Cinema Moralia – Folge 158
Lasst viele kleine Filme blühen! |
||
Stünde der FFA auch weiterhin gut zu Gesicht: Valeska Grisebachs Western | ||
(Foto: Piffl Medien) |
»Friede den Hütten, Krieg den Palästen!«
Georg Büchner
+ + +
Es war eine lustige, überraschende Pressemitteilung, die uns Mittwoch von Kulturstaatsministerin Monika Grütters zugeschickt wurde, direkt vor der Sommerparty des »großen« der beiden Produzentenverbände, der Allianz.
»Verantwortung zur Förderung des kulturell anspruchsvollen Films gilt für alle Förderer« war sie überschrieben, und in der Unterzeile sehr fein, fast schon poetisch: »Aus Anlass der anhaltenden Diskussion um eine vor kurzem veränderte Förderpraxis der
Filmförderungsanstalt (FFA) und des heutigen Treffens der Produzentenallianz in Berlin erklärte die Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters«.
Das Wort »eine« gefällt mir darin am besten.
Aber was hat Grütters erklärt? In gerade von ihr bislang ungewohnter Deutlichkeit schreibt die Staatsministerin: »Die angestrebte zukünftig sehr viel stärkere Ausrichtung der FFA an rein wirtschaftlichen Kriterien bei der Entscheidung über die Förderung eines
Filmprojekts halte ich für falsch. Ein solcher Förderansatz wird dem deutschen Kinofilm als Kultur- und Wirtschaftsgut in seiner Vielfalt nicht gerecht und ist kulturpolitisch auch nicht geboten.«
Ein Affront und eine offene Attacke auf FFA-Chef Peter Dinges und nicht zuletzt auch auf ihren Vorgänger, Ex-Kulturstaatsminister Bernd Neumann, der jetzt Chef des FFA-Verwaltungsrats ist. Recht hat sie!
Wir würden jetzt gerne »Gut so, Frau Grütters!« jubeln, wären da nicht... ein
paar Fragen und Gedanken.
+ + +
Denn wie weit hat eigentlich die Ministerin selbst mit ihrer Politik dazu beigetragen, dass sich nicht mehr alle sicher sind, ob es eigentlich noch irgendwem noch um kulturelle Filmförderung geht? Dass, salopp gesagt, die Anwälte der Industrie, des Films als Wirtschaftsgut Morgenluft schnuppern
Es fließt mehr Geld in den deutschen Film, das stimmt. Das war auch höchste Zeit. Es ist zwar immer noch viel zu wenig Geld, verglichen mit anderen Bereichen der Kulturpolitik, aber
immerhin.
Nur fließt dieses Geld einseitig in die Wirtschaftsförderung. Grütters verweist auf die »massive Aufstockung der kulturellen Filmförderung in meinem Etat um zusätzliche 15 Mio. Euro jährlich«. Sie verschweigt aber die zusätzlichen Millionensteigerungen im DFF, die den Vorrang der Wirtschaftsförderung festschreiben; ; sie verschweigt, dass auch die so genannte kulturelle Filmförderung des BKM mit erwarteten »Zuschauerzahlen« und den Gummiwörtern
»Erfolgsaussichten« und »Relevanz argumentiert; sie verschweigt, dass sie nichts getan hat, um den Einfluss der Fernsehsender zu reduzieren, oder gleich ganz zu streichen – obwohl sie genau weiß, dass sich die aus Haushaltszwangsabgaben (für die ich bin) finanzierten Sender de facto nahezu komplett aus der Filmfinanzierung zurückziehen.«
+ + +
Man muss das ja nicht gut so finden. Aber jahrelang war die Politik des BKM darauf ausgerichtet, die zwei Säulen Kultur und Wirtschaft miteinander zu verschränken. De facto bedeutete das ziemliche Willkür der Förderer, deren Entscheidungen objektiv kaum überprüfbar waren. Das wurde viel kritisiert, bot den Beteiligten aber immerhin Spielräume. Seit Grütters Amtsantritt ist die Tendenz klar: Sie versucht, beide Felder zu trennen, und tendenziell gegeneinander in Stellung zu bringen. Die Kriterien sollen verobjektiviert werden. Mit Controller-Mentalität kommt man aber in Kulturfragen überhaupt nicht weiter.
+ + +
So erscheint dieser Kampf der Förderhäuptlinge vor allem als Energieverschwendung, als eine jener typischen Scheindebatten des deutschen Films: Man redet über Verteilung und das Verhältnis von Kultur und Wirtschaft. Man redet nicht darüber, was für ein Kino man will, man redet nicht über rechtliche Fragwürdigkeiten des ganzen Modells (Wirtschafts-Subventionen sind nach EU-Recht verboten, es klagt nur keiner). Vor allem redet man nicht darüber, dass es die vielbeschworene Wirtschaft gar nicht gibt. Den Begriff »Deutsche Filmindustrie« muss man immer in Anführungszeichen schreiben. Denn die wenigsten dieser Industriellen bekommen für ihre Projekte einen Bankkredit, wie ihn jeder anständige Metzgermeister bekommt, wenn er eine neue Wurstmaschine kaufen will. Die Filmwürste sind den Banken in der Regel zu unsicher. Darum gibt es Filmförderung. Mindestens 93%, nach verlässlichen Angaben sogar 97% der Filmförderung werden nicht zurückgezahlt, sind also Subventionen. Dagegen ist gar nichts zu sagen, würde das Geld tatsächlich zur Förderung von Kultur eingesetzt. Als Förderung der Film-Großindustrie ist es ein Schlag ins Gesicht aller unabhängigen mittleren und kleinen Produzenten.
+ + +
Es ist gut und richtig, dass die FFA etwas Neues probieren will. Nur: Warum bedeutet Neuerung, dass man den Großen noch mehr Geld gibt, den Kleinen gar nichts? Warum tut man so, als stünden hinter der üblichen Antragspoesie, in der jeder Film »mit Sicherheit« »auf ein breites Publikum trifft« und »wir mit mindestens 200.000 bis 250.000 Zuschauern und der Premiere auf einem A-Festival rechnen« irgendetwas anderes steht als fromme Wünsche oder offene Lügen? Im Jahr 2016 hatten von 250
deutschen Filmen nur 21 Produktionen mehr als 250.000 Zuschauer.
Warum also setzt die FFA auf noch mehr Einfalt, statt endlich auf Vielfalt?
Wenn man wirklich etwa Neues will, dann würde ich es mal mit dem Motto von Chairman Mao Tse-tung probieren: »Lasst viele bunte Blumen blühen!« Anstatt zum Beispiel 100 Millionen auf 10 Filme zu verteilen, könnte man 100 Filmen je 1 Million geben. Die Erfolgschancen würde das steigern, pro eingesetztem Euro würde mehr Filmkunst entstehen. Denn auch
wirtschaftlich rechnet sich die »Spitzenförderung« nicht wirklich: Ein richtiger Flop und zehn Millionen sind verbrannt, man hat aber nur einen Film.
Wie Grütters schreibt: »Auch ein deutscher Film, dem weniger als potentiell 250.000 Zuschauer zugetraut werden, kann ein kultureller aber auch ein wirtschaftlich erfolgreicher Film sein. Beides zu erfüllen, mit Mut zum kreativen Risiko, sollte weiterhin unser Ziel sein. Die sehr erfreulichen deutschen Beiträge und Erfolge in den
letzten Jahren in Cannes zeigen dies deutlich. Die Förderung von Filmen wie Maren Ades Toni Erdmann oder auch Fatih Akins Aus dem Nichts oder Valeska Grisebachs Western stünden
auch der FFA weiterhin gut zu Gesicht.«
+ + +
Aber das sind erstmal schöne Worte. Eigentlich, so scheint es, möchte die Ministerin eine Flurbereinigung in der deutschen Kinolandschaft. Sie möchte offenbar mit dem komplizierten Argument der angeblichen »Filmschwemme« die unabhängigen mittleren und kleinen Produzenten an die Wand fahren lassen, und in die Insolvenz treiben.
Die Sender machen da gerne mit.
Wie ihre Politik in der Praxis dem behaupteten Ziel dienen soll, »ein Mehr an kreativer Unabhängigkeit zu
gewährleisten und kulturell anspruchsvolle, innovative und auch experimentelle Filme noch besser zu fördern«, hat Grütters noch nicht schlüssig erklärt.
+ + +
A propos Cannes: Während Grütters mit Artur Brauner auf dem Sofa saß, und dadurch auch vor lästigen Lobbyisten etwas geschützt war, und während der liebe Gott wie jedes Jahr das »Sommerfest« der Allianz mit Dauerregen kommentierte – zumindest er ist offenbar kein Fan des deutschen Films – liefen auf einer großen Videowand in Dauerschleife Bilder aus Cannes. Es ist doch interessant, dass selbst der Kern der Branche sich offenbar nur an Cannes ausrichtet, wo deren Filme nur selten laufen. Und dass mit Bildern von der Berlinale offenbar kein Staat zu machen ist.
+ + +
Jan Weiler, einst Co-Chef im SZ-Magazin, und dann wegen der nie geführten Interviews von Tom Kummer zurückgetreten, verdient seither bekanntlich nicht schlecht damit, seine Familie in Form autobiographisch inspirierter »Romane« zu vermarkten: Die auch verfilmten Maria, ihm schmeckt’s nicht und Antonio, ihm schmeckt’s nicht!, In meinem kleinen Land, die Stern/WamS/BR 2-Kolumne Mein Leben als Mensch, und schließlich Das Pubertier, seit letzter Woche auch von Leander Hausmann verfilmt im Kino. Offenbar gefällt die Jan-Weiler-Methode nicht allen.
Wie uns auf dem Filmfest München erzählt wurde,
hat Jan Weilers in Buch und Film portraitierte Tochter vor Drehbeginn höchstselbst bei Leander Hausmann angerufen: Sie möchte, dass ihr Vater nicht zu gut wegkommt. »Mach Dir mal keine Sorgen.« Angeblich hatte die Tochter gegen das Ausschlachten ihrer Pubertät daheim protestiert und daraufhin zu hören bekommen: »Dafür hast Du 'nen Pool.« Erziehung 2017.
+ + +
Das sollte er öfters tun: Wolfgang Bosbach hat eine Talkshow verlassen. Welch' eine Erholung. Was Sandra Maischberger, Maybrit Illner und selbst Anne Will nie gelang, schaffte Jutta Ditfurth. Im Gespräch über die G20-Proteste blieben dem solariumbraunen CDU-Populisten die Argumente weg, darum hatte er fertig und floh vor den ARD-Kameras.
Bemerkenswert an der Sendung war, dass wenigstens Maischberger an einer offenen Debatte interessiert war, und auch den radikalen Protestler
eine Stimme gab, sich für deren Argumente interessierte.
Nicht so die meisten Berichterstatter: Nichts nervt an der G20 Berichterstattung mehr, als die einseitige Parteinahme vieler für Polizei, Stadtregierung und gegen die Demonstranten. Ein Beispiel für das Mainstreaming der Medien: Man berichtet am Freitagmorgen, in der Nacht habe es »sechs verletzte Polizisten« gegeben, und am Samstagmorgen, am Vortag habe es »mindestens 213 verletzte Polizisten« gegeben. In beiden
Fällen wird aber nicht berichtet, wieviel verletzte Demonstranten oder auch nur »normale Bürger« es gab. Warum? Die Nacht auf Samstag ist in den gleichen Medien eine »Schreckensnacht«. Sie ist keine »Krawallnacht«, schon gar keine »Protestnacht«.
Pegida-Demonstranten, AfD-Wähler und Flüchtlingsheim-Randalierer sind »besorgte Bürger«, nicht so die G20-Protestler.
Nicht einmal Ansatzweise erlebt man Verständnis für das Unfriedliche. Wer sich auf dem Maidan mit Polizisten
prügelt, wird gelobt, palästinensische Steinewerfer werden mindestens verstanden, gewaltsamer Widerstand gegen Diktaturen sowieso, aber plötzlich ist Gewalt immer schlecht, und es heißt »Demokratie und Gewalt schließen sich aus.« So ein Unsinn. Die Autoren haben wohl tatsächlich noch nie etwas gehört von den Traditionen des Illegalismus, des Situationismus, des Insurrektionalismus, oder vom »poetischen Terrorismus« eines Hakim Bey.
+ + +
Bemerkenswerte Ausnahme: Der bürgerliche, aber eben auch freiheitliche »Tagesspiegel«: Der absurde Hamburger Einsatzleiter Hartmut Dudde, der vom rechtsradikalen Senator Schill geförderte Schöpfer der überharten »Hamburger Linie«, die auch in Polizeikreisen umstritten ist, wird vom »Tagesspiegel« als »Mann fürs Grobe« portraitiert, der »bereits vor Beginn des Wochenendes eine fatale Wirkung erzeugte«, indem er friedliche Zeltlager räumen ließ, Gerichtsbeschlüsse höchst
einseitig und willkürlich interpretierte, beziehungsweise deren Geist unterlief. So verlor der Staat den Kampf um die öffentliche Meinung. »Was ist das für ein Staat, der wegen ein paar Lagen Polyester und Zeltstangen so austickt?« (Tagesspiegel) So wurde die Eskalation heraufbeschworen, der Rechtsstaat auch im Empfinden vieler Bürger außer Kraft gesetzt.
Das kam bei Maischberger zu Recht zur Sprache und war für Bosbach unerträglich.
+ + +
Tschüss Rechtsstaat: Es ist mir zwar nicht egal, aber auch keineswegs die Hauptsorge, wenn in Hamburg Mülleimer oder Autos abgefackelt werden, wenn zugleich der Staat so reagiert, wie er reagiert hat. Mit Polizeiwillkür und Aussperrung der Pressevertreter. Geklärt werden muss die Frage, wie es sein kann, dass das Bundespresseamt während der Protestwoche bereits erteilte Akkreditierungen zurückzieht und den betroffenen Kolleginnen und Kollegen die Berichterstattung über
den Gipfel untersagt. Gibt es Gründe, dann müssen sie veröffentlicht werdem ansonsten darf so etwas nicht wieder vorkommen. Dass dann schwarze Listen über die Berichterstatter vom türkischen Autokraten Erdogan stammen, ist mehr eine Fußnote am rechten Rand.
Der Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit ist genauso wichtig wie der Schutz des Eigentums. Nur reden wir leider zu viel übers Eigentum, und zu wenig über Meinungs- und Pressefreiheit.
Der Münchner Autor und
Büchner-Preisträger Rainald Goetz war da in Bezig auf Staat und Presse bereits 1978 weiter als Wolfgang Bosbach und Heiko Maas: in dem Text »Privilegien, Anpassung, Widerstand«, den er 1978, im Kursbuch 54, kurz nach dem »Deutschen Herbst« schrieb, heißt es:
»Als ob es nicht gerade diese Alternativlosigkeit wäre, die uns an systemimmanenten Lösungen radikal zweifeln lässt. Welche, wenn nicht solche Erfahrungen, solche unzureichenden Antworten, solch exemplarisches
Unverständnis treiben die jungen Leute, einige wenigstens, stückweise in die politische Kriminalität, oder zumindest in ein handfestes Sympathisantentum? Denn der politische Wahnsinn des Terrors verliert angesichts des staatlichen Wahnsinns der Reaktion viel von seinem scheußlichen Gesicht.«
(to be continued)