fall«, »Die Welt des Joschka Fischer«, »Merkels Macht«, »Stein­brücks Blick in den Abgrund«, »Das Duell: Merkel gegen Stein­brück«, »Schlacht­feld Politik«, »Schäuble – Macht und Ohnmacht«
Lamby gilt aus guter Doku­men­tar­filmer. Zu Recht?
Zu seinem aktuellen Thema hat er sich schonmal von seinem Konkur­renten Lutz Hach­meister, nun ja: inspi­rieren lassen: »Nervöse Zone« hieß Hach­meis­ters um einiges tiegs­chür­fen­deres und diffe­ren­zier­teres Buch von 2007 über »Politik und Jour­na­lismus in der Berliner Republik«.
Hach­meister beschrieb seiner­zeit den meinungs­füh­renden Jour­na­lismus als poli­ti­sche Akteure ohne Mandat: Bewusst und geplant hätten deren Wort­führer die Berliner Republik nach rechts »in Richtung eines neo-konser­va­tiven Zentrismus« bewegt. Hach­meister beschrieb auch die zuneh­mende, heute weiter fort­ge­schrit­tene Verschmel­zung von Jour­na­lismus und poli­ti­schem und ökono­mi­schem Marketing und Lobby­ismus, Längst haben PR-Stra­te­gien (mindes­tens jene der eigenen Werbe­ab­tei­lung) auch den vermeint­li­chen Quali­täts­jour­na­lismus gekapert, längst ist die Neutra­lität ein gefähr­detes Gut. Eine neue Klasse ist entstanden, in der Publi­zistik, Ökonomie, Marketing und poli­ti­sche Kommu­ni­ka­tion sich zu einer Unter­hal­tungs- und Bewusst­seins­in­dus­trie verbunden haben. Meinungen und Infor­ma­tion sind Produkte geworden, Güter mit denen Handel betrieben wird – nicht nur auf dem freien Markt. »In Berlin wird mit Infor­ma­tionen Schach gespielt.« heißt dies im Film, die Bericht­erstatter würden dafür instru­men­ta­li­siert. Hach­meis­ters Buch ist insgesamt eine Mängel­an­zeige für Lambys Film.
Denn Lamby geht nicht in die Tiefe. Er flaniert am Ereignis-Kalender des Jahres 2016 entlang. Anstatt die inneren Struk­turen und die poli­ti­sche Agenda des Spiegel zu beschreiben, stellt er nette Menschen vor: Bei der Brexit-Abstim­mung blickt er der Spiegel-Redaktion über die Schulter, einer darf behaupten, »wenn die Briten aussteigen, ist die Europäi­sche Idee tot«, was ziem­li­cher Unsinn ist. Spiegel ist über­rascht vom Brexit, statt Analysen hören wir voll­kommen über­trie­bene Reak­tionen: David Cameron habe »sein Leben verpfuscht, egal, was er jetzt noch macht«, als ob das irgendwas mit der Wirk­lich­keit zu tun hätte und als ob das Schicksal des Ex-Premiers die Haupt­frage nach dem Brexit wäre.
Zum Verhältnis der Bürger zu den Medien bemerkt Carline Mohr: »Hass gab’s immer ... seit Sommer 2015 ganz neue Dynamik«. Da hätte Lamby jetzt wieder ansetzen können, nach­fragen, mehrere Stimmen oder Bilder zur gleichen Sache. Statt­dessen denken wir über drei alter­na­tive Entwürfe zum nächsten Spiegel-Titel nach.
Klaus Brink­bäumer beschreibt »zuneh­mende Unsi­cher­heit« und eine »zuneh­mende weitere Hyste­ri­sie­rung der Debatte«

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Hysterie ist schon wieder so eine Kategorie. Von Nervo­sität ist im Film nicht die Rede, dieser Titel scheint eher die persön­liche Behaup­tung Lambys zu enthalten oder eine Hach­meister-Hommage.
Eine andere Frage ist dabei, ob diese Kategorie eigent­lich irgend­etwas Substan­ti­elles aussagt? Was sagt es über die Kategorie, wenn sie offenbar im Jahr 2007 genauso gut taugt wie 2017?
Wie kann will man ausge­rechnet mit dem Nervo­si­täts­be­griff die kollek­tive bundes­deut­sche Geis­tes­ver­fas­sung analy­sieren? Ein Gedanke an die Geschichte dieses Begriffs stimmt da eher skeptisch. Bereits viele Kultur­wis­sen­schaftler haben sich in den letzten Jahr­zehnten mit der Kultur- und Gesell­schafts­ge­schichte der »Neur­asthenie«, »Nerven­schwäche« oder Nervo­sität in den Jahren zwischen 1880 und 1940 beschäf­tigt. Der Kultur­wis­sen­schaftler Wolfgang Martyn­ke­wicz betitelte sein Buch gar als »Das Zeitalter der Erschöp­fung«, der Histo­riker Joachim Radkau seines als »Das Zeitalter der Nervo­sität«. Alle redeten seiner­zeit plötzlich über die Nerven.
Wie heute der Burnout trans­for­mierte die Neur­asthenie das gesell­schaft­lich unak­zep­tierte Unbehagen in der Kultur und den Überdruß an der modernen Zivi­li­sa­tion in eine gesell­schaft­lich akzep­tierte Krankheit. Wer Burnout hat, ist krank, wer müde ist oder gleich­gültig, dagegen selber schuld. Lamby hätte insofern auch von der Burnout-Republik, oder der »ausge­brannten Repubik« schreiben können.
Als Diagnose tref­fender wäre es aber, von Orien­tie­rungs­lo­sig­keit und Gleich­gül­tig­keit zu reden. Von der Unfähig­keit zu streiten. Von dem Unver­mögen für eigene Werte zu kämpfen und dummes Geschwätz auch so zu nennen. Oder von kollek­tivem Narzissmus:

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Es sagt schon alles, dass ausge­rechnet dem Medien-Outsider und Jungspund Tilo Jung hier überhaupt so viel Raum gegeben wird, und dann noch zu seichten Appellen wie diesem: »Meine Eltern sind auch Einheits­ver­lierer, meinen Vater kotzt diese ganze Politik an.« Über PEGIDA »Wir sollten auf diese Menschen zugehen, ihnen nicht immer nur vorwerfen, wie sie sich arti­ku­lieren.«
Das genau dies aber keiner tut, inter­es­siert Lamby nicht. Was diese Leute der Pegida-Demos arti­ku­lieren, nicht wie, das ist der Punkt. Ein tobender, hass­erfüllter Mob. Diese Leute haben keine Sorgen, sondern sie haben ein Aufmerk­sam­keits­de­fi­zit­pro­blem. Im 19. Jahr­hun­dert hätte man mit gehacktem Blei auf solche Leute geschossen, da wäre Pegida nach einer Demons­tra­tion vorbei gewesen, Und da die Gesell­schaft und ihre Medien offenbar unfähig sind, dem rassis­ti­schen Pöbel mehr entge­gen­zu­setzen als Indif­fe­renz und Nach­gie­big­keit, könnte es eines Tages wieder so kommen.
Zwischen solchen Eindrü­cken auch ein paar Poli­ti­ker­inter­views. In betont origi­nellen Posi­tio­nie­rungen: Maas auf einer Tisch­kante halb sitzend. Hat das der Pres­se­spre­cher so gewollt. Petry im schul­ter­freien Dress.
De Maiziere macht in diesem Umfeld sehr über­ra­schen­der­weise in jeder Hinsicht den besten Eindruck: Er findet als einziger eindeu­tige, harte und ange­mes­sene Worte für den AfD-Pegida-Komplex: »miese, aber gut wirksame Propa­ganda ... insze­nierter Eklat ... an die Propa­ganda des Natio­nal­so­zia­lismus gegen die Politiker von Weimar erinnernd...«
In Lambys Blick hat De Maizieres altmo­di­sche, auto­ri­täre, kühl-nass­for­sche Art etwas Sympa­thi­sches, Real­po­li­ti­sches, fast Helmut-Schmidt-haftes – ein Mann für die Zukunft.

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Der Film selbst ist nervös. Lambys Film ist ein Para­de­bei­spiel für Medien, die als Insti­tu­tion zur Aufklärung und Irri­ta­tion der Bürger, auch als ihr Anwalt gegenüber der Politik zunehmend versagen und statt­dessen als Echoraum und Stim­mungs­ma­cher funk­tio­nieren. Lambys Film betreibt mit seiner visuellen Gleich­set­zung von AfD und Regierung eine enorme Aufwer­tung der Demagogen und Frei­heits­feinde. In Lamby Film kommen GRÜNE und FDP gar nicht erst vor, und das Volk nur als keifende Minder­heit, die allen Ernstes von »Wider­stand« redet, von »Volks­ver­rä­tern« und der Abschaf­fung Deutsch­lands.
So zeigt Lambys Film eine Konstel­la­tion, wie eine Talkshow von Anne Will, auf Krawall gebürstet, an Infor­ma­tion desin­ter­es­siert. Die ARD strickt mit an Klischees und Vorur­teilen, die auf Dauer eine andere Republik herbei­führen werden.
Lutz Kinkels Frage steht bis zum Ende im Raum: Haben die Quali­täts­me­dien die AfD und Pegida nicht erst geschaffen, nicht groß durch über­trie­bene Aufmerk­sam­keit? Indem Demagogie und Rechts­extre­mismus zu »Popu­lismus« vernied­licht werden. Indem der AfD die Möglich­keit gegeben wird, ihre Kommu­ni­ka­ti­ons­ver­wei­ge­rung als Gesprächs­be­reit­schaft zu tarnen.

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Die letzte Chance verpasst der Film in Minute 54. Nachdem vorher Petry noch unwi­der­spro­chen natürlich, ihre üblichen Behaup­tungen aufstellen durfte, dass »die Medien« »alles« über die AfD »immer ins Negative ziehen« würden, und unfair berichten.
Danach redet Lamby mit dem Ex-BILD-Chef­re­dak­teur Kai Diekmann, und geht ihn für seine Verhält­nisse kritisch an, aber eben einmal mehr in die falsche Richtung: Als dieser erklärt, dass er Anti­se­mi­tismus und Rassismus der AfD bekämpfen würde, weil er sie für gefähr­lich hält, fragt Lamby kess: »Sind sie Jour­na­list oder Aktivist?« Diekmann erklärt ruhig, dass es zum Jour­na­lismus dazu­gehöre, zu berichten »wer sind denn die Leute, die von der AfD in die Landtage geschickt werden? Was für einen Hinter­grund haben die?« Lamby: »Ich war bislang der Meinung, Jour­na­listen berichten, jetzt sagen Sie mir, Jour­na­listen kämpfen.« – Diekmann: »Selbst­ver­s­tänd­lich tun wir das.« Und gegen Hans-Joachim Fried­richs Behaup­tung, ein Jour­na­list »macht sich mit keiner guten Sache gemein«, kontert Diekmann: »Diesen Satz habe ich schon immer für falsch gehalten.«

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Am Ende erfahren wir den Titel jener groß­ar­tigen Graphik, die ein paar Mal im Film auftaucht und die beste Entde­ckung an ihm ist: »Das Gerücht« von Paul A. Weber, einem Künstler im Umkreis des Natio­nal­bol­sche­wisten Ernst-Niekisch. Lamby betitelt sie auf 1943, obwohl die Graphik erst von 1953 stammt, und nur der Entwurf im Dritten Reich entstand. Das verdeut­licht die Methode: Es sieht gut aus, aller­dings zugleich um einiges besser als es ist und ist im Detail dann mindes­tens ungenau, wenn nicht ein absicht­li­cher Bluff, der mehr über das öffent­lich-recht­liche Fernsehen verrät, als über seinen Gegen­stand.

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Einmal mehr in eigener Sache: Das Berliner Bali-Kino zeigt eine Woche lang zuerst Von Caligari zu Hitler, dann Hitlers Hollywood. So muss es sein!

(to be continued)