Cinema Moralia – Folge 159
»Dreams are my reality« |
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»Kontrollgang in die eigene Vergangenheit«: La Boum | ||
(Foto: Studiocanal) |
»Stimmt es, dass Sie persönlich nicht einmal einen Computer besitzen?
Luc Besson: Das ist richtig. Ich wüsste auch gar nicht, wie ich ihn bedienen sollte. Ich habe auch noch nie ein Video-Game gespielt. Ob Sie es glauben oder nicht: Ich schreibe all meine Drehbücher bis heute mit der Hand. Wort für Wort. Das gibt mir das richtige Gefühl für die Materie. Und ich habe vielleicht sechs, sieben Jahre meines Lebens im Schneideraum verbracht, aber ich könnte nicht einmal das Video-Schnittpult einschalten.«
(im Interview mit der AZ, Ulrich Lössl)»Monsieur Besson,, was bereitet Ihnen am meisten Spaß beim Filmemachen?
Luc Besson: Das Verfassen des Drehbuchs natürlich! Ich setze mich an den Computer und schreibe: 2000 Raumschiffe tauchen am Himmel auf. Dann überlege ich kurz und denke mir, Luc, das kannst du doch noch besser. Also lösche ich den Satz wieder und schreibe: 5000 Raumschiffe tauchen am Himmel auf.«
(im Interview mit der SZ, David Steinitz)
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In eigener Sache: Wer am Freitag vormittags Zeit und Lust hat, kann im »Neuen Arena« in der Hans-Sachs-Straße meinen Film Hitlers Hollywood über das deutsche Kino im Zeitalter der Propaganda nachholen, oder noch einmal sehen. Der Film läuft bereits morgens um 9.15 Uhr in einer Vorstellung für Schüler, danach ist dann Zeit zum Diskutieren, oder an die Isar gehen.
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Es kann nicht immer für jeden gut laufen. Für die FFA war es keine gute Woche: Erst gab es die ungewöhnlich scharfe Schelte durch Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Grütters nahm die neuen filmpolitischen Leitlinien der FFA zum Anlaß für eine Lektion in Sachen kultureller Filmförderung. Aus FFA-Kreisen wird dann immer betont, dass es ja »nur Leitlinien« seien, keine »Richtlinien«, und man müsse sich ja nicht unbedingt dran halten.
Weiterhin fragen sich viele,
warum Grütters die FFA so grob anging – wo sie doch selbst deren Rechtsaufsicht ist. Das hätte man anders lösen können. Oder hat es die Ministerin versucht, und war gescheitert?
Mögliche andere Gründe könnten sein, dass Monika Grütters längst weiß, dass sie nach der Wahl als Kulturstaatsministerin gehen muss. Angela Merkel will Grütters offenbar als BKM loswerden. Das liegt, wie man hören kann, gar nicht an deren Filmpolitik, sondern an dem Desaster des sogenannten
»Kulturgutschutzgesetz«. Viele Künstler und Sammler sind deswegen aufgebracht, machen der CDU die Hölle heiß. In Gesprächen wird über die »Arroganz« von Grütters und ihrer Nummer 1 im Ministerium, Günter Winands geklagt, außerdem floss offenbar seit der Veröffentlichung des Gesetzes Kunst im Wert von über einer Milliarde aus Deutschland ab, weil die Sammler und Gemäldebesitzer der Regierung nicht trauen, ob ihr Eigentum wohl geschützt bleibt.
Eine andere Erklärung für Grütters
öffentlichen Wutausbruch ist, dass er sich womöglich gar nicht in erster Linie gegen FFA Vorstand Peter Dinges richtet oder ihren Vorgänger Bernd Neumann im FFA-Verwaltungsrat, sondern gegen Dinges' Stellvertreterin Christine Berg. Sie ist intern alles andere als unumstritten, und hat die neue FFA-Leitlinie maßgeblich mitzuverantworten.
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Anfang der Woche protestierte auch die AG VERLEIH (der 37 unabhängige Unternehmen angehören) gegen die neuen Leitlinien. In der Meldung heißt es »Die AG VERLEIH – Verband unabhängiger Filmverleiher begrüßt die Kritik der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Frau Monika Grütters, an den neuen Leitlinien der Filmförderungsanstalt.
Die Fixierung willkürlicher Grenzen durch den Verwaltungsrat in den veröffentlichen Leitlinien ist nicht
nachvollziehbar. Diese Grenzen spiegeln weder Effizienz, noch Wirtschaftlichkeit eines Filmes wieder. Ganz im Gegenteil, durch die Fixierung auf höhere Budgets in Verleih und Produktion ist der Rückfluss von Fördermitteln erfahrungsgemäß erschwert. Effiziente mittlere und kleine Filme mit ihrem rationalen Verhältnis von Budget und Recoupment werden jetzt von vornherein ausgeschlossen, obwohl doch gerade hier die Kriterien Wirtschaftlichkeit und Effizienz erfüllt
werden.«
Die Verleiher – im Vorstand sitzen Torsten Frehse, Hans-Christian Boese, Alexandre Dupont-Geisselmann, Michael Höfner, Björn Hoffmann, Joachim Kühn – fordern, endlich zu veröffentlichen, welche Produzenten überhaupt Fördergelder zurückzahlen. Die FFA macht daraus bisher ein Geheimnis, offenkundig vor allem, weil extrem wenig Geld überhaupt zurückgezahlt wird, und weil große Firmen in der Vergangenheit meistens so gut wie kein Geld zurückgezahlt
haben.
»Wir plädieren in diesem Sinne für Transparenz und fordern erneut und nachdrücklich die Offenlegung aller bisherigen und zukünftigen Förderrückflüsse. Nur so ist die Möglichkeit zur Evaluation von Wirtschaftlichkeit und Effizienz im Sinne aller Marktteilnehmer gegeben.«
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»Die Filmförderungsanstalt soll Struktur und kreativ-künstlerische Qualität des deutschen Films sichern, also sämtliche Belange des deutschen Filmes unterstützen. Wir bitten die Beauftragte für Kultur und Medien, Frau Grütters, daher, ihre Rechtsaufsicht über die FFA tatsächlich auszuüben und darauf hinzuarbeiten, dass die Grundsätze Wirtschaftlichkeit und Kultur sich auch in Zukunft in den Förderentscheidungen widerspiegeln.
Ebenso erwarten wir, dass Filme mit
Herstellungskosten von weniger als 2,5 Millionen Euro und weniger als 250.000 Besuchern bis auf Weiteres vom Abführen der Filmabgabe ausgenommen werden, da diese Projekte mit Veröffentlichung der Leitlinien offensichtlich nicht mehr dem Portfolio der FFA-Förderung angehören sollen.«
Der letzte Satz ist so lustig wie konsequent: Warum sollten die Teile der Filmbranche Abgaben für eine Förderung zahlen, die sie gar nicht bekommen können?
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Erinnern Sie sich noch? 1980 – da waren wir noch jung, zumindest jünger. 35 Jahre jünger, um genau zu sein. La Boum – Die Fete hieß der Film dieses Sommers. Alle Jungs in der Schule waren in Sophie Marceau verliebt, ein paar Mädchen auch, die anderen wollten sie zur besten Freundin haben oder so sein wie sie: Hübsch, klug, cool. »Dreams are my reality« hieß einer der Filmhits, man
tanzte »Schieber« dazu – und alle fragten sich, warum es in Deutschland eigentlich keine solchen Partys gab, und auch keine solchen Eltern...
Ein Jahr später schon kam das Sequel Die Fete geht weiter, und so begannen für eine ganze Generation die achtziger Jahre nicht nur mit Nena und ihren »99 Luftballons« sondern auch mit La boum und den schönen Augen von Sophie Marceau.
Diese Woche nun kehrt La
boum wieder zurück in die deutschen Kinos. Was wird das mit uns machen, wenn wir es wiedersehen?
»Alte Filme sehen, das heißt einen Kontrollgang durch die eigene Vergangenheit machen.« sagte schon in den 1920er-Jahren Siegfried Kracauer, der als Filmkritiker so gut war wie als Filmhistoriker. Nicht der Kontrollgang ist hier das wichtigste Wort, sondern die »eigene« Vergangenheit. Denn jeder sieht ja seinen eigenen Film, erst recht in einem bestimmten Alter.
Und es ist eine manchmal sehr merkwürdige, aber auch sehr lehrreiche Erfahrung, einen Film wieder einmal im Kino
zu sehen, den man vor Jahrzehnten geliebt hat. Manchmal wundert man sich, wie toll und niveauvoll damals doch noch das Kino war. Und manchmal ist man überrascht über den irgendwie vertrauten Unbekannten, der man damals war. Wie doch die Zeit vergeht...
La boum ist übrigens bei
weitem nicht das einzige alte Filmwerk, das diese Woche auf Kinoleinwand neu aufgelegt wird: Catherine Deneuve, die vom Alter her Sophie Marceaus Mutter sein könnte, und wie diese auch heute weiterhin eine der besten und bestaussehensten französischen Schauspielerinnen, spielt die Hauptrolle in Belle de Jour – Schöne des Tages: Eine frustrierte oder irgendwie frigide, aber auch einfach neugierige,
gelangweilte reiche Arztgattin, die sich tagsüber als Prostituierte verdingt. In ihren Tagträumen, den eigentlichen Höhepunkten des Films, wird die Deneuve ausgepeitscht, vom Personal vergewaltigt oder einfach ihre schneeweiße Haut mit Dreck beworfen. Auch diese sarkastische Gesellschaftskomödie Luis Bunuels kommt diese Woche ins Kino – so Anfang August Die Reifeprüfung, in der Anne Bancroft
den blutjungen Dustin Hofman verführt. Wenn diese drei Filme irgendetwas gemeinsam haben, dann, dass es immer um irgendwie emanzipierte selbstbewusste Frauen geht, die sich nehmen, was sie wollen.
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»Jede Einstellung ist da genau überlegt« sagte die etwas ältere Kollegin nach Belle de Jour. Ja? Stimmt das wirklich? Warum spielen sie dann manchmal so schlecht, so hölzern? Nicht Deneuve, aber andere. Belle de Jour ist eine seltsame Seherfahrung. Dafür, wie hoch der Film gehandelt wird, enttäuscht er ein bisschen. Die Bilder sind erlesen, der ganze Film sehr interessant. Auch verstörend, wobei man da erstmal eine Strecke auf den Film zugehen muss. Aber es »kickt« auch nicht richtig. Der Film stammt aus einer Zeit, die vorbei ist. So wie Thomas Assheuer in der Zeit mal geschrieben hat, dass man heute nicht mehr so denken könne, wie Ernst Bloch – ich wollte ihm das nicht glauben –, so kann man heute wohl keine Filme mehr machen, wie Bunuel. Womit natürlich noch nicht entschieden ist, ob das nicht eher gegen unsere Zeit spricht, und für 1967, dass man damals solche Filme machen konnte.
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Die Rückkehr der Klassiker ist also ein Trend und zeigt zugleich, was sich im heutigen Kino gerade grundsätzlich verändert: Früher sprach man von »Repertoire« – da liefen auch 50 Jahre alte Filme ganz selbstverständlich jenseits von Filmmuseen immer wieder in kommunalen und Programmkinos und das über viele Wochen, so wie es überhaupt Filme gab, La boum zum Beispiel, die über 30
oder mehr Wochen aufeinander im gleichen Kino gespielt wurden.
Heute ist das völlig anders: Alles wird Event. Und die Aufgaben der Programmkinos werden zunehmend von Filmfestivals erledigt – da läuft dann etwas »weniger mainstreamige« Filmkunst oder eine klassische Retrospektive und weil ein Festival angeblich es ein Event ist, gehen da auch Leute hin, die ein normales Programmkino nie betreten würden.
Ein Event ist es daher auch, wenn jetzt La boum und Belle de Jour wieder ins Kino kommen. Dieser »Wiederauftauchen der Klassiker«-Event fällt zusammen mit einem zweiten: Dem Sommerkino, das bis in den September Gelegenheit gibt, ungewöhnliche Filme zu sehen. Manchmal sind es – wie in München – sorgfältig kuratierte kommunale
Filmkunstwochen, die nebenbei den Sinn haben, den geschätzten Programmkinos ökonomisch über die Sommerferien zu helfen, manchmal ist es eher die Lust eines Verleihers oder Kinobetreibers am Experiment, manchmal einfach Freiluftkino.
Gemeinsam ist ihnen: Auch das Kino gibt sich im Sommer einen Ruck, es traut sich was, und seinem Publikum etwas zu. Wenn wir das auch in Zukunft weiter haben wollen, dann sollten wir selbst jetzt auch den Mut zum Experiment mit uns selber haben und ins Kino
gehen: In Belle de Jour, Die Reifeprüfung, La boum und alle anderen.
(to be continued)